VwGH 2011/23/0167

VwGH2011/23/016724.11.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des IK, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Türkenstraße 25/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 23. Juli 2009, Zl. E1/134.271/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL;
EURallg;
FrPolG 2005 §54 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56;
FrPolG 2005 §61 Z2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §34 Abs1;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL;
EURallg;
FrPolG 2005 §54 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56;
FrPolG 2005 §61 Z2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste erstmals im Alter von 19 Jahren am 1. Dezember 1989 nach Österreich ein und erhielt einen bis 20. August 1990 gültigen Sichtvermerk. Am 15. Oktober 1992 wurde im Zuge einer fremdenpolizeilichen Überprüfung in seinem Reisepass ein gefälschter Wiedereinreisesichtvermerk mit einer Gültigkeitsdauer bis 21. März 1993 festgestellt. Nach seinen Angaben vom 19. Oktober 1992 habe er sich seit dem Jahr 1990 mit kleineren Unterbrechungen in Österreich aufgehalten und seine damals letzte Einreise am 6. Oktober 1992 sei mit einem von ihm käuflich erworbenen gefälschten Sichtvermerk erfolgt. Am 19. Oktober 1992 wurde gegen ihn deshalb ein bis 31. Dezember 1997 befristetes rechtskräftiges Aufenthaltsverbot erlassen.

Am 23. Dezember 1993 wurde er beim Versuch, trotz des bestehenden Aufenthaltsverbotes nach Österreich einzureisen, am Flughafen Wien-Schwechat zurückgewiesen.

In weiterer Folge reiste der Beschwerdeführer mit einem von der österreichischen Botschaft in Belgrad ausgestellten und vom 9. August 2002 bis 8. Oktober 2002 gültigen Visum C nach Österreich ein. Er heiratete am 25. September 2002 in Wien eine österreichische Staatsbürgerin und erhielt daraufhin eine bis 31. Oktober 2003 gültige Niederlassungsbewilligung (Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher"), die einmal verlängert wurde. Am 23. November 2004 wurde dem Beschwerdeführer ein bis 22. November 2014 gültiger Niederlassungsnachweis ausgestellt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Favoriten vom 2. November 2004 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der versuchten Körperverletzung gemäß §§ 15, 83 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Sachbeschädigung gemäß § 125 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt. Er hatte am 6. Februar 2004 in Wien durch Versetzen von Faustschlägen und Fußtritten versucht, eine Person am Körper zu verletzen, sowie Rigipswände, einen Kasten und einen Bügeltisch zerschlagen.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Favoriten vom 17. Jänner 2006 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 Suchtmittelgesetz - SMG erneut zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt. Er hatte am 17. März 2005 in Wien 35 Gramm Cannabisharz besessen.

Schließlich wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15. September 2008 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG und des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 20 Monaten rechtskräftig verurteilt. Dem Urteil lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer in Wien vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen hatte, indem er im Zeitraum von Mitte Dezember 2007 bis April 2008 wiederholt einer Person insgesamt ca. 500 Gramm Kokain brutto verkauft hatte. Ferner hatte er im Zeitraum vom 21. Jänner 2006 bis 27. Juni 2008 mehrmals Cannabiskraut und Kokain erworben und bis zum Eigenkonsum bzw. zur Sicherstellung des Suchtgiftes besessen.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid vom 23. Juli 2009 wurde gegen den Beschwerdeführer unter Verweis auf die genannten Verurteilungen und das diesen zugrunde liegende Fehlverhalten ein auf § 86 iVm § 87 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG gestütztes, auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Entgegen den anlässlich seiner Vernehmung am 7. Juli 2008 getätigten Angaben des Beschwerdeführers, geschieden zu sein, ging die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung gestützt auf einen Vermerk der Behörde erster Instanz vom 4. März 2009 von einer aufrechten Ehe des Beschwerdeführers aus. Er habe - so die belangte Behörde in ihrer Begründung weiter - Sorgepflichten für zwei in Wien lebende Kinder und sei in der Zeit vom 1. Oktober 2002 bis 30. Juni 2008 mit Unterbrechungen einer Beschäftigung nachgegangen. In Anbetracht seines siebenjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet sowie seiner familiären und beruflichen Bindungen sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dessen ungeachtet sei im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit und der körperlichen Integrität Dritter - dringend geboten. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe den Suchtgifthandel im Zusammenhang mit seiner eigenen Suchtgiftabhängigkeit begangen und er sei mittlerweile "clean", hielt die belangte Behörde entgegen, dass der seit der Begehung des geschilderten Fehlverhaltens des Beschwerdeführers verstrichene Zeitraum noch viel zu kurz sei, um einen Wegfall oder eine wesentliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr annehmen zu können.

Im Rahmen der gemäß § 66 FPG idF BGBl. I Nr. 29/2009 durchgeführten Interessenabwägung hielt die belangte Behörde fest, die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers hätten im Hinblick darauf, dass die für das Ausmaß jeglicher Integration wesentliche soziale Komponente durch sein strafbares Verhalten deutlich beeinträchtigt werde, eine weitere Minderung erfahren. Die privaten Interessen des Beschwerdeführers hätten gegenüber dem hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität in den Hintergrund zu treten.

In Anbetracht des aufgezeigten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers könne - selbst unter Bedachtnahme auf seine "private Situation" - ein Wegfall des für die Erlassung dieser Maßnahme maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes von zehn Jahren erwartet werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Der Beschwerdeführer bringt vor, entgegen der Annahme der belangten Behörde sei seine Ehe bereits im Jahr 2008 geschieden worden. Da der ihm erteilte Niederlassungsnachweis als "Daueraufenthalt" weiter gelte, sei die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen ihn nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 61 Z. 2 (iVm § 56) FPG zulässig. Die belangte Behörde habe sich mit dieser Vorschrift "in Verkennung der Sachlage" nicht beschäftigt.

Der dem Beschwerdeführer erteilte Niederlassungsnachweis gilt mit dem Inkrafttreten des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG am 1. Jänner 2006 als - das unbefristete Niederlassungsrecht dokumentierender - Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - Familienangehöriger" bzw. "Daueraufenthalt - EG" weiter (vgl. § 11 Abs. 1 C lit. b und c der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung - NAG DV). Vor diesem Hintergrund ist dem Beschwerdeführer darin beizupflichten, dass ihm die Rechtsstellung eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen im Sinne der Richtlinie 2003/109/EG zukommt. Der Beschränkung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen langfristig Aufenthaltsberechtigte im Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie wurde im innerstaatlichen Recht mit § 56 FPG Rechnung getragen. Nach § 61 Z. 2 FPG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn eine Ausweisung gemäß § 54 Abs. 1 FPG wegen des maßgeblichen Sachverhaltes unzulässig wäre. Im Wege dieser Bestimmung gelten die Bedingungen des § 56 Abs. 1 FPG daher auch für Aufenthaltsverbote gegen langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2008/21/0603).

Demgegenüber hat die belangte Behörde ausgehend von einer aufrechten Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin das Vorliegen der Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG geprüft. Hat die belangte Behörde aber die Gefährdungsprognose nach den ersten beiden Sätzen des § 86 Abs. 1 FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr" für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt) zutreffend bejaht, so kann der Beschwerdeführer dadurch, dass - legt man seine Angaben über die erfolgte Scheidung zugrunde - lediglich der Gefährdungsmaßstab des § 56 Abs. 1 FPG ("schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit") anzuwenden gewesen wäre, keinesfalls in seinen Rechten verletzt sein. Die Beurteilung nach den ersten beiden Sätzen des § 86 Abs. 1 FPG erfordert nämlich im Verhältnis zu § 56 Abs. 1 FPG ein höheres Maß der zu prognostizierenden Gefährdung (vgl. zum System der abgestuften Gefährdungsprognosen das bereits zitierte hg. Erkenntnis, Zl. 2008/21/0603).

Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat die belangte Behörde bei der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 86 Abs. 1 FPG nicht nur die bloße Tatsache der Verurteilungen des Beschwerdeführers, sondern auch das diesen Verurteilungen zugrunde liegende, vom Beschwerdeführer ebenso wenig bestrittene Fehlverhalten in ausreichendem Maße berücksichtigt.

Danach ist dem Beschwerdeführer u.a. vorzuwerfen, nicht nur Suchtgift besessen, sondern über mehrere Monate auch Suchtgift in einer die Grenzmenge gemäß § 28b SMG übersteigenden Menge anderen überlassen zu haben. Die erste wegen eines Vergehens nach den SMG erfolgte Verurteilung vom 17. Jänner 2006 hat den Beschwerdeführer nicht davon abgehalten, erneut einschlägig - und in massiverer Weise - nach dem SMG straffällig zu werden. Die - von der belangten Behörde zutreffend erkannte - mit Suchtgiftdelikten regelmäßig verbundene Wiederholungsgefahr ist im vorliegenden Fall deutlich zu Tage getreten.

Angesichts des dem Beschwerdeführer vorzuwerfenden Fehlverhaltens u.a. nach dem SMG, des einschlägigen Rückfalles und des seit der letzten Verurteilung bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides vergangenen geringen Zeitraumes, den der Beschwerdeführer überdies teilweise in Haft verbracht hat, trifft die Beurteilung der belangten Behörde zu, dass vorliegend die Voraussetzungen zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 86 Abs. 1 (iVm § 87) FPG vorlägen. Zu Recht hat sie dabei eine vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit angenommen, die wegen der besonderen Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität ein Grundinteresse der Gesellschaft im Sinn des § 86 Abs. 1 zweiter Satz FPG berührt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2011, Zl. 2009/21/0387, mwN).

Es ist ferner nicht zu beanstanden, wenn die belangte Behörde die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes auch im Rahmen der gemäß § 66 FPG vorgenommenen Interessenabwägung bejaht hat. Dem öffentlichen Interesse an der Unterbindung der Suchtgiftkriminalität kommt ein sehr hoher Stellenwert zu (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das genannte hg. Erkenntnis, Zl. 2009/21/0387, mwN). Die familiären Bindungen zu seinen beiden Kindern haben den Beschwerdeführer nicht von der Begehung der genannten Straftaten abgehalten. Infolge des dargestellten großen öffentlichen Interesses ist die mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Trennung von seinen Kindern in Kauf zu nehmen. Soweit der Beschwerdeführer der belangten Behörde noch vorwirft, keine ausreichenden Feststellungen zu den aktuellen persönlichen Verhältnissen getroffen zu haben, legt er nicht konkret dar, welche im angefochtenen Bescheid angeblich fehlenden Feststellungen zu einer anderen Beurteilung geführt hätten, weshalb die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht aufgezeigt wird.

Schließlich bekämpft der Beschwerdeführer die mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzte zehnjährige Dauer des Aufenthaltsverbotes. Er legt aber auch in diesem Zusammenhang keine überzeugenden Umstände dar, aus denen sich ergäbe, dass ein Wegfall der von ihm ausgehenden Gefährdung bereits nach einem kürzeren als dem genannten Zeitraum vorhergesehen werden könnte.

Da nach dem Gesagten die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 24. November 2011

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