Normen
FrPolG 2005 §88 Abs2 Z2 idF 2011/I/038;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §88 Abs2 Z2 idF 2011/I/038;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40, insgesamt somit EUR 4.425,60, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die im November 2005 gemeinsam mit ihrem Ehemann nach Österreich gekommene Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der drei anderen (minderjährigen) Beschwerdeführer. Alle sind russische Staatsangehörige. Ihnen wurde mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 11. November 2011 infolge der gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 10 Abs. 3 Asylgesetz 1997 getroffenen Feststellung, ihre (insbesondere) Abschiebung in die Russische Föderation sei nicht zulässig, subsidiärer Schutz gewährt.
Am 27. Februar 2012 stellten die Beschwerdeführer jeweils den Antrag, ihnen einen Fremdenpass auszustellen. Zur Begründung wurde im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht, sie beabsichtigten, den 1946 geborenen herzkranken Vater der Erstbeschwerdeführerin, der seine Enkelkinder noch nie gesehen habe, zu besuchen, wobei ein Treffen in der Ukraine geplant sei. Der Vater/Großvater werde sich in dieser Zeit bei Bekannten - so die handschriftlichen Angaben der Erstbeschwerdeführerin zur Adresse - "Straße:
Machobchoch 131 Stadt: Kueb" aufhalten, während sie ein Hotel buchen würden. Zum Beweis für den Gesundheitszustand des Vaters der Erstbeschwerdeführerin wurde ein per Telefax übermittelter Entlassungsbrief nach einem stationären Aufenthalt in einer herz- und gefäßchirurgischen Anstalt in Astrachan vom 26. Juni 2011 bis 26. Juli 2011 samt beglaubigter Übersetzung durch eine gerichtlich beeidete Dolmetscherin vorgelegt. Daraus ergebe sich, dass der Vater der Erstbeschwerdeführerin schwer herzkrank sei; er leide - so heißt es in der Stellungnahme vom 13. November 2012 - an "chronischer Herzinsuffizienz und Zusatzerkrankungen (Überdruck), Durchblutungsstörungen, Wirbelsäulenproblemen usw." Es sei nicht zu erwarten, dass sich sein Zustand wieder bessern werde. Aber selbst wenn er gesund wäre oder genesen würde, wäre es aus humanitären Gründen angemessen und gerechtfertigt, einem Vater/Großvater die Möglichkeit zu geben, seine Tochter nach jahrelanger Trennung zu treffen bzw. seine Enkelkinder kennen zu lernen.
Mit den im zweiten Rechtsgang erlassenen, im Wesentlichen inhaltsgleich begründeten Bescheiden vom 18. Dezember 2012 (hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin) und vom 7. Jänner 2013 (hinsichtlich der anderen Beschwerdeführer) wies die Landespolizeidirektion Wien (LPD) die Anträge auf Ausstellung von Fremdenpässen gemäß § 88 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ab.
Zunächst stellte die LPD zum Verfahrensgang fest, dass den Beschwerdeführern (u.a.) aufgetragen worden sei, das Original des erwähnten Entlassungsbriefes (und nicht nur eine "Fax-Kopie") vorzulegen. Weiters sei den Beschwerdeführern angekündigt worden, dass die LPD den Originalbefund dann der zuständigen österreichischen Botschaft zur Überprüfung auf seine Echtheit - im Wege des Vertrauensanwaltes, für dessen Kosten "zwischen EUR 250,--
und EUR 700,--" vorweg zu erlegen wären - übermitteln werde. Dem seien die Beschwerdeführer nicht nachgekommen, weil es für sie - so die zusammengefasste Wiedergabe der diesbezüglichen Äußerung - unerfindlich sei, weshalb sie genannten Betrag für die Überprüfung der vorzulegenden Unterlagen bezahlen müssten, zumal die Vorlage falscher Dokumente ohnehin strafbar wäre.
Unmittelbar daran anschließend führte die LPD dann aus, "eine Prüfung von Bestätigungen, die in Staaten und Gebieten, zu denen auch Teile Russlands zu zählen sind, welche auch sehr leicht gegen Bezahlung zu erhalten sind, auf deren Richtigkeit ist jedoch unumgänglich und kann dies nur durch Einschaltung von Vertrauenspersonen oder Vertrauensanwälten durchgeführt werden". Die Beschwerdeführer hätten sich somit geweigert, die für die Behörde erforderlichen Schritte zu unternehmen, um die vorgebrachten humanitären Gründe überprüfbar zu machen. Sie hätten daher "keine ausreichenden humanitären Gründe", die ihren Aufenthalt in einem anderen Staat zwingend erforderlich machten, glaubhaft machen können. Der "bloße Wunsch", seine Verwandten zu besuchen, reiche nicht aus, einen derartigen humanitären Grund anzunehmen.
Der dagegen (in einem gemeinsamen Schriftsatz) erhobenen Berufung gab die Landespolizeidirektion Wien, Büro II. Instanz, mit den angefochtenen, inhaltlich identen Bescheiden vom 25. September 2013 keine Folge.
Dazu verwies sie zunächst auf die - auch für die Berufungsentscheidungen als maßgebend erachteten - Begründungen der erstinstanzlichen Bescheide. Nach Wiedergabe des § 88 Abs. 2 Z 2 FPG verwies auch die belangte Behörde darauf, dass die Beschwerdeführer der Aufforderung, ein "Originaldokument über die Krankheit" des Vaters der Erstbeschwerdeführerin vorzulegen, damit es von einem Vertrauensanwalt auf seine Echtheit überprüft werden könne, nicht nachgekommen seien. Weiters hätten sie auch nicht dem Auftrag entsprochen, Namen und Adresse des Bekannten in der Ukraine bekanntzugeben. Die Beschwerdeführer hätten ihr Vorgehen damit begründet, es sei bereits ein ärztliches Attest samt Übersetzung vorgelegt worden und es sei nicht zu erwarten, dass sich der Gesundheitszustand wesentlich verbessern werde. Ob das Gutachten aktuell sei oder nicht, könne daher nicht relevant sein.
Dieses Vorbringen werde - so die belangte Behörde daran anschließend - als "fadenscheinige Ausrede" gewertet. Es sei jedenfalls nicht nachvollziehbar, weshalb nicht ein Originaldokument des Krankenhauses, in dem sich der Vater der Erstbeschwerdeführerin aufgehalten habe, vorgelegt werden könne. Die Vorlage eines solchen Dokumentes erweise sich jedoch schon deshalb als notwendig, weil nur die Überprüfung eines Originaldokumentes hinsichtlich Fälschung oder Verfälschung Sinn mache. Nicht nachvollziehbar sei auch der Umstand, dass die Beschwerdeführer "bis dato" weder Namen noch Adresse ihrer Bekannten in der Ukraine bekannt gegeben hätten. Vor diesem Hintergrund gehe die belangte Behörde davon aus, dass es keine solchen "Bekannten" gebe und diese nur erfunden worden seien, um einen Fremdenpass zu erlangen. Außerdem müsste es dem Vater der Erstbeschwerdeführerin möglich sein, auch nach Österreich zu kommen, um die Beschwerdeführer zu besuchen, wenn er in der Lage sei, in die Ukraine zu reisen, sodass die Ausstellung von Fremdenpässen "diesfalls" nicht nötig wäre.
Das Vorbringen der Beschwerdeführer sei "im Gesamten daher nicht überprüfbar" und es werde als "Schutzbehauptungen" gewertet, um einen Fremdenpass zu erlangen. Die Voraussetzung "humanitärer Grund" des § 88 Abs. 2 Z 2 FPG sei somit nicht erfüllt und die Erstbehörde habe die Ausstellung von Fremdenpässen zu Recht verweigert.
Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, wortgleich begründeten Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten - wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhangs: gemeinsam - erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass gemäß dem letzten Satz des § 79 Abs. 11 VwGG in der Fassung des BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren - soweit (wie für den vorliegenden "Altfall") durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist - die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.
Weiters ist vorweg darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof die angefochtenen Bescheide auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Erlassung (im September 2013) zu überprüfen hat.
Der im vorliegenden Fall daher noch maßgebliche § 88 Abs. 2 Z 2 FPG (idF des FrÄG 2011) lautete:
"§ 88 (1) ...
(2) Fremdenpässe können auf Antrag weiters ausgestellt werden für
1 ...
2. Fremde, denen der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt, wenn humanitäre Gründe deren Anwesenheit in einem anderen Staat erfordern, es sei denn, dies wäre aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht geboten."
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass "humanitäre Gründe" im Sinne dieser Bestimmung gegeben sein können, wenn der Besuch von erkrankten nahen Verwandten beabsichtigt ist (vgl. das Erkenntnis vom 19. März 2013, Zl. 2012/21/0206, mit weiteren Judikaturnachweisen; siehe darauf Bezug nehmend zuletzt auch das Erkenntnis vom 22. Jänner 2014, Zl. 2013/21/0043). Dem Umstand der Erkrankung kommt dabei - anders als die Beschwerdeführer im Administrativverfahren meinten - insofern Bedeutung zu, als der "humanitäre Grund" nach der zitierten Gesetzesstelle die Anwesenheit in einem anderen Staat erfordern muss. Ist einem Verwandten der Besuch des subsidiär Schutzberechtigten in Österreich möglich, dann liegt diese Voraussetzung nicht vor.
In diesem Sinn hat die belangte Behörde auch mit der Auffassung argumentiert, wenn der Vater der Erstbeschwerdeführerin in der Lage sei, in die Ukraine zu reisen, dann sei ihm auch ein Besuch der Beschwerdeführer in Österreich möglich. Abgesehen davon, dass die Beschwerdeführer in ihren Berufungen gegen die im ersten Rechtsgang erlassenen erstinstanzlichen Bescheide vorgebracht hatten, die Ukraine sei ein Land, in das der Vater der Erstbeschwerdeführerin von Tschetschenien aus einreisen dürfe, wurden die Beschwerdeführer mit der wiedergegebenen Auffassung der belangten Behörde erstmals im angefochtenen Bescheid konfrontiert. Es war ihnen daher nicht verwehrt, in den Beschwerden darauf wirksam zu erwidern, dass dem Vater der Erstbeschwerdeführerin im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand zwar die weniger anstrengende Reise in die Ukraine, nicht jedoch nach Österreich zuzumuten sei.
Es kommt daher entscheidungswesentlich darauf an, ob die belangte Behörde in schlüssiger Weise davon ausging, das Vorbringen der Beschwerdeführer zum Gesundheitszustand ihres Vaters/Großvaters und zum beabsichtigten Treffen in der Ukraine sei nicht glaubwürdig.
Dazu stützte sie sich zunächst auf den Umstand, dass die Beschwerdeführer entgegen der (wiederholten) behördlichen Aufforderung nicht das Original des Entlassungsbriefes vorgelegt hätten und deshalb keine Echtheitsprüfung durch einen Vertrauensanwalt der zuständigen Botschaft möglich gewesen sei. Diesbezüglich ist die belangte Behörde in Übereinstimmung mit der Meinung der LPD (durch Übernahme von deren Begründung) allerdings nur von dem generellen Verdacht ausgegangen, in (nicht näher genannten) Teilen Russlands seien (falsche) Bestätigungen "sehr leicht gegen Bezahlung zu erhalten", sodass die Prüfung auf ihre Richtigkeit unumgänglich sei. Ein solcher bloß allgemeiner Verdacht genügt aber nicht, um im Verfahren vorgelegten Urkunden generell den Beweiswert abzusprechen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 30. September 2004, Zl. 2002/20/0599, und Zl. 2001/20/0458, in dem ähnliche behördliche Überlegungen zum Zustandekommen von echten Urkunden mit unwahrem Inhalt aufgrund von Bestechung als "spekulativ" bezeichnet wurden; siehe in diesem Sinn auch schon das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 2003, Zl. 2003/20/0082). Auf Basis der vorgenannten Überlegung bestand daher im vorliegenden Fall kein ausreichender Anlass für eine Überprüfung des Urkundeninhaltes vor Ort mit voraussichtlichen Kosten von bis zu EUR 700,--, die von den Beschwerdeführern vorweg hätten erlegt werden sollen. Dafür hätte es konkreter Anhaltspunkte für ein fehlerhaftes Zustandekommen der in Rede stehenden Urkunde bedurft; solche Indizien wurden jedoch weder von der Erstbehörde noch von der belangten Behörde aufgezeigt. Vor diesem Hintergrund kann aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführer die Vorlage des Originals des Entlassungsberichtes nicht vorgenommen haben, um nicht ein für sie kostenintensives Überprüfungsverfahren auszulösen, nicht geschlossen werden, der vorgelegten Urkunde komme kein Beweiswert zu und das diesbezügliche Vorbringen sei wahrheitswidrig.
In Bezug auf den weiteren Vorwurf der belangten Behörde, die Beschwerdeführer hätten Namen und Adresse der Bekannten in der Ukraine, bei denen der Vater der Erstbeschwerdeführerin während des geplanten Besuches wohnen sollte, nicht mitgeteilt, wurde außer Acht gelassen, dass deren Adresse schon bei der Antragstellung (und dann noch einmal in der ersten Stellungnahme vom 12. März 2012) deponiert wurde. Die in der Folge unterlassene Bekanntgabe des Namens wiegt aber deshalb nicht schwer, weil die LPD die Begründung ihres Bescheides auf diese Unterlassung nicht gestützt hatte, sodass auch kein Anlass bestand, in der Berufung dazu ein ergänzendes Vorbringen zu erstatten. Angesichts dessen lässt sich daraus allein noch nicht schlüssig ableiten, die Beschwerdeführer hätten diesbezüglich ein wahrheitswidriges Vorbringen erstattet und es sei als "Schutzbehauptungen" zu qualifizieren.
Im Hinblick auf die aufgezeigten, auch in der Beschwerde angesprochenen Begründungsmängel waren die angefochtenen Bescheide somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Von der in den Beschwerden beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3, 5 und 6 VwGG abgesehen werden.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. In den dort angeführten Pauschalbeträgen ist die Umsatzsteuer bereits enthalten, sodass das Mehrbegehren auf deren gesonderten Zuspruch abzuweisen war.
Wien, am 25. April 2014
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