VwGH 2011/23/0325

VwGH2011/23/032518.10.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des E in W, vertreten durch Mag. Ralf Mössler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Singerstraße 11/7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. April 2009, Zl. E1/148.574/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art3;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
SMG 1997 §28 Abs6;
VwGG §41 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art3;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
SMG 1997 §28 Abs6;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Dem Beschwerdeführer, einem 1970 geborenen Staatsangehörigen von Bosnien und Herzegowina, wurde erstmals ab 27. August 2002 eine Erstniederlassungsbewilligung zur Familiengemeinschaft mit seiner Mutter, einer österreichischen Staatsbürgerin, erteilt. Sein Aufenthaltstitel wurde zuletzt bis 2. August 2007 verlängert.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 25. Juli 2007 wurde der Beschwerdeführer wegen der Verbrechen nach § 28 Abs. 2 vierter Fall und Abs. 3 erster Fall SMG sowie wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt, wobei ein Teil von 19 Monaten bedingt nachgesehen wurde. Dem Urteil lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer von Mai 2006 bis August 2006 gewerbsmäßig über eine Mittäterin insgesamt 2500 Gramm Marihuana an zwei Konsumenten verkauft und im Herbst 2006 mehr als vier Kilogramm Marihuana drei Abnehmern überlassen habe, wodurch er eine insgesamt die Grenzmenge nach § 28 Abs. 6 SMG mehr als 16-fach übersteigende (große) Menge Suchtgift in Verkehr gesetzt habe. Ebenso habe er von Juli 2006 bis November 2006 vier bis fünf Gramm Kokain weitergegeben und in dieser Zeit wiederholt geringe Mengen Kokain und Marihuana zum Eigenkonsum erworben.

Weiters wurde der Beschwerdeführer, weil er zwischen Sommer 2004 und November 2006 insgesamt weitere 70 Gramm Kokain durch Verkauf an einen Mittäter gewerbsmäßig in Verkehr gesetzt habe, am 23. Oktober 2007 vom Landesgericht für Strafsachen Wien neuerlich wegen der Vergehen nach § 27 Abs. 1 sechster Fall und Abs. 2 Z 2 erster Fall SMG verurteilt; von der Verhängung einer Zusatzstrafe sah das Gericht gemäß § 31 StGB ab.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 17. April 2009 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Im Hinblick auf die genannte Verurteilung sah die belangte Behörde den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG und damit die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbots im Grunde des § 60 Abs. 1 FPG - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 61 und 66 FPG - als erfüllt an.

Das Vorliegen eines Aufenthaltsverbot-Verbotsgrundes nach § 61 FPG verneinte die belangte Behörde und sie führte zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers aus, dass er geschieden und für zwei in seiner Heimat lebende Kinder sorgepflichtig sei. Im Bundesgebiet bestehe eine familiäre Bindung zu seiner Mutter und zu seinem Stiefvater sowie zu einer Lebensgefährtin, die er zu heiraten beabsichtige. Angesichts dessen sei das Aufenthaltsverbot mit einem Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Verhinderung insbesondere der Suchtgiftkriminalität und zum Schutz der Gesundheit Dritter, dringend geboten und daher zulässig. Wegen der über mehrere Jahre hinweg begangenen Straftaten, der hohen Sozialschädlichkeit der Suchtgiftkriminalität und deren hoher Wiederholungsgefahr könne eine Verhaltensprognose nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers ausfallen.

Auch die Berücksichtigung der privaten und familiären Lebensumstände des Beschwerdeführers - so führte die belangte Behörde weiter aus - mache die Erlassung des Aufenthaltsverbots nicht unzulässig. Die soziale Komponente seiner Integration sei durch das jahrelange und schwer wiegende strafbare Verhalten in ihrem Gewicht entsprechend gemindert. Der Beschwerdeführer sei längst volljährig und lebe mit seiner Mutter und dem Stiefvater nicht im gemeinsamen Haushalt. Angaben zur Lebensgefährtin habe der Beschwerdeführer nicht konkretisiert. Selbst unter Zugrundelegung seines Vorbringens könne dies seine persönlichen Interessen jedoch nicht maßgeblich verstärken. Auch das aufrechte Beschäftigungsverhältnis des Beschwerdeführers verleihe seinem Interesse an einem Verbleib keineswegs ein solches Gewicht, dass demgegenüber das hohe öffentliche Interesse daran, dass er das Bundesgebiet verlasse und diesem fern bleibe, in den Hintergrund zu treten hätte.

Mangels besonderer, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände sei von der Erlassung des Aufenthaltsverbots auch nicht im Rahmen des Ermessens Abstand zu nehmen gewesen. Vor Ablauf der mit zehn Jahren zu befristenden Dauer des Aufenthaltsverbots könne nicht erwartet werden, dass die für die Erlassung dieser Maßnahme ausschlaggebenden Gründe weggefallen sein würden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (April 2009) geltende Fassung.

Nach § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme iSd Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht u.a. zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.

Im Hinblick auf die dargestellte Verurteilung des Beschwerdeführers erweist sich die Ansicht der belangten Behörde, die angeführte Alternative des Tatbestands des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG sei erfüllt, als zutreffend, was auch vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellt wird. Das den dargestellten Strafurteilen zu Grunde liegende Fehlverhalten rechtfertigte überdies die Annahme iSd § 60 Abs. 1 FPG, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde bzw. anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Interessen zuwiderlaufe.

Die belangte Behörde hat zutreffend auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität und die damit einhergehende große Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hingewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf die Suchtgiftdelinquenz bereits mehrfach festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Verhalten darstelle, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben sei und an deren Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse bestehe (vgl. etwa das Erkenntnis vom 24. April 2012, Zl. 2011/23/0670, mwN). Die Beschwerdeausführungen, die eine Wiederholungsgefahr im konkreten Fall in Zweifel ziehen, vermögen schon angesichts der Tatbegehung über einen langen Zeitraum und der Weitergabe einer die Grenzmenge des § 28 Abs. 6 SMG um ein Vielfaches übersteigenden Suchtgiftmenge nicht zu überzeugen. Die Auffassung des Beschwerdeführers, dass bei einer einmaligen Verurteilung der Schluss auf eine Wiederholungsgefahr nicht gezogen werden dürfe, kann aber auch deshalb nicht geteilt werden, weil der seither vergangene Zeitraum zu kurz ist, um verlässlich eine positive Prognose über ein künftiges Wohlverhalten des (selbst Drogen konsumierenden) Beschwerdeführers stellen zu können.

Der Beschwerdeführer wendet sich weiters gegen die von der belangten Behörde gemäß § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung und bringt dazu vor, dass er stets "aufrecht niedergelassen" in Österreich aufhältig gewesen sei. Er habe "engste familiäre Bande" vorzuweisen, verfüge über eine Unterkunft, eine Beschäftigung und sei sozialversichert.

Mit diesen Ausführungen zeigt die Beschwerde keine Umstände auf, die im angefochtenen Bescheid nicht bereits ausreichend Berücksichtigung gefunden hätten. So ging auch die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer berufstätig sei, eine Lebensgemeinschaft bestehe und im Bundesgebiet seine Mutter und sein Stiefvater aufhältig seien. Davon ausgehend kam die belangte Behörde zur Annahme eines mit der Erlassung des Aufenthaltsverbots verbundenen Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers. Zutreffend hat sie jedoch die Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner Mutter und zu seinem Stiefvater im Hinblick auf die Volljährigkeit des Beschwerdeführers und den fehlenden gemeinsamen Haushalt relativiert. Es entspricht im Übrigen der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei solchen - gewerbsmäßig begangenen - Verbrechen nach dem SMG weder ein langjähriger Aufenthalt in Österreich noch eine sonst vollkommene soziale Integration im Inland einem Aufenthaltsverbot entgegenstünde (vgl. etwa das Erkenntnis vom 24. April 2012, Zl. 2011/23/0291, mwN).

Die belangte Behörde hat den Interessen des Beschwerdeführers zu Recht die große Gefährdung der öffentlichen Interessen gegenübergestellt, die aus dem vom Beschwerdeführer in Bezug auf eine große Suchtgiftmenge gesetzten strafbaren Verhalten resultiert. Im Hinblick auf das beträchtliche öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität erweist sich daher die Ansicht der belangten Behörde, dass das gegen den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot zur Erreichung in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannter Ziele dringend geboten sei und die persönlichen Interessen die gegenläufigen öffentlichen Interessen nicht überwiegen, sodass die Erlassung dieser Maßnahme gemäß § 66 FPG zulässig sei, nicht als rechtswidrig.

Der Beschwerdeführer bringt schließlich vor, dass eine Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina faktisch unmöglich sei, weil er als bosnischer Offizier im Zuge des "Jugoslawien-Krieges" viermal schwer verletzt worden sei. Seine Heimatstadt sei von kroatischen Einheiten besetzt worden und werde nun mehrheitlich von Kroaten bewohnt. Er sei durch die Kampfhandlungen schwerstens traumatisiert, weshalb eine Abschiebung mit gravierenden gesundheitlichen Folgen verbunden wäre.

Diesem - zum Teil entgegen § 41 Abs. 1 VwGG erstmals in der Beschwerde erstatteten und nicht näher belegten - Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass die Frage der Unzulässigkeit der Abschiebung unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK Gegenstand anderer Verfahren ist, nicht jedoch im Verfahren betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu prüfen ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 2. Oktober 2008, Zl. 2007/18/0798, mwN). Angesichts der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Straftaten mussten auch die ins Treffen geführten gesundheitlichen Folgen unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK zu keinem im Ergebnis anderen Bescheid führen.

Die Beschwerde zeigt schließlich auch keine Gründe auf, wonach das Ermessen durch die belangte Behörde nicht in gesetzmäßiger Weise ausgeübt worden wäre.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 18. Oktober 2012

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