VwGH 2012/05/0027

VwGH2012/05/002727.8.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Sußner, über die Beschwerde der C O in L, vertreten durch Dr. Johannes Hock sen. und Dr. Johannes Hock jun. Rechtsanwälte Ges.m.b.H. in 1010 Wien, Stallburggasse 4, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 14. Dezember 2011, Zl. RU1-BR-893/006-2011, betreffend Verlust der Parteistellung im Bauverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. Gemeinde M, vertreten durch NH Niederhuber Hager Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Wollzeile 24, und 2. H F in W), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §42 Abs1 idF 1998/I/158;
AVG §42 Abs2 idF 1998/I/158;
AVG §42 Abs3 impl;
AVG §8;
BauO NÖ 1996 §22 Abs2;
BauO NÖ 1996 §23 Abs1;
BauO NÖ 1996 §6 Abs1;
BauO NÖ 1996 §6 Abs2;
BauRallg;
AVG §42 Abs1 idF 1998/I/158;
AVG §42 Abs2 idF 1998/I/158;
AVG §42 Abs3 impl;
AVG §8;
BauO NÖ 1996 §22 Abs2;
BauO NÖ 1996 §23 Abs1;
BauO NÖ 1996 §6 Abs1;
BauO NÖ 1996 §6 Abs2;
BauRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 und der erstmitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde erteilte der zweitmitbeteiligten Partei mit Bescheid vom 2. April 1985 die baurechtliche Bewilligung zum Neubau einer Badehütte auf dem verfahrensgegenständlichen Grundstück.

Mit Eingabe vom 16. April 2007, eingelangt bei der mitbeteiligten Gemeinde am 20. Juli 2010, beantragte die zweitmitbeteiligte Partei die Genehmigung von Zu- und Umbauten an dem angeführten Gebäude, nämlich den Zubau eines Raumes als Lager im Pfeilergeschossbereich sowie die Errichtung eines Flugdaches von 4 m Breite an der nördlichen Fassade des Gebäudes und die Errichtung eines Nebengebäudes auf der Pfeilergeschossebene als Lager (von 5 m x 2 m).

Der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde verständigte u. a. die Beschwerdeführerin als Eigentümerin des westlich des verfahrensgegenständlichen Grundstückes gelegenen, nur durch einen Weg getrennten Grundstückes gemäß § 22 Abs. 2 der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 (BO) von dem Einlangen des angeführten Bauantrages und forderte sie auf, eventuelle Einwendungen gegen das Vorhaben binnen 14 Tagen ab der Zustellung der Verständigung bei der mitbeteiligten Gemeinde einzubringen. Wenn innerhalb dieser Frist keine Einwendungen erhoben würden, so entfalle die Bauverhandlung und die Nachbarn verlören ihre Parteistellung.

Die Beschwerdeführerin, die dort ein Betonwerk betreibt, erhob in der Folge mit Schriftsatz vom 18. November 2010 - gemeinsam mit ihrem Ehegatten- durch ihre Rechtsvertretung Einwendungen gegen das angeführte Bauvorhaben und führte darin Folgendes aus:

"3. Wir halten fest, dass das in der Natur bestehende Haus des Bauwerbers auf dem Grundstück Nr. 521/37 laut beiliegendem Foto schon jetzt nicht der gültigen Widmung der Liegenschaft Bauland-Sondergebiet-Badehütten entspricht.

Vorweg: Die Baubewilligung oder die Baubewilligungen betreffend das im beiliegenden Foto abgelichtete Haus (der zweitmitbeteiligten Partei) wurden unseren Mandanten bisher trotz Nachbareigenschaft nicht zugestellt. Die Zustellungen wurden mit gesondertem Schreiben angefordert.

4. Das Hauptobjekt, zu welcher nun um die nachträgliche Bewilligung eines 'Zubaus' angesucht wird, entspricht nicht der Widmung des Gebietes, auf welchem es sich befindet. Schon deshalb kann auch ein 'Zubau' mit der Errichtung eines Nebengebäudes und Pergola nicht dem Flächenwidmungsplan entsprechen. Laut Bebauungsplan dürfen in der Stromsiedlung nur Badehütten errichtet werden, nicht Häuser mit dem wahrheitswidrigen Etikett 'Badehütte'.

Mehrgeschossige Häuser, samt Garagen, Heizungsanlagen, Installationen etc. in welchen vielleicht in einem Raum Badeanzüge und Schlapfen gelagert werden, entsprechen nach normalem Sprachgebrauch und nach der Widmung nicht dem Begriff 'Badehütten'.

Somit würde die nachträgliche Bewilligung der beantragten Objekte, die keine Badehütten sind, zu einem Haus, das ebenfalls keine Badehütte ist, rechtswidrig sein. Damit würde in die subjektiv öffentlichen Nachbarrechte unserer Mandanten auf Einhaltung der zulässigen Widmung eingegriffen. Überdies wurde und wird die Höchstgrenze der bebaubaren Flächen laut Bebauungsplan überschritten.

Dementsprechend ist die Bewilligung zu versagen."

Mit Bescheid vom 17. Jänner 2011 erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde dem angeführten Bauvorhaben die baubehördliche Bewilligung und wies die Einwendungen der Beschwerdeführerin ab. Dies wurde insbesondere damit begründet, dass ein Nachbar nicht jedenfalls ein Recht auf Einhaltung der einzelnen Widmungs- und Nutzungsarten von Flächenwidmungsplänen habe. Ein solches Recht komme ihm dann zu, wenn die Widmungs- und Nutzungsart einen Immissionsschutz gewährleiste. Die verfahrensgegenständliche Widmung "Bauland-Sondergebiet - Badehütte" umfasse keinen Immissionsschutz. Ein Immissionsschutz bestünde nur bei besonderer Immissionsbelastung. Eine solche sei aber bei der vorliegenden Sonderwidmung nicht gegeben. Die "Einwendungen" der Beschwerdeführerin seien daher mangels Verletzung in einem subjektiv-öffentlichen Recht abzuweisen.

In der dagegen erhobenen Berufung machte die Beschwerdeführerin geltend, sie hätte Parteistellung auf Grund ihrer subjektiv-öffentlichen Rechte gemäß dem Niederösterreichischen Raumordnungsgesetz 1976. Im Übrigen seien ihre subjektiv-öffentlichen Rechte auch wegen des Immissionsschutzes in § 48 Abs. 2 BO begründet. Sie verweise in diesem Zusammenhang auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zur "heranrückenden Wohnbebauung".

Der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde wies die Berufung der Beschwerdeführerin mit dem ihr am 12. September 2011 zugestellten (nicht datierten) Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurück. In der Begründung ging die Behörde im Wesentlichen davon aus, dass die Beschwerdeführerin mangels rechtzeitiger Geltendmachung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes ihre Parteistellung im Verfahren verloren habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Vorstellung der Beschwerdeführerin als unbegründet ab. Begründend führte sie nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und von Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin sei vom Bauvorhaben verständigt worden und in dieser Verständigung sei für den Fall einer nicht rechtzeitigen Erhebung von Einwendungen auf den Verlust der Parteistellung hingewiesen worden. Mit der im erstinstanzlichen Verfahren vorgebrachten Widmungswidrigkeit des Bauvorhabens habe sie kein subjektiv-öffentliches Recht geltend gemacht. Sie habe daher ihre Parteistellung im Verfahren verloren. Der Einwand der heranrückenden Wohnbebauung sei erst in der Berufung erhoben worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete, ebenso wie die zweitmitbeteiligte Partei, eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, sie habe in ihren Einwendungen vom 18. November 2011 vorgebracht, dass schon der bestehende Bau nicht der gültigen Widmung "Bauland-Sondergebiet - Badehütte" entspreche und daher auch ein Zubau den Bauvorschriften widerspreche. Sie habe festgehalten, dass ihr weder das Bauansuchen noch die baubehördliche Bewilligung betreffend den Bau der zweitmitbeteiligten Partei zugestellt worden sei. Da der Beschwerdeführerin Bauansuchen für "Badehütten" und Baubewilligungen nie zugestellt worden seien, habe erstmals in diesem baurechtlichen Verfahren eine Bekämpfung der ursprünglich rechtswidrigen Bewilligung erfolgen können. Der seinerzeitige Baubewilligungsbescheid sei der Beschwerdeführerin gegenüber nie rechtskräftig geworden. Die rechtswidrigen Zustellungen in der Vergangenheit seien auch Gegenstand eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof gewesen. Angemerkt werde, dass die Übersendung einer einfachen Kopie des alten Bewilligungsbescheides vom 2. April 1985 betreffend die Badehütte der zweitmitbeteiligten Partei nicht der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis vom 29. Juli 2009 entspreche, weil diese Kopie keine Bescheidausfertigung im Sinn des § 18 Abs. 4 AVG darstelle. Zudem sei die Übermittlung nicht vollständig gewesen, weil das Bauverhandlungsprotokoll als integrierender Bestandteil des Bescheides nicht mitübermittelt worden sei.

Gemäß § 79 Abs. 11 VwGG in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013 sind auf das vorliegende, mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängige Beschwerdeverfahren die Bestimmungen des VwGG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 33/2013 weiter anzuwenden.

Die im vorliegenden Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen der BO in der Fassung LGBl. 8200-19 lauten auszugsweise:

"§ 6

Parteien, Nachbarn und Beteiligte

(1) In Baubewilligungsverfahren und baupolizeilichen Verfahren nach § 32, § 33 Abs. 2, § 34 Abs. 2 und § 35 haben Parteistellung:

( ... )

3. die Eigentümer der Grundstücke, die an das Baugrundstück

angrenzen oder von diesem durch dazwischen liegende Grundflächen

mit einer Gesamtbreite bis zu 14 m (z.B. schmale Grundstücke,

Verkehrsflächen, Gewässer, Grüngürtel) getrennt sind (Nachbarn), und

( ... )

Nachbarn sind nur dann Parteien, wenn sie durch das Bauwerk

und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten

subjektiv-öffentlichen Rechten berührt sind.

( ... )

(2) Subjektiv-öffentliche Rechte werden begründet durch jene Bestimmungen dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000, der NÖ Aufzugsordnung, LGBl. 8220, sowie der Durchführungsverordnungen zu diesen Gesetzen, die

1. die Standsicherheit, die Trockenheit und den Brandschutz der Bauwerke der Nachbarn (Abs. 1 Z. 4)

sowie

2. den Schutz vor Immissionen (§ 48), ausgenommen jene, die sich aus der Benützung eines Gebäudes zu Wohnzwecken oder einer Abstellanlage im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß (§ 63) ergeben,

gewährleisten und über

3. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe, den Bauwich, die Abstände zwischen Bauwerken oder deren zulässige Höhe, soweit diese Bestimmungen der Erzielung einer ausreichenden Belichtung der Hauptfenster (§ 4 Z. 9) der zulässigen (bestehende bewilligte und zukünftig bewilligungsfähige) Gebäude der Nachbarn dienen.

( ... )

§ 22

Entfall der Bauverhandlung

( ... )

(2) Zur Beschleunigung des Bewilligungsverfahrens darf die Bauverhandlung entfallen, wenn

o die Baubehörde die Parteien nach § 6 Abs. 1 Z 3 und 4 (Nachbarn) und § 6 Abs. 3 (Straßenerhalter) von dem Einlangen eines Antrages nach § 14 unter Angabe von Zeit und Ort für die Einsichtnahme in den Antrag und seine Beilagen nachweislich verständigt, und

o gleichzeitig die Parteien aufgefordert werden, eventuelle Einwendungen gegen das Vorhaben binnen 14 Tagen ab Zustellung der Verständigung bei der Baubehörde einzubringen, und

o innerhalb dieser Frist keine Einwendungen erhoben werden. Werden keine Einwendungen erhoben, erlischt die Parteistellung."

Die im letzten Satz des § 22 Abs. 2 BO vorgesehene Rechtsfolge des Verlustes der Parteistellung tritt somit dann ein, wenn die betroffene Partei bei der nachweislichen Verständigung vom Einlangen des Baubewilligungsantrages auf diese Rechtsfolge bei nicht fristgerechter Erhebung von Einwendungen hingewiesen wurde. Zum Verlust der Parteistellung kommt es auch, wenn nur unzulässige Einwendungen erhoben werden, worunter vor allem solche Einwendungen zu verstehen sind, mit welchen Rechte geltend gemacht werden, für welche der Partei im Gesetz kein Nachbarrecht zuerkannt worden ist (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 31. März 2008, Zl. 2007/05/0021, mwN).

Soweit die Beschwerdeführerin in ihren fristgerecht erstatteten Einwendungen die Widmungswidrigkeit des gegenständlichen Bauvorhabens wie auch des bestehenden Gebäudes behauptet hat, ist die belangte Behörde zutreffend davon ausgegangen, dass sie damit kein ihr zukommendes subjektivöffentliches Recht im Sinne des § 6 Abs. 2 BO geltend gemacht hat.

Die Widmungswidrigkeit eines Bauvorhabens kann vom Nachbarn nämlich nur dann als Nachbarrecht geltend gemacht werden, wenn die Widmung einen Immissionsschutz enthält (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. Mai 2009, Zl. 2008/06/0165, und vom 20. Oktober 2009, Zl. 2008/05/0118). Aus der im vorliegenden Fall gegebenen Widmung "Bauland-Sondergebiet - Badehütte" ergibt sich kein Immissionsschutz.

Mit ihrem Vorbringen zur Widmungswidrigkeit hat die Beschwerdeführerin daher keine zulässige Einwendung erhoben.

Die Beschwerdeführerin hat in ihren Einwendungen vom 18. November 2010 auch vorgebracht, dass ihr die Baubewilligung betreffend die verfahrensgegenständliche Badehütte der zweitmitbeteiligten Partei bisher trotz Nachbareigenschaft nicht zugestellt worden sei, und damit die mangelnde Rechtskraft der ursprünglich erteilten Baubewilligung eingewandt. Das diesbezügliche Beschwerdevorbringen unterliegt daher - entgegen der in den Gegenschriften der belangten Behörde und der erstmitbeteiligten Partei geäußerten Ansicht - nicht dem Neuerungsverbot im verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

Zwar setzen sowohl ein Zubau als auch bloße bauliche Änderungen voraus, dass das bestehende Gebäude über einen baurechtlichen Konsens verfügt. Eine Nichtbeachtung dieser Voraussetzung könnte der Nachbar allerdings nur dann mit Erfolg geltend machen, wenn er dadurch in einem Recht gemäß § 6 Abs. 2 BO verletzt wäre (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 23. August 2012, Zl. 2012/05/0080, mwN). Eine solche Rechtsverletzung hat die Beschwerdeführerin aber, wie oben dargelegt, nicht vorgebracht.

Den Einwand der "heranrückenden Wohnbebauung" hat die Beschwerdeführerin - wie die belangte Behörde zutreffend ausgeführt hat - erst in ihrer Berufung und somit nicht fristgerecht im Sinn des § 22 Abs. 2 BO erhoben. Ungeachtet dessen legt die Beschwerdeführer auch nicht dar, welche zulässigen Immissionen von ihrem Gewerbebetrieb ausgehen und durch die heranrückende Verbauung unzulässig werden könnten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2009, Zl. 2008/05/0143, mwN).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014 weiterhin anzuwendenden Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 27. August 2014

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