VwGH 2012/09/0132

VwGH2012/09/013225.6.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Doblinger und Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des D P in G, vertreten durch Dr. Johannes Hochleitner und Mag. Christian Kieberger, Rechtsanwälte in 4320 Perg, Linzer Straße 14, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom 11. Juli 2012, Zl. BMASK- 41550/244-IV/9/2012, betreffend Beschädigtenrente nach dem Heeresversorgungsgesetz, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
AVG §52;
HVG §1 idF 2002/I/150;
HVG §2 Abs1 idF 1993/110;
HVG §21 Abs1 idF 2006/I/116;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
HVG §1 idF 2002/I/150;
HVG §2 Abs1 idF 1993/110;
HVG §21 Abs1 idF 2006/I/116;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der im Jahr 1991 geborene Beschwerdeführer leistete vom 4. Oktober 2010 bis 3. April 2011 den ordentlichen Präsenzdienst beim Bundesheer.

Am 28. März 2011 stellte er einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenrente nach dem HVG und brachte dazu - mit Ergänzungen vom 20. April 2011 - vor, am 20. Oktober 2011 beim Scharfschießen durch Verrutschen des Gehörschutzes am linken Ohr ein Knalltrauma und einen daraus resultierenden Tinnitus erlitten zu haben; es handle sich dabei um einen durchgehenden Pfeifton, der in ruhigen Umgebungen sehr störend sei.

Mit Bescheid des Bundessozialamtes vom 19. Jänner 2012 wurde nach Einholung eines Gutachtens eines HNO-Sachverständigen die Gesundheitsschädigung "Zustand nach Lärmtrauma bei Tinnitus links" als Dienstbeschädigung nach § 2 Abs. 1 HVG anerkannt; der Anspruch auf Zuerkennung einer Beschädigtenrente wurde gemäß § 21 HVG abgelehnt, weil nach dem ärztlichen Gutachten die Gesundheitsschädigung eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 10 v. H. vorliege und somit die erforderliche Untergrenze von mindestens 20 v. H. nicht erreicht werde.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wendete der Beschwerdeführer ein, dass auf Basis der festgestellten Dienstbeschädigung eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von zumindest 50 % gegeben und ihm deshalb eine Beschädigtenrente zuzuerkennen sei. Dazu führte er aus, nach wie vor unter dem Tinnitus zu leiden; es sei ihm durch die dadurch gegebene permanente Beeinträchtigung nur unter außerordentlicher Anstrengung möglich, seinen Beruf als Softwareentwickler auszuüben, außerdem leide er an Schlafstörungen und wäre auch im Privatbereich erheblich eingeschränkt, zumal er zur Vermeidung einer weiteren Verschlechterung des Tinnitus ständig (auch nur bei geringfügig "lauteren Tätigkeiten") einen Gehörschutz tragen müsse.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde - nach Einholung eines weiteren Gutachtens eines HNO-Sachverständigen - der Berufung keine Folge gegeben und den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass die anerkannte Dienstbeschädigung als "Chronischer kompensierter Tinnitus links" zu bezeichnen sei.

In ihrer Bescheidbegründung gab die belangte Behörde - neben zusammengefasster Darlegung des Verfahrensganges - auszugsweise das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten Dris. L, worin dieser einen "chronischen kompensierten Tinnitus links" als Dienstbeschädigung nach § 2 HVG mit einer MdE gemäß § 21 HVG von 10% "feststellte" und der Position 640 in den Richtsätzen zu § 21 HVG zuordnete, wie folgt wieder (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof):

"Status (auszugsweise):

Ohren: äußere Anteile unauffällig, beide Trommelfelle bei der Untersuchung mit dem Ohrmikroskop normal, grau, glänzend.

Gehör: Weber nicht lateralisiert, Rinne beidseits positiv.

Tympanometrie: Normalverlauf der Compliancekurven beidseits.

Tonaudiometrie: Normalverlauf der Hörschwellenkurve beidseits zwischen 10 und 20 dB. Die Unbehaglichkeitsschwelle wird beidseits bei etwa 70 dB angegeben.

Der Tinnitus links wird als Ton von 2 kHz 5 dB überschwellig angegeben.

Auf die Sprachaudiometrie wird im Hinblick auf das normale Tonaudiogramm und die fehlenden Beschwerden verzichtet.

Es besteht beidseits Normalgehör.

Beurteilung:

Der Tinnitus wird bezüglich Verlauf, Qualität und Quantität typisch geschildert, ist daher nachvollziehbar. Vollkausalität kann angenommen werden, da einerseits kein anderes Ereignis als Ursache für das akute Auftreten eines Tinnitus erkennbar ist, andererseits Gewehrschüsse ein adäquates Ereignis für das Erleiden eines Knalltraumas darstellen.

Die Einschätzung erfolgt in Anlehnung an Position 640 wegen der Einseitigkeit des Tinnitus mit dem oberen Rahmensatz bei Normalgehör. Die Einschätzung nach Position 641 oder 642 kommt nicht in Frage, weil eben keine Hörstörung vorliegt, nach Position 643 nicht, weil keine Beidseitigkeit vorliegt. Diese Einschätzung ist ab 20.10.2010 vorzunehmen.

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) gemäß § 21 HVG

beträgt zehn (10) vH.

Stellungnahmen zu den Einwendungen:

Nach den Richtsätzen für die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) gemäß § 7 KOVG 1965 ist eine höhere Einschätzung von einseitigem Tinnitus bei Normalgehör von HNO-Seite nicht vorgesehen. Zudem ist der Tinnitus als kompensiert anzusehen.

Konzentrationsstörungen, Schlafstörung, Einschränkung im Privatbereich und Geräuschempfindlichkeit werden vom Berufungswerber berichtet und sind in der MdE von 10% berücksichtigt.

Stellungnahme zum Gutachten der ersten Instanz:

Im erstinstanzlichen Gutachten Dris. (M) erfolgt die Einschätzung nach Position 643 aufgrund eines minimalen Hochtonschadens (35 dB bei 8 kHz) beidseits, dieser Hochtonschaden ist bei der aktuellen Untersuchung nicht nachweisbar, weshalb wegen der Einseitigkeit des kausalen Tinnitus die Einschätzung in Anlehnung an Position 640 erfolgt. An der Einschätzung der MdE ändert sich jedoch nichts."

Die belangte Behörde setzte neben Zitierung der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen fort:

"Im ärztlichen Sachverständigengutachten von Dr. (L) wird ausführlich und nachvollziehbar ausgeführt, dass eine dem Leidenszustand entsprechende Einstufung gewählt wurde. Überdies ist der Tinnitus als kompensiert anzusehen. Es wurde auf die Art des Leidens und dessen Ausmaß ausführlich eingegangen. Die getroffene Einschätzung, basierend auf dem im Rahmen persönlicher Untersuchung erhobenen Befund, entspricht den festgestellten Funktionseinschränkungen.

Die Angaben des Berufungswerbers konnten nicht über den erstellten Befund hinaus objektiviert werden. Auch wurde im bekämpften Verfahren ein HNO-Fachgutachten eingeholt, welches im Ergebnis mit dem neuerlich erstellten Sachverständigengutachten übereinstimmt,

Die erhobenen Einwände waren somit nicht geeignet, das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zu entkräften. Seitens des medizinischen Sachverständigen wurde ausführlich auf das Vorbringen eingegangen und übereinstimmend und schlüssig dargelegt, warum keine höhere Einstufung zur Anwendung kommen kann. Die Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen und Geräuschempfindlichkeit sind in der Beurteilung mitberücksichtigt.

Bezüglich des Einwandes, dass für die Erkrankung keine Richtsätze festgesetzt seien, wird Folgendes festgestellt:

Zwar ist für die Einschätzung eines Tinnitusleidens keine eigene Richtsatzposition vorgesehen, unter Hinweis auf § 1 Abs. 2 der Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965, BGBl. Nr. 150/1965, über die Richtsätze für die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Vorschriften des KOVG 1957 wurde jedoch die Richtsatzposition 640 im Sinne eines gleichzuachtenden Zustandes herangezogen, da durch die darin vorgesehene Rahmensatzbegründung eine Anwendung für Ohrgeräusche ermöglicht wird. Andere Einstufungskriterien sind für die gegenständliche Entscheidung nicht anwendbar.

Die Beurteilung der Höhe der MdE im Rahmen des Heeresversorgungsgesetzes erfolgt nach rein medizinischen Gesichtspunkten und beurteilt nur die körperliche Beeinträchtigung im Hinblick auf das allgemeine Erwerbsleben. Eine Beurteilung der Beeinträchtigung individueller Natur und im speziellen Berufsleben ist im Rahmen des HVG nicht vorgesehen.

Das eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten wurde als vollständig, schlüssig und in sich widerspruchsfrei erkannt. Es wird daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.

Da eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von zehn (10) vH festgestellt wurde, liegen die Voraussetzungen für den Bezug einer Beschädigtenrente nicht vor."

Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Beschwerde nach Aktenvorlage sowie Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Nach § 1 des Heeresversorgungsgesetzes (HVG), BGBl. Nr. 27/1964 idF BGBl. I Nr. 150/2002, ist eine Gesundheitsschädigung, die ein Soldat infolge des Präsenz- oder Ausbildungsdienstes, einschließlich einer beruflichen Bildung freiwillig im verlängerten Grundwehrdienst oder im Wehrdienst als Zeitsoldat, erlitten hat, nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes als Dienstbeschädigung zu entschädigen.

Gemäß § 2 Abs. 1 leg. cit. in der Fassung BGBl. Nr. 110/1993, ist eine Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung im Sinne des § 1 anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist.

Nach § 21 Abs. 1 HVG, in der Fassung BGBl. I Nr. 116/2006, hat der Beschädigte Anspruch auf Beschädigtenrente, wenn seine Erwerbsfähigkeit infolge der Dienstbeschädigung über drei Monate nach dem Eintritt der Gesundheitsschädigung (§ 2) hinaus um mindestens 20 v.H. vermindert ist; die Beschädigtenrente gebührt für die Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 v. H.. Unter Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die durch Dienstbeschädigung bewirkte körperliche Beeinträchtigung im Hinblick auf das allgemeine Erwerbsleben zu verstehen.

Nach Abs. 2 dieser Bestimmung ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des Abs. 1 nach Richtsätzen einzuschätzen, die den wissenschaftlichen Erfahrungen entsprechen. Diese Richtsätze sind durch den Bundesminister für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Landesverteidigung nach Anhörung des Bundesbehindertenbeirates (§§ 8 bis 13 des Bundesbehindertengesetzes, BGBl. Nr. 283/1990) durch Verordnung aufzustellen.

Gemäß § 1 Abs. 1 der Verordnung des Bundesministeriums für Soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965 über die Richtsätze für die Einschätzung der M.d.E. nach den Vorschriften des Heeresversorgungsgesetzes, BGBl. Nr. 151, sind bei der Einschätzung gemäß § 21 Abs. 1 HVG die Richtsätze der Anlage zur Verordnung des Bundesministeriums für Soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965, BGBl. Nr. 150, anzuwenden.

§ 2 der genannten Verordnung lautet:

"§ 2. (1) Bei der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit dürfen weder die festen Sätze noch die Rahmensätze unterschritten oder überschritten werden. Soweit in der Anlage nicht anderes bestimmt ist, hat sich die Festsetzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit innerhalb eines Rahmensatzes nach der Schwere des Leidenszustandes zu richten, für den der Rahmensatz aufgestellt ist. Das Ergebnis einer Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist im Bescheid über den Anspruch auf Beschädigtenrente jedenfalls auch in medizinischer Hinsicht zu begründen.

(2) Sofern für ein Leiden mehrere nach dessen Schwere abgestufte Richtsätze festgesetzt sind, kann die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit auch in einem Hundertsatze festgestellt werden, der zwischen diesen Stufen liegt. Diesfalls ist das Ergebnis der Einschätzung im Bescheid über den Anspruch auf Beschädigtenrente jedenfalls auch in medizinischer Hinsicht zu begründen."

In Abschnitt VII ("Ohren-, Nasen- und Halserkrankungen") der

angeführten Anlage ist u.a. Folgendes vorgesehen:

 

"MdE

 

in Hundertsätzen

a) Gehör- und Gleichgewichtsorgan:

Verminderung der Hörschärfe:

Einseitige Schwerhörigkeit bei funktionstüchtigem

anderem Ohr und ohne sonstige Komplikationen

(Geräusche, Eiterung, Gleichgewichtsstörungen usw.):

640.

Laute Umgangssprache 4 m bis 2 m …………………….

0 - 10

641.

Laute Umgangssprache 2 m bis 1 m ……………………..

10 - 15

642.

Laute Umgangssprache unter 1 m bis Taubheit ………….

15 - 20

643.

Beidseitige Schwerhörigkeit ist ….einzuschätzen: …"

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes macht das HVG die Gewährung von Versorgungsleistungen über die Gesundheitsschädigungen davon abhängig, dass das schädigende Ereignis oder die mit den der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse mit der Gesundheitsschädigung in ursächlichem Zusammenhang (Kausalzusammenhang) stehen. Die Zurechnung eines schädigenden Ereignisses oder der mit den der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnissen hat (auch im Bereich der Heeresversorgung) nach der sogenannten Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung zu erfolgen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. April 2004, Zl. 2001/09/0007).

Die rechtliche Beurteilung des ursächlichen Zusammenhanges zwischen einem schädigenden Ereignis oder den der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnissen und einer Gesundheitsschädigung im Sinne des § 2 Abs. 1 erster Satz HVG setzt voraus, dass der Kausalzusammenhang im medizinisch-naturwissenschaftlichen Sinn in dem durch § 86 HVG geregelten Verfahren geklärt wird und allenfalls strittige Tatsachen im Zusammenhang mit der Wehrdienstleistung bzw. dem schädigenden Ereignis und der Krankheitsvorgeschichte von der Behörde ermittelt und festgestellt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2012, Zl. 2010/09/0207, mwN).

Der Erlassung eines Bescheides hat gemäß § 56 des auch im Verfahren nach dem Heeresversorgungsgesetz (§ 82 Abs. 1) geltenden AVG grundsätzlich die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes nach den Vorschriften der §§ 37 und 39 dieses Gesetzes voranzugehen. Zweck des Ermittlungsverfahrens ist es nach § 37 AVG, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Nach der Anordnung des § 58 Abs. 2 AVG sind Bescheide zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen wird. In der Begründung sind gemäß § 60 AVG - der nach § 67 AVG auch für Berufungsbescheide gilt - die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 7. Mai 1996, Zl. 95/09/0178, und vom 27. Juni 1995, Zl. 92/07/0184).

Die genannte Zusammenfassung wird in Bezug auf die Beweiswürdigung kurz ausfallen können, wenn keine einander widersprechenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vorliegen. Bei Widersprüchen zwischen den Behauptungen und Angaben der Verfahrenspartei und sonstigen Ermittlungsergebnissen bedarf es aber einer klaren und übersichtlichen Zusammenfassung der maßgeblichen, bei der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen, damit der Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung der Behörde auf ihre inhaltliche Rechtmäßigkeit überprüfen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 2005, Zl. 2002/08/0106). Nicht oder unzureichend begründete Bescheide hindern insoweit den Verwaltungsgerichtshof, seiner Rechtskontrollaufgabe, wie sie im § 41 Abs. 1 VwGG zum Ausdruck kommt, zu entsprechen, als derartige Bescheide inhaltlich auch keine Überprüfung "auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes" zulassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2004, Zl. 2001/08/0020).

Dem Gutachten eines Sachverständigen kann auch ohne Gegengutachten in der Weise entgegen getreten werden, als die Parteien Unschlüssigkeiten oder Unvollständigkeiten des Gutachtens aufzeigen. Die Behörde hat ein Gutachten auf seine Vollständigkeit (also, ob es Befund und Gutachten im engeren Sinn enthält) und Schlüssigkeit zu überprüfen. Ob die Behörde einen weiteren Sachverständigen für notwendig hält, ist von ihr selbst zu beurteilen. Wenn allerdings das bereits vorliegende Gutachten nicht vollständig oder nicht schlüssig wäre, müsste von Amts wegen ein anderer Sachverständiger herangezogen werden (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 9. Dezember 2010, Zl. 2010/09/0166).

Diesen Erfordernissen hält der angefochtene Bescheid nicht stand, zumal es die belangte Behörde verabsäumt darzulegen, auf Grund welcher Umstände der Sachverständige Dr. L, auf dessen Gutachten sich die Berufungsbehörde stützt, den zuerkannten chronischen Tinnitus als "kompensiert" erachtet, d.h. dass die auftretenden Störgeräusche den Alltag des Patienten nicht beeinträchtigen (würden). Es fehlt in der Bescheidbegründung auch eine nachvollziehbare beweiswürdigende Auseinandersetzung mit dem dazu gegensätzlichen Vorbringen des Beschwerdeführers, der vor allem auch das Vorliegen von aus dieser Geräuschbeeinträchtigung resultierenden relevanten Konzentrationsstörungen behauptet. Entgegen den Ausführungen in der Bescheidbegründung ist der Sachverständige (auch) nicht "ausführlich auf das Vorbringen eingegangenen", sondern hat im Gutachten zu den Einwendungen des Beschwerdeführers unsubstanziiert nur ausführt, dass "der Tinnitus als kompensiert anzusehen ist".

Außerdem sind von der vom Sachverständigen Dr. L zur Einschätzung gemäß § 21 HVG herangezogenen Position 640 aus der Anlage zur Verordnung des Bundesministeriums für Soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965, BGBl. Nr. 150, lediglich Verminderungen der Hörschärfe auf Grund "einseitiger Schwerhörigkeit bei funktionstüchtigem anderem Ohr und ohne sonstige Komplikationen" umfasst; das Vorliegen einer Hörstörung wird aber gerade vom HNO-Sachverständigen zur Verneinung der (erstinstanzlichen) Einschätzung nach Position 641 bzw. 642 ausgeschlossen. Damit verlagerte sich aber die Einschätzung auf die Beurteilung der Frage allfälliger durch den chronischen Tinnitus hervorgerufener anderer Beeinträchtigungen, also - bei den behaupteten Konzentrationsstörungen - insbesondere neurologischer Leidenszustände, zu deren Abklärung die amtswegige Beiziehung eines Sachverständigen des entsprechenden medizinischen Fachgebietes geboten gewesen wäre.

Die belangte Behörde stützte sich somit auf ein unvollständiges und unschlüssiges Sachverständigengutachten.

Damit ist - wie in der Beschwerde zutreffend aufgezeigt - der angefochtene Bescheid mit wesentlichen Mängeln im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG behaftet. Da nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei Vermeidung dieser Verfahrensmängel zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren war im Hinblick auf die auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestehende sachliche Gebührenfreiheit gemäß § 68 HVG abzuweisen.

Wien, am 25. Juni 2013

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