VwGH 83/15/0083

VwGH83/15/008329.11.1984

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Reichel und die Hofräte Dr. Seiler, Dr. Großmann, Dr. Schubert und Dr. Wetzel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Schöller, über die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) dieser Finanzlandesdirektion, Berufungssenat V, vom 5. Mai 1983, Zl. 6/1‑1234/83, betreffend Umsatzsteuer für 1982 des Mitbeteiligten H S in W, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §292
B-VG Art131 Abs2
UStG 1972 AnlA Z49
UStG 1972 §10 Abs2 Z1 AnlA
UStG 1972 §3 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1984:1983150083.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde dem Mitbeteiligten, einem Buchbinder, für das Binden von Zeitschriften den ermäßigten Steuersatz des § 10 Abs. 2 Z. 1 UStG 1972 zuerkannt, und zwar im wesentlichen unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend Buchbinderleistungen.

Die vorliegende Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland behauptet inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die erwähnte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und meint unter Hinweis auf Schrifttum und Judikatur in der Bundesrepublik Deutschland, daß die vom Buchbinder zum Binden übernommenen Druckbögen nicht am Leistungsaustausch teilnehmen. Es sei daher nur der vom Buchbinder hergestellte Einband und nicht das gesamte Buch Gegenstand der Werklieferung im Sinne des § 3 Abs. 4 UStG 1972. Da zwar Zeitschriften, nicht aber Bucheinbände zu den begünstigten Gegenständen der Anlage A zum Umsatzsteuergesetz 1972 gehörten, sei das gesamte Entgelt dem allgemeinen Steuersatz zu unterwerfen.

In seiner Gegenschrift zur Beschwerde beantragt der Mitbeteiligte die Zurückweisung der Beschwerde, allenfalls deren Abweisung. Zum Antrag auf Zurückweisung wird auf den folgenden Punkt I. verwiesen. Den Antrag auf Abweisung der Beschwerde stützt der Mitbeteiligte auf die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und meint weiters, daß auch Bucheinbände (Einbanddecken) für sich nach Zif. 49 der Anlage A zum Umsatzsteuergesetz 1972 begünstigt wären (siehe auch den folgenden Punkt II.).

In einer Gegenäußerung zur Gegenschrift legt der Beschwerdeführer unter anderem dar, selbst auf dem Boden der hg. Vorjudikatur bleibe die Frage offen, ob diese auch den streitgegenständlichen Sachverhalt (vom Auftraggeber beigestellte Zeitschriften würden jahrgangsweise gebunden) umfasse.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

I. Zum Antrag auf Zurückweisung der Beschwerde

a) Zur Begründung dieses Antrages führt der Mitbeteiligte im wesentlichen aus, die Beschwerdeführung nach § 292 BAO liege im Ermessen des Präsidenten der Finanzlandesdirektion. Die Ermessensentscheidung, Beschwerde zu erheben, wäre jedoch zu begründen gewesen. Habe sich doch der Verwaltungsgerichtshof in derselben Rechtsfrage wiederholt gegen den Standpunkt der Finanzverwaltung ausgesprochen. Äußerungen, die der zuständige Abteilungsleiter im Bundesministerium für Finanzen in einer Fachzeitschrift abgegeben hätte, ließen den Verdacht aufkommen, daß nicht sachliche Gründe, sondern persönliche Emotionen vorliegende Beschwerde ausgelöst hätten. Derartige Emotionen dürften nicht auf dem Rücken eines Steuerpflichtigen abreagiert werden.

b) Die grundsätzliche Berechtigung, gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde zu erheben, ist demjenigen eingeräumt, der durch den Bescheid in seinen (subjektiven) Rechten verletzt zu sein behauptet (Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B‑VG). Darüber hinaus läßt das B‑VG in anderen, besonderen Fällen Beschwerden gegen Bescheide von Verwaltungsbehörden wegen Rechtswidrigkeit zu, so unter anderem gemäß Art. 131 Abs. 2 auf Grund bundes‑ oder landesgesetzlicher Ermächtigung. Eine bundesgesetzliche Ermächtigung enthält § 292 BAO, demzufolge das Recht, gegen die Entscheidung eines Berufungssenates wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften die Beschwerde gemäß Art. 131 Abs. 2 B‑VG an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben, auch dem Präsidenten der Finanzlandesdirektion eingeräumt wird.

Wenn nun auch der Gesetzgeber in § 292 BAO von einem „Recht“ zur Beschwerdeführung spricht, so hat er doch damit kein Recht des Präsidenten der Finanzlandesdirektion im Sinne einer subjektiven Berechtigung normiert ‑ der Präsident ist ja durch den angefochtenen Bescheid auch nicht in „seinen Rechten“ verletzt ‑, sondern die Kompetenz eines staatlichen Organs, einen Bescheid wegen objektiver Rechtsverletzung anzufechten (siehe auch Ringhofer, Der Verwaltungsgerichtshof, Seite 138).

Die Zurückweisung einer Beschwerde kommt allein aus einem im Gesetz genannten Grund in Betracht. Ein solcher könnte nach dem Vorbringen des Mitbeteiligten lediglich in dem in § 34 Abs. 1 VwGG 1965 angeführten Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde erblickt werden. Dieser Mangel wäre aber nach dem Gesagten nur gegeben, wenn dem Präsidenten nach dem Gesetz keine Kompetenz zur Beschwerdeerhebung eingeräumt wäre. Eine solche Kompetenz ist jedoch gegeben, wenn alle formellen Voraussetzungen erfüllt sind, an die das Gesetz die Beschwerdeberechtigung des Präsidenten knüpft. Sind sie nicht erfüllt, richtet sich die Beschwerde z.B. nicht gegen die Entscheidung eines Berufungssenates, ist die Beschwerde mangels Berechtigung zur Erhebung zurückzuweisen. Erhebt jedoch der Präsident im Rahmen der ihm eingeräumten Kompetenz Beschwerde, so hat der Verwaltungsgerichtshof nicht mehr zu prüfen, aus welchen Motiven der Präsident seine Kompetenz wahrnahm.

Da der Präsident der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland im Beschwerdefall im Rahmen seiner Beschwerdekompetenz tätig wurde und auch sonst alle Prozeßvoraussetzungen erfüllt sind, besteht kein Grund, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Zur Frage des Umsatzsteuersatzes

a) Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid davon aus, daß der Mitbeteiligte Zeitschriften zum Binden übernommen hat.

Die Beschwerde präzisiert die strittigen Leistungen des Mitbeteiligten dahingehend, daß er von einer Hochschulbibliothek Zeitschriften in einer Form erhielt, die zur Archivierung bzw. wiederholten Benutzung durch Leser nicht geeignet sei. Die einzelnen Nummern der Zeitschriften müßten, um nicht binnen kurzer Zeit völlig zu zerfallen, in Einbände festgebunden und mit strapazfähigen Einbanddecken versehen werden. So entstünden Jahrgangsbände. Die Aufgabe des Mitbeteiligten bestehe darin, die einzelnen Zeitschriften in Bände festzubinden und jahrgangsweise mit solchen strapazfähigen Einbanddecken zu versehen.

Der Mitbeteiligte ließ in seiner Gegenschrift diese Präzisierung sachverhaltsmäßig unwidersprochen.

b) § 10 Abs. 2 Z. 1 UStG 1972 in der für das Streitjahr geltenden Fassung sah für die Lieferung, den Eigenverbrauch und die Einfuhr der in der Anlage A aufgezählten Gegenstände den ermäßigten Steuersatz von 8 v.H. vor. In Zif. 49 dieser Anlage sind Waren des Buchhandels und Erzeugnisse des graphischen Gewerbes angeführt, und zwar

a) Bücher, Broschüren und ähnliche Druckerzeugnisse, auch in losen Bogen (Nr. 49.01 des Zolltarifes),

b) Zeitungen und Zeitschriften, auch mit Bildern (Nr. 49.02 des Zolltarifes) ...

Nach Anmerkung 2 zu Kapitel 49 des Zolltarifes sind gebundene Zeitungen und Zeitschriften sowie Zeitungen und Zeitschriften in Sammlungen mit mehr als einer Nummer in einem gemeinsamen Umschlag in die Nummer 49.01 einzureihen.

Gegenstand der Zolltarifnummern 49.01 wie 49.02 sind die dort angeführten Druckerzeugnisse, und zwar gebunden oder ungebunden. Die Einbände allein fallen jedoch entgegen der Auffassung des Mitbeteiligten nicht unter diese Tarifnummern (auch nicht unter die Tarifnummern 49.03 bis 49.05), sondern in der Regel unter eine Zolltarifnummer des Kapitel 48, betreffend Papier und Pappe, Waren aus Papiermasse sowie Papier‑ und Pappwaren (siehe auch die Erläuterungen zum Zolltarif, Bemerkung 4 zu Zolltarifnummer 48.04 und Bemerkung 4 zu Zolltarifnummer 48.05).

Soweit sich der Mitbeteiligte ebenfalls auf die Erläuterungen zum Zolltarif beruft, hat er offenbar die Regelung im Auge, Waren der Nummer 49.01 könnten broschiert, kartoniert oder gebunden sein bzw. auch Karteiform aufweisen, gehörten aber auch nur in Druckbogen (Planobogen) oder in einzelnen Blättern hierher, die ein vollständiges Buch oder eine Teillieferung eines Buches umfassen und zum Broschieren oder Binden bestimmt seien (aus Bemerkung 2 zu Zolltarifnummer 49.01). Diese Regelung betrifft jedoch, soweit sie sich auf die in der Gegenschrift angesprochenen einzelnen Blätter oder Teillieferungen eines Buches bezieht, Blätter bzw. Teillieferungen, die zum Binden bestimmt sind, also erst noch gebunden (mit einem Einband versehen) werden müssen. Daraus und aus dem Umstand, daß Tarifnummer 49.01 „Druckerzeugnisse“ zum Gegenstand hat, ist zu schließen, daß Einbände für sich nicht dieser Tarifnummer unterliegen.

Obgleich nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes Zeitschrifteneinbände in der in Rede stehenden Art nicht in die Ziffer 49 der Anlage A zum Umsatzsteuergesetz 1972 zu reihen sind, wäre der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde dennoch nicht im Recht, wenn der Mitbeteiligte mit dem Binden der Zeitschriften die Werklieferung eines nach Anlage A begünstigten Gegenstandes, insbesondere gebundener (gesammelter) Zeitschriften im Sinne der Anmerkung 2 zu Kapitel 49 des Zolltarifes, getätigt hätte.

Hat der Unternehmer die Bearbeitung oder die Verarbeitung eines vom Auftraggeber beigestellten Gegenstandes übernommen und verwendet er hiebei Stoffe, die er selbst beschafft, so ist die Leistung gemäß § 3 Abs. 4 UStG 1972 als Lieferung anzusehen, wenn es sich bei den Stoffen nicht nur um Zutaten oder sonstige Nebensachen handelt (Werklieferung).

Eine Werklieferung liegt darnach also nicht vor, wenn der Unternehmer bei der Bearbeitung oder Verarbeitung des beigestellten Gegenstandes nur (Zutaten oder sonstige) Nebensachen verwendet. Als solche Nebensachen sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Gegenstände anzusehen, die im Verhältnis zu den anderen verarbeiteten Sachen von untergeordneter Bedeutung sind, wobei für die Unterscheidung zwischen Haupt‑ und Nebensachen in erster Linie die Natur des Stoffes, aber auch die Verkehrsauffassung sowie ein Vergleich der wirtschaftlichen Bedeutung der verwendeten Materialien den Ausschlag geben; das Wertverhältnis tritt hingegen in den Hintergrund (Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. November 1961, Zl. 1039/61, Slg. Nr. 2526/F, und vom 23. Dezember 1964, Zl. 418/63, Slg. Nr. 3205/F).

Bei Büchern kommt dem Einband nach übereinstimmender Meinung von Schrifttum und Rechtsprechung wesentliche Bedeutung im Sinne eines Hauptstoffes zu (siehe beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 12. Jänner 1978, Zl. 2005/77), die Verkehrsauffassung erachtet den Einband als für ein Buch essentiell.

Anders ist es jedoch, wenn Zeitschriften jahrgangsweise gebunden werden. Bei Zeitschriften ist schon die einzelne Nummer das Wesentliche. Dem Zusammenfassen und Binden der Zeitschriften nach Jahrgängen kommt nur untergeordnete Bedeutung zu. Der Einband der jahrgangsweise zusammengefaßten Nummern stellt bei Zeitschriften nach der Verkehrsauffassung mit Sicherheit keine Hauptsache dar.

Damit ist aber bei der Leistung des Mitbeteiligten eine Werklieferung zu verneinen. Insoweit hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt, so daß der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Wien, 29. November 1984

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