VwGH 2013/10/0220

VwGH2013/10/022026.6.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde des J R in D, vertreten durch Mag. Georg Dieter, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kalchberggasse 10, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 11. Juli 2013, Zl. UVS 41.21-30/2013-7, betreffend Mindestsicherungsleistungen, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art15a;
Mindestsicherung Vereinbarung Art15a B-VG 2010 Art16 Abs3;
Mindestsicherung Vereinbarung Art15a B-VG 2010 Art2 Abs1;
Mindestsicherung Vereinbarung Art15a B-VG 2010 Art2 Abs3;
MSG Stmk 2011 §12;
MSG Stmk 2011 §3;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 11. Juli 2013 hat der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark den Antrag des Beschwerdeführers vom 29. Jänner 2013 auf Gewährung von Beratungs- und Betreuungsleistungen nach § 12 des Steiermärkischen Mindestsicherungsgesetzes - StMSG, LGBl. Nr. 14/2011, zur Erlangung von Wohnbeihilfe, Rezeptgebührenbefreiung, Pflegegeld und Begleichung des Mietrückstandes abgewiesen.

Dazu führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Behörde erster Instanz habe den Antrag mit der wesentlichen Begründung abgewiesen, dass Leistungen des sogenannten "Case Managements" in Form von Beratungs- und Betreuungsleistungen gemäß § 12 StMSG nicht zu den von § 3 leg. cit. erfassten Bedarfsbereichen gehörten. Auf derartige Leistungen bestehe kein Rechtsanspruch, zumal die Auswahl jener Personen, die begleitend zum Bezug der bedarfsorientierten Mindestsicherung Beratung und Betreuung erhielten, fallbezogen und in wirtschaftlich vertretbarem Ausmaß erfolge.

Der Beschwerdeführer habe in der Berufung dagegen vorgebracht, dass er nach seiner überraschenden Entlassung aus dem Krankenhaus nur wenige Tage nach dem erlittenen Gehirninfarkt völlig mittellos und auf Hilfe angewiesen gewesen sei.

Die belangte Behörde stellte fest, dass dem Beschwerdeführer mit Bescheid der Behörde erster Instanz über seinen Antrag für den Zeitraum von Februar bis April 2013 eine monatliche Mindestsicherungsleistung in der Höhe von EUR 964,-- zuerkannt worden sei. Zusätzlich sei ihm eine einmalige Geldleistung zur Abdeckung des Mietrückstandes für Jänner 2013 gewährt worden.

Da die Beratungs- und Betreuungsleistungen gemäß § 12 StMSG nicht gewährt worden seien, habe sich der Vertreter des Beschwerdeführers an die Volksanwaltschaft gewendet. In ihrer Stellungnahme an die Volksanwaltschaft habe die Behörde erster Instanz ausgeführt, dass Leistungen nach § 12 StMSG derzeit vom Land Steiermark nicht angeboten würden. Die Behörde erster Instanz habe jedoch Schritte unternommen, den Beschwerdeführer bei seinen Anliegen zu unterstützen.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass sich aus dem Wortlaut des § 3 StMSG in Verbindung mit den Erläuterungen klar ergebe, dass Hilfesuchenden kein Rechtsanspruch auf Beratungs- und Betreuungsleistungen gemäß § 12 leg. cit. zustehe. Der Antrag sei daher zu Recht abgewiesen worden. Überdies umfassten die Beratungs- und Betreuungsleistungen gemäß § 12 StMSG nur Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt, die vom Beschwerdeführer gar nicht beantragt worden seien. Weiters sei zu berücksichtigen, dass sich die Behörde erster Instanz ohnehin durch die Erteilung entsprechender Auskünfte darum bemüht habe, den Beschwerdeführer bei der Erlangung der Wohnbeihilfe, Rezeptgebührenbefreiung, Pension und Pflegegeld zu unterstützen.

In seiner dagegen gerichteten Beschwerde bringt der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, dass Beratungs- und Betreuungsleistungen gemäß § 12 StMSG nicht nur zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienten. Solche Maßnahmen seien allen Hilfesuchenden zu gewähren, unabhängig davon, ob sie arbeitsfähig seien. Voraussetzung sei - so wie für alle anderen Mindestsicherungsleistungen - lediglich das Vorliegen einer entsprechenden Notlage. Das Bestehen eines Rechtsanspruches auf derartige Leistungen ergebe sich auch aus der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern über eine bundesweite bedarfsorientierte Mindestsicherung. Es stehe der Behörde nicht frei, für den Bezug von Beratungs- und Betreuungsleistungen nur bestimmte Mindestsicherungsbezieher auszuwählen.

 

Über diese Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Steiermärkischen Mindestsicherungsgesetzes - StMSG, LGBl. Nr. 14/2011, zuletzt geändert durch LGBl. Nr. 9/2012, haben (auszugsweise) folgenden Wortlaut:

"§ 3

Erfasste Bedarfsbereiche

(1) Die Mindestsicherung wird durch pauschalierte Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes, jeweils außerhalb von stationären Einrichtungen, sowie durch die bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung erforderlichen Leistungen erbracht.

...

§ 12

Beratungs- und Betreuungsleistungen

Leistungen der Mindestsicherung beinhalten als Aufgabe des Landes auch die Beratungs- und Betreuungsleistungen, die zur Vermeidung und Überwindung von sozialen Notlagen, zur nachhaltigen sozialen Stabilisierung, zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit oder Vermittelbarkeit der Hilfe suchenden Person erforderlich sind. Die Hilfe suchende Person ist verpflichtet, die angebotenen Beratungs- und Betreuungsleistungen in Anspruch zu nehmen."

Die Materialien zum StMSG (Erläuterungen zum Initiativantrag, EZ 148/1, XVI. GP) halten zu § 12 Folgendes fest:

"Zu § 12 (Beratungs- und Betreuungsleistungen):

Die Länder haben gemäß Art. 16 Abs. 3 der Art. 15a B-VG-Vereinbarung in wirtschaftlich vertretbarem Ausmaß Vorsorge für dezentrale, niederschwellige und bedarfsgerechte Beratungs- und Betreuungsangebote zur möglichst ganzheitlichen Erfassung der Problemlagen der Menschen, die Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Anspruch nehmen, zu treffen. Diese Problemlagen stellen sehr häufig ein Vermittlungshindernis der Betroffenen am Arbeitsmarkt dar. Die aus diesem Grund notwendige Beratung und Betreuung stellt neben den übrigen Leistungen ein unverzichtbares Element der Bedarfsorientierten Mindestsicherung dar.

Das damit angesprochene so genannte 'Case Management' übernimmt neben der Mitwirkung im Ermittlungsverfahren alle Angelegenheiten der Leistungssteuerung und der sozialen Beratung. Dazu zählen insbesondere Durchführung eines 'Assessments' (soziale Anamnese, Diagnose), die Erstellung eines Hilfeplanes unter aktiver Einbindung der Klientinnen/Klienten und die Begleitung und Überwachung für die Umsetzung des Hilfeplans. Einzusetzen sind jeweils die gelindesten, zum Ziel führenden Hilfen. Dem "Case Manager" obliegen im Zuge der Fallführung die Betreuungsverantwortung und die erforderliche beraterische Begleitung. Das Case Management wird als Aufgabe des Landes wahrgenommen.

Als allgemeine Zielgruppe sind Leistungswerberinnen/Leistungswerber und Leistungsbezieherinnen/Leistungsbezieher der Bedarfsorientierten Mindestsicherung vorgesehen. Aus dieser Gruppe werden für das Case Management jene Personen ausgewählt, die professionelle Hilfe für die Bewältigung schwieriger Lebenssituationen benötigen und bei denen noch die Möglichkeit der Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit besteht.

Die Auswahl der engeren Zielgruppe, also jener Personen, die begleitend zum Bezug von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung im Rahmen von Case Management sozialarbeiterisch betreut werden, erfolgt fallbezogen und nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Ressourcen und umfasst insbesondere folgende Zielgruppen: Jugendliche und junge Erwachsene, Frauen, Migrantinnen/Migranten, Personen mit Basisbildungsschwächen und von sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung Bedrohte.

Eine laufende qualitative und (nach 2 Jahren) auch quantitative Evaluierung der Leistungen des Case Management wird in Aussicht genommen.

Die Teilnahme der Betroffenen am Case Management stellt ebenfalls ein Bemühen um eine Erwerbstätigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 dar und zieht im Fall der Verweigerung die in § 7 Abs. 6 genannten Konsequenzen nach sich. Die Hilfe suchende Person ist verpflichtet, die angebotenen Beratungs- und Betreuungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Die Aufträge zur verpflichtenden Inanspruchnahme der Beratungs- und Betreuungsleistungen haben schriftlich zu ergehen."

Aus diesen Materialien ist ersichtlich, dass es sich nach dem Willen des Gesetzgebers bei den Beratungs- und Betreuungsleistungen im Wesentlichen um auf den Einzelfall abgestimmte, primär der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienende sozialarbeiterische Maßnahmenbündel handelt, deren Art und Umfang nicht von vornherein feststehen, sondern erst im Zusammenwirken mit dem Hilfesuchenden in Form eines "Hilfeplans" konkretisiert werden. Diese Leistungen sollen nur nach Maßgabe der verfügbaren Ressourcen in bestimmten - vom Mindestsicherungsträger ausgewählten - Fällen gewährt werden.

Der Gesetzgeber wollte somit dem einzelnen Hilfesuchenden kein subjektives Recht auf die Gewährung von Beratungs- und Betreuungsleistungen einräumen.

Dies steht nicht im Widerspruch zum Wortlaut von § 12 StMSG, wonach es sich bei Beratungs- und Betreuungsleistungen um Leistungen handelt, die vom Land - zusätzlich zur Deckung der in § 3 leg. cit. genannten Bedarfsbereiche - angeboten werden, wobei Hilfesuchende verpflichtet sind, ihnen angebotene Leistungen anzunehmen.

Die Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über eine bundesweite bedarfsorientierte Mindestsicherung, BGBl. I Nr. 96/2010 (Mindestsicherungsvereinbarung), zu deren Umsetzung das StMSG dient und die daher zur Auslegung dieses Gesetzes heranzuziehen ist, enthält zu den Beratungs- und Betreuungsleistungen folgende Bestimmungen:

"Artikel 2

Grundsätze

(1) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung ist durch pauschalierte Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes, jeweils außerhalb von stationären Einrichtungen, sowie durch die bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung erforderlichen Leistungen zu gewährleisten. Dies hat im Rahmen von Rechtsansprüchen zu erfolgen, soweit in dieser Vereinbarung nicht Anderes bestimmt ist.

...

(3) Bei der Erbringung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ist auch die jeweils erforderliche Beratung und Betreuung zur Vermeidung und Überwindung von sozialen Notlagen sowie zur nachhaltigen sozialen Stabilisierung zu gewährleisten. Bei arbeitsfähigen Personen gehören dazu auch Maßnahmen, die zu einer weitest möglichen und dauerhaften (Wieder‑)Eingliederung in das Erwerbsleben erforderlich sind.

...

Artikel 16

Zugang zu den Leistungen und Verfahren

...

(3) Die Länder treffen in wirtschaftlich vertretbarem Ausmaß Vorsorge für dezentrale, niederschwellige und bedarfsgerechte Beratungs- und Betreuungsangebote zur möglichst ganzheitlichen Erfassung der Problemlagen der Menschen, die Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Anspruch nehmen."

Die Materialien (677 BlgNR XXIV. GP) halten dazu Folgendes fest:

"Zu Art. 2 (Grundsätze):

...

Für Leistungen der bedarfsorientierten Mindestsicherung sind grundsätzlich hoheitliche Rechtsansprüche vorzusehen, die es den AntragstellerInnen ermöglichen, im Wege eines regulären Instanzenzuges gegen einen Bescheid des jeweiligen Entscheidungsträgers vorzugehen. ...

Daneben verpflichten sich die Vertragsparteien nach Maßgabe des Art. 16 Abs. 3 zur Vorsorge für bestimmte Maßnahmen bzw. Strukturen, aus denen jedoch keine gesonderten individuellen Rechtsansprüche resultieren (müssen). Das gilt vor allem für die verschiedenen (freilich oftmals Leistungsansprüche flankierenden) Beratungs- und Betreuungsangebote, wie sie nach Art. 2 Abs. 3 insbesondere im Hinblick auf eine nachhaltige Prävention grundsätzlich zu gewähren sind und in der Folge in den Art. 16 Abs. 3 und 17 Abs. 3 konkretisiert werden. Keine individuellen Rechtsansprüche vorzusehen sind weiters bei der Umsetzung der Verpflichtungen nach den Art. 7 oder 17. ...

Zu Art. 16 (Zugang zu den Leistungen und Verfahren):

...

Zur Verbesserung des Zugangs zu den Leistungen bedarf es aber noch weiterer Vorkehrungen. Besonders wichtig erscheinen dabei Einrichtungen und Maßnahmen, die ein individuelles Case-Management gewährleisten, wie sie in einigen Ländern schon bestehen. Die daher in Abs. 3 als bundesweiter Standard vorgeschriebenen niederschwelligen, dezentralen und bedarfsgerechten Beratungs- und Betreuungsangebote brauchen aber nicht von den Trägern der bedarfsorientieren Mindestsicherung selbst bereitgestellt, sondern können auch durch Heranziehung anderer, allenfalls auch privater Träger gesichert werden. ..."

Die Ländervereinbarung verpflichtet in ihrem Art. 16 Abs. 3 somit die Länder zur Erbringung von Beratungs- und Betreuungsleistungen nur in "wirtschaftlich vertretbarem Ausmaß", wobei sich aus den Materialien eindeutig ergibt, dass eine Verpflichtung der Länder zur Einräumung eines Rechtsanspruches auf die Gewährung derartiger Leistungen nicht besteht.

Aus all dem ergibt sich, dass auf die Gewährung von Beratungs- und Betreuungsleistungen gemäß § 12 StMSG kein subjektives Recht besteht.

Da dem Beschwerdeführer nach dem Gesagten kein Rechtsanspruch auf die mit dem angefochtenen Bescheid versagten Leistungen zukommt, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG in der gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz leg. cit. anzuwendenden Fassung vor der Novellierung durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013, BGBl. I Nr. 33, als unbegründet abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 26. Juni 2014

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