VwGH 2012/08/0073

VwGH2012/08/007317.3.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde des GL in W, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Blaha, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Domplatz 1, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Kärnten vom 12. Dezember 2011, Zl. LGS/SfA/05662/2011, betreffend Verlust der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs7 idF 2007/I/104;
AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs7 idF 2007/I/104;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer den Anspruch auf Notstandshilfe für die Zeit vom 3. Oktober bis 13. November 2011 verliere.

Dieser habe zuletzt am 18. August 2011 die Zuerkennung der Notstandshilfe beantragt. Sein vorletztes Dienstverhältnis habe am 10. Mai 2006 geendet. Danach habe er Arbeitslosengeld und Notstandshilfe bezogen. Vom 1. September 2007 bis zum 31. August 2008 sei er selbständig erwerbstätig gewesen. Vom 16. März bis zum 8. Oktober 2009 sei er als Angestellter bei der GPS Kärnten GmbH (einem gemeinnützigen Beschäftigungsprojekt) beschäftigt gewesen. Seither sei er arbeitslos gemeldet. Er beziehe seit 15. Juli 2010 (mit kurzen Unterbrechungen wegen Krankengeld) Notstandshilfe.

Die Arbeitsversuche seien bisher nicht erfolgreich verlaufen. Der Beschwerdeführer habe selbst keine geeignete Stelle finden können. Er habe Berufserfahrung als Außendienstmitarbeiter. Die Stellenanbote der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice V (im Folgenden: AMS) in diesem Bereich hätten zu keiner Arbeitsaufnahme geführt.

Am 27. September 2011 sei dem Beschwerdeführer vom AMS eine Beschäftigung als Hilfsarbeiter bei der GPS Kärnten GmbH mit zumindest kollektivvertraglicher Entlohnung angeboten worden. Die Beschäftigung habe allen Zumutbarkeitskriterien des § 9 AlVG entsprochen und wäre geeignet gewesen, das Beschäftigungsproblem zu lösen. Die Beschäftigung hätte am 3. Oktober 2011 aufgenommen werden können.

Das Stellenangebot habe gelautet:

"Helfer/In

 

Arbeitsaufgaben:

Parkanlagen, Parkplätze und Gehsteige reinigen und kehren, Pflege von Außenanlagen, Reinigungsarbeiten im Haus, Büroräumen u.ä.

Arbeitszeit:

von Montag bis Freitag ab 7:30 bis 16:00 Uhr

Anforderungen:

rasches Arbeiten im Team, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, körperliche Gesundheit; PKW von Vorteil.

Arbeitsort:

Raum Villach

Entlohnung:

bei Vollzeitbeschäftigung 1.284,‑ ‑ EUR Brutto monatlich, Überzahlung möglich."

Das Dienstverhältnis sei nicht zustande gekommen. Der Beschwerdeführer sei nicht bereit gewesen, das Dienstverhältnis am 3. Oktober 2011 aufzunehmen, weil ihm - der Stellungnahme des potenziellen Dienstgebers und der Niederschrift vom 28. September 2011 zufolge - die angebotene Entlohnung zu gering gewesen sei.

Am 30. November 2010 habe der Beschwerdeführer niederschriftlich angegeben, dass er mit der vom künftigen Arbeitgeber angebotenen Entlohnung seine Grundzahlungen (Wohnung und Essen) nicht leisten könne. Er würde bei der Arbeit deutlich weniger verdienen, als er jetzt Notstandshilfe bekomme. Er könne auch mit der Notstandshilfe nicht überleben. Er habe immer ein Einkommen von mindestens EUR 1.600,-- netto erzielt.

Der Stellungnahme der zuständigen Beraterin des AMS zufolge habe sich die Stellensuche auf Grund der Gehaltsvorstellungen des Beschwerdeführers generell als schwierig erwiesen. Da er nur im Bereich "Versicherungen" Praxis habe, diese Tätigkeit jedoch nur mehr im Innendienst ausüben wolle, hätten keine passenden Stellen gefunden werden können. Auch der Beschwerdeführer habe keine berufliche Alternative genannt. Bei der GPS Kärnten GmbH werde dringend Personal gesucht. Der Beschwerdeführer habe keine Einwendungen hinsichtlich der Tätigkeit, sondern lediglich hinsichtlich der Entlohnung erhoben. Diese entspreche aber den Zumutbarkeitskriterien, da sie dem Kollektivvertrag entspreche.

Der Beschwerdeführer gehöre zum Kreis der Langzeitbeschäftigungslosen. Er sei nicht bereit gewesen, die angebotene Beschäftigung bei der GPS Kärnten GmbH anzunehmen. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 10 AlVG seien erfüllt. Der Anspruchsverlust betrage sechs Wochen. Berücksichtigungswürdige Gründe, die eine gänzliche oder teilweise Nachsicht vom Ausschluss des Bezuges rechtfertigen würden, hätten nicht festgestellt werden können und seien auch vom Beschwerdeführer nicht vorgebracht worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

1. Die Beschwerde bringt vor, der Beschwerdeführer habe die Arbeitsstelle bei der GPS Kärnten GmbH abgelehnt, weil er mit dem durch diese Beschäftigung erzielbaren Einkommen finanziell nicht hätte überleben können. Das Einkommen entspreche zwar dem Kollektivvertrag, die Annahme einer so niedrig entlohnten Beschäftigung sei jedoch nicht zumutbar iSd § 7 Abs. 3 Z 1 bzw. § 9 Abs. 1 AlVG. Sie würde für den Beschwerdeführer und seine Familie den finanziellen Ruin bedeuten. Eine Verpflichtung zur Annahme dieser Beschäftigung würde insbesondere gegen § 29 Arbeitsmarktservicegesetz (AMSG) verstoßen. Eine einmalige Ablehnung einer zugewiesenen Beschäftigung führe nicht automatisch zum Verlust der Notstandshilfe. Durch die Annahme der Stelle bei der GPS Kärnten GmbH wäre das Einkommen des Beschwerdeführers niedriger gewesen als sein Notstandshilfebezug. Gemäß § 29 Abs. 2 AMSG habe das AMS Leistungen zu erbringen, die darauf gerichtet seien, "die wirtschaftliche Existenz des Arbeitslosen zu sichern".

2. Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (unter anderem) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.

§ 9 Abs. 7 AlVG in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 104/2007 lautet:

"(7) Als Beschäftigung gilt, unbeschadet der erforderlichen Beurteilung der Zumutbarkeit im Einzelfall, auch ein der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienendes Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Sozialökonomischen Betriebes (SÖB) oder eines Gemeinnützigen Beschäftigungsprojektes (GBP), soweit dieses den arbeitsrechtlichen Vorschriften und den in den Richtlinien des Verwaltungsrates geregelten Qualitätsstandards entspricht. Im Rahmen dieser Qualitätsstandards ist jedenfalls die gegebenenfalls erforderliche sozialpädagogische Betreuung, die Zielsetzung der mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen theoretischen und praktischen Ausbildung sowie im Falle der Arbeitskräfteüberlassung das zulässige Ausmaß überlassungsfreier Zeiten und die Verwendung überlassungsfreier Zeiten zu Ausbildungs- und Betreuungszwecken festzulegen."

Zu § 9 Abs. 7 AlVG idF BGBl. I Nr. 104/2007 führen die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (298 BlgNR 23. GP, 9) unter anderem aus:

"Abs. 7 enthält die Klarstellung, dass auch Arbeitsverhältnisse im Rahmen eines Sozialökonomischen Betriebs (SÖB) oder eines Gemeinnützigen Beschäftigungsprojektes (GBP) - bei Zutreffen der sonstigen Voraussetzungen - zumutbar sind. Sozialökonomische Betriebe dienen der Förderung der Beschäftigung von arbeitslosen und schwer vermittelbaren Personen in Produktions- oder Dienstleistungsbetrieben von gemeinnützigen Trägern. Sie stellen marktnahe, befristete Arbeitsplätze (so genannte 'Transitarbeitsplätze') zur Verfügung und haben den Auftrag, vor allem Personen mit eingeschränkter Produktivität bei der Wiedererlangung jener Fähigkeiten zu unterstützen, die Einstiegsvoraussetzungen in den regulären Arbeitsmarkt sind. Im Rahmen eines Wirtschaftsbetriebes werden Betreuungs- und Trainingsmöglichkeiten für am Arbeitsmarkt benachteiligte Personen geboten sowie die Reintegration in den regulären Arbeitsmarkt durch Beseitigung von Vermittlungshemmnissen und durch Qualifizierungsmaßnahmen vorbereitet."

§ 10 Abs. 1 AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 104/2007 lautet:

"§ 10. (1) Wenn die arbeitslose Person

1. sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 AMFG durchführenden Dienstleister zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, oder

2. sich ohne wichtigen Grund weigert, einem Auftrag zur Nach(Um)schulung zu entsprechen oder durch ihr Verschulden den Erfolg der Nach(Um)schulung vereitelt, oder

3. ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, oder

4. auf Aufforderung durch die regionale Geschäftsstelle nicht bereit oder in der Lage ist, ausreichende Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung nachzuweisen,

so verliert sie für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 um weitere zwei Wochen auf acht Wochen. Die Erhöhung der Mindestdauer des Anspruchsverlustes gilt jeweils bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde."

Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Die Bestimmungen des § 9 Abs. 1 und § 10 Abs. 1 AlVG sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszwecks, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keinerlei Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, nicht nur eine zumutbare Beschäftigung anzunehmen, sondern - erforderlichenfalls - auch an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 2006, Zl. 2004/08/0017, uva).

Der Gesetzgeber hat in § 9 Abs. 7 AlVG ausdrücklich auch "ein der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienendes Arbeitsverhältnis im Rahmen eines sozialökonomischen Betriebes (SÖB) oder eines gemeinnützigen Beschäftigungsprojektes (GBP)" als (zumutbare) Beschäftigung erklärt. Ein Verhalten im Sinn von § 10 Abs. 1 AlVG im Hinblick auf einen sozialökonomischen Betrieb (Verweigerung oder Vereitelung einer Beschäftigung oder Nichtannahme einer vom sozialökonomischen Betrieb angebotenen Beschäftigung) kann daher zum Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe führen. Eine Begründungspflicht, weshalb eine Beschäftigung auf dem "zweiten Arbeitsmarkt" (gemeint: in einem sozialökonomischen Betrieb) vermittelt wird, sieht das Gesetz nicht vor (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. Februar 2012, Zl. 2009/08/0077).

Soweit der Beschwerdeführer einwendet, dass das Entgelt deshalb unangemessen sei, weil er für die zugewiesene Beschäftigung weniger beziehen würde, als ihm an Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zustünde, ist ihm entgegenzuhalten, dass nach der hier maßgebenden Rechtslage beim Bezug von Notstandshilfe kein Entgeltschutz mehr besteht (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 7. Mai 2008, Zl. 2007/08/0084, und vom 22. Februar 2012, Zl. 2010/08/0123).

Mit seinem Vorbringen, Voraussetzung für die Einstellung der Notstandshilfe mangels Arbeitswilligkeit sei nur die generelle Ablehnung der Annahme einer zumutbaren, die Arbeitslosigkeit ausschließenden Beschäftigung, verkennt der Beschwerdeführer, dass mit dem angefochtenen Bescheid nicht gemäß § 24 (iVm § 38) AlVG die Notstandshilfe eingestellt, sondern gemäß § 10 (iVm § 38) AlVG ein Anspruchsverlust für sechs Wochen ausgesprochen wurde.

3. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet des - hier vorliegenden - Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn nicht Art. 6 Abs. 1 EMRK dem entgegensteht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung vom 19. Februar 1998, Zl. 8/1997/792/993 (Fall Jacobsson; ÖJZ 1998, 41) unter Hinweis auf seine Vorjudikatur das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung dann als mit der EMRK vereinbar erklärt, wenn besondere Umstände ein Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigen. Solche besonderen Umstände erblickt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte darin, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im Fall Jacobsson vor dem Obersten Schwedischen Verwaltungsgericht nicht geeignet war, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machte (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 10. August 2000, Zl. 2000/07/0083, und vom 14. Mai 2003, Zl. 2000/08/0072). Dieser Umstand liegt aber auch hier vor, weil die Beschwerde keine Rechts- oder Tatsachenfragen von einer solchen Art aufgeworfen hat, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte daher abgesehen werden.

Wien, am 17. März 2014

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