VwGH 2011/23/0476

VwGH2011/23/047631.1.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde der A in W, vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof, Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwälte in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 7. Juli 2010, Zl. E1/240.804/2010, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §31 Abs1 Z4;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
FrPolG 2005 §31 Abs1 Z4;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Armenien, reiste am 10. Juli 2001 unrechtmäßig nach Österreich ein, wo sie am 11. Juli 2001 einen Asylantrag stellte. Dieser Antrag wurde im Instanzenzug vom unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom 22. Februar 2008 rechtskräftig abgewiesen. Zugleich wurde festgestellt, dass (u.a.) die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Armenien zulässig sei. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof - nachdem ihr zunächst mit Beschluss vom 8. April 2008 die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war - mit Beschluss vom 30. März 2010, Zl. 2008/19/0402, abgelehnt.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 7. Juli 2010 wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

In ihrer Begründung führte die belangte Behörde dazu aus, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin für die Dauer ihres Asylverfahrens und nach Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung während des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof rechtmäßig gewesen sei. Aktuell verfüge sie über keinen Aufenthaltstitel, sodass ihr Aufenthalt unerlaubt und damit der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.

Im Hinblick auf den mehrjährigen Aufenthalt im Inland und eine daraus resultierende Integration sowie die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte familiäre Bindung zu ihrer Tochter, ihrem Schwiegersohn und der Enkeltochter ging die belangte Behörde von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin aus. Zur Interessenabwägung nach § 66 FPG führte die belangte Behörde weiter aus, dass der überwiegende Teil des Aufenthalts der Beschwerdeführerin auf einem Asylantrag beruht habe, der sich als unberechtigt erwiesen habe. Dies mindere das Gewicht ihrer - auf einer Integration in dieser Zeit beruhenden - privaten Interessen. Seit März 2010 sei der Aufenthalt zudem unerlaubt. Deshalb sei die Beschwerdeführerin auch bereits mit Strafverfügung vom (richtig:) 17. April 2008 rechtskräftig bestraft worden. Die Beschwerdeführerin verfüge zwar über familiäre Bindungen im Inland. Ein gemeinsamer Haushalt mit ihrer Tochter, dem Schwiegersohn und der Enkeltochter bestehe jedoch nicht, sodass ein "tatsächliches Familienleben im engeren Sinne" nicht vorliege, weil dieses u.a. durch einen gemeinsamen Wohnsitz determiniert werde. Zudem sei auch der Aufenthalt dieser Personen unerlaubt, weil sie von der Erstbehörde im Juni 2010 ebenfalls ausgewiesen worden seien. Auch deren Aufenthalt sei vom Ausgang der Asylverfahren abhängig und insofern unsicher gewesen. Sonstige Bindungen - welcher Art auch immer - seien nicht behauptet worden. Es sei auch kein Grund ersichtlich, warum die genannten Personen nicht gemeinsam ausreisen könnten. Zudem habe die Beschwerdeführerin am Konservatorium in Jerewan ein Studium zur Klavierlehrerin abgeschlossen. Eine Rückkehr in ihre Heimat, wo sie den Großteil ihres Lebens verbracht habe, sei ihr daher schon im Hinblick auf ihre Ausbildung möglich. Weshalb der Beschwerdeführerin - wie von ihr vorgebracht - ein "Familienleben" mit ihren Angehörigen nur in Österreich möglich sein solle, könne nicht nachvollzogen werden. Auch wenn sie in den Jahren 2002 bis 2004 "legal phasenweise gearbeitet" habe, komme diesem Umstand keine wesentliche Bedeutung zu, zumal sich ihr Aufenthalt allein auf ihren Asylantrag gegründet habe. In den letzten Jahren seien ihr keine Beschäftigungsbewilligungen mehr erteilt worden; eine legale Beschäftigung sei ihr daher nicht mehr möglich gewesen. Von einer Integration am Arbeitsmarkt könne somit nicht ausgegangen werden.

Rechtlich beurteilte die belangte Behörde diesen Sachverhalt dahingehend, dass von einem Überwiegen der privaten Interessen bzw. einem Überwiegen der Schutzwürdigkeit des Privatlebens der Beschwerdeführerin nicht ausgegangen werden könne. Das Familienleben mit ihren Angehörigen erweise sich als erheblich relativiert. Die Beschwerdeführerin sei zwar strafgerichtlich unbescholten, negiere aber einschlägige fremdenrechtliche Normen, indem sie ihren unerlaubten Aufenthalt im Bundesgebiet fortsetze. Ihren Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet würden somit erhebliche öffentliche Interessen gegenüberstehen. So komme der Befolgung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften unter dem Aspekt des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sowie einer geordneten Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zu. Dieses hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse habe die Beschwerdeführerin nachhaltig beeinträchtigt, sodass ihre gegenläufigen privaten Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an ihrer Ausreise aus dem Bundesgebiet.

Die belangte Behörde sah sich schließlich weder durch besondere Umstände noch durch den von der Beschwerdeführerin am 25. Mai 2010 eingebrachten Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 43 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz veranlasst, im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens von einer Ausweisung Abstand zu nehmen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Juli 2010) geltende Fassung.

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Die Beschwerdeführerin gesteht zu, dass ihr Asylverfahren rechtskräftig negativ beendet ist, und bestreitet nicht, dass ihr kein Aufenthaltstitel erteilt wurde. Die belangte Behörde ging daher zu Recht davon aus, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 13. September 2012, Zl. 2011/23/0336).

Die Beschwerdeführerin rügt in diesem Zusammenhang zunächst als Verletzung ihres Parteiengehörs, dass erstmals im angefochtenen Bescheid eine Bestrafung wegen unrechtmäßigen Aufenthalts im Jahr 2008 erwähnt werde. Dies sei auch nicht nachvollziehbar, habe sie doch ab ihrer Asylantragstellung im Jahr 2001 bis März 2010 über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz verfügt. Der Verfahrensfehler sei wesentlich, weil dieser Umstand in die Interessenabwägung nach § 66 FPG eingeflossen sei.

Diesem Vorbringen ist vorweg entgegenzuhalten, dass damit die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht dargestellt wird. Zwar trifft es zu, dass sich die Beschwerdeführerin gemäß § 31 Abs. 1 Z 4 FPG rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt, solange ihr eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz zugekommen ist. Die Beschwerde übersieht jedoch, dass die Beschwerdeführerin sich zwischen der Erlassung des Bescheids des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. Februar 2008 und der Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. April 2008 auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wegen deren ex nunc-Wirkung (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 20. September 2011, Zl. 2009/01/0047, mwN) unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt. Die belangte Behörde hat im Rahmen ihrer Interessenabwägung zutreffend aber ohnedies in erster Linie nicht auf die erwähnte Bestrafung sondern darauf abgestellt, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin seit März 2010 - nach Ablehnung der Beschwerde durch den Verwaltungsgerichtshof - unerlaubt sei.

Bei der von der Beschwerde gegen die behördliche Interessenabwägung weiters vorgebrachten Anwesenheit des Sohnes der Beschwerdeführerin, seiner Ehefrau und ihrer zwei minderjährigen Kinder, die über "dauerhafte Aufenthaltsberechtigungen" im Bundesgebiet verfügten, handelt es sich um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung (§ 41 Abs. 1 VwGG). Ein dahingehendes Vorbringen wurde trotz dazu bestehender Gelegenheit im Verwaltungsverfahren nicht erstattet. Selbst den Beschwerdeausführungen ist im Übrigen kein Vorbringen zu entnehmen, aus dem sich ein berücksichtigungswürdiges Familienleben zwischen der Beschwerdeführerin und der Familie ihres volljährigen Sohnes entnehmen ließe.

Die Beschwerdeführerin wendet zusammengefasst weiter ein, dass ihr Integrationsgrad von der belangten Behörde nur ungenügend gewürdigt worden sei. So habe sich die belangte Behörde mit ihren guten Deutschkenntnissen und ihren engen familiären Bindungen überhaupt nicht auseinandergesetzt. Es sei auch nicht begründet worden, warum ihrer guten Ausbildung und der "unter Ausschöpfung aller gesetzlichen Möglichkeiten verrichteten Erwerbstätigkeit keinerlei Integrationswert auf dem Arbeitsmarkt" zuzubilligen sei.

Diesem Vorbringen ist zu erwidern, dass die belangte Behörde die von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren vorgebrachten integrationsbegründenden Umstände ohnedies ausreichend berücksichtigt und in ihre Interessenabwägung einbezogen hat. So nahm sie wegen des mehrjährigen Aufenthalts und der daraus resultierenden Integration der Beschwerdeführerin sowie wegen der familiären Bindungen zu ihrer Tochter und deren Familie einen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin an. Zu Recht sah sie diese familiären Bindungen der Beschwerdeführerin jedoch schon als dadurch relativiert an, dass kein gemeinsamer Haushalt bestand. In diesem Zusammenhang werden in der Beschwerde auch keine Umstände eines dennoch vorliegenden Familienlebens dargestellt, die dessen ungeachtet eine Ausweisung unzulässig gemacht hätten. Auf die in der Beschwerde bestrittene Feststellung, dass auch die Tochter der Beschwerdeführerin, deren Ehemann sowie das gemeinsame Kind im Juni 2010 bereits mit erstinstanzlichen Bescheiden ausgewiesen worden seien, kommt es daher entscheidungswesentlich nicht an. Eine - über die im angefochtenen Bescheid ohnedies festgestellte saisonale Beschäftigung in den Jahren 2002 bis 2004 hinausgehende -

Integration in den heimischen Arbeitsmarkt wird auch mit dem Hinweis auf die (in ihrem Heimatland erfolgte) gute Ausbildung der Beschwerdeführerin nicht aufgezeigt.

Die belangte Behörde hat jedoch zu Recht auch darauf verwiesen, dass der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt. Gegen diese Normen verstoßen Fremde, die - wie die Beschwerdeführerin- nach dem negativen Abschluss ihres Asylverfahrens unrechtmäßig in Österreich verbleiben, was eine maßgebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen darstellt. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin hätte die belangte Behörde aber auch aus den von ihr ins Treffen geführten Umständen nicht ableiten müssen, ihre Ausweisung aus Österreich sei unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK am Maßstab der in § 66 Abs. 2 FPG angeführten Kriterien unzulässig. Die geltend gemachten Umstände stellen sich - auch unter Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer (bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheids) von etwa neun Jahren, ihrer guten Deutschkenntnisse und ihrer strafgerichtlichen Unbescholtenheit - nämlich insgesamt nicht als so außergewöhnlich dar, dass unter dem genannten Gesichtspunkt von einer Ausweisung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Verhalten letztlich versucht hat, in Bezug auf ihren Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen. Bei der Bewertung des privaten Interesses der Beschwerdeführerin an einem Verbleib in Österreich durfte die belangte Behörde im Sinn des § 66 Abs. 2 Z 8 FPG nämlich vor allem auch berücksichtigen, dass sie auf Grundlage der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung, die ihr während des Asylverfahrens zugekommen war, nicht damit rechnen durfte, sie werde dauernd in Österreich verbleiben können. Dementsprechend wurde das Gewicht der erlangten Integration von der belangten Behörde zutreffend als gemindert angesehen.

Es ist im vorliegenden Fall somit im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde das Interesse der Beschwerdeführerin an einem weiteren Aufenthalt in Österreich nicht schwerer gewichtete als das gegenläufige, der Aufrechterhaltung des - hoch zu bewertenden - geordneten Fremdenwesens dienende öffentliche Interesse an der Beendigung des seit März 2010 unrechtmäßigen Inlandsaufenthalts der Beschwerdeführerin.

In der Beschwerde werden schließlich auch keine Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt wäre.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 31. Jänner 2013

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