VwGH 2012/08/0109

VwGH2012/08/010915.10.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Beschwerde der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft in Wien, vertreten durch Dr. Eva-Maria Bachmann-Lang und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Opernring 8, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 12. April 2012, Zl. GS5-A-949/126-2011, betreffend Feststellung der Beitragsgrundlagen und Vorschreibung von Beiträgen nach dem GSVG (mitbeteiligte Partei: R S in M, vertreten durch Mag. Jürgen Krauskopf, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Annagasse 6), zu Recht erkannt:

Normen

GSVG 1978 §2 Abs1 Z4;
GSVG 1978 §35 Abs2;
GSVG 1978 §40 Abs1;
GSVG 1978 §2 Abs1 Z4;
GSVG 1978 §35 Abs2;
GSVG 1978 §40 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung, nämlich in den Spruchteilen C, F, I und N, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.1.06,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt vom 22. September 2011 wurde festgestellt, dass der Mitbeteiligte auf Grund seiner selbständigen Erwerbstätigkeit als "Transporteur" im Zeitraum vom 1. Jänner 2005 bis 31. Dezember 2009 der Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG unterliegt (Spruchpunkt 1). Weiters wurden die monatlichen Beitragsgrundlagen in der Kranken- und Pensionsversicherung für die einzelnen Jahre betraglich festgesetzt (Spruchpunkt 2). Der Mitbeteiligte wurde verpflichtet, sowohl in der Krankenversicherung als auch in der Pensionsversicherung für die Jahre 2005 bis 2009 jeweils ermittelte monatliche (zahlenmäßig bestimmte) Beiträge zu entrichten (Spruchpunkt 3a + b), für die Jahre 2008 und 2009 monatliche Beitrage zur selbständigen Vorsorge zu entrichten sowie für den Zeitraum 2005 bis 2009 jährlich festgesetzte Beitragszuschläge gemäß § 35 Abs. 6 GSVG zu leisten (Spruchpunkt 5).

Begründend führte die Sozialversicherungsanstalt im Wesentlichen aus, durch Datenaustausch mit den Abgabenbehörden des Bundes seien die Einkommensteuerbescheiddaten der Jahre 2005 bis 2009 (jeweils vom 9. August 2010) am 6. Oktober 2010 übermittelt worden. Sämtliche wiesen Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus und zwar für das Jahr 2005 in Höhe von EUR 18.000,--, für das Jahr 2006 in Höhe von EUR 20.000,--, für die Jahre 2007 bis 2009 von jeweils EUR 10.000,--. Aus der selbständigen Erwerbstätigkeit des Mitbeteiligten, der einen Wohnsitz in Österreich angegeben habe, würden Einkünfte aus Gewerbebetrieb resultieren. Auf Grund dieser betrieblichen Tätigkeit sei "nicht bereits eine Pflichtversicherung nach dem GSVG oder einem anderen Bundesgesetz eingetreten". Bezüglich der Feststellung, der Art und der Höhe der Einkünfte bestehe eine Bindung an die Feststellungen der Steuerbehörde. Der Mitbeteiligte habe Waren von Serbien nach Deutschland transportiert. Es sei anzunehmen, dass die Route dieser Transporte auch über österreichisches Gebiet geführt habe, sodass zumindest ein Teil dieser Erwerbstätigkeit in Österreich ausgeübt worden sei. Es sei somit die Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG im Zeitraum 1. Jänner 2005 bis 31. Dezember 2009 festzustellen gewesen. Ausgehend von den jeweiligen Einkünften aus Gewerbebetrieb für die einzelnen Jahre seien gemäß § 25 Abs. 2 1 und 2 GSVG die endgültigen monatlichen Beitragsgrundlagen in der Kranken- und Pensionsversicherung zu ermitteln gewesen. Neben der Ermittlung der monatlichen Beiträge zur selbständigen Vorsorge sei im Hinblick darauf, dass die Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung für die Jahre 2005 bis 2009 erst nach Vorliegen der rechtskräftigen Einkommensteuerbescheide festgestellt habe werden können, für die genannten Jahre ein Beitragszuschlag in der ermittelten Höhe zu entrichten.

Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Einspruch, in dem er die Zuständigkeit der Bescheid erlassenden Behörde bestritt; vielmehr seien die serbischen sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden, weil er keinen wie immer gearteten Teil seiner Erwerbstätigkeit in Österreich ausgeführt habe.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich wurde dem Einspruch überwiegend Folge gegeben.

Soweit für das vorliegende Verfahren noch relevant, wurde im Spruchteil C die Feststellung der endgültigen monatlichen Beitragsgrundlagen (Spruchteil 2 des erstinstanzlichen Bescheides) des Mitbeteiligten für den Zeitraum 1. Jänner 2005 bis 30. September 2005 wegen Verjährung gemäß § 40 Abs. 1 GSVG aufgehoben. In den Spruchteilen F und I wurde jeweils die Zahlungsverpflichtung des Mitbeteiligten für monatliche Beiträge in der Kranken- als auch Pensionsversicherung nach dem GSVG (Spruchteil 3a + b des erstinstanzlichen Bescheides) für den Zeitraum 1. Jänner 2005 bis 30. September 2005 wegen Verjährung gemäß § 40 Abs. 1 GSVG aufgehoben. Im Spruchteil N wurde die Zahlungsverpflichtung des Mitbeteiligten für monatliche Beitragszuschläge nach § 35 Abs. 6 GSVG (Spruchteil 5 des erstinstanzlichen Bescheides) für den Zeitraum 1. Jänner 2005 bis 30. September 2005 wegen Verjährung gemäß § 40 Abs. 1 GSVG aufgehoben.

Begründend führte der Landeshauptmann zur Verjährung aus, der Gesetzgeber der Verjährungsbestimmung des § 40 Abs. 1 GSVG habe vermeiden wollen, dass der Beitragsschuldner ohne Vorwarnung viele Jahre nach dem betreffenden Beitragszeitraum überraschend mit Beitragsforderungen konfrontiert werde. Dass die Einkünfte des Versicherten nachträglich festgestellt würden, könne viele Ursachen haben. Gerade in strittigen Fällen könne ein Einkommensteuerverfahren bei Anrufung des unabhängigen Finanzsenates und des Verwaltungsgerichtshofes Jahre dauern und sich auch im Anschluss daran die Vorschreibung der Beiträge nach Rechtskraft des bzw. der Einkommensteuerbescheide verzögern. Um in einem solchen Fall die Verjährung zu verhindern, müsse die Sozialversicherungsanstalt unter der Voraussetzung, dass sie von der Finanzbehörde in Kenntnis gesetzt worden sei, einen nach außen wirksamen verjährungsunterbrechenden Akt setzen, der den Beitragspflichtigen zur Kenntnis gelangte. Vergingen danach weitere fünf Jahre, ohne dass die Frage der Einkünfte im Einkommensteuerverfahren geklärt sei, sei zumindest noch ein weiterer verjährungsunterbrechenden Akt notwendig. Die Regelung des § 35 Abs. 2 GSVG sei also so auszulegen, dass nur jene Beiträge fällig werden können, die nicht bereits auf Grund der Bestimmung des § 40 Abs. 1 GSVG verjährt seien.

Umgelegt auf den konkreten Fall bedeute dies, dass die quartalsmäßig vorgeschriebenen Beiträge jeweils fünf Jahre nach dem letzten Tag des zweiten Monats des jeweiligen Quartals verjährten. Für das 3. Quartal 2005 seien die Beiträge, da keine verjährungsunterbrechenden Akte gesetzt worden seien (ungeachtet dessen, dass dies mangels Kenntnis der SVA gar nicht möglich gewesen sei) mit Ablauf des 31. August 2010 verjährt. Daraus ergebe sich, dass die Beiträge für die ersten drei Quartale 2005 (Zeitraum 1. Jänner bis 30. September 2005) zum Zeitpunkt der Vorschreibung der Beiträge bereits verjährt gewesen seien, weswegen die Aufhebung der entsprechenden Teile der Spruchteile 2., 3. und 5. (des erstinstanzlichen Bescheides) in den Spruchteilen C, F, I und N erfolgt seien.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete - ebenso wie der Mitbeteiligte - eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt wendet sich gegen die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde, wonach das Recht auf Feststellung der Beitragspflicht für den Zeitraum 1. Jänner bis 30. September 2005 gemäß § 40 Abs. 1 GSVG verjährt sei. Das Recht auf Feststellung der Beitragspflicht für einen bestimmten Beitragszeitraum könne frühestens in jenem Zeitpunkt ausgeübt werden, in dem über die der Beitragspflicht zugrundeliegende Pflichtversicherung abgesprochen werden könne, die Sozialversicherungsanstalt also das Recht gehabt habe, die bestehende Pflichtversicherung für einen betreffenden Zeitraum festzustellen. Erst ab diesem Zeitpunkt dürften Beiträge vorgeschrieben bzw. fällig gestellt werden und könne daher auch erst ab diesem Zeitpunkt die Verjährungsfrist für die Ausübung dieses Feststellungsrechtes zu laufen beginnen.

§ 40 Abs. 1 GSVG lautet:

"§ 40. (1) Das Recht auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen verjährt binnen drei Jahren vom Tag der Fälligkeit der Beiträge. Diese Verjährungsfrist der Feststellung verlängert sich jedoch auf fünf Jahre, wenn der Versicherte die Erstattung einer Anmeldung bzw. Änderungsmeldung oder Angaben über das Versicherungsverhältnis bzw. über die Grundlagen für die Berechnung der Beiträge unterlassen oder unrichtige Angaben über das Versicherungsverhältnis bzw. über die Grundlagen für die Berechnung der Beiträge gemacht hat, die er bei gehöriger Sorgfalt als unrichtig hätte erkennen müssen. Die Verjährung des Feststellungsrechtes wird durch jede zum Zwecke der Feststellung getroffene Maßnahme in dem Zeitpunkt unterbrochen, in dem der Zahlungspflichtige hievon in Kenntnis gesetzt wird. Die Verjährung ist gehemmt, solange ein Verfahren in Verwaltungssachen bzw. vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes über das Bestehen der Pflichtversicherung oder die Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen anhängig ist."

Voraussetzung für die Verjährung des Rechts auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen ist daher, dass die Fälligkeit der Beiträge eingetreten ist. Die Fälligkeit der Beiträge ergibt sich aus den in § 35 GSVG getroffenen Regelungen, die - soweit hier maßgeblich - folgenden Wortlaut haben:

"§ 35. (1) Die Beiträge sind, sofern im folgenden nichts anderes bestimmt wird, mit dem Ablauf des Kalendermonates fällig, für den sie zu leisten sind. Der Beitragsschuldner hat auf seine Gefahr und Kosten die Beiträge an den Versicherungsträger unaufgefordert einzuzahlen. Sie bilden mit den Beiträgen zur Unfallversicherung eine einheitliche Schuld. Soweit der Versicherungsträger Beiträge für die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (§ 250) einhebt, wird er auch dann als deren Vertreter tätig, wenn er alle Beitragsforderungen in einem Betrag geltend macht. Dies gilt auch für die Einhebung von Verzugszinsen, sonstigen Nebengebühren (§ 37 Abs. 2), Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren sowie im Verfahren vor Gerichten und Verwaltungsbehörden. Teilzahlungen werden anteilsmäßig und bei Beitragsrückständen auf den jeweils ältesten Rückstand angerechnet.

(2) Werden die Beiträge durch den Versicherungsträger für die Beitragsmonate eines Kalendervierteljahres gemeinsam vorgeschrieben, so sind diese Beiträge mit dem Ablauf des zweiten Monates des betreffenden Kalendervierteljahres fällig. Werden Beiträge auf Grund einer nachträglichen Feststellung der Einkünfte des Versicherten durch die Finanzbehörden vorgeschrieben, so sind sie mit dem Letzten des zweiten Monates des Kalendervierteljahres fällig, in dem die Vorschreibung erfolgt."

Wird eine versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG ausgeübt und liegt keine Erklärung über die Höhe der erwarteten Einkünfte vor, kann die Feststellung der Versicherungspflicht erst bei Vorliegen des rechtskräftigen Einkommensteuerbescheides oder eines anderen Einkommensnachweises erfolgen. Die auf Grund dieser versicherungspflichtigen Tätigkeit zu zahlenden Beiträge können daher nicht vor einer solchen Feststellung fällig werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 2005, 2003/08/0113).

Für die Beurteilung der Verjährung des Rechts der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen für die genannten Pflichtversicherung im - hier angefochtenen "Jahr 2005" - kommt es gemäß § 40 Abs. 1 GSVG darauf an, wann die genannten Beiträge fällig geworden sind. Werden Beiträge auf Grund einer nachträglichen Feststellung der Einkünfte des Versicherten durch die Finanzbehörden vorgeschrieben, so sind sie gemäß § 35 Abs. 2 zweiter Satz GSVG in der ab 1. September 2002 geltenden Fassung BGBl. I Nr. 141/2002 mit dem letzten des zweiten Monats des Kalendervierteljahres fällig, in dem die Vorschreibung erfolgt. Wird die Vorschreibung nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt vorgenommen, so tritt die Fälligkeit nach Maßgabe jenes (früheren) Zeitpunkts ein, in welchem der Sozialversicherungsanstalt auf Grund der Verfügbarkeit der Daten des Einkommensteuerbescheides eine Feststellung der endgültigen Beitragsgrundlage möglich gewesen wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2010, 2007/08/0334).

Vorliegend wurden der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt im Wege des Datenaustausches am 6. Oktober 2010 die den Mitbeteiligten betreffenden Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2005 bis 2009 übermittelt. In solchen Fällen, in denen der rechtskräftige Einkommensteuerbescheid erst im Laufe des Quartals vorliegt, muss eine darauf gestützte Nachtragsvorschreibung jedenfalls nicht vor Beginn des nächsten Quartals vorgenommen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. November 2000, 98/08/0177). Davon ausgehend wäre gemäß § 35 Abs. 2 zweiter Satz GSVG der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt die Vorschreibung der Beiträge im 1. Quartal 2011 möglich gewesen und die Fälligkeit der Beiträge für das Jahr 2005 somit erst ab 28. Februar 2011 gegeben. Dass die Beschwerdeführerin tatsächlich schon vor diesem Zeitpunkt verjährungsunterbrechende Maßnahmen gesetzt hat, war dem angefochtenen Bescheid mangels Feststellung des Inhalts des Schreibens November 2010 in zuverlässiger Weise nicht zu entnehmen. Der Akt der Beschwerdeführerin wurde dem Verwaltungsgerichtshof auch nicht vorgelegt.

Letztlich kann es auch dahingestellt bleiben, weil bei Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides am 22. September 2011 unzweifelhaft weder die drei- noch die fünfjährige Verjährungsfrist abgelaufen war.

Somit hat die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, sodass dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 15. Oktober 2014

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