VwGH 2012/17/0270

VwGH2012/17/027030.6.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky, Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Maga Dr. Zehetner, Mag.a Nussbaumer-Hinterauer und Dr Leonhartsberger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Schubert-Zsilavecz, über die Beschwerde der M GmbH in Z, vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats des Landes Salzburg vom 22. Mai 2012, Zl UVS- 5/14.322/12-2012, betreffend Beschlagnahme nach dem Glücksspielgesetz, zu Recht erkannt:

Normen

AVOG 1975 §3 Abs4;
AVOG 2010 §12 Abs2 idF 2010/I/034;
AVOG 2010 §12 Abs2;
AVOG 2010 §12 Abs5 idF 2010/I/105;
AVOG 1975 §3 Abs4;
AVOG 2010 §12 Abs2 idF 2010/I/034;
AVOG 2010 §12 Abs2;
AVOG 2010 §12 Abs5 idF 2010/I/105;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 5. Dezember 2011 wurde gemäß § 53 Abs 3 in Verbindung mit § 53 Abs 2 Glücksspielgesetz (GSpG) die "Nichtbeschlagnahme" von drei in einem näher genannten Lokal durch die Finanzpolizei des Finanzamtes Braunau/Ried/Schärding am 2. November 2011 vorläufig beschlagnahmten Geräten ausgesprochen.

Die Bundespolizeidirektion ging davon aus, dass das Finanzamt Braunau/Ried/Schärding als örtlich unzuständige Behörde eingeschritten sei und dass es sich bei den vorläufig beschlagnahmten Geräten um keine Glücksspielautomaten gehandelt habe. In den Geräten selbst sei weder durch eine mechanische noch durch eine elektronische Vorrichtung eine Spielentscheidung herbeigeführt worden. Auch um eine elektronische Lotterie habe es sich nicht gehandelt.

1.2. Gegen diesen Bescheid erhoben sowohl das Finanzamt Braunau/Ried/Schärding als auch das Finanzamt Salzburg-Stadt gleichlautende Berufungen.

1.3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Finanzamtes Salzburg-Stadt als unzulässig zurück und gab der Berufung des Finanzamtes Braunau/Ried/Schärding Folge und sprach die Beschlagnahme der drei am 2. November 2011 beschlagnahmten Geräte gemäß GSpG aus.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass gemäß § 12 Abs 5 des Bundesgesetzes über den Aufbau und die Zuständigkeitsregelung der Abgabenverwaltung, Abgabenverwaltungsorganisationsgesetz 2010 - AVOG 2010, die zur Aufdeckung einer illegalen Arbeitnehmerbeschäftigung und zur Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen des Glücksspielgesetzes notwendigen Kontroll- und Beweissicherungsmaßnahmen von allen Finanzämtern vorgenommen werden könnten. Gemäß § 12 Abs 5 AVOG 2010 stünde in diesen Fällen jenem Finanzamt, das die Kontroll- und Beweissicherungsmaßnahmen durchgeführt habe, die Parteistellung in den Verwaltungsstrafverfahren zu, wobei sich dieses Finanzamt zur Wahrnehmung der Parteistellung durch Organe anderer Abgabenbehörden vertreten lassen könne. Auch in der Regierungsvorlage 477 der Beilagen, 24. GP, werde zu § 12 ausdrücklich angeführt, dass nunmehr alle Finanzämter die Maßnahmen zur Gewinnung von für die Erhebung von Abgaben maßgebenden Daten, zur Aufdeckung einer illegalen Arbeitnehmerbeschäftigung und zur Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen des Glücksspielgesetzes vornehmen könnten.

Es sei somit das einschreitende Finanzamt Braunau/Ried/Schärding sehr wohl zuständig gewesen, die gegenständlichen Glücksspielapparate zu kontrollieren und in weiterer Folge vorläufig in Beschlag zu nehmen.

Da das Finanzamt Salzburg-Stadt keine Parteistellung im vorliegenden Verfahren erlangt habe, sei dessen Berufung zurückzuweisen gewesen.

Inhaltlich führte die belangte Behörde zur Berufung des Finanzamtes Braunau/Ried/Schärding aus, aus dem Gutachten des allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen B ergäbe sich, dass die verfahrensgegenständlichen Geräte keine Spielentscheidungen mit eigener Software getroffen hätten, sondern die Spielresultate durch ein anderes Gerät generiert worden und an die Spielterminals übertragen worden seien. Die Terminals seien ausschließlich als Eingabe- und Ausgabegeräte verwendet worden.

Die belangte Behörde komme auf Grund dieses Gutachtens zum Schluss, dass es sich bei den beschlagnahmten Geräten um keine Glücksspielautomaten gehandelt habe. Es sei auch keine elektronische Lotterie vorgelegen.

Die Behörde erster Instanz sei mit ihrer rechtlichen Beurteilung bezüglich der (Un)Zulässigkeit der Beschlagnahme nicht im Recht gewesen. Die Beschlagnahme setze nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht voraus, dass zum Zeitpunkt der Beschlagnahme des Apparates die Eigenschaft als Glücksspielautomat zweifelsfrei nachgewiesen sei. Der Verdacht im Sinne des § 53 Abs 1 GSpG beziehe sich vielmehr auf den Umstand, dass mit "Glücksspielautomaten" fortgesetzt in das Glücksspielmonopol eingegriffen worden sei oder werde. Es müsse lediglich der Verdacht der Übertretung des Glücksspielgesetzes bestehen. Auf Grund der vorgefundenen Sachlage sei jedenfalls der Verdacht gegeben gewesen, dass mit den "beschlagnahmten Glücksspielapparaten" fortgesetzt in das Glücksspielmonopol eingegriffen worden sei bzw. werde.

Nach Ausführungen zur funktionellen Zuständigkeit der unabhängigen Verwaltungssenate in Verfahren über Berufungen gegen Beschlagnahmebescheide kam die belangte Behörde zum Schluss, dass sie für die inhaltliche Entscheidung über die Berufung des Finanzamtes Braunau/Ried/Schärding zuständig und im Hinblick auf den als gegeben anzunehmenden Verdacht des fortgesetzten Eingriffes in das Glücksspielmonopol die Beschlagnahme auszusprechen gewesen sei.

1.4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie wegen Nichtigkeit.

1.5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

1.6. Die beschwerdeführende Partei hat eine Äußerung zur Gegenschrift und eine ergänzende Stellungnahme vorgelegt, die belangte Behörde hat auf die Äußerung zur Gegenschrift repliziert.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

2.1. Gemäß § 79 Abs 11 VwGG in der Fassung BGBl I Nr 122/2013 sind, soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) nicht anderes bestimmt ist, in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

2.2. Zum Vorbringen betreffend die Zuständigkeit der eingeschrittenen Finanzämter:

§ 12 Abs 5 AVOG 2010 in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung BGBl I Nr 105/2010 lautet:

"(5) Die zur Aufdeckung einer illegalen Arbeitnehmerbeschäftigung und zur Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen des Glücksspielgesetzes notwendigen Kontroll- und Beweissicherungsmaßnahmen können von allen Finanzämtern vorgenommen werden. In diesen Fällen steht jenem Finanzamt, das die Kontroll- und Beweissicherungsmaßnahmen durchgeführt hat, die Parteistellung in den Verwaltungsstrafverfahren zu, wobei sich dieses Finanzamt zur Wahrnehmung der Parteistellung auch durch Organe anderer Abgabenbehörden vertreten lassen kann."

Wie die belangte Behörde zutreffend hervorgehoben hat, ergibt sich auch aus der Regierungsvorlage zum AVOG 2010, 477 der Beilagen 24. GP, 6 (zu § 12 Abs 2 der Regierungsvorlage, der in dieser Form in die Stammfassung Eingang gefunden hat, mit BGBl. I Nr 34/2010 um den zweiten Satz ergänzt und mit BGBl I Nr 105/2010 inhaltlich unverändert zu § 12 Abs 5 AVOG 2010 wurde), dass nach der vorgeschlagenen Fassung Maßnahmen zur Aufdeckung einer illegalen Arbeitnehmerbeschäftigung und die nach dem Glücksspielgesetz zustehenden Kontrollbefugnisse von allen Finanzämtern ausgeübt werden können sollten. Die Erläuterungen verwiesen ausdrücklich darauf, dass die Regelung § 3 Abs 4 AVOG (in der Fassung vor dem AVOG 2010) entspreche. Nach § 3 Abs 4 AVOG standen die zur Aufdeckung einer illegalen Arbeitnehmerbeschäftigung notwendigen Kontroll- und Beweissicherungsmaßnahmen den Finanzämtern mit allgemeinem Wirkungsbereich "auch außerhalb des jeweiligen örtlichen Zuständigkeitsbereiches" zu. Die Ergänzung des Gesetzes sollte daher offenbar auch die Ausübung der nach dem Glücksspielgesetz zustehenden Kontrollbefugnisse von allen Finanzämtern ungeachtet ihres örtlichen Zuständigkeitsbereiches ermöglichen.

Das Einschreiten der Organe der Finanzpolizei des Finanzamtes Braunau/Ried/Schärding in der Stadt Salzburg erfolgte daher nicht in Überschreitung ihrer Befugnisse nach dem AVOG 2010. Es ist daher im Beschwerdefall nicht näher zu prüfen, welche Auswirkung ein Verstoß gegen die Zuständigkeitsvorschriften des AVOG 2010 auf die Zuständigkeit der Behörde gemäß § 53 GSpG 1989 hätte.

Die belangte Behörde konnte im Hinblick auf § 12 Abs 5 zweiter Satz AVOG 2010 auch zutreffend davon ausgehen, dass dem Finanzamt Braunau/Ried/Schärding Parteistellung im gegenständlichen Beschlagnahmeverfahren zukam.

Die belangte Behörde hat daher zu Recht auf Grund der Berufung des Finanzamtes Braunau/Ried/Schärding in der Sache entschieden (und die Berufung des Finanzamtes Salzburg-Stadt mangels Parteistellung zurückgewiesen).

2.3. Zum unionsrechtlichen Vorbringen:

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 15. Dezember 2014, Ro 2014/17/0121, in einer Angelegenheit nach dem Glücksspielgesetz ausgesprochen, dass das Verwaltungsgericht von Amts wegen wahrzunehmen habe, wenn eine in der österreichischen Rechtsordnung vorgesehene Regelung gegen das Unionsrecht verstoßen sollte und deswegen unangewendet zu bleiben hätte.

Unter Hinweis auf die Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 15. September 2011, Rs C-347/09 (Dickinger und Ömer), und vom 30. April 2014, Rs C- 390/12 (Pfleger), betreffend die unionsrechtliche Zulässigkeit des Glücksspielmonopols kam der Verwaltungsgerichtshof sodann im Erkenntnis vom 29. Mai 2015, Ro 2014/17/0049, im Anschluss insbesondere an das letztgenannte Erkenntnis zum Ergebnis, die Rechtsmittelinstanz habe (jedenfalls dann, wenn entsprechende Anhaltspunkte vorliegen) Feststellungen dazu, ob die Monopolregelung, insbesondere hinsichtlich ihrer tatsächlichen Wirkung, den unionsrechtlichen Vorgaben entspreche, zu treffen. Wäre das Unionsrecht in einem konkreten Fall nicht anwendbar, hätte sich der Unabhängige Verwaltungssenat (bzw nunmehr das Verwaltungsgericht) mit den aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anwendung des § 52 GSpG wegen Inländerdiskriminierung auseinanderzusetzen gehabt (Verweis auf VfGH vom 5. Dezember 2006, G 121/06 ua, sowie OGH vom 17. Februar 2015, 4 Ob 230/14y).

Die belangte Behörde ist durch das Unterlassen geeigneter Feststellungen ihrer Pflicht, die Anwendbarkeit von Unionsrecht im gegenständlichen Fall einerseits und die anzuwendenden Bestimmungen des Glücksspielgesetzes hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit Unionsrecht andererseits vom Amts wegen zu beurteilen, nicht in gesetzmäßiger Weise nachgekommen. Dadurch hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet.

2.4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

2.5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG aF in Verbindung mit § 3 Z 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl II Nr 518/2013, in der Fassung BGBl II Nr 8/2014.

2.6. Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs 2 Z 6 VwGG abgesehen werden. Der Anforderung des Art 6 EMRK und Art 47 Abs 2 GRC wurde im gegenständlichen Fall durch die Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde, einem Tribunal im Sinne der EMRK, genüge getan (vgl hiezu etwa VwGH vom 22. Jänner 2002, 99/09/0094, und die darin angegebene Judikatur, oder vom 29. April 2014, 2010/17/0272).

Wien, am 30. Juni 2015

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