VwGH 2012/08/0025

VwGH2012/08/002514.3.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des R H in Wien, vertreten durch Dr. Eva-Maria Bachmann-Lang und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Opernring 8, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 14. Dezember 2011, Zl. 2011-0566-9-002359, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §12 Abs1 idF 2007/I/104;
AlVG 1977 §12 Abs6;
AVG §38;
GSVG 1978 §2 Abs1 Z1;
GSVG 1978 §2;
VwRallg;
AlVG 1977 §12 Abs1 idF 2007/I/104;
AlVG 1977 §12 Abs6;
AVG §38;
GSVG 1978 §2 Abs1 Z1;
GSVG 1978 §2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung, das heißt soweit der Beschwerdeführer mit ihm zum Ersatz des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes verpflichtet wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde gemäß § 24 Abs. 2 iVm § 12 Abs. 1 AlVG der Bezug des Arbeitslosengeldes für den Zeitraum 5. August bis 13. September 2009 widerrufen und der Beschwerdeführer gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung des unberechtigt Empfangenen in der Höhe von EUR 1.191,20 verpflichtet.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice habe den erstinstanzlichen Bescheid vom 29. Juni 2011 damit begründet, dass der Beschwerdeführer laut Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger als Selbständiger "GSVGpflichtversichert" gewesen sei und ein Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze erzielt habe. In der gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung habe der Beschwerdeführer im Wesentlichen ausgeführt, dass seine Einkünfte im Jahr 2009 aus einer Tätigkeit im Jahr 2008 stammten, die er jedoch aus steuerlichen Gründen erst im Jahr 2009 abgerechnet hätte; eine Pflichtversicherung könnte nur für Monate eintreten, in der er die Einkünfte erzielt hätte.

Der Beschwerdeführer habe, so die belangte Behörde weiter, ab 5. August 2009 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen. Die Frage 6 des Antrages, "Ich bin selbständig erwerbstätig", habe er mit Nein beantwortet. Die Frage 7 des Antrages, "Ich war selbständig erwerbstätig", habe er mit Ja beantwortet, ebenso die Frage "Benötigen Sie für diese Tätigkeit einen Gewerbeschein" und auch die Frage "Wenn ja, haben Sie die Gewerbeberechtigung zurückgelegt".

Im Juni 2011 habe das Arbeitsmarktservice über einen automatisierten Datenabgleich mit dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger die Information erhalten, dass der Beschwerdeführer im gesamten Jahr 2009 der Pensionspflichtversicherung nach dem GSVG unterliege. Dieser Sachverhalt und die gesetzlichen Bestimmungen seien dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 16. September 2011 zur Kenntnis gebracht worden. Er sei ersucht worden, bezüglich der Versicherungspflicht Kontakt mit der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft aufzunehmen, die für die Prüfung und Feststellung zuständig sei. Es sei ein mehrmaliger E-Mail-Verkehr gefolgt, in dem der Beschwerdeführer bekannt gegeben habe, dass er Kontakt mit der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft aufgenommen hätte. Er habe mehrmals um Fristverlängerung ersucht. Am 21. November 2011 sei noch einmal eine Anfrage der belangten Behörde an die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft erfolgt. Dabei sei bestätigt worden, dass die Einkünfte für das Jahr 2009 aus selbständiger Tätigkeit stammen würden und nicht aus freien Dienstverträgen. Von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft würde keine Änderung der Versicherungspflicht vorgenommen, sollte kein geänderter Steuerbescheid vorgelegt werden.

Der Beschwerdeführer sei davon mit E-Mail vom 22. November 2011 in Kenntnis gesetzt und informiert worden, dass nach Ablauf der Frist bis zum 4. Dezember 2011 nach Aktenlage entschieden werde, sollten nicht neue Unterlagen, die eine neuerliche Prüfung durch die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft belegen würden, vorgelegt werden. Der Beschwerdeführer habe bis dato keine solchen Unterlagen vorgelegt.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass nach der seit 1. Jänner 2009 geltenden Rechtslage als arbeitslos nur gelte, wer eine unselbständige oder selbständige Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) beendet habe, nicht mehr der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliege oder dieser ausschließlich auf Grund des Weiterbestehens der Pflichtversicherung für den Zeitraum, für den Kündigungsentschädigung gebühre, oder eine Ersatzleistung für Urlaubsentgelt oder eine Urlaubsabfindung gewährt werde, unterliege und keine neue oder weitere unselbständige oder selbständige Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) ausübe.

Die Versicherungspflicht werde von der zuständigen Sozialversicherungsanstalt festgestellt und beginne im Fall des Beschwerdeführers ab 1. Jänner 2009.

Mit der Neufassung des § 12 Abs. 1 AlVG schließe grundsätzlich jede der Pensionsversicherung unterliegende Tätigkeit (mit Ausnahme der Land- und Forstwirtschaft) Arbeitslosigkeit aus.

In der Berufung führe der Beschwerdeführer an, dass er der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft mitgeteilt hätte, ihre Einschätzung betreffend das Vorliegen der Pflichtversicherung nicht zu teilen. Solange aber die Pensionspflichtversicherung bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft aufrecht bleibe, könne an der Entscheidung erster Instanz nichts geändert werden. Das Arbeitsmarktservice sei bezüglich der Pensionsversicherungspflicht an die Daten der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft gebunden.

Der Beschwerdeführer sei ab 1. Dezember 2008 "als selbständig Erwerbstätiger GSVG krankenversichert und pensionsversichert", ausschließlich diese Tatsache sei für die Beurteilung des Vorliegens von Arbeitslosigkeit ausschlaggebend.

Arbeitslosigkeit liege ab Antragstellung auf Arbeitslosengeld ab 5. August 2009 auf Grund der Pensionspflichtversicherung nicht vor. Es sei daher das Arbeitslosengeld für den Zeitraum 5. August 2009 bis 13. September 2009 zu widerrufen gewesen.

Wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung als gesetzlich nicht begründet herausstelle, sei die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigten. Bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung sei der Empfänger von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt habe oder wenn er erkennen habe müssen, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebühre.

Der Beschwerdeführer habe dem Arbeitsmarktservice nicht bekannt gegeben, dass er während des Bezuges von Arbeitslosengeld selbständig erwerbstätig gewesen sei.

Die belangte Behörde sei nach Prüfung der Sach- und Rechtslage zu dem Schluss gekommen, dass das zu Unrecht bezogene Arbeitslosengeld in der Höhe von EUR 1.191,20 zurückzuzahlen sei.

Gegen diesen Bescheid, soweit der Beschwerdeführer mit ihm zum Rückersatz des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes verpflichtet wurde, richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AlVG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer (u.a.) der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Nach § 7 Abs. 2 AlVG steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf und arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos ist.

Gemäß § 12 Abs. 1 AlVG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 104/2007 ist arbeitslos, wer

"1. eine (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) beendet hat,

2. nicht mehr der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegt oder dieser ausschließlich auf Grund des Weiterbestehens der Pflichtversicherung für den Zeitraum, für den Kündigungsentschädigung gebührt oder eine Ersatzleistung für Urlaubsentgelt oder eine Urlaubsabfindung gewährt wird (§ 16 Abs. 1 lit. k und l), unterliegt und

3. keine neue oder weitere (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) ausübt."

Gemäß § 24 Abs. 2 AlVG ist die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes zu widerrufen, wenn die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gesetzlich nicht begründet war.

Nach § 25 Abs. 1 AlVG ist bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Nach § 25 Abs. 1 dritter Satz AlVG ist der Empfänger einer Leistung nach diesem Bundesgesetz auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich ohne dessen Verschulden auf Grund eines nachträglich vorgelegten Einkommensteuer- oder Umsatzsteuerbescheides ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührte; in diesem Fall darf jedoch der Rückforderungsbetrag das erzielte Einkommen nicht übersteigen.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach § 12 Abs. 1 AlVG idF BGBl. I Nr. 104/2007 Arbeitslosigkeit ausschließt, selbst wenn nur eine im Sinn des § 12 Abs. 6 AlVG "geringfügige Erwerbstätigkeit" ausgeübt wurde (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 7. September 2011, Zl. 2009/08/0195).

Insoweit ist die belangte Behörde richtig davon ausgegangen, dass unter der Annahme einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG die Arbeitslosigkeit des Beschwerdeführers zu verneinen war, ohne dass es weiterer Feststellungen zu dessen Erwerbstätigkeit bedurft hätte. Unzutreffend ist allerdings, dass das Arbeitsmarktservice an die "Daten der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft" gebunden ist. Für die zur Vollziehung des AlVG berufenen Behörden bindend wäre nur ein rechtskräftiger bescheidförmiger Abspruch über die Pflichtversicherung; liegt ein solcher nicht vor, so haben die Behörden die Vorfrage der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung grundsätzlich selbst zu beurteilen (vgl. § 38 AVG). Dieser Anforderung wird der angefochtene Bescheid, der nicht einmal den Tatbestand nennt, auf den sich die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG gründet, nicht gerecht.

3. Die Beschwerde wendet sich allerdings nicht gegen den Widerruf des Arbeitslosengeldes und bestreitet auch nicht die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG im maßgeblichen Zeitraum. Sie stellt jedoch in Abrede, dass der Beschwerdeführer im Sinn des § 25 Abs. 1 AlVG den Bezug des Arbeitslosengeldes durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt habe. Aus dem von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt könne nicht der Schluss gezogen werden, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum 5. August bis 13. September 2009 tatsächlich eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, sodass seine Angaben gegenüber dem Arbeitsmarktservice unwahr wären.

Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht:

Die belangte Behörde hat, wie oben dargestellt, unbeantwortet gelassen, auf Grund welchen Tatbestandes sie den Eintritt der Pflichtversicherung nach dem GSVG angenommen hat. Aus keinem der fallbezogen in Betracht kommenden Pflichtversicherungstatbestände - § 2 Abs. 1 Z 1 und § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG - ergibt sich aber zwingend, dass während des (gesamten) Zeitraums der Pflichtversicherung tatsächlich eine Erwerbstätigkeit entfaltet worden sein muss: Die Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG tritt allein auf Grund der Mitgliedschaft in einer Kammer der gewerblichen Wirtschaft - und somit grundsätzlich unabhängig von der tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit - ein; die Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG setzt zwar zunächst die Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit voraus, kann aber auch nach Beendigung der betrieblichen Tätigkeiten weiterbestehen, wenn diese nicht (rechtzeitig) gemeldet wurde (vgl. § 7 Abs. 4 Z 1 GSVG).

Der Beschwerdeführer hat schon im Verwaltungsverfahren darauf hingewiesen, dass er bei Antragstellung und während des Bezugs des Arbeitslosengeldes keiner selbständigen Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen ist. Für die Beantwortung der Frage, ob seine diesbezügliche Angabe im Antragsformular falsch bzw. eine "Verschweigung" maßgebener Tatsachen anzunehmen war und daher - im Fall der subjektiven Vorwerfbarkeit (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 11. Juli 2012, Zl. 2010/08/0088, mwN) - die Rückforderung nach § 25 Abs. 1 AlVG gerechtfertigt war, hätte sich die belangte Behörde mit diesem Vorbringen auseinandersetzen müssen. Allein aus dem Bestehen der Pflichtversicherung nach dem GSVG kann nach dem oben Gesagten nicht geschlossen werden, dass während des gesamten Zeitraums tatsächlich eine selbständige Erwerbstätigkeit entfaltet worden ist.

Soweit die belangte Behörde in der Gegenschrift geltend macht, dass der Beschwerdeführer auch hinsichtlich seiner - für den Eintritt der Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG maßgeblichen - Gewerbeberechtigung unwahre Angaben gemacht habe, ist ihr entgegenzuhalten, dass diesbezügliche Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht getroffen worden sind und dies in der Gegenschrift nicht nachgeholt werden kann.

4. Der angefochtene Bescheid war daher im Umfang der Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 14. März 2013

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