VwGH 2012/11/0001

VwGH2012/11/000126.4.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des C M in W, vertreten durch Dr. Harald Ofner, Dr. Thomas Wagner und Mag. Edda Ofner, Rechtsanwälte in 1160 Wien, Schuhmeierplatz 14, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten vom 15. Juni 2011, Zl. 41.550/450-9/11, betreffend Entschädigung nach dem Verbrechensopfergesetz (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

KOVG 1957 §4 Abs1;
VOG 1972 §1 Abs1;
VwRallg;
KOVG 1957 §4 Abs1;
VOG 1972 §1 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzten.

Begründung

Mit formularmäßigem Schreiben vom 30. April 2010 beantragte der Beschwerdeführer Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form des Ersatzes von Kosten für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung, "der verbrechensbedingten gesetz- und satzungsmäßigen Kostenbeteiligung einschließlich Rezeptgebühren, Verdienstentgang und der orthopädischen Versorgung".

In seinen "Angaben zum Verbrechen" gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, er habe am Morgen des 22. Oktober 2001 seinen Dienst bei der MA 15 in seinem Büro in der Neutorgasse 15 angetreten und sich dann auf den Weg in die Abteilungsleitung, Schottenring 24, gemacht. Da der Lift besetzt/blockiert gewesen sei, habe er sich auf den Stiegen nach unten begeben. Er habe gehört, wie der Lift im obersten Stockwerk gehalten habe, kurz darauf sei hinter ihm jemand rasch die Stiegen hinunter gekommen; plötzlich habe er einen kräftigen Schlag verspürt und sei die Stiegen hinuntergestoßen worden. Er habe sich durch den Stoß nicht mehr fangen können und sei den gesamten Stiegenlauf hinunter gestürzt; dabei sei er zuerst auf Rücken/Wirbelsäule auf die Stiegen aufgeprallt und dann am Ende des Stiegenlaufes mit dem Kopf auf der Frontwand aufgeprallt. Er sei einige Minuten bewusstlos gewesen, habe dann rasende Schmerzen (Wirbelsäule und Kopfschmerzen), Nasenbluten und Blut am Bein gehabt. Er habe um Hilfe gerufen, doch habe ihn niemand gehört. Er habe am stark beschädigten Mobiltelefon den Letztnummernspeicher gedrückt, eine Frau habe Hilfe geschickt, welche ihn in ein Krankenhaus gebracht habe.

Mit Bescheid des Bundessozialamtes vom 15. März 2011 wurde der Antrag des Beschwerdeführers zur Gänze abgewiesen, da unter Berücksichtigung sämtlicher zur Verfügung stehenden Aktenunterlagen und der Beweiswürdigung des vorliegenden Sachverhaltes keine nachvollziehbaren Anhaltspunkte für Fremdverschulden hätten gefunden werden können.

In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, das Bundessozialamt hätte rechtsirrig den im VOG gebrauchten Begriff der "Wahrscheinlichkeit" rechtlich unvertretbar weiter nach oben gerückt. Die Staatsanwaltschaft habe nur anzuklagen, wenn ihrer Ansicht nach eine Verurteilung nahe liege, vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass im vorliegenden Fall "Wahrscheinlichkeit" gegeben sei und "Sicherheit" nicht vom Gesetzgeber gefordert werde. Die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren nur abgebrochen und nicht etwa eingestellt. Aus sämtlichen vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen und der eindeutigen Erklärung von Abteilungsinspektor W. ergebe sich, dass der Beschwerdeführer gestoßen worden sei, der Täter habe nur nicht ausgeforscht und daher auch nicht strafrechtlich verfolgt werden können.

Mit Bescheid vom 15. Juni 2011 wies die Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten die Berufung ab.

Begründend wurde zunächst ausgeführt, in seiner Sachverhaltsdarstellung an das Wachzimmer Innere Stadt vom 29. Jänner 2002 habe der Beschwerdeführer - soweit von Interesse - angegeben, er hätte am 22. Oktober 2001 morgens (ca. um 07:10 Uhr) in den Räumlichkeiten der MA 15 in der Neutorgasse 15 (im Stiegenhaus) auf dem Weg "in die Abteilungsleitung" am Schottenring 24 einen Arbeitsunfall erlitten. Er wäre im Stiegenhaus von hinten angestoßen bzw. über die Stiegen hinunter gestoßen worden. Beim Sturz wäre es insbesondere zu Verletzungen des Schädels/Gehirns, der Wirbelsäule, des Kreuzbeines, des Knies und einer Einblutung in die Ohrspeicheldrüse rechts gekommen. Er wäre nach dem Sturz für einige Minuten bewusstlos (Dauer nicht genau bekannt) gewesen. Der "Unfallverursacher" wäre flüchtig. Auf seine Hilferufe wäre ihm auch sonst niemand zu Hilfe gekommen. Im Schock hätte er dann instinktiv über den Nummernspeicher seines Mobiltelefons einen Taxistandplatz verständigt und versucht, möglichst rasch aus dem Stiegenhaus/Tatort wegzukommen. Von einem netten Herrn wäre ihm zuerst ins Auto und dann weiter ins AKH geholfen worden. An der Abteilung für Unfallchirurgie wäre er erstversorgt worden. Er hätte noch unter massivem Schock die Unfallmeldung ausgefüllt und dabei korrekt den Unfallhergang angegeben. Eine Frau hätte dann das Formular noch auf Vollständigkeit überprüft und ihn gefragt, ob er den Täter gekannt hätte. Er hätte dies wahrheitsgemäß verneint. Die Frau hätte die erforderliche Administration erledigt und ihm auch gesagt, dass der Vorfall weitergemeldet würde. Er wäre nach dem Unfall unter Schock gestanden und sofort im Krankenhaus untersucht und erstversorgt worden.

Der guten Ordnung halber wäre - so der Beschwerdeführer in seiner Sachverhaltsdarstellung - in diesem Zusammenhang noch darauf hinzuweisen, dass es durch Mitarbeiter der MA 15 (D I und D VI) wiederholt zu massiven Drohungen gegen ihn gekommen wäre ("ihn aus der MA 15 zu eliminieren", wenn er diese nicht wieder "freiwillig verlasse"). Er hätte damals diese Drohungen nicht sehr ernst genommen. Diese Aussagen und Drohungen würden jedoch auf den Unfall/Vorfall im Stiegenhaus mit einem flüchtigem Täter, von dem er von hinten über die Stiegen hinuntergestoßen worden wäre, wobei der Verursacher anschließend ohne Erste-Hilfe­ Leistung geflüchtet wäre, ein sehr eigentümliches Licht werfen.

Laut der von der Bundespolizeidirektion Wien am 29. Jänner 2002 aufgenommenen Anzeige habe der Beschwerdeführer - so die Bescheidbegründung weiter - zum Vorfall auszugweise angegeben, er wäre bei der MA 15, in Wien 1., Neutorgasse 15 angestellt. Sein Büro befände sich im 5. Stock. Am 22. Oktober 2001 um 07:10 Uhr, hätte er einen Amtsweg nach Wien 1., Schottenring 24, zur Abteilungsleitung gehabt. Als er das Stiegenhaus hinuntergegangen wäre (1. Etage), hätte ihm eine unbekannte Person von hinten einen Stoß (Schlag gegen die Rippen) gegeben, wobei er zu Sturz gekommen wäre. Er wäre für einige Minuten bewusstlos gewesen. Auf seine Hilferufe wäre ihm niemand zu Hilfe gekommen. Er hätte eine eingespeicherte Nummer (Taxinummer) gewählt, sich aus dem Gebäude geschleppt und wäre mit dem Taxi ins AKH gefahren. Einen "Täterschaftsverdacht" hätte er nicht. Er hätte aber immer wieder Drohungen erhalten, dass er seine Stelle in der MA 15 verlassen sollte, ansonsten würde dafür gesorgt, dass er "eliminiert" würde.

Begründend führte die Bundesberufungskommission weiter aus, in der vom Beschwerdeführer während des Berufungsverfahrens vorgelegten Erklärung an Eides statt vom 14. Dezember 2010 habe dieser zu den Geschehnissen am 22. Oktober 2001 auszugsweise angegeben, der Aufzug wäre leider blockiert bzw. besetzt gewesen, deshalb hätte er den Stiegenabgang genommen. Beim Hinuntergehen auf den Stiegen wäre er "plötzlich und unerwartet von einer kräftigen und großen Person von hinten dermaßen heftig mit einem Stoß über die Stiegen hinuntergestoßen" worden, dass er zuerst auf der Wirbelsäule, dann in weiterer Folge mit dem Schädel an der Stirnwand des Stiegenlaufes aufgeprallt und mehrere Minuten bewusstlos gewesen wäre. Im Amtsgebäude Neutorgasse 15 (Dienststelle/Büro im obersten Stockwerk), wären nur wenige Dienststellen untergebracht und nur wenige Beamte/Mitarbeiter tätig gewesen. Der Anschlag hätte sich vor dem allgemeinen Dienstbeginn ereignet, wobei viele Bedienstete auch später gekommen wären. Dadurch, dass er "Überstunden/Personalzulage" gehabt hätte und bereits um halb 8 Uhr in der Abteilungsleitung hätte sein müssen, wäre er bereits um dreiviertel 7 Uhr im Büro gewesen. Im Haus hätte es damals praktisch fast keinen Parteienverkehr gegeben, "heute" hingegen eine andere Nutzung. Es handelte sich um ein altes historisches Gebäude, in dem ehemalige Privatwohnungen als Büros genutzt würden. Vom großen Stiegenhaus aus betrachtet lägen mehrere massive Türen und Gänge zwischen den Büros und dem Stiegenhaus. Man beträte jede Etage durch diese massiven Türen und fände einen langen Gang vor, von diesem gelangte man erst in einen Vorraum, von dem wiederum kleine Vorräume zu den straßenseitig ausgerichteten Zimmern führten, hier befänden sich jeweils 2 bis 3 Türen zusätzlich (schalldämmend) noch dazwischen. Dies erklärte, warum selbst bei Tag leider kaum jemand seine Hilferufe hätte hören können, außer er hätte sich gerade im Stiegenhaus befunden. Hinzu käme noch die frühe Uhrzeit, die meisten wären später gekommen, dadurch wäre "auch diese Chance leider sehr gering" gewesen. Da die Person, die ihn von hinten hinuntergestoßen hätte, seinen Sturz hätte mitbekommen müssen und dennoch ohne Hilfe zu leisten geflüchtet wäre, so müsste er annehmen, dass die Handlung mit voller Absicht, also vorsätzlich stattgefunden hätte.

Mit den eidesstattlichen Erklärungen vom 27. Dezember 2010 und vom 14. Dezember 2010 seien, so die Berufungskommission weiter, von Frau H. und Herrn M., dem Vater des Beschwerdeführers, im Wesentlichen die Angaben des Beschwerdeführers sowohl betreffend die Probleme im Rahmen des Dienstverhältnisses bei der MA 15 als auch die diesbezüglichen Drohungen bestätigt worden. Von den Geschehnissen am 22. Oktober 2001 wäre diesen Erklärungen zufolge vom Beschwerdeführer glaubhaft berichtet worden. In den Stellungnahmen vom 29. Juni 2010 und vom 9. Oktober 2010 sei von Dr. F. und Dr. G. die Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers bestätigt worden.

Im neurologischen fachärztlichen Gutachten vom 23. Dezember 2005 werde von Dr. G. zur Frage der Differenzierung der Folgen eines früheren Unfalles des Beschwerdeführers am 23. September 1995 und des in Rede stehenden zweiten Unfalles am 22. Oktober 2001 im Wesentlichen festgestellt, dass durch den Unfall im Oktober 2001 eine zusätzliche Hirnverletzung entstanden wäre, die das Frontalhirn, aber auch fronto-parietale Regionen sowie Temporallappen getroffen hätte und zu einer deutlichen Zunahme der Beschwerden mit nachweisbaren zusätzlichen klinischen Ausfällen geführt hätte. Die spezifischen Ausfälle durch die neuerliche Hirnverletzung wären sowohl klinisch-neurologisch als auch im EEG und auch im cerebralen MRI nachweisbar und würden durch den neuro-psychodiagnostischen Befund bestätigt. Bei dem Unfall Oktober 2001 wäre es außerdem zu einer schweren Verletzung im unteren Wirbelsäulenbereich gekommen, mit gleichzeitigem Schleudertrauma der Halswirbelsäule und der Brustwirbelsäule. Es hätten sich entsprechende Beschwerden im Rahmen eines oberen Cervikalsyndroms sowie einer pseudo-radikulären Symptomatik C7 und C8 eingestellt, eine Dorsalgie mit pseudo-radikulären Beschwerden D7 und 08 wäre aufgetreten, und es wäre zu ausgeprägten radikulären Ausfällen L5 und S1 und einer Verstärkung der vorbestandenen Cauda-Symptomatik gekommen. Die Veränderungen und Beschwerden von Seiten der Wirbelsäule wären durch cervikothorakale und das lumbale MRI sowie im Röntgen bestätigt worden.

In dem (im Zuge eines Kündigungsverfahrens erstatteten) neuropsychiatrischen fachärztlichen Gutachten vom 23. März 2006 werde von Dr. S., die gemeint hätte, sich zum objektiven Wahrheitsgehalt der Schilderungen des Beschwerdeführers nicht äußern zu können, im Wesentlichen festgestellt, die Untersuchung hätte kein Vorliegen einer schweren psychischen Erkrankung im Sinne eines psychotischen Geschehens oder einer Erkrankung des manisch-depressiven Formenkreises ergeben. Des Weiteren hätten sich keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung gefunden. Einige Symptome und die vorbestehenden Arbeitsunfälle sprächen für das Vorliegen eines leichten organischen Psychosyndroms. Beginn und Verlauf der "Berufsprobleme" des Beschwerdeführers zeigten eindeutige Merkmale von idealtypischen Mobbingverläufen.

Laut einem Bericht der Bundespolizeidirektion Wien vom 22. März 2002 wären trotz umfangreichster Ermittlungen und Erhebungen keine weiteren Anhaltspunkte oder Hinweise erhalten worden, mit deren Hilfe eine Aufklärung des Sachverhaltes (Verdacht der schweren Körperverletzung und gefährlichen Drohung zum Nachteil des Beschwerdeführers) möglich gewesen wäre. Sämtliche angestellten Erhebungen wären ohne Erfolg verlaufen. Das Verfahren wäre nach telefonischer Auskunft der Staatsanwaltschaft Wien am 17. Mai 2002 abgebrochen worden.

Auf Ersuchen des Bundessozialamtes habe Herr W. vom LKA Wien mit Schreiben vom 11. Februar 2011 auszugsweise angegeben, der Beschwerdeführer hätte Anzeige gegen unbekannte Täter wegen Verdacht der gefährlichen Drohung und Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen erstattet. Er hätte angegeben, dass er am 22. Oktober 2001 gegen 07:10 Uhr im Hause seines Arbeitsplatzes in der MA 15 in Wien 1., Neutorgasse Nr. 15, beim Verlassen des Gebäudes im Stiegenhaus von hinten von einem Unbekannten einen heftigen Stoß versetzt bekommen hätte. Durch diesen Stoß wäre der Beschwerdeführer über die Stiegen gestürzt und hätte sich die nun bekannten schweren Verletzungen zugezogen. Der Beschwerdeführer hätte laut W. weiters angegeben, dass er aufgrund seiner Stellung in seiner Dienststelle offenbar beneidet worden wäre und bereits öfter telefonische Drohungen gegen seine Person erhalten hätte. Konkret hätte es den Angaben des Beschwerdeführers zufolge mit zwei Personen Probleme gegeben, weil es um die Nachbesetzung einer Führungsstelle gegangen wäre, "auf die er gute Chancen zur Besetzung" gehabt hätte. Im Zuge der darauf angestellten Erhebungen wären auch die beiden genannten Personen niederschriftlich einvernommen worden. Sämtliche Erhebungen wären ohne Erfolg verlaufen, es wäre nicht gelungen, den oder die unbekannten Täter zu ermitteln. An die Staatsanwaltschaft wäre Anzeige erstattet worden.

Nach Wiedergabe der maßgeblichen Rechtsvorschriften führte die Bundesberufungskommission schließlich aus, es sei glaubhaft, dass der Beschwerdeführer davon überzeugt sei, am 22. Oktober 2001 von hinten über die Stufen gestoßen worden zu sein. Auch hätten der Vater des Beschwerdeführers, Frau H., Dr. G., und Dr. F. schlüssig begründet, warum sie die Angaben des Beschwerdeführers nicht in Zweifel zögen. Die sehr belastende Situation im Rahmen des Dienstverhältnisses bei der MA 15 sei durch das Kündigungsverfahren nachvollziehbar; von Dr. S. werde ausführlich dargelegt, dass Beginn und Verlauf der "Berufsprobleme" des Beschwerdeführers eindeutige Merkmale von idealtypischen Mobbingverläufen zeigten. Vor diesem Hintergrund scheine zwar die Überzeugung des Beschwerdeführers verständlich, diese werde jedoch durch keine objektiven Anhaltspunkte bekräftigt. Der Beschwerdeführer widerspreche sich auch, indem er angebe, von einem Unbekannten plötzlich und unerwartet von hinten gestoßen worden zu sein, aber eine kräftige und große Person gesehen haben wolle.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei für die Auslegung des Begriffes "wahrscheinlich" der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend. Wahrscheinlichkeit sei gegeben, wenn erheblich mehr für als gegen das Vorliegen der Voraussetzung gemäß § 1 Abs. 1 Z 1 VOG spreche.

Diesen Grad der geforderten Wahrscheinlichkeit hätten die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nicht begründen können. Dass das Vorliegen einer Handlung gemäß § 1 Abs. 1 Z 1 VOG nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden könne, also grundsätzlich die Möglichkeit dafür bestehe, reiche für die Anerkennung nicht aus. Die Folgen objektiver Beweislosigkeit oder der Unmöglichkeit, entscheidungsrelevante Tatsachen festzustellen, seien - auch bei amtswegiger Ermittlungspflicht - von dem zu tragen, der aus der Sache ein Recht herleiten wolle. Die Wahrscheinlichkeit gelte für Tatbestandsmäßigkeit (Voraussetzung der tatbildmäßigen Handlung) und Kausalität (ursächlicher Zusammenhang der Gesundheitsschädigung mit dieser Handlung) gleichermaßen. Das VOG knüpfe den Anspruch des Geschädigten an das Vorliegen einer vorsätzlichen Handlung.

Hilfe gemäß § 1 Abs. 2 VOG sei zwar auch dann zu leisten, wenn der Täter nicht bekannt sei, Anhaltspunkte oder Hinweise für ein vorsätzliches Fremdverschulden hätten jedoch nicht ermittelt werden können. Sämtliche Erhebungen der Exekutive seien ohne Erfolg verlaufen.

Drohungen und Mobbing gegen den Beschwerdeführer ließen nicht zwingend auf das angeschuldigte Geschehen schließen. Die objektivierten, auf den Vorfall vom 22. Oktober 2001 zurückzuführenden Gesundheitsschädigungen könnten auch mit einem Sturz ohne Fremdeinwirkung in Einklang gebracht werden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof, in der für den Fall der Abtretung die Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof bereits ausgeführt war. Nachdem der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 29. November 2011, B 923/11-3, abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hatte, legte die belangte Behörde nach Einleitung des Vorverfahrens die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Der Beschwerdeführer hat auf diese Gegenschrift repliziert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1.1. § 1 VOG in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2010 lautet (auszugsweise):

"Artikel II

Kreis der Anspruchsberechtigten

§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1. durch eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder

2. …

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. …

(2) Hilfe ist auch dann zu leisten, wenn

1. die mit Strafe bedrohte Handlung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen worden ist oder der Täter in entschuldigendem Notstand gehandelt hat,

2. die strafgerichtliche Verfolgung des Täters wegen seines Todes, wegen Verjährung oder aus einem anderen Grund unzulässig ist oder

3. der Täter nicht bekannt ist oder wegen seiner Abwesenheit nicht verfolgt werden kann.

…"

1.2. Die Materialien zur Stammfassung des § 1 VOG, BGBl. Nr. 288/1972, GP XIII RV 40. S.8, lautet (auszugsweise):

"…

Ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfeleistungen im Einzelfall gegeben sind, soll möglichst ohne ein aufwendiges Beweisverfahren festgestellt werden. Der Entwurf bestimmt daher, daß sich das zur Gewährung von Hilfeleistungen berufene Organ mit der Feststellung der Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Voraussetzungen begnügen darf. Eine ähnliche Regelung befindet sich im § 4 das Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, das ebenfalls die Versorgung von der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zwischen der Gesundheitsschädigung und dem schädigenden Ereignis abhängig macht.

…"

2. Die Beschwerde ist im Ergebnis unbegründet.

2.1. Außer Streit steht im Beschwerdefall, dass der Beschwerdeführer beim Vorfall vom 22. Oktober 2001 die im Gutachten Dris. G vom 23. Dezember 2005 objektivierten Gesundheitsschädigungen erlitten hat.

Strittig ist einzig die Frage, ob diese Gesundheitsschädigungen mit Wahrscheinlichkeit iSd. § 1 Abs. 1 VOG durch eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung hervorgerufen wurde. Die belangte Behörde verneint, dass es ausreichend wahrscheinlich sei, dass die Gesundheitsschädigung mit Vorsatz hervorgerufen wurde.

2.2.1. Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen vor, die belangte Behörde lege den Begriff der "Wahrscheinlichkeit" unzutreffend aus, da Wahrscheinlichkeit schon dann gegeben sei, wenn mehr als 50% für das Vorliegen der Voraussetzungen sprächen. Eine erhebliche Überschreitung der 50%-Marke sei nicht gefordert. Sowohl die Stellungnahme des Abteilungsinspektors W. als auch die eiddesstattlichen Erklärungen sowie der Abbruch des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft sprechen zumindest für die geforderte Wahrscheinlichkeit. Es sei nicht strittig, dass eine Straftat begangen worden sei, sondern nur von wem.

Mit diesem Vorbringen wird keine zur Aufhebung führende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufgezeigt.

2.2.2. Zunächst ist festzuhalten, dass es im Lichte der oben (Pkt. 1.2.) wiedergegebenen Gesetzesmaterialien zum VOG, die auf das Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 (KOVG) verweisen, nicht rechtswidrig ist, wenn sich die belangte Behörde auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum KVOG beruft und davon ausgeht, dass eine ausreichende Wahrscheinlichkeit iSd. § 1 Abs. 1 VOG erst gegeben ist, wenn erheblich mehr für als gegen das Vorliegen einer Vorsatztat spricht (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 2005, Zl. 2002/09/0132, zu § 4 Abs. 1 KVOG, demzufolge "Wahrscheinlichkeit" dafür, dass die festgestellte Gesundheitsschädigung auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist, dann gegeben ist, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht).

Die belangte Behörde hat in der Bescheidbegründung die aus dem Verwaltungsakt ersichtlichen, zu unterschiedlichen Zeiten seit dem Vorfall am 22. Oktober 2001 stammenden Angaben des Beschwerdeführers wiedergegeben. Aus diesen geht hervor, dass der Beschwerdeführer in seiner ursprünglichen Sachverhaltsdarstellung vom 29. Jänner 2002 angegeben hat, "im Stiegenhaus von hinten angestoßen bzw. über die Stiegen hinuntergestoßen" worden zu sein. In der Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien vom selben Tag ist davon die Rede, dass dem Beschwerdeführer "eine unbekannte Person von hinten einen Stoß (Schlag gegen die Rippen" gegeben hätte, wobei er zu Sturz gekommen wäre. In seiner eidesstattlichen Erklärung ist erstmals davon die Rede, dass der Beschwerdeführer "plötzlich und unerwartet von einer kräftigen und großen Person von hinten dermaßen heftig mit einem Stoß über die Stiegen hinuntergestoßen" worden wäre, dass er zuerst mit der Wirbelsäule und danach mit dem Kopf aufgeprallt wäre.

Angesichts dieser in ihrer Detailliertheit gesteigerten Angaben ist es vor dem Hintergrund der dem Verwaltungsgerichtshof zustehenden Kontrolle der behördlichen Beweiswürdigung nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde es zwar als erwiesen ansah, dass der Beschwerdeführer davon überzeugt sei, am 22. Oktober 2001 von hinten über die Stufen gestoßen worden zu sein, dass sie jedoch zum Ergebnis gelangte, dass nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer, der nach seinen ursprünglichen Angaben aus der Zeit nach dem Unfall mehrere Stockwerke im Stiegenhaus des Dienstgebäudes abwärts gegangen war, ohne jemanden hinter sich gehört zu haben, von einer Person vorsätzlich - also zumindest die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbildes der Körperverletzung ernstlich für möglich haltend und sich mit ihr abgefunden habend - hinuntergestoßen worden ist. Auch die von der belangten Behörde nicht in Abrede gestellten Drohanrufe ändern an dieser Einschätzung nichts, ergibt sich doch aus der erwähnten eidesstattlichen Erklärung des Beschwerdeführers, dass er selbst, soweit von "Eliminieren" die Rede war, dies als Entfernung von seiner Arbeitsstätte verstanden hat.

Dass dritte Personen die Angaben des Beschwerdeführers für glaubwürdig gehalten haben, steht der Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht entgegen.

Auch in der Unterlassung einer Einvernahme des Kriminalpolizisten W. ist kein relevanter Verfahrensmangel zu erblicken, weil aus dessen schriftlicher Stellungnahme, die die belangte Behörde wiedergegeben hat, keine andere Bewertung des in Rede stehenden Vorfalls hervorgeht. Dass die Einvernahme von zwei Personen, die den Beschwerdeführer nach dessen Angaben aufgrund seiner Stellung in der MA 15 beneidet hätten, keine Hinweise auf einen oder mehrere konkreten Täter erbracht haben, spricht ebenfalls nicht gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde.

2.3. Die Abweisung der Anträge des Beschwerdeführers auf Hilfeleistung nach dem VOG kann aus diesen Erwägungen nicht als rechtswidrig erkannt werden, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 26. April 2013

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