VwGH 2013/22/0290

VwGH2013/22/029030.7.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des R, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 14/1/4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 2. August 2012, Zl. UVS-FRG/63/4318/2012-14, betreffend Ausweisung (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §65b idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §66 idF 2011/I/038;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §65b idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §66 idF 2011/I/038;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der bekämpfte Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung (Spruchpunkt I.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren betreffend die Eingabengebühr wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 18. Oktober 2007 wurde der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

Der dagegen erhobenen Berufung gab zunächst die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien mit Bescheid vom 31. März 2008 keine Folge. Mit hg. Erkenntnis vom 20. März 2012, Zl. 2008/18/0483, wurde dieser Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, da die belangte Behörde nicht anhand des unionsrechtlich vorgegebenen Maßstabes (im Sinne des Urteiles des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 15. November 2011, C- 256/11 ) geprüft hat, ob der vorliegende Fall einen solchen Ausnahmefall, wonach die Erlassung einer auf § 53 Abs. 1 FPG gestützten Ausweisung unzulässig wäre, darstellt.

Mit Schreiben der Sicherheitsdirektion vom 3. April 2012 wurde der Verwaltungsakt infolge Unzuständigkeit der Sicherheitsdirektion aufgrund des § 9 Abs. 1a FPG dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (im Weiteren kurz als "Behörde" bezeichnet) weitergeleitet.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Behörde wurde in Spruchpunkt I. der Berufung gegen die erstinstanzliche Ausweisungsentscheidung keine Folge gegeben und der Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass sich die Ausweisung auf § 66 iVm § 65b FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 stützt, und in Spruchpunkt II. der Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat Indien wegen Unzuständigkeit der Behörde zurückgewiesen.

Die Behörde führte in ihrer Begründung aus, der Beschwerdeführer sei am 12. Jänner 2002 erstmals in das Bundesgebiet eingereist und habe am 14. Jänner 2002 einen Asylantrag gestellt. Dieses Verfahren sei am 4. Juli 2005 rechtskräftig abgeschlossen worden. Am 28. Jänner 2005 habe der Beschwerdeführer die österreichische Staatsangehörige S.J. geheiratet. Ein Scheidungsverfahren sei seit Mitte 2012 beim Bezirksgericht F anhängig.

Die Erlassung einer Ausweisung sei - so die weitere Bescheidbegründung - gemäß § 125 Abs. 14 FPG als Rückkehrentscheidung zu qualifizieren. Da der Beschwerdeführer Familienangehöriger einer österreichischen Staatsbürgerin sei, sei für ihn bezüglich der Zulässigkeit einer Ausweisung der strengere Maßstab des § 65b FPG anzuwenden. Werde durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so sei die Erlassung der Entscheidung gemäß § 61 Abs. 1 FPG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei. Als Ehegatte einer österreichischen Staatsbürgerin sei eine Ausweisung gegen den Beschwerdeführer in Ansehung des Verweises gemäß § 65b FPG nur unter den Voraussetzungen des § 66 FPG und des darin verwiesenen § 55 Abs. 3 NAG zulässig. Demnach dürfe der Beschwerdeführer nur ausgewiesen werden, wenn entweder eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet vorläge, der Beschwerdeführer den urkundlichen Nachweis seiner aufrechten Ehe gemäß § 54 Abs. 2 Z 1 NAG nicht erbringen könne oder bloß eine Aufenthaltsehe (Scheinehe) vorläge.

In ihrer Abwägung berücksichtigte die Behörde, dass sich der Beschwerdeführer seit rechtskräftigem Abschluss seines Asylverfahrens am 4. Juli 2005 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Seit dem 1. März 2006 bestreite der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt durch Beschäftigungen, die er nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes nicht ausüben dürfte. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers stelle eine Gefährdung des großen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordnetes Arbeitsmarktes und der Verhinderung von Schwarzarbeit dar. Eine maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sei somit gegeben.

Bei der nach § 61 FPG (und damit im Sinne des Art. 8 EMRK) gebotenen Interessenabwägung sei zunächst festzuhalten, dass aufgrund des mittlerweile zehnjährigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zweifellos vom Vorliegen eines erheblichen privaten Interesses an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet auszugehen sei. Der Beschwerdeführer sei sozial integriert, verfüge über gute Deutschkenntnisse und habe auch einen großen österreichischen Freundeskreis. Durch den Aufenthalt eines Cousins und dessen österreichischer Familie bestünden auch familiäre Bindungen zum Bundesgebiet. Dieses große private Interesse sei jedoch stark relativiert, da der Beschwerdeführer illegal in das Bundesgebiet eingereist sei und zunächst lediglich aufgrund seines Asylansuchens zum vorläufigen Aufenthalt berechtigt gewesen sei. Seit nunmehr sieben Jahren halte er sich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf und es seien sämtliche von ihm seit März 2006 eingegangene Beschäftigungsverhältnisse nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht erlaubt gewesen. Von seiner österreichischen Ehegattin lebe der Beschwerdeführer mittlerweile getrennt. Er führe mit seiner Gattin kein gemeinsames Eheleben mehr und es sei ein Antrag auf einvernehmliche Scheidung bereits bei Gericht eingebracht worden. In Anbetracht dieser Umstände sei von einem Überwiegen des gravierenden öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen und an einem geordneten Arbeitsmarkt gegenüber dem zweifellos auch gewichtigen Interesse des Beschwerdeführers an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet auszugehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die erkennbar nur gegen Spruchpunkt I. des gegenständlichen Bescheides gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die Behörde erwogen:

Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Weiters sind angesichts der Zustellung des gegenständlichen Bescheides im August 2012 die Bestimmungen des FPG idF BGBl. I Nr. 112/2011 maßgebend.

Die Behörde ging zunächst zutreffend davon aus, dass seit dem Inkrafttreten des FrÄG 2011 am 1. Juli 2011 auf Grund der Verweisnorm des § 65b FPG gegen unrechtmäßig aufhältige Familienangehörige von Österreichern, auch wenn diese ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen haben, keine Rückkehrentscheidung, sondern nur eine Ausweisung nach § 66 FPG erfolgen darf (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. September 2013, Zl. 2012/21/0148).

Die Beschwerde wendet sich gegen das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung und ist damit im Recht.

Die Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer seit mehr als zehn Jahren im Bundesgebiet aufhältig ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass ein über zehnjähriger inländischer Aufenthalt den persönlichen Interessen eines Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet ein großes Gewicht verleihen kann. Bei einer solchen, dermaßen langen Aufenthaltsdauer wird regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich und damit der Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung auszugehen sein. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden ausnahmsweise Ausweisungen auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. das Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2008/21/0605, mwN).

Von einem Fehlen jeglicher Integration kann aber im gegenständlichen Beschwerdefall nicht die Rede sein. So stellte die Behörde die guten Deutschkenntnisse des - unbescholtenen - Beschwerdeführers fest, der sich bei Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits etwa zehn Jahre und acht Monate in Österreich aufhielt. Weiters führte die Behörde die soziale Integration des Beschwerdeführers, seine Selbsterhaltungsfähigkeit und seinen großen österreichischen Freundeskreis an.

Vor diesem Hintergrund ist daher das während der Dauer des Aufenthalts in Österreich aufgebaute Privatleben des Beschwerdeführers von maßgebenden Umständen gekennzeichnet, die seine Ausweisung trotz der unrechtmäßigen Beschäftigung unverhältnismäßig erscheinen lassen.

Der bekämpfte Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014. Das auf die Erstattung der Eingabengebühr abzielende Mehrbegehren war abzuweisen, weil der Beschwerdeführer infolge Gewährung von Verfahrenshilfe von der Entrichtung derselben befreit war.

Wien, am 30. Juli 2014

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