VwGH 2013/15/0114

VwGH2013/15/011429.6.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte Mag. Dr. Köller, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Bamminger, über die Beschwerde

1. des Finanzamtes Linz in 4020 Linz, Bahnhofplatz 7 (hg. Zl. 2013/15/0114), und 2. der K GmbH in E, vertreten durch die Hochleitner Rechtsanwälte GmbH in 4070 Eferding, Kirchenplatz 8 (hg. Zl. 2013/15/0143), gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, vom 5. Februar 2013, Zl. RV/0281-L/12, miterledigt RV/1400-L/12, betreffend Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides 2008 gemäß § 299 BAO und Umsatzsteuer 2008, zu Recht erkannt:

Normen

62004CJ0245 EMAG Handel Eder VORAB;
BAO §299;
UStG 1994 §12 Abs1 Z1;
UStG 1994 §3 Abs7;
UStG 1994 §3 Abs8;
UStG 1994 Anh Art1 Abs2;
VwRallg;
62004CJ0245 EMAG Handel Eder VORAB;
BAO §299;
UStG 1994 §12 Abs1 Z1;
UStG 1994 §3 Abs7;
UStG 1994 §3 Abs8;
UStG 1994 Anh Art1 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

1. Die Beschwerde der zweitbeschwerdeführenden Partei wird als unbegründet abgewiesen.

Die zweitbeschwerdeführende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2. Aufgrund der Beschwerde des Finanzamtes wird der angefochtene Bescheid, soweit er die Umsatzsteuer 2008 betrifft, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Erstbeschwerdeführer (Finanzamt) erließ am 8. Jänner 2010 einen Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2008, in welchem er die Aufwendungen der zweitbeschwerdeführenden Partei für in Deutschland geleaste Kraftfahrzeuge zur Gänze nach § 1 Abs. 1 Z 2 lit. b UStG 1994 der Umsatzsteuer unterwarf. Einer dagegen gerichtete Berufung gab das Finanzamt mit Berufungsvorentscheidung vom 26. Jänner 2011 statt. Am 5. Jänner 2012 hob das Finanzamt die Berufungsvorentscheidung vom 26. Jänner 2011 im Anschluss an eine abgabenbehördliche Prüfung gemäß § 299 BAO auf und erließ einen neuen als "Berufungsvorentscheidung" bezeichneten Umsatzsteuerbescheid 2008. Dies mit der Begründung, dass die der zweitbeschwerdeführenden Partei im Zuge eines Reihengeschäftes in Rechnung gestellte Umsatzsteuer in Höhe von 5.857.360,95 EUR und die ihr für bestimmte (als Kundengeschenke verwendete) Gegenstände in Rechnung gestellte Umsatzsteuer in Höhe von 804,65 EUR zu Unrecht als Vorsteuer geltend gemacht worden seien. Das Finanzamt kürzte die geltend gemachten Vorsteuern entsprechend. Die Aufwendungen für die in Deutschland geleasten Kraftfahrzeuge unterzog es - wie in der Berufungsvorentscheidung vom 26. Jänner 2011 - nicht der Umsatzsteuer.

2 Die zweitbeschwerdeführende Partei berief gegen den Aufhebungsbescheid nach § 299 BAO sowie den Umsatzsteuerbescheid 2008 vom 5. Jänner 2012 und begründete die Berufungen im Wesentlichen damit, dass die im Zuge des Reihengeschäftes in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehbar sei. In eventu wendete sie ein, dass die Ermittlung des Sachverhaltes betreffend das Reihengeschäft mit wesentlichen Verfahrensmängeln behaftet und die im Rahmen der Aufhebung nach § 299 BAO durchgeführte Ermessensübung des Finanzamtes unzweckmäßig und unbillig sei.

3 Über Vorhalt der belangten Behörde gab die zweitbeschwerdeführende Partei im Berufungsverfahren weiters bekannt, dass ein Teil der in Deutschland geleasten Kraftfahrzeuge im Streitjahr vom Geschäftsführer, von einer Gesellschafterin und von Mitarbeitern zu rund 10% privat genutzt worden sei. Gleichzeitig teilte sie die sich daraus ergebende Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer mit.

4 Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung gegen den Aufhebungsbescheid nach § 299 BAO keine Folge und änderte den Umsatzsteuerbescheid 2008 ab.

5 Nach § 299 Abs. 1 BAO könne die Abgabenbehörde erster Instanz einen von ihr erlassenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufheben. Die zweitbeschwerdeführende Partei habe ihre Berufung nicht damit begründet, dass die Umsatzsteuer für die als Kundengeschenke verwendeten Gegenstände abziehbar sei. Auch den Verwaltungsakten sei nicht zu entnehmen, dass ein solcher Vorsteuerabzug zustehe. In der Berufungsvorentscheidung vom 26. Jänner 2011 sei jedoch ein diesbezüglicher Vorsteuerabzug anerkannt worden, weshalb diese rechtswidrig gewesen sei. Dass die der zweitbeschwerdeführenden Partei im Rahmen des Reihengeschäftes in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nach Auffassung der belangten Behörde im Ergebnis abziehbar sei, ändere daran nichts. Bei der erforderlichen Ermessensübung komme dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zentrale Bedeutung zu. Eine Aufhebung sei zu unterlassen, wenn die Rechtswidrigkeit bloß geringfügig sei. Ein in Höhe von über 800 EUR zu Unrecht gewährter Vorsteuerabzug stelle keine bloß geringfügige Rechtswidrigkeit dar. Die Berufungsvorentscheidung vom 26. Jänner 2011 sei daher zu Recht gemäß § 299 BAO aufgehoben worden.

6 Die zweitbeschwerdeführende Partei habe in der Berufung gegen den Umsatzsteuerbescheid vom 8. Jänner 2010 zutreffend dargelegt, dass eine Besteuerung der Aufwendungen für die in Deutschland mit Vorsteuerabzug geleasten Kraftfahrzeuge nach § 1 Abs. 1 Z 2 lit. d UStG 1994 (ab 2004 § 1 Abs. 1 Z 2 lit. b UStG 1994) nicht zu erfolgen habe. Allerdings seien einige dieser Kraftfahrzeuge ab 2004 auch privat verwendet worden. Die private Verwendung der Kraftfahrzeuge stelle eine fiktive Dienstleistung iSd § 3a Abs. 1a Z 1 UStG 1994 dar, weshalb die darauf entfallenden - von der zweitbeschwerdeführenden Partei über Vorhalt bekanntgegebenen - Kosten (§ 4 Abs. 8 lit. b UStG 1994) in die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer einzubeziehen seien.

7 In Bezug auf das verfahrensgegenständliche Reihengeschäft ging die belangte Behörde sachverhaltsmäßig davon aus, dass X1 in diversen deutschen Raffinerien über Produktkontingente verfügt und Mineralölprodukte u.a. an X2 verkauft habe. Nach erfolgter Anzahlung habe X2 von X1 Abholnummern und Abholausweise erhalten, die zur Abholung der Mineralölprodukte berechtigten. X2 habe sich gegenüber X1 verpflichtet, für den Transport der Produkte nach Österreich zu sorgen und sei gegenüber X1 mit einer österreichischen Umsatzsteueridentifikationsnummer (im Folgenden nur: UID-Nummer) aufgetreten. X2 habe die Abholnummern und Abholausweise an die zweitbeschwerdeführende Partei weitergeleitet, ohne X1 darüber zu informieren, ob bzw. an wen die Produkte weiterverkauft worden seien. Für X1 sei nur ersichtlich gewesen, dass die von X2 bestellten Mineralölprodukte abgeholt worden seien. Physisch seien die Produkte von der zweitbeschwerdeführenden Partei bzw. von Dritten, die von der zweitbeschwerdeführenden Partei damit beauftragt worden seien, abgeholt worden. X2 habe zunächst Rechnungen mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer an die zweitbeschwerdeführende Partei gelegt. Die zweitbeschwerdeführende Partei habe die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer in Abzug gebracht. In der Folge habe X2 die Rechnungen dahingehend korrigiert, dass keine Umsatzsteuer mehr ausgewiesen worden sei, woraufhin das Finanzamt die Berufungsvorentscheidung vom 26. Jänner 2011 aufgehoben und einen Umsatzsteuerbescheid erlassen habe, in welchem die im Zusammenhang mit dem Reihengeschäft stehende Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer anerkannt worden sei. Die zweitbeschwerdeführende Partei habe die an X2 bezahlte Umsatzsteuer nicht zurückerhalten, weil X2 inzwischen insolvent geworden sei.

8 In rechtlicher Hinsicht sei der festgestellte Sachverhalt wie folgt zu beurteilen: Werde der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer oder den Abnehmer befördert oder versendet, so gelte die Lieferung dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginne. Versenden liege vor, wenn der Gegenstand durch einen Frachtführer oder Verfrachter befördert oder eine solche Beförderung durch einen Spediteur besorgt werde. Die Versendung beginne mit der Übergabe des Gegenstandes an den Spediteur, Frachtführer oder Verfrachter (§ 3 Abs. 8 UStG 1994). Versenden sei somit befördern lassen durch selbständige Dritte. Obige Begriffe seien nicht eng auszulegen (Hinweis auf Ruppe/Achatz, UStG4, § 3 Tz 163). Versenden liege daher auch dann vor, wenn der Abnehmer seinen Abnehmer mit der Beförderung beauftrage. Befördere oder versende weder der Lieferer (X1) noch der Abnehmer (X2), sondern - wie im Streitfall - der Abnehmer des Abnehmers (die zweitbeschwerdeführende Partei), falle die Lieferung des Ersten in der Reihe (X1) an den Zweiten in der Reihe (X2) nicht unter den Wortlaut des § 3 Abs. 8 UStG 1994. Als den Leistungsort bestimmende Norm komme daher nur mehr § 3 Abs. 7 UStG 1994 in Betracht, wonach eine Lieferung dort ausgeführt werde, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befinde. Die Lieferung des ersten Abnehmers (X2) an dessen Abnehmer (die zweitbeschwerdeführende Partei) sei hingegen dem § 3 Abs. 8 UStG 1994 zu subsumieren. Der Abnehmer des Abnehmers erlange die tatsächliche Verfügungsmacht dort, wo er den Gegenstand abhole bzw. abholen lasse. Demnach wäre weder die Lieferung von X1 an X2 noch die Lieferung von X2 an die zweitbeschwerdeführende Partei in Österreich ausgeführt. Der in der Berufung begehrte Vorsteuerabzug stünde der zweitbeschwerdeführenden Partei nicht zu, weil nur im Inland erhaltene Leistungen zum Vorsteuerabzug berechtigten (§ 12 Abs. 1 Z 1 UStG 1994).

9 Allerdings sei zu bedenken, dass dem Dritten in der Reihe die Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den Vorlieferanten mitunter nicht bekannt und daher eine Beurteilung der einzelnen Lieferungen im Reihengeschäft nach objektiven Kriterien schwierig sei. Wisse der Dritte in der Reihe nicht, wer der Erste in der Reihe sei und wie die Beziehungen zwischen dem Ersten und dem Zweiten in der Reihe gestaltet seien und könne er dies auch nicht ermitteln, weil ihm sein Lieferant (um sich nicht künftiger Geschäfte zu begeben) keine diesbezüglichen Informationen erteile, könne er nur beurteilen, ob eine Sachverhaltskonstellation möglich sei, bei der ihm sein Lieferant zu Recht Umsatzsteuer in Rechnung stelle. Sei dies zu bejahen, werde er wohl darauf vertrauen dürfen, dass der Umsatzsteuerausweis zu Recht erfolgt sei. Eine solche Konstellation sei im Streitfall unter den Prämissen denkbar, dass X2 gegenüber X1 mit seiner österreichischen UID-Nummer aufgetreten sei und die Absicht bekundet habe, die in Rede stehenden Mineralölprodukte nach Österreich zu befördern, und wenn X1 zudem - mangels gegenteiliger Information von X2 - nicht habe erkennen können, dass ein Reihengeschäft vorliege. Nach dem Urteil des EuGH vom 6. April 2006, Rs C-430/09 , Euro Tyre Holding BV, dürfe der Erste in der Reihe bei einer solchen Sachverhaltskonstellation davon ausgehen, dass seine Lieferung die innergemeinschaftliche sei. Wer abhole sei nicht objektiv, "sondern aus der (aus der Sicht des Dritten in der Reihe möglicherweise vorliegenden) Sicht des Ersten in der Reihe zu beurteilen". Dies ergebe sich auch aus dem in Art. 7 Abs. 4 UStG 1994 normierten Vertrauensschutz.

10 Die zweitbeschwerdeführende Partei habe Mineralölprodukte in Deutschland abgeholt und von X2 Rechnungen mit österreichischer Umsatzsteuer erhalten. Sie habe zwar erkennen können, dass es sich um Reihengeschäfte handle, habe damals aber nicht wissen können, wer X1 sei, was X2 dem X1 mitgeteilt habe, unter welcher UID-Nummer X2 gegenüber X1 aufgetreten sei und wie das für X1 zuständige Finanzamt die Lieferung von X1 beurteilen werde. "Aus der damaligen Sicht der (zweitbeschwerdeführenden Partei) konnte X1 auch nicht erkennen, dass die (zweitbeschwerdeführende Partei) den Transport veranlasst hat, weil die Produkte bloß unter Vorlage des von X1 ausgestellten Abholausweises und der Abholnummer abgeholt wurden." Aus der damaligen Sicht der zweitbeschwerdeführenden Partei sei demnach zumindest eine Sachverhaltskonstellation "möglich", bei der X1 die Lieferung an X2 zutreffend als innergemeinschaftliche beurteilt haben könnte. Aus Sicht der zweitbeschwerdeführenden Partei könnte demnach die von X2 zunächst vorgenommene Beurteilung der in Rede stehenden Lieferungen als im Inland ausgeführt zutreffend sein. Der zweitbeschwerdeführenden Partei stehe daher der Vertrauensschutz und als Folge dessen der volle Vorsteuerabzug zu.

11 Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde des Finanzamtes in dem Umfang, als die belangte Behörde die verfahrensgegenständlichen Mineralöllieferungen an die zweitbeschwerdeführende Partei als steuerpflichtige österreichische Inlandslieferungen behandelt und der zweitbeschwerdeführenden Partei daraus einen Vorsteuerabzug zugestanden hat (Spruchpunkt B des angefochtenen Bescheides). Die Beschwerde der zweitbeschwerdeführenden Partei richtet sich dagegen, dass die belangte Behörde ihre Berufung gegen die Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides 2008 gemäß § 299 BAO als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A des angefochtenen Bescheides) und die private Nutzung der in Deutschland geleasten Kraftfahrzeuge als umsatzsteuerpflichtiger Vorgang gewertet hat (Spruchpunkt B des angefochtenen Bescheides).

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und darüber erwogen:

13 Spruchpunkt A des angefochtenen Bescheides sei nach Auffassung der zweitbeschwerdeführenden Partei rechtswidrig, weil der Tatbestand des § 3a Abs. 1a Z 1 UStG 1994 im Streitfall nicht zur Anwendung komme. Dem angefochtenen Bescheid liege eine unrichtige rechtliche Beurteilung der privaten Nutzung von im Ausland geleasten Kraftfahrzeugen zu Grunde und die belangte Behörde sei aufgrund dieser unrichtigen rechtlichen Beurteilung zur Überzeugung gelangt, "eine Aufhebung des rechtskräftigen Umsatzsteuerbescheides von 2008 wäre von der Bestimmung des § 299 BAO rechtlich gedeckt". Damit übersieht die zweitbeschwerdeführende Partei, dass die belangte Behörde (wie zuvor das Finanzamt) die Aufhebung nach § 299 BAO nicht auf diesen Umstand gestützt hat. Als Aufhebungsgrund wurde im angefochtenen Bescheid ein zu Unrecht gewährter Vorsteuerabzug für Kundengeschenke in Höhe von über 800 EUR ins Treffen geführt, wogegen sich die Beschwerde nicht wendet. Der darauf gestützten Bescheidaufhebung steht - entgegen dem Beschwerdevorbringen - auch im Rahmen der Ermessensübung der Grundsatz von Treu und Glauben nicht entgegen.

14 Soweit sich die zweitbeschwerdeführende Partei mit der Begründung, dass der Tatbestand des § 3a Abs. 1a Z 1 UStG 1994 im Streitfall nicht zur Anwendung komme, weil dafür die Geltendmachung eines Vorsteuerabzugs im Inland erforderlich sei, dagegen wendet, dass die private Nutzung der in Deutschland geleasten Kraftfahrzeuge von der belangten Behörde als umsatzsteuerpflichtiger Vorgang gewertet worden ist (Spruchpunkt B des angefochtenen Bescheides), genügt es gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das Erkenntnis vom 22. Mai 2014, 2011/15/0176, zu verweisen. Im genannten Erkenntnis, hat sich der Verwaltungsgerichtshof der von der zweitbeschwerdeführenden Partei vertretenen Auffassung nicht angeschlossen. Die Beschwerde der zweitbeschwerdeführenden Partei erweist sich daher auch insoweit als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

15 Berechtigung kommt hingegen der Beschwerde des Finanzamtes zu, die sich - wie bereits ausgeführt - dagegen wendet, dass die belangte Behörde die hier in Rede stehenden Mineralöllieferungen an die zweitbeschwerdeführende Partei als steuerpflichtige österreichische Inlandslieferung behandelt und der zweitbeschwerdeführenden Partei daraus einen Vorsteuerabzug zugestanden hat.

16 § 3 UStG 1994 in der für den Streitfall maßgeblichen Fassung, BGBl. I Nr. 180/2004, lautet auszugsweise:

"§ 3. (1) Lieferungen sind Leistungen, durch die ein Unternehmer den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen. Die Verfügungsmacht über den Gegenstand kann von dem Unternehmer selbst oder in dessen Auftrag durch einen Dritten verschafft werden.

...

(7) Eine Lieferung wird dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet.

(8) Wird der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer oder den Abnehmer befördert oder versendet, so gilt die Lieferung dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt. Versenden liegt vor, wenn der Gegenstand durch einen Frachtführer oder Verfrachter befördert oder eine solche Beförderung durch einen Spediteur besorgt wird. Die Versendung beginnt mit der Übergabe des Gegenstandes an den Spediteur, Frachtführer oder Verfrachter.

..."

§ 12 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 in der für den Streitfall maßgeblichen Fassung, BGBl. I Nr. 99/2007, lautet auszugsweise:

"§ 12. (1) Der Unternehmer kann die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen:

Die von anderen Unternehmern in einer Rechnung (§ 11) an ihn gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die im Inland für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. ..."

Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 UStG 1994 in der für den Streitfall maßgeblichen Fassung, BGBl. I Nr. 180/2004, lauten:

"Art. 1. (1) Der Umsatzsteuer unterliegt auch der innergemeinschaftliche Erwerb im Inland gegen Entgelt.

(2) Ein innergemeinschaftlicher Erwerb gegen Entgelt liegt vor, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

1. Ein Gegenstand gelangt bei einer Lieferung an den

Abnehmer (Erwerber) aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das

Gebiet eines anderen Mitgliedstaates, auch wenn der Lieferer den

Gegenstand in das Gemeinschaftsgebiet eingeführt hat;

2. der Erwerber ist

a) ein Unternehmer, der den Gegenstand für sein

Unternehmen erwirbt, oder

b) eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist

oder die den Gegenstand nicht für ihr Unternehmen erwirbt, und

3. die Lieferung an den Erwerber

a) wird durch einen Unternehmer gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausgeführt und

b) ist nach dem Recht des Mitgliedstaates, der für die Besteuerung des Lieferers zuständig ist, nicht auf Grund der Sonderregelung für Kleinunternehmer steuerfrei."

Art. 7 Abs. 4 UStG 1994 in der für den Streitfall maßgeblichen Fassung, BGBl. I Nr. 756/1999, lautet:

"(4) Hat der Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die Voraussetzungen nach Abs. 1 nicht vorliegen, so ist die Lieferung dennoch als steuerfrei anzusehen, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte. In diesem Fall schuldet der Abnehmer die entgangene Steuer. In Abholfällen hat der Unternehmer die Identität des Abholenden festzuhalten."

17 Mangels einer Sonderregelung in der hier anzuwendenden Fassung des UStG 1994 müssen die Rechtsfolgen für Reihengeschäfte (seit 1997) aus den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes abgeleitet werden. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei Lieferungen in der Reihe gedanklich um mehrere Lieferungen handelt, die als nacheinander erfolgt anzusehen sind, auch wenn sie nur zu einer einzigen Bewegung von Gegenständen führen. Der Ort der einzelnen Umsätze muss jeweils für sich bestimmt werden und nur für einen Umsatz in der Reihe kann der Ort der Lieferung nach § 3 Abs. 8 UStG 1994 bestimmt werden;

üblicherweise wird diese Lieferung als die "bewegte Lieferung" oder "Transportlieferung" bezeichnet, die anderen Lieferungen als "ruhende Lieferungen" (vgl. Ruppe/Achatz, UStG4, § 3 Rz 54;

Bürgler in Berger/Bürgler/Kanduth-Kristen/Wakounig, UStG-ON2, § 3 Rz 222; Scheiner/Kolacny/Caganek, Kommentar zur Mehrwertsteuer, § 3 Abs. 8 Anm. 33).

18 Bei einem Reihengeschäft mit einer Warenbewegung in einen anderen Mitgliedstaat kann nur die bewegte Lieferung eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung sein. Der Ort der ruhenden Lieferungen befindet sich entweder im Mitgliedstaat des Beginns oder im Mitgliedstaat der Ankunft der Beförderung oder Versendung, je nachdem, ob die bewegte Lieferung vor oder nach einer solchen Lieferung stattfindet (vgl. EuGH vom 6. April 2006, Rs C-245/04 , EMAG Handel Eder, Rn 51).

19 Holt der letzte Abnehmer in der Reihe den Liefergegenstand ab, ist die "bewegte Lieferung" seinem unmittelbaren Vorlieferanten zuzurechnen. Diese Lieferung ist nach § 3 Abs. 8 UStG 1994 dort steuerbar, wo die Beförderung oder Versendung beginnt. Die Lieferung an den Vorlieferanten bzw. etwaige weitere Vorlieferungen werden nach § 3 Abs. 7 UStG 1994 dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zum Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet, das ist am Beginn der Beförderung oder Versendung (vgl. Bürgler in Berger/Bürgler/Kanduth-Kristen/Wakounig, UStG-ON2, § 3 Rz 225).

20 Geht man wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid davon aus, dass die zweitbeschwerdeführende Partei als letzter Abnehmer in der Reihe den Transport des Mineralöls von Deutschland nach Österreich veranlasst hat, indem sie das Mineralöl selbst befördert oder Transportunternehmer mit der Abholung des Mineralöls beauftragt hat, dann stellt die Lieferung von X2 an die zweitbeschwerdeführende Partei die bewegte Lieferung gemäß § 3 Abs. 8 UStG 1994 dar. Für die Lieferung von X1 an X2 kommt nur mehr § 3 Abs. 7 UStG 1994 als die den Leistungsort bestimmende Norm in Betracht, wonach eine Lieferung dort ausgeführt wird, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet. Folglich wäre - wie im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt - weder die Lieferung von X1 an X2 noch die Lieferung von X2 an die zweitbeschwerdeführende Partei in Österreich ausgeführt und die in den (ursprünglichen) Rechnungen von X2 an die zweitbeschwerdeführende Partei ausgewiesene Umsatzsteuer nicht aufgrund einer inländischen Lieferung geschuldet und daher im Grunde des § 12 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 nicht als Vorsteuer abziehbar.

21 Die belangte Behörde nimmt im angefochtenen Bescheid an, es sei nicht auszuschließen, dass X1 gutgläubig angenommen habe, X2 habe die Ware in Deutschland abgeholt und nach Österreich gebracht, sodass kraft Vertrauensschutzes die Lieferung von X1 an X2 als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung zu behandeln wäre. Die belangte Behörde folgert weiter, der allfällige gute Glaube von X1 habe zur Folge, dass die Lieferung von X2 an die zweitbeschwerdeführende Partei nicht mehr als steuerfreie inngemeinschaftliche Lieferung zu werten sei, sondern X2 die Steuerpflicht seiner Lieferung (als Lieferung mit Lieferort Österreich) akzeptieren müsse und die zweitbeschwerdeführende Partei den Vorsteuerabzug aus dieser steuerpflichtigen Lieferung lukrieren könne. Aus der Sicht des Beschwerdefalles reicht es, diesen Ausführungen entgegen zu halten: Die bloße Möglichkeit, dass der Vorlieferant X1 seine Lieferung an X2 irrtümlich, aber gutgläubig als innergemeinschaftliche Lieferung eingestuft hat, bewirkt jedenfalls nicht, dass die zweitbeschwerdeführende Partei einen Vorsteuerabzug aus einer Rechnung über die (aus objektiver Sicht) innergemeinschaftliche Lieferung von X2 an sie geltend machen kann.

22 Soweit die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid alternativ auf Art. 7 Abs. 4 UStG 1994 stützt, ist ihr zu entgegen, dass diese Bestimmung nicht den Vorsteuerabzug regelt.

23 Der angefochtene Bescheid erweist sich daher, soweit er die Umsatzsteuer betrifft, als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet und war insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der von der zweitbeschwerdeführenden Partei beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

24 Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung anzuwenden.

Wien, am 29. Juni 2016

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