VwGH 2013/22/0270

VwGH2013/22/027019.11.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl und die Hofrätin Mag. Merl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schweda, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Mag. Hubert Wagner LLM, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8/5, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 13. September 2013, GZ. 166.175/2-III/4/13, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §41a Abs9;
VwGG §42 Abs2 Z1;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §41a Abs9;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die Bundesministerin für Inneres (im Folgenden kurz: Behörde) den Antrag des Beschwerdeführers, eines indischen Staatsangehörigen, vom 30. August 2012 auf Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a Abs. 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 15. Juni 2003 in das Bundesgebiet eingereist und habe am 20. Juni 2003 einen Asylantrag gestellt. Das Asylverfahren des Beschwerdeführers sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. Dezember 2003 "negativ beschieden" worden. Die dagegen erhobene Beschwerde sei mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 30. Juli 2009 abgewiesen worden.

Aufgrund seines unerlaubten Aufenthaltes im Bundesgebiet sei der Beschwerdeführer mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden. Die dagegen erhobene Berufung sei mit Bescheid der Sicherheitsdirektion vom 31. August 2010 (rechtskräftig seit 30. September 2010) abgewiesen worden.

Der Beschwerdeführer habe am 11. Februar 2010 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 41a Abs. 9 NAG (richtig: § 43 Abs. 2 NAG) gestellt. Dieses Verfahren sei am 11. November 2011 gemäß § 44b Abs. 2 NAG eingestellt worden.

Der Beschwerdeführer sei weiterhin im Bundesgebiet geblieben und habe am 30. August 2012 den nunmehr gegenständlichen Antrag gemäß § 41a Abs. 9 NAG eingebracht.

Die erstinstanzliche Behörde habe den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 18. Februar 2013 von der beabsichtigten Abweisung seines Antrages in Kenntnis gesetzt. Mit Schriftsatz vom 18. Juni 2013 (richtig: 2. April 2013) habe er dazu angegeben, dass sich der Sachverhalt "vollkommen" geändert habe. Er habe sehr gute Deutschkenntnisse nachgewiesen und sein Unterhalt sowie seine Unterkunft seien gesichert. Auch die vorgelegten Empfehlungsschreiben sprächen unwiderlegbar für seine Integration.

Die erstinstanzliche Behörde - so die Behörde weiter - habe aufgrund der Ausführungen des Beschwerdeführers die Notwendigkeit einer neuerlichen Beurteilung gemäß Art. 8 EMRK erkannt und seinen Antrag - nach einer umfassenden inhaltlichen Prüfung - abgewiesen. Im Rahmen der Prüfung gemäß Art. 8 EMRK sei berücksichtigt worden, dass der Beschwerdeführer am 15. Juni 2003 nach Österreich eingereist sei und sich sein Aufenthalt nur vorübergehend auf eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz gegründet habe. Seit der rechtskräftigen Abweisung durch den Asylgerichtshof sei sein Aufenthalt in Österreich nicht rechtmäßig. Aus den gesamten Verwaltungsakten sei nicht erkennbar, dass sich Familienangehörige des Beschwerdeführers in Österreich aufhielten. Sowohl seine Ehegattin als auch die gemeinsamen Kinder befänden sich in Indien; der Beschwerdeführer weise somit starke Bindungen zu seinem Heimatland auf. Als Nachweis seiner beruflichen Integration habe der Beschwerdeführer für Zustelltätigkeiten Gutschriften einer näher genannten Firma für die Monate März 2012 bis Juni 2012 vorgelegt. Daraus ergebe sich ein durchschnittliches Monatseinkommen in der Höhe von ca. EUR 554,182. Auf dem Arbeitsmarkt sei er "bis dato" nicht stark integriert. Weder die bestandene Sprachprüfung (Sprachzertifikat auf Niveau A2) noch die Vorlage von Empfehlungsschreiben wiesen eine derartige Bedeutung auf, dass in einer Gesamtbetrachtung vom Vorliegen eines "maßgeblich geänderten Sachverhaltes" gesprochen werden könne. Durch seinen nicht rechtmäßigen Aufenthalt seit der rechtskräftig erlassenen Ausweisung habe der Beschwerdeführer gegen fremdenrechtliche Bestimmungen verstoßen, weshalb den öffentlichen Interessen der Vorzug einzuräumen sei.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Weiters wird festgehalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (am 17. September 2013) nach den Bestimmungen des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 68/2013 richtet.

Die Erteilung des vom Beschwerdeführer begehrten Aufenthaltstitels nach § 41a Abs. 9 NAG setzt unter anderem voraus, dass dies gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten ist.

Ein über zehnjähriger, inländischer Aufenthalt - mag dieser auch auf asylrechtliche Bestimmungen zurückzuführen sein - kann den persönlichen Interessen eines Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet ein großes Gewicht verleihen. Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK geht bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich aus. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 EMRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 18. März 2014, Zl. 2013/22/0129, und vom 9. September 2014, Zl. 2013/22/0247, mwN).

Im vorliegenden Fall hält sich der Beschwerdeführer seit seiner Einreise am 15. Juni 2003 im Bundesgebiet auf und befand sich somit zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (17. September 2013) seit mehr als zehn Jahren in Österreich. Den Feststellungen der Behörde zufolge wies er für die Monate März 2012 bis Juni 2012 ein durchschnittliches Monatseinkommen von EUR 554,182 nach und legte ein Sprachzertifikat auf Niveau A2 vor. Aus den Verwaltungsakten geht darüber hinaus hervor (Schreiben vom März 2013), dass der Beschwerdeführer schon in den Jahren 2008 und 2009 selbständig erwerbstätig und zwischen 6. November 2009 und 31. Dezember 2012 sowie ab 25. März 2013 bei der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft pflichtversichert war bzw. ist. Bereits im April 2013 - also mehrere Monate vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides - legte er einen "Arbeitsvorvertrag" als Verkäufer betreffend ein Beschäftigungsausmaß von vierzig Wochenstunden mit einem monatlichen Entgelt in der Höhe von EUR 1.250,-- (brutto) vor, das von der Behörde nicht erkennbar berücksichtigt wurde. Damit wäre die Deckung seines Lebensunterhaltes als gesichert anzusehen gewesen. Es kann daher nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer die Zeit seines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes überhaupt nicht genutzt hätte, um sich zu integrieren. Daher ist seinen privaten Interessen an einem weiteren Verbleib in Österreich der Vorrang zu geben.

Da die Behörde dies verkannte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455, und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 19. November 2014

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