Normen
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z2;
FSG 1997 §1 Abs3;
FSG 1997 §37;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z2;
FSG 1997 §1 Abs3;
FSG 1997 §37;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.128,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 7. April 2008 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Der dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. Juni 2010 gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge.
Sie begründete dieses Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer, der im September 2002 nach Österreich eingereist sei und "zuletzt" über einen Aufenthaltstitel verfügt habe, damit, dass gegen ihn zwölf - im angefochtenen Bescheid nach Geschäftszahl, Strafnorm (überwiegend § 1 Abs. 3 iVm § 37 Führerscheingesetz - FSG), Strafe und Rechtskraftdatum (zwischen 10. Mai 2006 und 15. November 2007) aufgeschlüsselte - Verwaltungsstrafverfahren geführt worden seien. Der Beschwerdeführer weise keine nennenswerten beruflichen Bindungen auf und sei laut Zentralem Melderegister im Bundesgebiet - nach amtlicher Abmeldung von seiner letzten Wohnanschrift am 16. März 2010 - nicht mit Hauptwohnsitz gemeldet.
Rechtlich kam die belangte Behörde zum Ergebnis, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 2 FPG erfüllt sei. Der Beschwerdeführer gefährde angesichts der mehrfachen, einschlägigen und rechtskräftigen Verwaltungsstraftaten die öffentliche Ordnung und Sicherheit in hohem Maße, weshalb die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei. Diese Maßnahme sei aber auch im Grunde des § 66 FPG zulässig, weil einerseits im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit schwerer, fortgesetzt begangener Verwaltungsübertretungen (hier: das Lenken eines Kraftfahrzeugs unter Alkoholbeeinträchtigung und ohne Lenkberechtigung) die Erlassung des Aufenthaltsverbots zur Erreichung im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannter Ziele, nämlich zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz von Leben, körperlicher Unversehrtheit und Gesundheit (im Zusammenhang mit der Teilnahme von alkoholbeeinträchtigten Fahrzeuglenkern ohne Lenkberechtigung am motorisierten Straßenverkehr) als dringend geboten zu erachten sei. Da die Bestrafungen noch bei weitem nicht lange genug zurückliegen würden, um auch nur auf eine erhebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung schließen zu können, sei keine positive Prognose möglich. Aus dem den Bestrafungen zu Grunde liegenden Fehlverhalten lasse sich viel mehr eine große Wiederholungsgefahr in Bezug auf das Lenken eines Kraftfahrzeugs durch den Beschwerdeführer "ohne Lenkberechtigung (auch in Bezug auf Alkoholbeeinträchtigung)" ableiten. Andererseits sei die aus der Dauer seines inländischen Aufenthalts ableitbare Integration insofern relativiert, als die dafür erforderliche soziale Komponente durch sein strafbares Verhalten erheblich beeinträchtigt werde. Die vom Beschwerdeführer angegebenen engen familiären Bindungen, der nach dem Berufungsvorbringen im gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern, seinem Bruder und seinem Sohn lebe, hätten ihn nicht von der mehrfachen Begehung schwerster Verwaltungsübertretungen abgehalten und würden dadurch als relativiert erscheinen, dass seine Familienangehörigen im Zuge seiner amtlichen Abmeldung mehrfach und unmissverständlich angegeben hätten, nicht zu wissen, wo er sich aufhalte. Das öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbots überwiege daher klar die privaten, familiären und beruflichen Interessen des Beschwerdeführers. Die damit verbundenen Auswirkungen auf das Privat- und Familienleben seien im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen; ein Kontakt mit den Angehörigen könne auch durch Besuche im Ausland aufrechterhalten werden.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Juni 2010 geltende Fassung, nämlich BGBl. I Nr. 135/2009.
Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 2 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder mehr als einmal wegen einer Verwaltungsübertretung u.a. gemäß § 99 Abs. 1, 1a, 1b oder 2 Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) oder gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG rechtskräftig bestraft worden ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die im § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es demnach - anders als bei der Frage, ob der (auf bestimmte strafgerichtliche Verurteilungen Bezug nehmende) Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt ist - nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an. Dasselbe gilt für das Bestrafungen nach den Verwaltungsgesetzen zu Grunde liegende Verhalten (vgl. zum Ganzen das Erkenntnis vom 20. Dezember 2011, Zl. 2011/23/0256, mwN).
Demzufolge reichen die wiedergegebenen Feststellungen zur Bestrafung des Beschwerdeführers im angefochtenen Bescheid für eine nachvollziehbare Darstellung der Gefährdungsannahme nicht aus. So führte die belangte Behörde weder die in den Strafbescheiden konkret angelasteten Tatbestände noch die Tatzeiten aus. Sie traf auch keine näheren Feststellungen in Bezug auf die (einmalige) Tathandlung des Lenkens eines Kraftfahrzeugs in betrunkenem Zustand, vor allem hinsichtlich des Alkoholisierungsgrads des Beschwerdeführers. Da - wie bereits ausgeführt - auf die Art und die Schwere der Verwaltungsübertretungen und ein sich daraus ergebendes Persönlichkeitsbild abzustellen ist, wären diese Feststellungen jedoch erforderlich gewesen. Gerade auch im Hinblick auf die - dem Beschwerdeführer nicht zur Last zu legende - Dauer des Berufungsverfahrens von mehr als zwei Jahren und des deshalb seit den zur Begründung des Aufenthaltsverbots herangezogenen Verwaltungsstrafen vergangenen Zeitraums von beinahe drei Jahren, in dem sich der Beschwerdeführer offenbar wohlverhalten hat, wären die geforderten weiteren Feststellungen notwendig gewesen, um die Ansicht der belangten Behörde, es sei die Gefährdungsannahme des § 60 Abs. 1 FPG gerechtfertigt, und das öffentliche Interesse sei zumindest gleich hoch zu bewerten wie das sich schon aus dem langen Aufenthalt des Beschwerdeführers und seinen familiären Bindungen ergebende private Interesse, überprüfen zu können. Der angefochtene Bescheid war somit bereits aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des Kostenbegehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 10. September 2013
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