Normen
EStG 1972 §34;
EStG 1972 §4 Abs6;
EStG 1972 §34;
EStG 1972 §4 Abs6;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.365,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, der als Amtstierarzt nichtselbständig und als Tierarzt mit eigener Praxis selbständig erwerbstätig ist, nahm in seiner Einkommensteuererklärung für 1980 für seine beiden Kinder K (geboren 7. Februar 1963) und E (geboren 18. Februar 1964) Erhöhungsbeträge für Sonderausgaben gemäß § 18 Abs. 1 Z. 2 und § 18 Abs. 1 Z. 3 lit. a bis c EStG 1972 in Anspruch, verzeichnete unter den Betriebsausgaben einen Betrag von S 5.500,-- unter dem Titel "Trinkgeld-Helfer" und machte als außergewöhnliche Belastung unter anderem Rechtsanwaltskosten in der Höhe von S 71.178,34 geltend, die er für anwaltliche Vertretung in Verfahren wegen Scheidung, Unterhalt, nach § 177 ABGB und über eine Privatanklage bezahlt hatte.
Das Finanzamt anerkannte im Einkommensteuerbescheid für 1980 Sonderausgaben sowohl für Personenversicherungen wie für Wohnraumschaffung nur bis zu einem dem Beschwerdeführer zustehenden Höchstbetrag von je S 10.000,--, weil für die beiden Kinder die Voraussetzungen des § 119 EStG 1972 nicht erfüllt seien, und lehnte die Anerkennung der Rechtsanwaltskosten als außergewöhnliche Belastung ab, weil sie nicht zwangsläufig erwachsen seien.
In seiner Berufung gegen diesen Bescheid gab der Beschwerdeführer zu, nach Scheidung seiner Ehe im November 1979 habe seine geschiedene Frau bis November 1980 die Familienbeihilfe für die beiden Kinder bezogen, doch seien sämtliche Aufwendungen für die geschiedene Frau und die Kinder vom Beschwerdeführer ebenso getragen worden wie zur Zeit der aufrechten Ehe und wieder ab Dezember 1980. Die Anwaltskosten seien ihm zwangsläufig erwachsen, weil er "während des Verfahrens" von seiner geschiedenen Frau geklagt worden sei, er sich dem Verfahren aus rechtlichen Gründen nicht habe entziehen können und die Gegenseite die Hilfe eines Rechtsanwaltes in Anspruch genommen habe, weshalb auch dem Beschwerdeführer ohne anwaltliche Hilfe die "Abwicklung" nicht möglich gewesen wäre.
Nach einer auf Abweisung dieser Berufung lautenden Berufungsvorentscheidung des Finanzamtes stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Vorlage der Berufung an die belangte Behörde. Diese wies mit Bescheid vom 29. Oktober 1982 die Berufung als unbegründet ab und änderte gleichzeitig den Bescheid des Finanzamtes zum Nachteil des Beschwerdeführers insbesondere dahin ab, daß die Trinkgelder von S 5.500,-- nicht als Betriebsausgaben anerkannt wurden. In ihrer Begründung führte die belangte Behörde zu den vor dem Verwaltungsgerichtshof strittig verbliebenen Punkten aus:
1. zur Frage der Trinkgelder als Betriebsausgaben: Der Beschwerdeführer habe für die strittigen Trinkgelder belegmäßige Nachweise nicht erbracht, daher seien die Trinkgelder, die üblicherweise zu den nicht belegbaren Betriebsausgaben zählten, mit dem dem Beschwerdeführer gewährten Pauschale nach § 4 Abs. 6 EStG 1972 abgegolten.
2. zur Frage der Erhöhungsbeträge für Sonderausgaben:
Solche stünden im Ausmaß von je S 5.000,-- für jedes Kind im Sinne des § 119 EStG 1972 zu, mithin für Kinder, für die dem Steuerpflichtigen oder dem nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten Familienbeihilfe auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (oder eine gleichartige ausländische Beihilfe) gewährt werde. Diese Voraussetzung sei, wenn die Einkommensteuer veranlagt werde, bei Gewährung dieser Beihilfen für die Dauer von mindestens vier Monaten im Veranlagungszeitraum erfüllt. Im gegebenen Fall beziehe der Beschwerdeführer die Familienbeihilfe für seine Kinder K und E seit Dezember 1980, bis zu diesem Zeitpunkt sei diese Beihilfe von der geschiedenen Gattin bezogen worden. Somit seien die Voraussetzungen des § 119 EStG 1972 im Streitjahr nicht erfüllt und es hätten dem Beschwerdeführer die an sie geknüpften Erhöhungsbeträge für Sonderausgaben nicht gewährt werden können.
3. zur Frage von Rechtsanwaltskosten als außergewöhnliche Belastungen: Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Prozeßkosten stünden ausschließlich mit seiner Ehescheidung in Zusammenhang, bei der, weil sie nach anfänglich schweren Auseinandersetzungen letzten Endes doch einvernehmlich erfolgt sei, die Schuldfrage gerichtlich nicht geklärt worden sei. Unter Würdigung für das Verhalten des Beschwerdeführers charakteristischer Auszüge aus fünf Gerichtsakten - dazu zitierte die belangte Behörde in ihrer Bescheidbegründung verschiedene Tatsachenvorbringen des Beschwerdeführers selbst und vor allem seiner geschiedenen Gattin in jenen Verfahren, wovon das der letzteren sowohl außergerichtlich wie gerichtlich von den beiden minderjährigen Töchtern größtenteils bestätigt worden sei - könne die belangte Behörde keine Zwangsläufigkeit der gegenständlichen Prozeßkosten erkennen, zumal auch der Beschwerdeführer keine weiteren für seinen Standpunkt sprechenden Argumente vorgebracht habe.
Über die gegen diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde und die dazu von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Zu 1.:
Die Berufung, über die die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid abzusprechen hatte, war gegen die Festsetzung der Einkommensteuer für das Jahr 1980 durch das Finanzamt gerichtet. In diesem durch das Rechtsmittel gezogenen Rahmen war die belangte Behörde nach § 289 Abs. 2 BAO berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde erster Instanz zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung hin abzuändern (oder die Berufung als unbegründet abzuweisen). Wenn die belangte Behörde dies insbesondere auch damit getan hat, daß sie eine in erster Instanz anerkannte Betriebsausgabe nicht anerkannte, hat sie im Rahmen der ihr durch die zitierte Bestimmung der Bundesabgabenordnung übertragenen Befugnisse, die auch ihre Zuständigkeit hiefür mitenthalten, entschieden und es kann von einem "Eingriff in die sachliche Zuständigkeit der Behörde erster Instanz" ebensowenig die Rede sein, wie von einer Verletzung des verfassungsmäßig gewährleisteten Rechtes des Beschwerdeführers auf den "ordentlichen" (richtig: gesetzlichen) Richter gemäß Art. 83 Abs. 2 B-VG. Davon abgesehen hätte der Beschwerdeführer eine Rechtsverletzung dieser Art wirksam nur vor dem Verfassungsgerichtshof und nicht vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend machen können.
Auch in der Sache hat die belangte Behörde die Frage der Trinkgelder richtig beurteilt. Trinkgelder sind das geradezu typische Beispiel für üblicherweise nicht belegbare Betriebsausgaben, deren Absetzung in Form des Pauschales § 4 Abs. 6 EStG 1972 vorsieht. Eine über dieses Pauschale hinausgehende Berücksichtigung ist nur für Trinkgelder möglich, über die der Steuerpflichtige einzelne, nach Datum, Empfänger und Betrag spezifizierte Belege vorlegt. Eine bloß auf der Ebene der Parteienbehauptung verbleibende Spezifikation "der Höhe und dem Bezieher nach" genügt dafür nicht.
Zu 2.:
§ 18 Abs. 2 Z. 4 und Z. 5 EStG 1972 begründen einen Anspruch auf Erhöhung der Jahresbeträge für abzugsfähige Sonderausgaben im Falle von Kindern ausdrücklich und ausschließlich nur "für jedes Kind im Sinne des § 119" (EStG 1972). Da dem Beschwerdeführer für seine Kinder im Kalenderjahr 1980 Beihilfen im Sinne des § 119 EStG 1972 NICHT für die Dauer von mindestens vier Monaten gewährt waren, handelte es sich im Veranlagungszeitraum 1980 für ihn nicht um Kinder "im Sinne des § 119". Alles was die somit in diesem Punkt offenbar unbegründete Beschwerde dazu vorbringt (daß der Beschwerdeführer für den Unterhalt der Kinder "voll aufgekommen" sei, schlechter gestellt werde, als bei aufrechter Ehe, nun Fixkosten für zwei Haushalte trage etc.) ist nach der dargestellten Rechtslage unbeachtlich.
Zu 3.:
Richtig ist der Grundsatz, von dem die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausgegangen ist und der darin gipfelt, daß Prozeßkosten nur dann als zwangsläufig erwachsen im Sinne des § 34 Abs. 1 und 3 EStG 1972 anzusehen sind, wenn sie sich nicht als die direkte oder indirekte Konsequenz eines Verhaltens darstellen, zu dem sich der Beschwerdeführer aus freien Stücken entschlossen hat. Uneingeschränkt und ohne weitere Sachverhaltsprüfung konnte dies jedoch zunächst nur für die Kosten im Verfahren 31 Sch 360/79 des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz (vom Beschwerdeführer selbst und von seiner früheren Gattin beantragte Scheidung im Einvernehmen nach § 55 a Ehegesetz) und im Verfahren 2 U 848/79 des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz bejaht werden. Denn der Entschluß zu einer Ehescheidung "im Einvernehmen" ist - wie schon der Begriff selbst besagt - immer und in jedem Fall ein von jedem der beiden Teile aus freien Stücken gefaßter; rechtliche, tatsächliche oder sittliche Gründe, aus denen er sich einem solchen Entschluß nicht hätte entziehen können, lagen für den Beschwerdeführer keinesfalls und auch dann nicht vor, wenn man sein ganzes diesbezügliches Tatsachenvorbringen als richtig unterstellt. Die Kosten in der Strafsache 2 U 848/79 des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz wurden durch eine vom Beschwerdeführer seinerseits gegen seine frühere Gattin erhobene Privatanklage wegen § 118 StGB und die schließliche Rückziehung dieser Privatanklage verursacht. Damit sind sie für den Beschwerdeführer in jedem Fall das Ergebnis eines Verhaltens, zu dem er sich aus freien Stücken entschlossen hat: War die Privatanklage unberechtigt, fehlte ihrer Einbringung das Merkmal der Zwangsläufigkeit von Anfang an; wäre sie berechtigt gewesen, ist die Tatsache, daß der Beschwerdeführer dennoch die Kosten seines Rechtsanwaltes zu bezahlen hatte, die Folge seines aus freien Stücken gefaßten Entschlusses, diese Privatanklage zurückzuziehen.
Für die weiteren Rechtsanwaltskosten, deren Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung der Beschwerdeführer begehrte, hatte die belangte Behörde - wie sie selbst richtig erkannte - im Hinblick auf die nicht durch gerichtliche Entscheidungen erfolgte Beendigung der Verfahren die Frage des zwangsläufigen Auflaufens von sich aus zu prüfen. Diese Prüfung auf Grund charakteristischer Teile der Gerichtsakten vorzunehmen, war an sich gleichfalls richtig, auch wenn dabei Beweisergebnissen größeres Gewicht beizulegen war, als bloßen Parteienbehauptungen. Welche Teile der Gerichtsakten immer die belangte Behörde aber für die ihr obliegende Entscheidung auswählte, unterlag sie der Verpflichtung, dem Beschwerdeführer diesen Sachverhalt mitzuteilen und ihm Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äußern (§ 183 Abs. 4 BAO). Damit, daß sie dies nicht getan hat, wurden Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung die belangte Behörde möglicherweise zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Dies mußte zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 3 VwGG 1965 führen.
Zur Vermeidung von Mißverständnissen im fortgesetzten Verfahren wird bemerkt, daß die Gerichtsakten im vorliegenden Abgabenverfahren die Funktion von Beweismitteln haben und der belangten Behörde das Recht der freien Würdigung dieser Beweise, mithin des gesamten Inhaltes dieser Gerichtsakten zukommt, ohne daß sie - wie dies der Beschwerde vorzuschweben scheint - in jedem Falle selbst "Beweise" (gemeint sind: weitere Beweise) aufnehmen müßte. Nicht enthoben ist die belangte Behörde hingegen - wie dargelegt - von ihrer Verpflichtung, das Ergebnis ihrer Beweisaufnahme durch Einsicht in die Gerichtsakten dem Beschwerdeführer zur Kenntnis zu bringen und ihm Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äußern.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 und die Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981.
Wien, am 12. April 1983
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