Normen
AVG §66 Abs4;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1 impl;
VStG §51;
VStG §64;
VwGG §42 Abs2;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1984:1983110024.X00
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Der Bürgermeister der Stadt S erließ am 7. Juli 1981 unter GZ. Ge-1252/1981 ein Straferkenntnis, dessen Spruch (auszugsweise) wie folgt lautete:
"Der Beschuldigte, IV, Hotelinhaber, hat es, wie eine Kontrolle der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich am 11. 2. 1981 ergab, in seiner Eigenschaft als Dienstgeber unterlassen, für die Einhaltung der Schutzvorschriften für die in seinem Betrieb beschäftigte GS, hinsichtlich
- 1) der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit,
- 2) der Vergütung der Mehrarbeitsleistung bzw. des Mehrarbeitszuschlages von 50 %
- 3) der Ruhepausen,
- 4) der Ruhezeit von mindestens 12 Stunden,
- 5) der Nachtruhe,
- 6) der Sonntagsruhe und
- 7) der ununterbrochenen Wochenfreizeit von 43 Stunden
gehörige Sorge zu tragen und dadurch Verwaltungsübertretungen ad 1) nach § 11 des Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetzes, BGBl. Nr. 146/1948, i.d.g.F.,
ad 2) nach § 14 des Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetzes, BGBl. Nr. 146/1948, i.d.g.F.,
ad 3) nach § 15 " " "
ad 4) nach § 16 " " "
ad 5) nach § 17 " " "
ad 6) nach § 18 " " "
ad 7) nach § 19 " " "
begangen.
Gemäß § 30 leg. cit. werden daher über den Beschuldigten wegen der unter Punkte 1) bis 7) angeführten Übertretungen Geldstrafen von je S 5.000,--, zusammen S 35.000,--, verhängt ...."
In der Begründung folgt eine detaillierte Angabe der im Zeitraum vom 29. September bis 2. November 1980 an den einzelnen Wochentagen geleisteten Arbeitsstunden.
In der dagegen erhobenen Berufung ging der Mitbeteiligte zunächst näher auf die einzelnen ihm vorgeworfenen Übertretungen ein und beantragte abschließend,
1) die Bestrafung nach den §§ 14, 15 und 16 des Kinder- und Jugendlichenbeschäftigungsgesetzes (KJBG) aufzuheben, weil er die Übertretungen nicht begangen habe,
2) die Bestrafung nach § 19 KJBG aufzuheben, weil diese Übertretung bereits durch die Strafe nach § 18 KJBG geahndet werde und
3) die Bestrafung nach den §§ 11, 17 und 18 KJBG auf jeweils
S 3.000,-- herabzusetzen.
Die Berufungsbehörde veranlaßte die zeugenschaftliche Einvernahme der Jugendlichen GS, holte eine Stellungnahme des zuständigen Arbeitsinspektorates ein, gewährte dem Mitbeteiligten Parteiengehör und gab mit Bescheid vom 24. November 1982 der Berufung statt, behob das angefochtene Straferkenntnis und stellte das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 lit. a VStG 1950 ein. Zur Begründung verwies sie auf die Spruchpraxis des Verwaltungsgerichtshofes zum § 44 a VStG 1950, wonach im Spruch eines Straferkenntnisses auch der Zeitpunkt der Begehung der Tat, und, falls es sich um einen Zeitraum handle, dessen Anfang und Ende in einer kalendermäßig eindeutig umschriebenen Art anzuführen sei. Diesem Erfordernis habe der Spruch des erstinstanzlichen Bescheides nicht entsprochen; ihm habe nicht entnommen werden können, wann das zum Anlaß der Bestrafung des Mitbeteiligten genommene Verhalten tatsächlich begonnen und geendet habe. Die mangelnde zeitliche Konkretisierung der einzelnen Straftaten habe der Berufungsbehörde keine ausreichende Möglichkeit geboten zu überprüfen, ob der Mitbeteiligte die ihm angelasteten Straftaten überhaupt begangen habe. Darüber hinaus habe sich die Unterbehörde nicht im erforderlichen Ausmaß mit dem Ergebnis des Beweisverfahrens auseinandergesetzt. Die gegebene Begründung stelle keine ausreichende, schlüssige Beweisführung, die den Schuldspruch tragen könnte, dar; die belangte Behörde könne "sich daher dem Schuldspruch der Erstbehörde nicht anschließen".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vom Bundesminister für soziale Verwaltung gemäß § 9 Abs. 2 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1974 "wegen Rechtswidrigkeit" erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsstrafakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt. Auch die mitbeteiligte Partei hat in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerde führt zunächst aus, die Behörde erster Instanz habe die dem Mitbeteiligten zur Last gelegten Taten zwar - entgegen der Bestimmung des § 44 a lit. a VStG 1950 - nicht im Spruch wohl aber in der Begründung durchaus konkret beschrieben. Auch habe der Mitbeteiligte die in der Beschwerde genannten Übertretungen nicht in Abrede gestellt, sondern um Strafminderung gemäß § 51 Abs. 4 VStG 1950 ersucht. Die Beschwerde weist in diesem Zusammenhang auf das Legalitätsprinzip des § 25 Abs. 1 VStG 1950 und die der Berufungsbehörde gemäß § 66 AVG 1950 gebotenen Möglichkeiten hin. Die belangte Behörde hätte bei dem ihr vorliegenden Sachverhalt und hei Berücksichtigung des Legalitätsgebotes nicht zur Einstellung des Strafverfahrens gelangen dürfen.
Demgegenüber verweist die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift neuerlich auf die Begründung im angefochtenen Bescheid. Nach ihrer Ansicht habe die fehlende konkrete Angabe der Tatzeit im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides nicht durch deren Angabe in der Begründung behoben werden können, was sich nach Ansicht der belangten Behörde aus zwei von ihr zitierten Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes (4. Februar 1958, Slg. Nr. 4549/A, 25. Mai 1972, Zl. 2237/71) ergebe.
Die belangte Behörde verkennt damit die Rechtslage: Beiden zitierten Erkenntnissen lag jeweils der Bescheid der Rechtsmittelinstanz zugrunde, dessen Mängel infolge Fehlens eines weiteren Rechtsmittelzuges zum Unterschied von allfälligen Mängeln eines erstinstanzlichen Bescheides nicht mehr saniert werden können. Daher ist dieser Hinweis der belangten Behörde nicht geeignet, ihren Standpunkt zu stützen.
Gemäß § 25 Abs. 1 VStG 1950 sind Verwaltungsübertretungen (mit Ausnahme der hier nicht in Betracht kommenden Fälle des § 56) von Amts wegen zu verfolgen. Nach § 66 Abs. 4 AVG 1950 - diese Bestimmung gilt zufolge § 24 VStG 1950 auch im Verwaltungsstrafverfahren - hat die Berufungsbehörde (von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen abgesehen) immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. Damit hat sich die Berufungsbehörde, wie die Beschwerde unter Hinweis auf Mannlicher-Quell, Das Verwaltungsverfahren, erster Halbband,
8. Aufl., Seite 358, zutreffend ausführt, auf Grund einer zur sachlichen Behandlung geeigneten Berufung mit der Angelegenheit in gleicher Weise wie die Behörde erster Instanz zu befassen, d. h. sie hat die Angelegenheit sowohl hinsichtlich des als Grundlage der Entscheidung anzunehmenden Sachverhaltes als auch hinsichtlich der maßgebenden rechtlichen Erwägungen einer neuerlichen, selbsttätigen Prüfung zu unterziehen und auf Grund des Ergebnisses der Prüfung ihre Entscheidung zu fällen. Dementsprechend hat auch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf die Besonderheiten des Verwaltungsstrafverfahrens betont, daß die Berufungsbehörde zwar nicht berechtigt ist, die Tat selbst auszuwechseln, wohl aber, wenn sie die Umschreibung der Tat in einem Straferkenntnis der Unterbehörde für unzureichend hält, die Tat in ihrem Bescheid näher zu umschreiben und etwa auch zeitlich zu präzisieren (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Februar 1984, Zl. 83/11/0207, und die darin zitierte Vorjudikatur - hiezu wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen).
Aus der dargestellten Rechtslage ergibt sich, daß die belangte Behörde die ihr als Berufungsbehörde gegebene Möglichkeit, das Ermittlungsverfahren im erforderlichen Ausmaß zu ergänzen und nach dessen Ergebnis - allerdings beschränkt auf die von der Unterbehörde in Verfolgung gezogenen Tathandlungen - die als erwiesen angenommenen Taten im Spruch ihres Bescheides in einer dem Erfordernis des § 44 a lit. a VStG 1950 entsprechenden Weise zu umschreiben, verkannt hat.
Die Beschwerde rügt weiters, daß kein Einstellungsgrund im Sinne des § 45 Abs. 1 lit. a VStG 1950 vorliege, da aus der Aktenlage einzelne Übertretungen ersichtlich seien, die der Mitbeteiligte auch zugegeben habe. Dazu führt die belangte Behörde in der Gegenschrift aus, nach ihrer Auffassung hätten die Ergebnisse des erstinstanzlichen Beweisverfahrens und der von ihr im Berufungsverfahren gemäß § 66 Abs. 1 AVG 1950 vorgenommenen Ergänzungen keine ausreichende Grundlage ergeben, die dem Mitbeteiligten zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen als erwiesen annehmen zu können. Auch diese Ausführungen können den von der Beschwerde erhobenen Vorwurf einer dem Gesetz widersprechenden Vorgangsweise nicht entkräften.
§ 67 in Verbindung mit § 60 AVG 1950 - beide Bestimmungen gelten zufolge § 24 VStG 1950 auch im Verwaltungsstrafverfahren - verpflichtet die Berufungsbehörde, ihren Bescheidspruch auch dann zu begründen, wenn sie dem Berufungsantrag stattgibt, und in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.
Die belangte Behörde ging nun im vorliegenden Fall sogar noch über den Berufungsantrag hinaus, indem sie das Strafverfahren auch hinsichtlich der vom Mitbeteiligten in seiner Berufung nicht bestrittenen Übertretungen (insoweit ist das Straferkenntnis im Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen - vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. April 1979, Zl. 2261/2262/77 Slg Nr. 9828/A) nach den §§ 11, 17 und 18 KJBG einstellte, unterließ es aber, ihre Entscheidung ausreichend und schlüssig zu begründen. Der Hinweis auf die nach Meinung der belangten Behörde mangelhafte Auseinandersetzung der Unterbehörde mit den vorliegenden Beweisen und die unschlüssige Beweisführung des erstinstanzlichen Bescheides kann die von ihr selbst gänzlich unterlassene Auseinandersetzung mit dem Ergebnis ihres ergänzenden Ermittlungsverfahrens nicht ersetzen. Die belangte Behörde hat ergänzende Ermittlungen gepflogen (u.a. zeugenschaftliche Einvernahme der GS), aber in ihrer Bescheidbegründung jede Erörterung der Ergebnisse dieses Ermittlungsverfahrens unterlassen und auch sonst nicht dargetan, welche Erwägungen sie - ausgehend von den von ihr getroffenen Feststellungen - dazu gelangen ließen, die dem Mitbeteiligten zur Last gelegten und von ihm zum Teil auch nicht in Abrede gestellten Verwaltungsübertretungen als nicht erwiesen anzusehen.
Die belangte Behörde hat somit den angefochtenen Bescheid dadurch mit Rechtswidrigkeit belastet, daß sie, soweit sie einzelne der dem Mitbeteiligten zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen als erwiesen ansah, in Verkennung ihrer Möglichkeiten, aber auch Verpflichtungen als Berufungsbehörde im Strafverfahren nicht in der Sache selbst entschieden und dabei allenfalls mangelhaft gefaßte Sprüche in zulässiger Weise präzisiert hat, soweit sie aber die zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen als nicht erwiesen ansah, es unterlassen hat, die verfügte Einstellung in gesetzlich gebotener Weise zu begründen. Die belangte Behörde hat ihren Bescheid überdies dadurch mit Rechtswidrigkeit belastet, daß sie das Strafverfahren auch hinsichtlich der Übertretungen nach den §§ 11, 17 und 18 KJBG eingestellt hat, obwohl die dazu ergangenen Schuldsprüche bereits in Rechtskraft erwachsen waren.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 11. April 1984
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