VwGH 2012/08/0079

VwGH2012/08/007911.12.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten, die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter und die Hofrätinnen Dr. Julcher und Mag. Rossmeisel als Richterinnen, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde des W O in Wien, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/23, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 30. Juni 2011, Zl. 2010-0566-9-001411, betreffend Höhe des Arbeitslosengeldes, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §21 Abs1;
AlVG 1977;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
VwRallg;
AlVG 1977 §21 Abs1;
AlVG 1977;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien, mit dem das am 23. Dezember 2010 beantragte Arbeitslosengeld mit täglich EUR 12,29 bemessen worden war, abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, laut Abfrage beim Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger vom 21. Juni 2011 habe die Höhe der Jahresbeitragsgrundlage des Beschwerdeführers für das Jahr 2009 EUR 759,15 betragen. Wenn er in der Berufung gegen den Bescheid der regionalen Geschäftsstelle ausgeführt habe, dass ihm im Jahr 2009 für acht Tage eine Winterfeiertagsvergütung von der Bauarbeiter- Urlaubs- und Abfertigungskasse aus einem zu diesem Zeitpunkt schon längst beendeten Dienstverhältnis ausbezahlt worden sei und diese Vergütung keinesfalls als volles Entgelt zähle, habe die Winterfeiertagsvergütung gemäß § 21 Abs. 1 AlVG nicht außer Betracht zu bleiben. Ausgehend von der festgestellten Beitragsgrundlage des Jahres 2009 in Höhe von EUR 759,15 ergebe sich ein monatlicher Arbeitslosengeldanspruch von EUR 12,19.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 27. Februar 2012, B 1388/11-4, die Behandlung der Beschwerde ab. Das darin erstattete Vorbringen zur behaupteten Rechtswidrigkeit der den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften lasse vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Art. 6 EMRK sowie angesichts der Unbedenklichkeit der Heranziehung eines Jahresdurchschnitts des - je nach Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs - vorletzten oder letzten Kalenderjahres zur Bemessung des gebührenden Arbeitslosengeldes und der praktischen Unmöglichkeit einer Unterscheidung nach den Gründen eines geringen Einkommens, wodurch auch Härtefälle entstehen können, die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass die Beschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Beschwerde über nachträglichen Antrag gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde bringt der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, die belangte Behörde habe trotz einer mit 1. Jänner 2011 eingetretenen Gesetzesänderung auf die gegenständlichen Ansprüche auch ab dem 1. Jänner 2011 § 21 Abs. 1 AlVG, insbesondere dessen 7. Satz, in der alten Fassung angewandt. Es liege inhaltliche Rechtswidrigkeit vor, weil die Behörde fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt und das Gesetz demgemäß falsch ausgelegt habe. Durch die Rechtslage ab 2011 sei der Kreis der nicht repräsentativen Beschäftigungsverhältnisse, die bei der Ermittlung der Jahresbeitragsgrundlagen unberücksichtigt zu bleiben haben, beträchtlich erweitert worden. Der vorliegende Sachverhalt sei analog zu den um die nunmehrigen Tatbestände erweiterten Ausnahmeregelungen zu sehen, ansonsten eine unsachliche Diskriminierung von Bauarbeitern gegenüber von sonstigen Beschäftigten vorliegen würde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde - erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 19. Jänner 1999, Zl. 98/08/0310, mwN) sind Ansprüche auf Arbeitslosengeld - sofern der Gesetzgeber nichts anderes anordnet -

zeitraumbezogen zu beurteilen. Dies bedeutet, dass die für das Entstehen und das Erlöschen des Anspruches auf Arbeitslosengeld jeweils geltende Rechtslage zeitraumbezogen maßgebend ist. Die Behörde hat daher die Sachlage und Rechtslage ab Antragstellung bis zur Erlassung des Bescheides - gemäß § 66 Abs. 4 AVG bis zur Erlassung des Berufungsbescheides - zu berücksichtigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2004, Zl. 2002/08/0073).

In Abweichung vom Grundsatz der Zeitraumbezogenheit der Ansprüche ist für die Berechnung von Dauerleistungen in der Arbeitslosenversicherung kraft gesetzlicher Anordnung jenes Recht heranzuziehen, das zum Zeitpunkt der Antragstellung gilt. So ist für die Bemessung des Arbeitslosengeldes gemäß § 21 Abs. 1 AlVG die im Zeitpunkt der Antragstellung gegebene Sach- und Rechtslage maßgebend, und zwar in der Regel für den gesamten Anspruchszeitraum. Spätere Gesetzesänderungen können - abgesehen von allenfalls vorgesehenen Übergangsbestimmungen - nicht mehr zum Anlass genommen werden, während des Zeitraumes, für den die Leistung auf Grund einer Mitteilung oder eines Bescheides bestandkräftig zuerkannt wurde, die Höhe der Leistung zu ändern (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Oktober 2006, Zl. 2005/08/0193).

Angewendet auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass bei der Beurteilung der für die Höhe des Arbeitslosengeldes maßgeblichen Umstände allein auf die Sach- und Rechtslage am Tag der Antragstellung (23. Dezember 2010) abzustellen ist.

§ 21 Abs. 1 AlVG in der hier demnach maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 90/2009 hat (auszugsweise) folgenden Wortlaut:

"Für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes ist bei Geltendmachung bis 30. Juni das Entgelt des vorletzten Kalenderjahres aus den beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger gespeicherten Jahresbeitragsgrundlagen aus arbeitslosenversicherungspflichtigen Entgelt, mangels solcher aus anderen für Zwecke der Sozialversicherung gespeicherten Jahresbeitragsgrundlagen heranzuziehen. Bei Geltendmachung nach dem 30. Juni ist das Entgelt des letzten Kalenderjahres heranzuziehen. Liegen die nach den vorstehenden Sätzen heranzuziehenden Jahresbeitragsgrundlagen nicht vor, so sind jeweils die letzten vorliegenden Jahresbeitragsgrundlagen eines vorhergehenden Jahres heranzuziehen. Durch Teilung des Entgelts der maßgeblichen Jahresbeitragsgrundlagen durch zwölf ergibt sich das monatliche Bruttoeinkommen. Zeiten, in denen der Arbeitslose infolge Erkrankung (Schwangerschaft) nicht das volle Entgelt oder wegen Beschäftigungslosigkeit kein Entgelt bezogen hat, sowie Zeiten des Bezuges einer Lehrlingsentschädigung, wenn es für den Arbeitslosen günstiger ist, bleiben bei der Heranziehung der Beitragsgrundlagen außer Betracht. In diesem Fall ist das Entgelt durch die Zahl der Versicherungstage zu teilen und mit 30 zu vervielfachen. Jahresbeitragsgrundlagen, die einen Zeitraum enthalten, in dem Karenz(urlaubs)geld oder Kinderbetreuungsgeld oder ein Kombilohn (§ 34a AMSG) bezogen wurde oder die Normalarbeitszeit zum Zwecke der Sterbebegleitung eines nahen Verwandten oder der Begleitung eines schwerst erkrankten Kindes gemäß § 14a oder § 14b AVRAG oder einer gleichartigen Regelung herabgesetzt wurde, bleiben außer Betracht, wenn diese niedriger als die sonst heranzuziehenden Jahresbeitragsgrundlagen sind. Sind die heranzuziehenden Jahresbeitragsgrundlagen zum Zeitpunkt der Geltendmachung älter als ein Jahr, so sind diese mit den Aufwertungsfaktoren gemäß § 108 Abs. 4 ASVG der betreffenden Jahre aufzuwerten. Jahresbeitragsgrundlagen, die Zeiten einer gemäß § 1 Abs. 2 lit. e von der Arbeitslosenversicherungspflicht ausgenommenen krankenversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit enthalten, gelten als Jahresbeitragsgrundlagen aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt. Für Personen, die gemäß § 3 versichert waren, sind die entsprechenden Jahresbeitragsgrundlagen in der Arbeitslosenversicherung heranzuziehen. Bei Zusammentreffen von Jahresbeitragsgrundlagen aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt mit Jahresbeitragsgrundlagen auf Grund der Versicherung gemäß § 3 sind die Gesamtbeitragsgrundlagen heranzuziehen."

Vor diesem rechtlichen Hintergrund und den - unbekämpften - Feststellungen der belangten Behörde, wonach die gespeicherte Jahresbeitragsgrundlage aus dem Jahre 2009 in Höhe von EUR 759,15 vorliegt, hat die belangte Behörde zutreffend die Jahresbeitragsgrundlage des Jahres 2009 herangezogen.

In der Beschwerde wird eine allfällige unrichtige Beurteilung der Berechnung des Arbeitslosengeldes anhand der von der belangten Behörde tatsächlich angewendeten Rechtslage nicht behauptet, sondern der Behörde lediglich vorgeworfen, fälschlicherweise die Rechtslage ab 1. Jänner 2011 nicht angewendet zu haben und den vorliegenden Sachverhalt nicht unter die erweiterten Ausnahmeregelungen des novellierten 7. Satzes des § 21 Abs. 1 AlVG (in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl. I Nr. 111/2010) subsumiert zu haben.

Dazu ist auszuführen, dass die Rechtslage ab 1. Jänner 2011 im Beschwerdefall, für den das zum Zeitpunkt der Antragstellung geltende Recht maßgeblich war, in Ermangelung diesbezügliche Übergangsbestimmungen (§ 79 Abs. 110 AlVG) nicht anzuwenden war. Abgesehen davon sieht auch § 21 Abs. 1 AlVG idF des Budgetbegleitgesetzes 2011 nicht vor, dass die Winterfeiertagsvergütung bei der Ermittlung der Jahresbeitragsgrundlage außer Betracht zu bleiben hat.

Wenn der Beschwerdeführer auf eine analoge Anwendung der (neuen) Regelung auch für die frühere Rechtslage bzw. weitere Sachverhalte hinaus will, bestehen dafür keine Anhaltspunkte.

Bei einer Gesetzeslücke handelt es sich um eine planwidrige und daher durch Analogie zu schließende Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts, gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung. Eine Lücke ist demnach nur dort anzunehmen, wo das Gesetz, gemessen an der mit seiner Erlassung verfolgten Absicht und seiner immanenten Teleologie unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht (vgl das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 2002, Zl. 2002/08/0127). Die bloße Meinung, Bauarbeiter (Anmerkung: wie der Beschwerdeführer in einem vorangegangenen Beschäftigungsverhältnis) seien tendenziell bei der Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes nach § 21 Abs. 1 AlVG diskriminiert, reicht zur Annahme einer Gesetzeslücke nicht hin.

2. Die von dem Beschwerdeführer in der nun ergänzten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof vorgebrachten, im Wesentlichen bereits in der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof enthaltenen - Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 21 Abs. 1 AlVG vermag der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes in seinem Ablehnungsbeschluss nicht zu teilen.

3. Schließlich macht der Beschwerdeführer geltend, Ansprüche nach dem AlVG seien "civil rights" im Sinn des Art. 6 Abs. 1 EMRK. Das AlVG sehe zur Entscheidung über Ansprüche wie den hier zu beurteilenden aber die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden und ein Verfahren nach dem AVG vor. Dies verletze das Grundrecht auf eine Entscheidung durch ein unabhängiges und unparteiisches auf Gesetz beruhendes Gericht. Er sei in seinem von Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten Recht auf Anhörung in einer öffentlichen Verhandlung und auf öffentliche Urteilsverkündung verletzt.

Hinsichtlich dieses Vorbringens kann gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Begründung des hg. Erkenntnisses vom 19. Oktober 2011, Zl. 2008/08/0251, verwiesen werden.

4. Damit erweist sich die Beschwerde als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung vom 19. Februar 1998, Zl. 8/1997/792/993 (Fall Jacobsson; ÖJZ 1998, 41) unter Hinweis auf seine Vorjudikatur das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung dann als mit der EMRK vereinbart erklärt, wenn besondere Umstände ein Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigen. Solche besonderen Umstände erblickt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte darin, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im Fall Jacobsson vor dem Obersten Schwedischen Verwaltungsgericht nicht geeignet war, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machte (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 10. August 2000, Zl. 2000/07/0083, und vom 14. Mai 2003, Zl. 2000/08/0072). Des Weiteren hat der EGMR in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2) und vom 3. Mai 2007, Nr. 17912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch technische " Fragen betrifft. Der Gerichtshof verwies in diesem Zusammenhang auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, dass angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtigte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. September 2010, Zl. 2009/05/0160).

Solche Umstände liegen auch im gegenständlichen Fall vor, weil einerseits der Sachverhalt geklärt und vom Beschwerdeführer auch nicht bestritten wird und letztlich eine reine Rechtsfrage hinsichtlich der Anwendbarkeit der Rechtslage zu lösen ist. In der Beschwerde werden keine Fragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte daher abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 11. Dezember 2013

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