Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.585,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Im Zuge eines bei der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Margarethen, gegen den Beschwerdeführer laufenden Verwaltungsstrafverfahrens wurde eine Vollmachtsurkunde, unterfertigt vom Beschwerdeführer mit dem Datum des 29. Dezember 1980 und lautend auf Bevollmächtigung der Rechtsanwältin Dr. Gerda Gahleithner ohne weitere Bemerkung zum Verwaltungsstrafakt gelegt. Auf einen Beschuldigten-Ladungsbescheid, ergangen an den Beschwerdeführer selbst, erschien "Dr. Doris Walde für Dr. Gahleithner" am 7. Jänner 1981 bei der Behörde, wobei aus der Niederschrift nicht ersichtlich ist, ob Dr. Walde für Frau Dr. Gahleithner oder für Herrn Dr. Gahleithner einschritt. Mit Schriftsatz vom 30. Jänner 1981 gab Dr. Gunther Gahleithner namens des Beschwerdeführers eine Stellungnahme im Verwaltungsstrafverfahren ab, ohne eine Vollmachtsurkunde vorzulegen. Die Behauptung in diesem Schriftsatz, die Vollmacht des Dr. Gunther Gahleithner sei ausgewiesen, war aktenwidrig.
Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien - Bezirkspolizeikommissariat Margarethen - vom 4. Februar 1981 wurde der Beschwerdeführer der Verwaltungsübertretung nach "§ 99 Abs. 1 lit. a StVO in Verbindung mit § 5 Abs. 1 StVO" schuldig erkannt und zu einer Geld- sowie Ersatzarreststrafe verurteilt. Dieses Straferkenntnis wurde laut Rückschein z.H. des Rechtsanwaltes Dr. Gunther Gahleithner am 9. Februar 1981, einem Montag, zugestellt. Gegen dieses Straferkenntnis wurde von dem letztgenannten Rechtsanwalt namens des Beschwerdeführers unter dem Datum 11. Februar 1981 Berufung erhoben, wobei der Berufungsschriftsatz am 25. Februar 1981 beim Bezirkspolizeikommissariat Margarethen einlangte. Das dem Berufungsschriftsatz angeschlossene Briefkuvert mit dem Kopf "Rechtsanwalt Dr. Gunther Gahleithner ….", gerichtet an die Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Margarethen, ist mit einem klar leserlichen Postaufgabestempel "24. 2. 1981 - 23" des Postamtes 1150 Wien versehen.
Mit Schreiben vom 29. Juni 1981 hielt die Berufungsbehörde der Rechtsanwältin Dr. Gerda Gahleithner die Verspätung des Berufungsschriftsatzes vor und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme.
Die letztgenannte Rechtsanwältin nahm im Schriftsatz vom 6. Juli 1981 namens des Beschwerdeführers dahin Stellung, daß der Berufungsschriftsatz am Tage seiner Verfassung, dem 11. Februar 1981, zur Post gegeben worden sei. Dies lasse sich aus dem in Fotokopie angeschlossenen Postaufgabebuch entnehmen, in welchem unter der laufenden Nr. 688 der Vermerk aufscheine "N/pol.Koat V". Zum Beweise wurde der "beigeschlossene Postaufgabeauszug" angeführt, ferner aber auch MM, Angestellte unter der Anschrift der Rechtsanwältin Dr. Gahleithner.
Mit Bescheid vom 8. Juli 1981 wies die Wiener Landesregierung die Berufung als verspätet zurück. In der Begründung wurde ausgeführt, das Straferkenntnis sei am 9. Februar 1981 zugestellt, die Berufung jedoch laut Poststempel erst am 24. Februar 1981 zur Post gegeben worden. Sie sei daher verspätet im Sinne des § 51 Abs. 3 VStG 1950 eingebracht worden. Zur Behauptung im Schriftsatz vom 6. Juli 1981 wurde bemerkt, der Auszug aus dem Postaufgabebuch könne keine Postaufgabe am 11. Februar 1981 erweisen, weil die Übernahme der dort angeführten Briefe durch kein Postorgan bestätigt worden sei. Auch scheine diese Eintragung eher auf ein anderes Schriftstück hinzuweisen, denn erstens erscheine es unglaubwürdig, daß bei Schriftstücken an Behörden zuerst der Name des Klienten erwähnt werde, möglicherweise sei erst nachträglich der Vermerk "Pol. Koat V" angebracht worden, zweitens sei auf dem Kuvert (ergänze: angeheftet am Berufungsschriftsatz) nur eine S 4,-
- Briefmarke angebracht, während im Postbuch S 14,-- an Porto aufschienen. Zudem sei laut Postbuch eine eingeschriebene Sendung eingetragen, während das genannte Briefkuvert nur gewöhnlich aufgegeben worden sei. Daß sich dieses Kuvert auf eine nachträgliche Stellungnahme habe beziehen können, sei aus dem Akteninhalt nicht ersichtlich. Es sei auch möglich, daß an diesem Tage ein überschwerer Brief an den Klienten mit dem zugestellten Straferkenntnis abgegangen sei. Die Verantwortung für die Einhaltung einer Frist bis zur Postaufgabe (Datum des Poststempels) treffe den Aufgeber. Die Berufungsschrift sei eindeutig verspätet zur Post gebracht worden, weshalb sie zurückzuweisen gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wörtlich wegen "Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften" erhobene Beschwerde, in der ferner vorgebracht wird, für den Beginn des Postenlaufes sei nur maßgebend, wann der Briefkasten tatsächlich ausgehoben werde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG 1965 gebildeten Senat erwogen:
Die vorliegende Beschwerde ist zulässig, weil der angefochtene Bescheid an Rechtsanwältin Dr. Gerda Gahleithner zugestellt wurde, deren Vollmachtsurkunde datiert mit 29. Dezember 1980, im Verwaltungsstrafakt erliegt.
Abgesehen davon, daß es Pflicht der Behörde erster Instanz gewesen wäre, von Dr. Gunther Gahleithner eine Vollmachtsurkunde zu verlangen (§ 24 VStG 1950, §§ 10 Abs. 1 und 13 Abs. 3 AVG 1950), muß mit Rücksicht darauf, daß der Genannte, wenngleich ohne Vollmachtsurkunde, bereits vor Ergehen des Straferkenntnisses erster Instanz in Vertretung des Beschwerdeführers eingeschritten war, die an den genannten Rechtsanwalt erfolgte Zustellung dieses Straferkenntnisses als wirksam und letzteres daher als erlassen angesehen werden. Desgleichen hatte der Beschwerdeführer einen verfahrensrechtlichen Anspruch auf Entscheidung über die von Rechtsanwalt Dr. Gunther Gahleithner eingebrachte Berufung erworben, unvorgreiflich der weiteren Frage, daß auch die Berufungsbehörde zufolge der oben zitierten Bestimmungen verpflichtet gewesen wäre, auf die Vorlage einer Vollmachtsurkunde zu dringen.
Gemäß § 51 Abs. 3 VStG 1950 beträgt die Berufungsfrist im Verwaltungsstrafverfahren zwei Wochen. Die Tage des Postenlaufes werden gemäß § 33 Abs. 3 AVG 1950 (§ 24 VStG 1950) in diese Frist nicht eingerechnet.
Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 7. Mai 1980, Slg. N.F. Nr. 10.116/A, ausgesprochen hat, ist die Frage, ob eine Berufung rechtzeitig oder verspätet eingebracht wurde, eine solche, die die Behörde auf Grund der von ihr festgestellten Tatsachen zu entscheiden hat. Bei der Feststellung des Zeitpunktes der Einbringung der Berufung handelt es sich um das Ergebnis eines Ermittlungsverfahrens.
Die Begründung des angefochtenen Bescheides sagt nichts darüber aus, warum von der beantragten Vernehmung der Zeugin MM Abstand genommen wurde. Die Gegenschrift der belangten Behörde sagt darüber, "auch die Bezeugung eines anderen Aufgabedatums
durch diese Zeugin" hätte "die belangte Behörde nicht ... zur
Sachverhaltsfeststellung bringen können, daß nicht vom erwähnten Postaufgabestempel auszugehen ist".
Der Verwaltungsgerichtshof läßt dahingestellt, ob die Unterlassung der Vernehmung der beantragten Zeugin als vorgreifende Beweiswürdigung zu verstehen ist - nämlich, daß die Behörde keinesfalls gewillt sei, dieser Zeugin Glauben zu schenken - oder ob im angefochtenen Bescheid in Verbindung mit der Gegenschrift die Rechtsansicht zum Ausdruck käme, der Postaufgabestempel sei ein unwiderlegliches Beweismittel.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 12. September 1963, Slg. N.F. Nr. 6086/A, ausgesprochen hat, ist eine Rechtsmittelfrist dann gewahrt, wenn das Rechtsmittel am letzten Tag der Frist in einen Postkasten geworfen wird, auf dem der Vermerk angebracht ist, daß er noch am selben Tag ausgehoben werde. Grundsätzlich, so führte der Verwaltungsgerichtshof dort weiter aus, werde der Tag der Postaufgabe durch den Poststempel nachgewiesen; ein Gegenbeweis sei allerdings zulässig. Für den Beginn des Postenlaufes sei nur maßgeblich, wann das Schriftstück von der Post in Behandlung genommen werde, d.h. wann der Kasten tatsächlich ausgehoben werde. Der Verwaltungsgerichtshof führte dort ferner aus, daß ein zulässiges Beweisthema zum Nachweis der Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels sei, die Unrichtigkeit des Poststempels dahin zu erweisen, daß dieser mit dem Tage der planmäßigen Aushebung des Postkastens nicht übereinstimme. Es sei unzulässig, eine solche Beweisaufnahme und Beweiswürdigung zu unterlassen und sich bei angebotenen Gegenbeweisen allein auf den Postaufgabestempel zu berufen.
Daraus ergibt sich, daß die belangte Behörde jedenfalls, mag sie nun von der im letztzitierten Erkenntnis als unrichtig dargestellten Rechtsansicht ausgegangen sein oder mag sie der Meinung gewesen sein, der beantragten Zeugin sei keineswegs zu glauben, ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet hat. Im Zweifel geht die Rechtswidrigkeit des Inhaltes vor, weshalb der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 aufzuheben war.
Der Verwaltungsgerichtshof bemerkt ferner, daß es der Behörde nicht benommen ist, aus dem Inhalt und der Art der Eintragungen im Postaufgabebuch Schlüsse für ihre Beweiswürdigung zu ziehen; nur setzt ein mängelfreies Beweisverfahren die Aufnahme aller möglicherweise wesentlichen Beweise voraus.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 Abs. 2 lit. a, 48 Abs. 1 lit. a und b VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221. Das Mehrbegehren war aus folgenden Gründen abzuweisen: Die Umsatzsteuer ist im Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand bereits enthalten. Die Beschwerde war nur in zweifacher Ausfertigung einzubringen und zu vergebühren. Wohl forderte der Verwaltungsgerichtshof mit Verfügung vom 1. Februar 1983 den Rechtsanwalt des Beschwerdeführers zur - neuerlichen - Vorlage der Vollmacht auf, doch war dieser Schriftsatz als solcher nicht zu honorieren, da das Gesetz die Zuerkennung von Aufwandersatz nur für den Beschwerdeschriftsatz selbst vorsieht. Hingegen waren Stempelgebühren für diesen Schriftsatz und für die neue Vollmachtsurkunde zuzusprechen.
Wien, am 17. Juni 1983
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