VwGH 84/02/0294

VwGH84/02/029428.2.1985

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Dr. Dorner und Dr. Bernard als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Müller, über die Beschwerde des Dr. EM, Rechtsanwalt in E, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 21. Mai 1984, Zl. MA 70 ‑ IX/M 34/84/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

AdLRegOrgG 1925
GO LReg Wr 1960
StVO 1960 §2 Abs1 Z26
StVO 1960 §24 Abs1 lita
VStG §5 Abs1
VStG §6
VwGG §42 Abs2 Z2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1985:1984020294.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat der Bundeshauptstadt (Land) Wien Aufwendungen in der Höhe von S 2.400,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung vom 21. Mai 1984 wurde der Beschwerdeführer einer Verwaltungsübertretung nach § 24 Abs. 1 lit. a StVO 1960 schuldig erkannt und hiefür bestraft, weil er am 25. Mai 1983 um 11.09 Uhr in Wien 1., Hanuschgasse „ggü. 3“ als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeuges dieses in einem deutlich beschilderten Halteverbot abgestellt gehabt habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde macht der Beschwerdeführer geltend, es sei „nach der Geschäftsverteilung des Amtes der Wiener Landesregierung“ derjenige, dessen Unterschrift der angefochtene Bescheid trägt, „nicht dazu berufen, für die Landesregierung in dieser Sache zu erkennen“, weshalb dieser Bescheid „von einer unzuständigen Behörde erlassen“ worden sei. Dem Beschwerdeführer ist jedoch entgegenzuhalten, daß es sich um einen Bescheid der Wiener Landesregierung handelt, dessen Ausfertigung vom Amt der Wiener Landesregierung als deren Hilfsapparat im selbständigen Wirkungsbereich des Landes erfolgt ist (Art. 108 B‑VG in Verbindung mit dem BVG, BGBl. Nr. 289/1925), die Geschäftseinteilung des Amtes der Landesregierung eine Angelegenheit der inneren Organisation ist, die die Zuständigkeit der Behörde nicht berührt (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. September 1977, Zl. 1405/77), und weder nach der Behauptung des Beschwerdeführers noch sonst nach der Aktenlage ein Anhaltspunkt dafür besteht, daß der Genannte kein Organwalter des Amtes der Wiener Landesregierung (Magistrat der Stadt Wien) wäre.

Der Beschwerdeführer hat sich in seinem Einspruch gegen die Strafverfügung vom 27. September 1983 damit verantwortet, daß ihn „ein übergesetzlicher Notstand gezwungen hat, die in der Strafverfügung angezogene Verwaltungsübertretung zu setzen“. Er habe sich damals mit seinem Fahrzeug „in der Nähe der Hanuschgasse befunden, als ich plötzlich einen starken und kaum zurückhaltbaren Drang zur Darmentleerung empfunden hatte, weil, wie sich später herausgestellt hat, ich einen sogenannten Durchfall bekommen hatte“. „Da in dieser Gegend ein regulärer Parkplatz nicht zu finden ist und mir aus verschiedenen Besuchen des Theaterkartenbüros in der Hanuschgasse 3 bekannt war, daß sich im ersten Stock eine jederzeit benützbare WC‑Anlage befindet“, sei er „gezwungen“ gewesen, „die Verwaltungsübertretung zum Zwecke der dringlichen Verrichtung der Notdurft zu begehen“. Anläßlich seiner Beschuldigtenvernehmung vom 31. Oktober 1983 hat er dargelegt, aus welchen Gründen er keine Beweise für seine Behauptung beibringen könne, und den Standpunkt vertreten, „daß nicht ich der Behörde meine Unschuld zu beweisen habe, sondern die Behörde hat mir zu beweisen, daß meine Darstellung unrichtig ist“. In seiner Berufung gegen das Straferkenntnis vom 7. Dezember 1983 führte er aus, „§ 6 räumt ausdrücklich ein, daß bei Vorliegen eines Notstandes die Strafbarkeit nicht eintritt“. Es sei „nun in erster Linie auch eine Frage des guten Geschmackes, ob man einem österreichischen Staatsbürger diesen Notstand zubilligt, wenn er vor die Wahl gestellt wird, entweder eine Verwaltungsübertretung durch Nichtbeachtung eines Halteverbotes (ohne unmittelbare Verkehrsbehinderung) begehen soll oder sich durch Nichtverrichtung der Notdurft an den von unserer Zivilisation hiefür speziell eingerichteten Örtlichkeiten der Schimpf und Schande auszusetzen. Die Beseitigung dieses Übels hätte im übrigen zweifelsohne ein öffentliches Ärgernis hervorgerufen, welches bekanntlich gleichfalls eine Verwaltungsübertretung darstellt“; es bestehe daher für ihn „als Bürger eines Rechtsstaates kein Zweifel, daß ich richtig gehandelt habe“; seine Verantwortung sei nicht widerlegt. Die Beschwerde enthält die Ausführungen, daß „das von mir gesetzte Verhalten einen Fall des Notstandes im Sinne des § 6 VStG darstellt, wodurch die Strafbarkeit des Verhaltens ausgeschlossen wurde“, dieses Verhalten „durch eine gesetzliche Vorschrift, nämlich durch die Standesvorschrift nach der Rechtsanwaltsordnung geradezu geboten wurde“ und „ein anderes Verhalten zu einer schweren Verletzung von Ehre und Ansehen des Rechtsanwaltsstandes geführt hätte“.

Die belangte Behörde hat richtig erkannt, daß auf Grund der Verantwortung des Beschwerdeführers im Verwaltungsstrafverfahren von ihr die Frage zu beurteilen war, ob es sich bei dem Abstellen des Fahrzeuges des Beschwerdeführers zur Tatzeit am Tatort um ein „Anhalten“ im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 26 StVO 1960, worunter das durch die Verkehrslage oder durch sonstige wichtige Umstände erzwungene Zum‑Stillstand‑Bringen eines Fahrzeuges zu verstehen ist, gehandelt hat oder nicht, weil bejahendenfalls nicht davon gesprochen werden könnte, daß der Beschwerdeführer mit seinem Fahrzeug „gehalten“ bzw. „geparkt“ (siehe § 2 Abs. 1 Z. 27 und 28 leg. cit.) und somit gegen ein Halte- und Parkverbot gemäß § 24 Abs. 1 lit. a StVO 1960 verstoßen habe (vgl. u.a. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Dezember 1976, Slg. Nr. 9198/A, und vom 29. Juni 1979, Zl. 1711/77). Die belangte Behörde ist in der Begründung des angefochtenen Bescheides zu der Auffassung gelangt, daß im Beschwerdefall kein derartiges Anhalten gegeben gewesen sei, weil „menschliche Bedürfnisse dieser Art im allgemeinen vorhersehbar sind und der Berufungswerber sich daher schon früher auf die Verrichtung eines solchen hätte einstellen können und müssen“. Mit Recht rügt die Beschwerde, daß die belangte Behörde hiebei nicht auf den konkreten vom Beschwerdeführer behaupteten Sachverhalt eingegangen sei. Doch stellt dieser Umstand keinen wesentlichen Mangel dar, weil die belangte Behörde aus den folgenden Gründen auch sonst zu keinem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Bescheid hätte kommen können.

Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides durch die Worte „abgesehen davon, daß der Beweis eines solchen“ (gemeint: dringenden menschlichen Bedürfnisses) „von seiten des Berufungswerbers unterblieb“, zum Ausdruck gebracht, daß vom Vorliegen eines wichtigen Umstandes im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 26 StVO 1960 auch deshalb nicht ausgegangen werden könne, weil der Beschwerdeführer den Beweis für die Richtigkeit der von ihm aufgestellten zugrundeliegenden Behauptung nicht erbracht habe. Diese Rechtsansicht entspricht im Ergebnis insofern der bisherigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, als ein strafloses Anhalten im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 26 StVO 1960 nur dann vorgelegen wäre, wenn es tatsächlich „erzwungen“ gewesen wäre, was aber dann nicht zutrifft, wenn es vom Beschwerdeführer schuldhaft herbeigeführt worden wäre, weshalb es ausschließlich um die Beurteilung allfälligen Verschuldens Beschwerdeführers - auch wenn Beurteilung schließlich zur Verneinung der Tatbildmäßigkeit selbst führen könnte - geht, was zur Folge hat, daß bei der Begehung eines Ungehorsamsdeliktes - wie im Beschwerdefall, in dem nach außenhin eindeutig gegen ein Halte- und Parkverbot gemäß § 24 Abs. 1 lit. a StVO 1960 verstoßen wurde - die Beweislast für sein mangelndes Verschulden gemäß § 5 Abs. 1 VStG 1950 den Beschuldigten trifft (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Juni 1970, Slg. Nr. 7819/A, und vom 2. Mai 1980, Zl. 234/80). Daß dem Beschwerdeführer ein solcher Beweis gelungen wäre, behauptet nicht einmal die Beschwerde selbst.

Zu dem gleichen Ergebnis gelangt man auch dann, wenn man sich ‑ entsprechend den Rechtsausführungen des Beschwerdeführers - mit der Frage auseinandersetzt, ob für ihn ein strafbefreiender Notstand im Sinne des § 6 VStG 1950 gegeben war. Nach dieser Gesetzesstelle ist eine Tat nicht straffrei, wenn sie durch Notstand entschuldigt oder, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt. ist. Für die Bejahung eines solchen Notstandes wäre zweifellos Voraussetzung, daß zumindest ebenso „wichtige Umstände“ vorliegen müssen wie für die Qualifikation des Zum-Stillstand-Bringens. eines Fahrzeuges als „Anhalten“ (vgl. das bereits erwähnte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Juni 1979, Zl. 1711/77). Da es sich im Falle eines entschuldigenden Notstandes um einen Schuldausschließungsgrund handelt, ist schon deshalb derjenige gleichfalls beweispflichtig, der ihn behauptet (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Mai 1977, Zl. 2037/75). Dies gilt aber - unabhängig davon - grundsätzlich für jede Art von Notstand, also auch für den Fall des sogenannten rechtfertigenden oder übergesetzlichen Notstandes, zumal aus dem Umstand, daß § 6 VStG 1950 im Gegensatz zu § 5 leg. cit. keine Bestimmungen über die Beweisführung enthält, noch nicht zwingend folgt, daß der Beschuldigte nicht verhalten sein könnte, einen Beweis für den von ihm geltend gemachten Notstand anzubieten, und es einem Beschuldigten, der einen Notstand behauptet, ohne daß er für die Behörde offenkundig ist, obliegt, diesen zu beweisen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. März 1965, Zl. 302/64). Für den Standpunkt des Beschwerdeführers ist daher auch unter diesem rechtlichen Aspekt nichts zu gewinnen.

Da sich die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Soweit Entscheidungen zitiert wurden, die nicht in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes veröffentlicht worden sind, wird an Art. 14 Abs. 4 seiner Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, erinnert.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981.

Wien, am 28. Februar 1985

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