VwGH 2012/05/0101

VwGH2012/05/010124.6.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Sußner, über die Beschwerde der A B in W, vertreten durch Mag. Rudolf Nokaj und Dr. Franz Hofbauer, Rechtsanwälte in 3250 Wieselburg, Bartensteingasse 8, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 12. April 2012, Zl. RU1-BR-1576/001-2011, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. G A in H; 2. Gemeinde H in H), zu Recht erkannt:

Normen

BauO NÖ 1996 §51 Abs1 Z3;
BauO NÖ 1996 §54 Abs1;
BauO NÖ 1996 §54 Abs2;
BauO NÖ 1996 §54 Abs3 idF 8200-19;
BauO NÖ 1996 §54 idF 8200-19;
BauO NÖ 1996 §54;
BauO NÖ 1996 §6 Abs2 Z3;
BauRallg;
B-VG Art7 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
BauO NÖ 1996 §51 Abs1 Z3;
BauO NÖ 1996 §54 Abs1;
BauO NÖ 1996 §54 Abs2;
BauO NÖ 1996 §54 Abs3 idF 8200-19;
BauO NÖ 1996 §54 idF 8200-19;
BauO NÖ 1996 §54;
BauO NÖ 1996 §6 Abs2 Z3;
BauRallg;
B-VG Art7 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 16. März 2011 beantragte die erstmitbeteiligte Partei die baubehördliche Bewilligung für die Errichtung einer Kleingarage und eines Carports auf dem Grundstück Nr. 1118/5, EZ 599, KG P.

Bei der mündlichen Bauverhandlung am 7. April 2011 wandte sich die Beschwerdeführerin gegen die Gebäudehöhe der Garage.

Mit Bescheid vom 12. April 2011 erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde die beantragte Baubewilligung.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung.

In der Folge wurde ein (undatiertes) "ergänzendes Gutachten" des Amtssachverständigen Ing. W eingeholt, in dem im Wesentlichen ausgeführt wurde, für die Beurteilung nach § 54 der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 (BO) seien im Umkreis von 100 m 15 Grundstücke herangezogen worden. Auf diesen seien sämtliche Gebäude in einer freien Anordnung errichtet, sechs Grundstücke seien unbebaut. Fünf Grundstücke wiesen Nebengebäude mit einem Abstand von unter 1 m zur Grundgrenze auf, und die Gebäudehöhen lägen aufgrund der Hanglagen zwischen 2,2 m und 4,5 m. Drei Grundstücke hätten keine Nebengebäude. Bei einem Grundstück bestehe ein Nebengebäude in einem Abstand von 8 m zur Grundgrenze. Die gegenständliche Garage entspreche in Anordnung und Höhe der ortsüblichen Bebauung.

Mit Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 7. Juli 2011 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Vorstellung der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, für das Baugrundstück gelte kein Bebauungsplan, es sei als Bauland-Agrargebiet gewidmet. Die Beschwerdeführerin sei Grundstückseigentümerin des im Südwesten an das Baugrundstück direkt angrenzenden Grundstückes Nr. 1118/4, EZ 595, KG P. Der Beschwerdeführerin sei keine Baubewilligung für ein Gebäude erteilt worden, bei dem die ausreichende Belichtung der Hauptfenster durch die geplante Garage beeinträchtigt werden könnte. Das Grundstück der Bauwerberin weise eine Hanglage auf. Die Garage solle derartig errichtet werden, dass die Gebäudehöhe von maximal 3 m hangabwärts in Richtung Süden und auch in Richtung des Grundstücks der Beschwerdeführerin entsprechend dem gegebenen Niveauunterschied überschritten werden solle.

Nach den Darlegungen des Amtssachverständigen bei der mündlichen Bauverhandlung betrage die mittlere Gebäudehöhe der gegenständlichen Garage gemäß den Planunterlagen an der Grundgrenze 4,48 m. Der Abstand zur Grundgrenze werde 90 cm betragen. Zur Ausgleichung des Höhenniveaus bzw. der Fundierung werde eine Stützmauer entsprechend den statischen Erfordernissen errichtet.

Hinsichtlich anderer Einwendungen als jene betreffend die Höhe der Garage sei die Beschwerdeführerin präkludiert. Außerdem bestehe kein Nachbarrecht zum Ortsbild.

Aus dem Gutachten des bautechnischen Amtssachverständigen gehe hervor, dass für den Umkreis von 100 m die freie Anordnung der Gebäude gemäß § 70 Abs. 1 Z 5 BO festgestellt worden sei. Die Bebauungsweise könne nur aus bereits bebauten Grundstücken (hier: neun Grundstücken) abgeleitet werden. Von den neun Grundstücken seien fünf Grundstücke, und somit die Mehrheit, mit einem Nebengebäude in einem Abstand von weniger als 1 m zur Grundstücksgrenze bebaut.

Da eine Garage gemäß § 4 Z 7 BO ein Nebengebäude sei, sei sie somit ein anderes Bauwerk als ein Hauptgebäude und gelte § 54 Abs. 3 BO. § 54 Abs. 1 und 2 BO bezögen sich nur auf Hauptgebäude und seien hier nicht anzuwenden. Aus § 54 Abs. 3 BO ergebe sich eine Einschränkung der Nachbarrechte gemäß § 6 Abs. 2 Z 3 BO dahingehend, dass in einem Baulandbereich ohne Bebauungsplan im Fall der Errichtung eines anderen Bauwerks als eines Hauptgebäudes lediglich der Lichteinfall auf bestehende bewilligte Hauptfenster auf den Nachbargrundstücken geprüft werden dürfe. Die Garage solle in einem Abstand von 0,9 m zur Grundstücksgrenze und somit zum Teil im seitlichen Bauwich, der gemäß § 50 Abs. 1 BO (wenn er nicht anders geregelt sei) mindestens 3 m betragen müsse, errichtet werden. Daher sei § 51 Abs. 1 BO anzuwenden, allerdings aufgrund § 54 Abs. 3 BO mit der Einschränkung, dass durch die Garage der Lichteinfall unter 45 Grad auf bewilligte, nicht jedoch auch auf zukünftig bewilligungsfähige Hauptfenster auf den Nachbargrundstücken nicht beeinträchtigt werden dürfe. Die Gebäudehöhe von maximal 3 m solle am Hang abwärts in Richtung Süden und auch in Richtung des Nachbargrundstücks entsprechend dem gegebenen Niveauunterschied überschritten werden. Dies sei gemäß § 51 Abs. 1 Z 3 BO in Verbindung mit § 54 Abs. 3 BO zulässig, wenn der freie Lichteinfall unter 45 Grad auf die Hauptfenster bestehender bewilligter Gebäude auf den Nachbargrundstücken nicht beeinträchtigt werde.

Die Beschwerdeführerin habe kein bewilligtes Gebäude auf ihrem Grundstück, bei dem die ausreichende Belichtung der Hauptfenster durch die geplante Garage beeinträchtigt werden könnte. Die anderen Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 BO seien unbestritten gegeben. Daher könne die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Belichtung der Hauptfenster ihrer bereits bestehenden und bewilligten Gebäude durch die Gebäudehöhe nicht beeinträchtigt werden.

Der Beschwerdeführerin sei zwar das Ergänzungsgutachten nicht zum Parteiengehör übermittelt worden, dieses Gutachten habe jedoch zur Klärung einer allfälligen Verletzung des Nachbarrechts auf Einhaltung der Gebäudehöhe nicht beigetragen. Somit liege kein wesentlicher Verfahrensmangel, bei dessen Vermeidung ein anderes Ergebnis in der Sache hätte erzielt werden können, vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In der Beschwerde wird im Wesentlichen ausgeführt, die belangte Behörde gehe unzutreffend davon aus, dass § 51 Abs. 1 BO aufgrund des § 54 Abs. 3 BO mit der Einschränkung anzuwenden sei, dass durch die Garage der Lichteinfall unter 45 Grad lediglich auf bestehende bewilligte, nicht jedoch auch auf zukünftig bewilligungsfähige Hauptfenster auf den Nachbargrundstücken geprüft werden dürfe. § 51 BO sei die speziellere Norm, die vorgehe. Zudem normiere § 51 Abs. 1 Z 3 BO ausdrücklich, dass die Gebäudehöhe der Nebengebäude im Bauwich nicht mehr als 3 m betragen dürfe. Im gegenständlichen Fall sei allerdings eine Höhe von 3,85 m an der niedrigsten bis 5,30 m an der höchsten Stelle geplant. Dieses Ausmaß sei deshalb gegeben, weil die Gebäudehöhe nicht entsprechend der Hanglage des Grundstückes hangabwärts gemäß dem gegebenen Niveauunterschied überschritten werden solle, sondern vielmehr bereits das Ursprungsniveau durch Errichtung einer Stützmauer um 1 m angehoben worden sei, sodass von einer Überschreitung lediglich aufgrund des gegebenen Niveauunterschiedes nicht die Rede sein könne. Allein die Abstützmauer führe zu einer Niveauanhebung von 1,1 m und erreiche talseitig eine Höhe von 3,5 m. Darüber hinaus werde die Zulässigkeit der geplanten Garage insbesondere im Hinblick auf die Gebäudehöhe damit gerechtfertigt, dass sie der ortsüblichen Bebauung gemäß § 54 BO entspreche. Allerdings seien auf lediglich fünf Grundstücken von 15 Nebengebäude mit einem Abstand von unter 1 m zur Grundgrenze vorhanden. Zehn Grundstücke verfügten somit nicht über ein Nebengebäude entlang der Grundstücksgrenze. Folglich könne von einer aus den jeweiligen Mehrheiten abgeleiteten Bebauungsweise nicht gesprochen werden. Darüber hinaus wiesen die angesprochenen Nebengebäude, die in einem Abstand von unter 1 m zur Grundgrenze bestünden, eine Gebäudehöhe zwischen 2,2 m und 4,5 m auf, während im vorliegenden Fall eine solche von 3,85 m bis 5,3 m gegeben sei. Im Übrigen seien sämtliche weiteren Einwendungen im Zusammenhang mit der Gebäudehöhe der Garage gestanden, sodass es keine Präklusionsfolgen geben könne. Die Zulässigkeit der Gebäudehöhe werde unter anderem mit der Bebauungsweise der im Umkreis von 100 m liegenden Grundstücke gerechtfertigt. Insbesondere zum Nachbargebäude der Beschwerdeführerin, das vollkommen ebenerdig sei, bestehe aber ein Wiederspruch. Die belangte Behörde habe im Übrigen die Beweise betreffend insbesondere die Westansicht der gegenständlichen Garage und den Umstand, dass nicht auf dem Ursprungsniveau, sondern ab einer Niveauanhebung gebaut werde, nicht berücksichtigt. Auch seien keinerlei Feststellungen zur Beeinträchtigung des Lichteinfalles zulässiger Gebäude der Beschwerdeführerin getroffen worden. Im Zusammenhang mit dem ergänzenden Gutachten des Amtssachverständigen sei das Recht der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör verletzt worden.

Im vorliegenden Fall ist die Niederösterreichische Bauordnung 1996 idF LGBl. Nr. 8200-19 maßgebend (BO).

§ 4 BO lautet auszugsweise:

"§ 4

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieses Gesetzes gelten als

1. Aufenthaltsräume: Räume, welche zum ständigen oder längeren Aufenthalt von Personen bestimmt sind, ausgenommen Wirtschaftsräume (z.B. Küche);

...

5. Bauwich: der vorgeschriebene Mindestabstand eines Gebäudes zu den Grundstücksgrenzen (seitlicher und hinterer Bauwich) oder zur Straßenfluchtlinie (vorderer Bauwich);

...

7. Gebäude: ein oberirdisches Bauwerk mit einem Dach und wenigstens zwei Wänden, welches von Menschen betreten werden kann und dazu bestimmt ist, Menschen, Tiere oder Sachen zu schützen;

Nebengebäude: ein Gebäude mit einer Grundrißfläche bis zum 100 m2, das

o oberirdisch nur ein Geschoß aufweist,

o keinen Aufenthaltsraum enthält und

o seiner Art nach dem Verwendungszweck eines Hauptgebäudes untergeordnet ist, unabhängig davon, ob ein solches tatsächlich besteht (z.B. Kleingarage, Werkzeughütte); es kann auch an das Hauptgebäude angebaut sein;

...

11. Hauptfenster: Fenster, die zur ausreichenden Belichtung von Wohn-, Arbeits- und anderen Aufenthaltsräumen erforderlich sind; alle andern Fenster sind Nebenfenster;

..."

§ 6 BO lautet auszugsweise:

"§ 6

Parteien, Nachbarn und Beteiligte

...

(2) Subjektiv-öffentliche Rechte werden begründet durch jene Bestimmungen dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000, der NÖ Aufzugsordnung, LGBl. 8220, sowie der Durchführungsverordnungen zu diesen Gesetzen, die

1. die Standsicherheit, die Trockenheit und den Brandschutz der Bauwerke der Nachbarn (Abs. 1 Z 4)

sowie

2. den Schutz vor Immissionen (§ 48), ausgenommen jene, die sich aus der Benützung eines Gebäudes zu Wohnzwecken oder einer Abstellanlage im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß (§ 63) ergeben,

gewährleisten und über

3. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe, den Bauwich, die Abstände zwischen den Bauwerken oder deren zulässigen Höhe, soweit diese Bestimmungen der Erzielung einer ausreichenden Belichtung der Hauptfenster (§ 4 Z. 9) der zulässigen (bestehende bewilligte und zukünftig bewilligungsfähige) Gebäude der Nachbarn dienen.

..."

§ 51 BO lautet auszugsweise:

"§ 51

Bauwerke im Bauwich

(1) Im seitlichen und hinteren Bauwich dürfen Nebengebäude und -teile errichtet werden, wenn

  1. 1. der Bebauungsplan dies nicht verbietet,
  2. 2. die Grundrißfläche dieser Nebengebäude und -teile insgesamt nicht mehr als 100 m2 und

    3. die Gebäudehöhe dieser Nebengebäude und -teile nicht mehr als 3 m beträgt; bei Hanglage des Grundstücks darf diese Höhe hangabwärts entsprechend dem gegebenen Niveauunterschied überschritten werden, wenn der freie Lichteinfall unter 45 Grad auf die Hauptfenster zulässiger Gebäude auf den Nachbargrundstücken nicht beeinträchtigt wird.

    ..."

    § 54 BO lautet auszugsweise:

    "§ 54

    Bauwerke im Baulandbereich ohne Bebauungsplan

(1) Ein Neu- oder Zubau eines Hauptgebäudes ist auf einem als Bauland, ausgenommen Bauland-Industriegebiet, gewidmeten Grundstück, für das kein Bebauungsplan gilt oder dieser keine Festlegung der Bebauungsweise oder -höhe enthält, nur zulässig, wenn es in seiner Anordnung auf dem Grundstück oder in seiner Höhe (Bauklasse) von den in seiner Umgebung bewilligten Hauptgebäuden nicht abweicht.

Die Umgebung umfasst einschließlich des Baugrundstücks alle Grundstücke im Bauland, ausgenommen Bauland-Industriegebiet, die vom Baugrundstück aus zur Gänze innerhalb einer Entfernung von 100 m liegen.

Eine Abweichung hinsichtlich der Anordnung oder Höhe liegt dann vor, wenn das neue oder abgeänderte Hauptgebäude nicht der auf dem Baugrundstück bereits bewilligten Bebauungsweise und Bebauungshöhe (Bauklasse) oder nicht jener Bebauungsweise und Bebauungshöhe (Bauklasse) entspricht, die von der Anordnung und der Höhe der Hauptgebäude in der Umgebung abgeleitet wird und die mehrheitlich in der Umgebung vorhanden ist. Neben der abgeleiteten Bauklasse darf auch die nächst niedrigere gewählt werden. Entspricht das neue oder abgeänderte Hauptgebäude der offenen Bebauungsweise und den Bauklassen I und II, liegt unbeschadet des Abs. 4 eine Abweichung hinsichtlich der Anordnung und der Höhe jedenfalls nicht vor. Erhebungen in der Umgebung hinsichtlich der Anordnung und Höhe sind diesfalls nicht erforderlich.

(2) Ist die Feststellung der Mehrheit einer abgeleiteten Bebauungsweise oder der Mehrheit einer abgeleiteten Bauklasse in der Umgebung nicht möglich, so ist das neue oder abgeänderte Hauptgebäude dann zulässig, wenn es bei gleich häufigem Auftreten mehrerer abgeleiteter Bebauungsweisen oder mehrerer abgeleiteter Bauklassen einer dieser Bebauungsweisen oder Bauklassen entspricht. Ist in der Umgebung keine Bebauungsweise oder Bauklasse ableitbar, gelten die letzten beiden Sätze des Abs. 1 sinngemäß.

(3) Für die Hauptgebäude und andere Bauwerke gelten - nach der Feststellung der durch die bewilligten Hauptgebäude gemäß Abs. 1 und 2 abgeleiteten Bebauungsweise und abgeleiteten Bauklasse - dieselben Bestimmungen dieses Gesetzes wie für Hauptgebäude und Bauwerke, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes liegen, sinngemäß, wobei diese den Lichteinfall unter 45 Grad auf bewilligte Hauptfenster auf den Nachbargrundstücken nicht beeinträchtigten dürfen.

(4) Zur Wahrung des Charakters der Bebauung darf von den Absätzen 1 bis 3 abgewichen werden, wenn dagegen keine brandschutztechnischen Bedenken bestehen und der Lichteinfall unter 45 Grad auf bewilligte Hauptfenster auf den Nachbargrundstücken nicht beeinträchtigt wird.

..."

Gemäß § 70 Abs. 1 BO regelt die Bebauungsweise die Anordnung der Gebäude auf dem Grundstück. Sie kann unter anderem gemäß Z 5 der genannten Bestimmung durch die freie Anordnung der Gebäude festgelegt werden, wobei an beiden Seiten ein Bauwich einzuhalten ist und eine höchstzulässige Geschossflächenanzahl und Gebäudehöhe festgelegt sind.

Die belangte Behörde ist zutreffend davon ausgegangen, dass hinsichtlich der gegenständlichen Garage § 54 Abs. 1 und 2 BO insofern nicht von Relevanz sind, als in diesen Regelungen lediglich Bestimmungen für Hauptgebäude getroffen werden. Gleichwohl sind diese Bestimmungen aber doch von Bedeutung, als auch § 54 Abs. 3 BO darauf abstellt, dass durch die bewilligten Hauptgebäude gemäß § 54 Abs. 1 und 2 BO eine abgeleitete Bebauungsweise bzw. abgeleitete Bauklasse zu ermitteln ist. Anders als die belangte Behörde offenbar vermeint, ist im Zusammenhang mit der Feststellung einer abgeleiteten Bebauungsweise und abgeleiteten Bauklasse angesichts der Regelungen des § 54 Abs. 1 und 2 BO die Bebauung durch Nebengebäude im Umgebungsbereich allerdings irrelevant.

Die belangte Behörde ist zu dem Ergebnis gelangt, dass für das Baugrundstück die freie Anordnung der Gebäude gemäß § 70 Abs. 1 Z 5 BO abgeleitet ist.

Die belangte Behörde ist weiters zutreffend davon ausgegangen, dass für die Zulässigkeit des gegenständlichen Nebengebäudes im Bauwich § 51 Abs. 1 BO sinngemäß heranzuziehen ist.

Strittig ist nun, ob bei der Beurteilung der Zulässigkeit der gegenständlichen Garage der Lichteinfall unter 45 Grad lediglich auf bewilligte Hauptfenster auf der Nachbarliegenschaft der Beschwerdeführerin von Bedeutung ist oder auch auf die Hauptfenster noch nicht bestehender und bewilligter, dort aber zulässiger Gebäude.

Die Gesetzesmaterialien zu § 54 Abs. 3 BO (wiedergegeben bei Pallitsch/Pallitsch/Kleewein, Niederösterreichisches Baurecht, 8. Auflage, S. 781) führen Folgendes aus:

"Nach Absatz 3 bestimmt sich die Zulässigkeit anderer Bauwerke als Hauptgebäude durch die abgeleitete Bebauungsweise und Bauklasse von Hauptgebäuden nach den Bestimmungen des Absatz 1 und 2. Für Hauptgebäude und andere Bauwerke sollen allerdings insgesamt die Bestimmungen der NÖ Bauordnung 1996 zum Tragen kommen, die auch für die Errichtung von Hauptgebäuden und anderen Bauwerken im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes herangezogen werden. Dies sind beispielsweise Bestimmungen über diverse Vorbauten, der Überbauung einer Grundstücksgrenze oder auch die Ausnahmebestimmungen hinsichtlich des Bauens in einem Bauwich. Festgehalten wird auch, dass sowohl für Hauptgebäude als auch für andere Bauwerke jedenfalls der Lichteinfall unter 45 Grad auf bewilligte Hauptfenster auf den Nachbargrundstücken nicht beeinträchtig werden darf."

Von Bedeutung sind auch die Gesetzesmaterialien zur Novelle LGBl. Nr. 8200-17, mit der bereits eine Neufassung des § 54 BO erfolgt ist, die im hier wesentlichen Bereich der nunmehr maßgebenden Fassung der Novelle LGBl. Nr. 8200-19 gleicht (vgl. dazu die Ausführungen bei Pallitsch/Pallitsch/Kleewein, aaO, S. 783f). Diese Gesetzesmaterialien (wiedergegeben bei Pallitsch/Pallitsch/Kleewein, aaO, S. 778f) legen Folgendes dar:

"Mit Abs. 3 wird festgelegt, dass z.B. für Nebengebäude oder für bauliche Anlagen diejenigen Bestimmungen zu Tragen kommen sollen, die auch für die Errichtung von Bauwerken im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes herangezogen werden. Diese Regelung ist insofern konsequent, als nach der Feststellung der auszuführenden abgeleiteten Bebauungsweise und der abgeleiteten Bauklasse kein Grund mehr besteht, diese Bauwerke auf dem Baugrundstück anders als jene, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes errichtet werden, zu behandeln und zu regeln. Die Feststellung der zulässigen abgeleiteten Bebauungsweise und der abgeleiteten Bauklasse ist, auch wenn auf dem Baugrundstück noch kein Hauptgebäude errichtet worden ist oder mit der Errichtung eines anderen Bauwerks auch noch keines errichtet werden soll, für die anderen Bauwerke schon insofern erforderlich, als dadurch z. B. erkennbar wird, ob es einen Bauwich gibt oder welches Ausmaß dieser hat und welches Belichtungsrecht dem Nachbarn z.B. durch die beabsichtigte Errichtung einer baulichen Anlage an der Grundstücksgrenze zukommt. So kann z.B. aufgrund der festgestellten abgeleiteten geschlossenen Bebauungsweise und der abgeleiteten Bauklasse II die Errichtung einer 5 m hohen Einfriedungsmauer an der Grundstücksgrenze zum Nachbargrundstück, das derzeit noch nicht bebaut ist und für dieses auch noch kein Hauptgebäude bewilligt worden ist, die Belichtung der zukünftigen Hauptfenster des Nachbargebäudes nicht beeinträchtigen, weil an dieser Grundstücksgrenze auch ein Hauptgebäude mit einer Gebäudehöhe von 8 m errichtet werden könnte. Anders könnte es sich wiederum z.B. bei einer abgeleiteten offenen Bebauungsweise verhalten. So wie bei Hauptgebäuden darf aber auch durch andere Bauwerke der Lichteinfall unter 45 Grad auf bewilligte Hauptfenster auf den Nachbargrundstücken nicht beeinträchtigt werden."

Erwähnt sei ferner, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung zu § 54 BO idF vor der Novelle LGBl. Nr. 8200-17 betont hat, dass § 54 BO keine weitergehenden Mitspracherechte des Nachbarn als § 6 Abs. 2 BO schaffe. Daher bestehe sein subjektives Recht iSd § 6 Abs. 2 Z 3 BO nur darin, dass eine auffallende Abweichung des Bauvorhabens einen Einfluss auf den Lichteinfall ausübt. Ein Anbau an die seitliche Grundgrenze wie in der geschlossenen oder gekuppelten Bebauungsweise beeinträchtige zwar immer den Lichteinfall, was aber dann zulässig sei, wenn das Bauvorhaben eben nicht auffallend von der Umgebung abweiche (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 8. April 2014, Zl. 2011/05/0091, mwN).

Die belangte Behörde ist nun im vorliegenden Fall davon ausgegangen, dass nur die bereits bewilligten (sowohl bestehenden als auch bewilligten, noch nicht ausgeführten) Hauptfenster auf den Nachbargrundstücken hinsichtlich des Lichteinfalls vor Beeinträchtigung geschützt sind (vgl. auch Pallitsch/Pallitsch/Kleewein, aaO, S. 784, Anm. 6). Dieser Auffassung kann jedoch nicht beigepflichtet werden:

Im gegenständlichen Zusammenhang geht es um § 51 Abs. 1 Z 3 BO. Dass unter zulässigen Gebäuden im Sinne des § 51 Abs. 1 Z 3 BO auch zukünftig bewilligungsfähige gemeint sind, ergibt sich schon aus § 6 Abs. 2 Z 3 BO, wo dieser Begriff in diesem Sinne definiert wird. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Bauordnung angesichts dieser Definition in § 51 Abs. 1 Z 3 BO etwas anderes unter dem gleichlautenden Begriff verstehen wollte.

Es wäre nun verfassungsrechtlich bedenklich, dass diese Regelung des § 51 Abs. 1 Z 3 BO zwar dann gelten soll, wenn ein Bebauungsplan die freie Anordnung der Gebäude vorsieht, nicht aber dann, wenn sich diese Bebauungsweise aufgrund der Abs. 1 und 2 des § 54 BO als abgeleitete ergibt. Eine sachliche Rechtfertigung für eine derartige Auffassung, die zu einer Schlechterstellung der Nachbarn im Anwendungsbereich des § 54 BO führt, ist nicht ersichtlich, zumal auch keinerlei andere Ausnahmen von den Vorschriften, die nach der sich als abgeleitet erweisenden Bebauungsweise maßgebend sind, gegeben sind. Die Auffassung der belangten Behörde könnte sogar zur völligen Unbebaubarkeit von Nachbarliegenschaften mit Hauptfenstern führen, wenn diese Nachbarliegenschaften noch nicht bebaut sind. Ein solches Ergebnis erscheint sachlich keinesfalls zu rechtfertigen, begünstigt es doch den zuerst bauenden Nachbarn mangels jeglicher Bedachtnahme auf die Erhaltung einer Bebauungsmöglichkeit der anderen Liegenschaft in gleichheitswidriger Weise (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. August 2010, 2009/06/0201).

Weder die Gesetzesmaterialien noch der Gesetzestext sprechen für eine derartige, verfassungsrechtlich bedenkliche Interpretation: Im Gesetz wird weder angeordnet, dass es im Sinne des § 54 Abs. 3 BO auf den Lichteinfall unter 45 Grad "lediglich" auf bewilligte Hauptfenster auf den Nachbargrundstücken ankommt, noch hat § 51 Abs. 1 Z 3 BO (und ebenso nicht § 6 Abs. 2 Z 3 BO) im Zuge der gegenständlichen Novellierung des § 54 BO eine Änderung erfahren. Und die Gesetzesmaterialien sprechen dafür, dass § 51 Abs. 1 Z 3 BO auch im Rahmen des § 54 Abs. 3 BO uneingeschränkt als maßgeblich heranzuziehen ist.

Gleichwohl ist die Regelung des letzten Halbsatzes des § 54 Abs. 3 BO keinesfalls inhaltsleer: Aufgrund dieser Regelung ergibt sich, wie auch in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommt, dass selbst dann, wenn auf dem Baugrundstück etwa die gekuppelte oder geschlossene Bauweise zulässig wäre, diese nicht ausgenützt werden darf, wenn dem bereits bewilligte Hauptfenster auf der Nachbarliegenschaft entgegenstehen (vgl. hingegen das zitierte hg. Erkenntnis vom 8. April 2014 zur früheren Rechtslage). Insofern ist diese Regelung auch sachlich begründet, weil auf derartige bereits bestehende bzw. bewilligte Hauptfenster in der Regel im Zuge der Grundlagenforschung und Interessenabwägung bei der Bebauungsplanung Rücksicht zu nehmen ist, was hier mangels eines Bebauungsplanes jedoch nicht der Fall sein kann. Angesichts dieses Inhaltes des § 54 Abs. 3 BO scheidet es auch aus, eine materielle Derogation der Regelungen des § 51 Abs. 1 Z 3 BO und des § 6 Abs. 2 Z 3 BO durch die Neufassung des § 54 BO anzunehmen.

Im Ergebnis folgt daraus, dass die belangte Behörde im vorliegenden Fall zu prüfen gehabt hätte, welche Hauptfenster auf dem Nachbargrundstück der Beschwerdeführerin zulässig sind und ob auch deren Lichteinfall trotz der Garage gewährleistet ist. Sollte sich erweisen, dass der Lichteinfall nicht nur für bestehende, sondern auch für zukünftig bewilligungsfähige Gebäude der Beschwerdeführerin gegeben ist, kann sie in den Nachbarrechten des § 6 Abs. 2 Z 3 BO nicht verletzt sein. Wäre hingegen eine Beeinträchtigung des Lichteinfalles auf die Hauptfenster (bewilligter oder) künftig zulässiger Gebäude auf dem Nachbargrundstück gegeben, wäre die geplante Garage angesichts der festgestellten Bebauungsweise im Hinblick auf § 51 Abs. 1 Z 3 BO unter Umständen unzulässig.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, wobei es sich erübrigte, auf das weitere Beschwerdevorbringen näher einzugehen.

Gemäß § 79 Abs. 11 VwGG, BGBl. I Nr. 122/2013, sind auf das vorliegende, mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängige Beschwerdeverfahren die Bestimmungen des VwGG idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 33/2013 weiter anzuwenden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 79 Abs. 11 VwGG und § 3 der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF Nr. 8/2014 iVm der Vorordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 24. Juni 2014

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