VwGH 2013/21/0110

VwGH2013/21/011012.9.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der H L in W, vertreten durch Dr. Clemens Grünzweig, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Lothringerstraße 16, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 5. März 2013, Zl. UVS-01/35/2421/2013- 4, betreffend Festnahme und Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §80;
FrPolG 2005 §82;
FrPolG 2005 §83 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §80;
FrPolG 2005 §82;
FrPolG 2005 §83 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der bekämpfte Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung (Entscheidung über Schubhaft und Kostenausspruch) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, gemäß ihren Angaben eine Staatsangehörige der Volksrepublik China, reiste spätestens im August 2011 nach Österreich ein und stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde letztlich zweitinstanzlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 6. September 2012 vollinhaltlich abgewiesen, außerdem wurde die Beschwerdeführerin in die Volksrepublik China ausgewiesen.

In der Folge lud die Landespolizeidirektion Wien die Beschwerdeführerin - insbesondere zum Zweck "der Prüfung des Vorliegens von Gründen zur Ergreifung polizeilicher Maßnahmen" - zweimal vor. Die Beschwerdeführerin kam diesen Ladungen jedoch nicht nach. Mit Eingabe vom 4. Dezember 2012 ersuchte sie aber durch ihren Vertreter, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen Abstand zu nehmen. Außerdem stellte sie den Antrag "auf Ausstellung einer Duldungskarte", was sie damit begründete, dass für sie kein Heimreisezertifikat vorliege; es sei daher davon auszugehen, dass die Ausstellung eines solchen Heimreisezertifikates grundsätzlich nicht möglich sei.

Am 23. Februar 2013 wurde die zu diesem Zeitpunkt als "obdachlos" gemeldete Beschwerdeführerin in einer Wohnung in Wien aufgegriffen und im Anschluss daran nach § 39 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG festgenommen. Bei ihrer nachfolgenden Einvernahme gab sie insbesondere an, über keinen Reisepass zu verfügen und nicht nach China zurückkehren zu wollen.

Mit Bescheid vom 24. Februar 2013 verhängte die Landespolizeidirektion Wien daraufhin gemäß § 76 Abs. 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG gegen die Beschwerdeführerin Schubhaft zur Sicherung ihrer Abschiebung. Diese erhob in der Folge gegen ihre Festnahme, die Schubhaftverhängung und die weitere Anhaltung in Schubhaft Beschwerde gemäß § 82 FPG.

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 5. März 2013 wies der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) die erwähnte Beschwerde gemäß § 83 Abs. 1, 2 und 4 FPG als unbegründet ab und stellte fest, dass im Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Außerdem verpflichtete die belangte Behörde die Beschwerdeführerin zum Kostenersatz.

Über die gegen diesen Bescheid - erkennbar nur insoweit, als er über die Schubhaft abspricht und der Beschwerdeführerin Kostenersatz auferlegt - erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage seitens der belangten Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die gegenständliche Schubhaft war zur Sicherung der Abschiebung der Beschwerdeführerin verhängt worden.

Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kommt nur dann in Betracht, wenn mit der Möglichkeit einer Abschiebung auch tatsächlich zu rechnen ist. Ergibt sich, dass diese fremdenpolizeiliche Maßnahme innerhalb der Schubhafthöchstdauer nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden bzw. ist - wenn sich das erst später herausstellt - umgehend zu beenden (vgl. mit Hinweisen auf die Vorjudikatur das hg. Erkenntnis vom 19. April 2012, Zl. 2009/21/0047).

Im vorliegenden Fall verfügt die Beschwerdeführerin gemäß ihren unbestrittenen Angaben über keinen Reisepass. Ihre Abschiebung käme daher nur für den Fall der Ausstellung eines Heimreisezertifikates durch die Botschaft der Volksrepublik China in Betracht. Diesbezüglich hat die Beschwerdeführerin aber bereits in ihrem Antrag vom 4. Dezember 2012 vorgebracht, dass die Ausstellung eines solchen Heimreisezertifikates in ihrem Fall nicht möglich sei. Auch in ihrer dann erhobenen Administrativbeschwerde machte sie geltend, dass ein Heimreisezertifikat nicht vorliege und "seitens der chinesischen Botschaft nicht in absehbarer Zeit zu erwarten" sei.

Die Landespolizeidirektion Wien erwiderte dazu in ihrer Stellungnahme vom 1. März 2013, dass sie - am selben Tag - "umgehend via BMI" um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates angesucht habe. Warum behauptet werde, dass die Erlangung eines Heimreisezertifikates aussichtslos sei, könne "in keinster Weise" nachvollzogen werden.

Die belangte Behörde hat zu diesem widersprechenden Vorbringen keine erkennbaren Ermittlungen gepflogen und - ohne nähere Begründung - nur ausgeführt, die Erlangung des am 1. März 2013 beantragten Heimreisezertifikates erscheine nicht aussichtslos. Eine ausreichende Auseinandersetzung mit der Frage, ob für die Beschwerdeführerin erwartbarerweise ein Heimreisezertifikat erwirkt werden könne, kann hierin nicht erblickt werden (zu einer ähnlichen Fallgestaltung siehe das gleichfalls einen chinesischen Staatsangehörigen betreffende hg. Erkenntnis vom 28. August 2012, Zl. 2010/21/0517). Außerdem hätte die belangte Behörde nicht im Sinn des § 83 Abs. 2 Z 1 FPG von einem geklärten Sachverhalt ausgehen und von der ausdrücklich beantragten mündlichen Verhandlung absehen dürfen (vgl. zuletzt zu einer derartigen Konstellation das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 2013, Zl. 2013/21/0033). Auch von daher hat sie - was in der vorliegenden Beschwerde ebenso wie die im Ergebnis nicht erfolgte Beschäftigung mit der Frage der Beschaffbarkeit eines Heimreisezertifikates für die Beschwerdeführerin zutreffend geltend gemacht wird - Verfahrensvorschriften verletzt, weshalb der bekämpfte Bescheid im Umfang seiner Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 12. September 2013

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