VwGH 2013/04/0119

VwGH2013/04/011915.12.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser und Dr. Mayr sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde 1. der S der B, 2. der V E und 3. der V B, alle in W, sowie 4. der B in E und 5. der K in W, alle vertreten durch die CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gauermanngasse 2, gegen den Bescheid des Bundesvergabeamtes vom 9. August 2013, Zlen. N/0040-BVA/11/2013-27 und N/0043- BVA/11/2013-22, betreffend vergaberechtliche Nachprüfung (weitere Partei: Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft; mitbeteiligte Parteien: 1. N GmbH in W, vertreten durch Dr. Kathrin Hornbanger, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Universitätsring 10, und 2. N Ö GmbH in W, vertreten durch die Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 1010 Wien, Schubertring 6), zu Recht erkannt:

Normen

BVergG §101 Abs2;
BVergG §2 Z16 lita sublitaa;
BVergG §322 Abs1 Z5;
BVergG §325 Abs1 Z1;
BVergG §325 Abs1 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
BVergG §101 Abs2;
BVergG §2 Z16 lita sublitaa;
BVergG §322 Abs1 Z5;
BVergG §325 Abs1 Z1;
BVergG §325 Abs1 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien insgesamt Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Die Beschwerdeführerinnen führten ein Vergabeverfahren betreffend die Lieferung von Sonden- und Trinknahrung inklusive Applikationsgerät als offenes Verfahren im Oberschwellenbereich. Die Vergabe von insgesamt 10 Losen sollte jeweils nach dem Bestbieterprinzip erfolgen. Die Bekanntmachung der Rahmenvereinbarung erfolgte europaweit am 17. April 2013.

Mit Schriftsatz vom 16. Mai 2013 stellte die erstmitbeteiligte Partei einen Antrag auf Nichtigerklärung der Ausschreibung, in eventu Nichtigerklärung einzelner Ausschreibungsbestimmungen und führte - kurz zusammengefasst - ins Treffen, die gegenständliche Ausschreibung enthalte diskriminierende, intransparente und unzureichend konkrete Bestimmungen, die die Vergleichbarkeit der Angebote zu verhindern geeignet seien und zu spekulativer Preisgestaltung führen würden.

Mit Schriftsatz vom 17. Mai 2013 beantragte die zweitmitbeteiligte Partei ebenfalls die Nichtigerklärung der Ausschreibung bzw. einzelner Ausschreibungsbestimmungen samt Erlassung einer einstweiligen Verfügung und stützte ihr Begehren ebenso auf die Rechtswidrigkeit der Ausschreibungsbestimmungen.

Anlässlich der im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens am 2. Juli 2013 durchgeführten mündlichen Verhandlung stellten die Beschwerdeführerinnen die Berichtigung einzelner Punkte der Ausschreibung in Aussicht, die am 4. Juli 2013 auch tatsächlich vorgenommen wurde. Die Benachrichtigung über die vorgenommene Berichtigung erfolgte seitens der Beschwerdeführerinnen mittels E-Mail, wobei bei der Versendung die Adressaten versehentlich nicht verborgen ("blind copy") sondern vielmehr für die jeweils anderen Adressaten sichtbar waren.

Am 12. Juli 2013 stellte die erstmitbeteiligte Partei einen weiteren Nachprüfungsantrag zur Nichtigerklärung der Berichtigung.

Beide mitbeteiligten Parteien brachten in der Folge auch in dem die Ausschreibung betreffenden Nachprüfungsverfahren vor, der durch die Versendung der E-Mails mit offengelegtem Adressatenkreis erfolgte Verstoß gegen die Geheimhaltungsverpflichtung des § 101 Abs. 2 BVergG 2006 führe zur Nichtigkeit der Ausschreibung. Die Information über die Identität der Mitbewerber eröffne die Möglichkeit angepasster Preisgestaltung in den jeweiligen Angeboten und könne so wettbewerbsverzerrend wirken.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde einerseits dem Nichtigerklärungsantrag betreffend die Ausschreibung und dem Gebührenersatzbegehren der erstmitbeteiligten Partei statt, wies den Haupt- und Eventualantrag der zweitmitbeteiligten Partei zurück und erkannte auch dieser den beantragten Gebührenersatz zu. In ihrer Begründung führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, das E-Mail betreffend die Berichtigung sei an die zu diesem Zeitpunkt bekannten Interessenten (potentielle Bieter) übermittelt worden. Dies ermögliche unzulässige Bieter- und Preisabsprachen. Auch seien die Mitbieter in die Lage versetzt worden, ihre Angebotsgestaltung der bekannten Konkurrenzsituation anzupassen.

§ 101 BVergG 2006 sei entgegen der Ansicht der Auftraggeberinnen nicht bloß eine Schutznorm zugunsten der Auftraggeber. Die aufgezeigte Rechtswidrigkeit verletze vielmehr die Antragstellerinnen in ihrem Recht auf Geheimhaltung durch die Auftraggeberinnen. Aufgrund der nunmehr bekannten Interessenten für das gegenständliche Vergabeverfahren werde der Bieterkreis beeinflusst, weshalb der festgestellte Verstoß zur Nichtigerklärung der Ausschreibung führen müsse.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde der Auftraggeberinnen mit dem Antrag, die angefochtenen Entscheidungen wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und/oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verfahrensakten vor und erstattete keine Gegenschrift.

Die mitbeteiligten Parteien beantragten in ihren Gegenschriften jeweils die Ab- bzw. Zurückweisung der Beschwerde.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

4.1. Vorauszuschicken ist, dass es sich vorliegend um keinen Übergangsfall nach dem VwGbk-ÜG handelt und somit gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.

4.2. Die relevanten Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 2006 (BVergG 2006), in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 10/2012, lauten auszugsweise wie folgt:

"Begriffsbestimmungen

§ 2. Im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes sind folgende Begriffsbestimmungen maßgebend:

(...)

16. Entscheidung ist jede Festlegung eines Auftraggebers im Vergabeverfahren.

a) Gesondert anfechtbar sind folgende, nach außen in Erscheinung tretende Entscheidungen:

aa) im offenen Verfahren: die Ausschreibung; sonstige Festlegungen während der Angebotsfrist; das Ausscheiden eines Angebotes; die Widerrufsentscheidung; die Zuschlagsentscheidung;

bb) (...)

7. Abschnitt

Ablauf einzelner Vergabeverfahren

Ablauf des offenen Verfahrens

§ 101. (1) (...)

(2) Anzahl und Namen der Unternehmer, die ihr Interesse an der Teilnahme an einem offenen Verfahren bekundet haben, sind bis zur Angebotsöffnung geheim zu halten.

(3) (...)

Nichtigerklärung von Entscheidungen des Auftraggebers

§ 325. (1) Das Bundesvergabeamt hat eine im Zuge eines Vergabeverfahrens ergangene gesondert anfechtbare Entscheidung eines Auftraggebers mit Bescheid für nichtig zu erklären, wenn

1. sie oder eine ihr vorangegangene nicht gesondert anfechtbare Entscheidung den Antragsteller in dem von ihm nach § 322 Abs. 1 Z 5 geltenden gemachten Recht verletzt, und

2. die Rechtswidrigkeit für den Ausgang des Vergabeverfahrens von wesentlichem Einfluss ist.

(...)"

4.3. Die Beschwerde bringt - kurz zusammengefasst - vor, die Versendung der Berichtigung stelle selbst keine gesondert anfechtbare Entscheidung im Sinne des § 2 Z 16 lit. a sublit. aa BVergG 2006 dar, weshalb die belangte Behörde die unrichtige Versendung nur im Zuge eines gegen die Berichtigung gerichteten Nachprüfungsantrages hätte berücksichtigen dürfen. In keinem Fall könne die als rechtswidrig beurteilte Versendung der Berichtigung in einem gegen die früher erfolgte Ausschreibung gerichteten Nachprüfungsverfahren als Begründung herangezogen werden.

4.4. Dieser Argumentation ist im Ergebnis zu folgen: Dem Wortlaut des § 325 Abs. 1 Z 1 BVergG 2006 zufolge hat das Bundesvergabeamt eine ergangene gesondert anfechtbare Entscheidung eines Auftraggebers mit Bescheid für nichtig zu erklären, wenn sie oder eine ihr vorangegangene Entscheidung den Antragsteller in dem von ihm nach § 322 Abs. 1 Z 5 geltenden gemachten Recht verletzt. Die von der belangten Behörde als tragende Begründung für die Nichtigerklärung herangezogene Verletzung der Geheimhaltungspflicht des § 101 Abs. 2 BVergG 2006 durch die Offenlegung des Adressatenkreises im Zuge der Versendung der Berichtigung erfolgte unstrittig zeitlich nach der in Prüfung gezogenen Ausschreibung und stellt somit keine der Ausschreibung als gesondert anfechtbarer Entscheidung vorangegangene Entscheidung dar. Die Heranziehung der von den mitbeteiligten Parteien relevierten Verletzung der Geheimhaltungspflicht zur Begründung für die Nichterklärung der dieser behaupteten Rechtsverletzung zeitlich vorgelagerten Ausschreibung durch die belangte Behörde widersprach daher unabhängig von der Frage des wesentlichen Einflusses (§ 325 Abs. 1 Z 2 BVergG 2006) bereits der Tatbestandsvoraussetzung des § 325 Abs. 1 Z 1 BVergG 2006. 4.5. Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der von den beschwerdeführenden Auftraggebern beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht (gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014) auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 15. Dezember 2014

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