VwGH 2011/22/0279

VwGH2011/22/027923.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerden 1. des A, 2. der A und 3. des I, alle vertreten durch Mag. Michael Aurednik, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Wassergasse 20, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres je vom 21. Juni 2011,

1.) Zl. 320.909/2-III/4/11 (protokolliert zu hg. Zl. 2011/22/0279), 2.) Zl. 320.909/3-III/4/11 (protokolliert zu hg. Zl. 2011/22/0280), und 3.) Zl. 320.909/4-III/4/11 (protokolliert zu hg. Zl. 2011/22/0281), jeweils betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

EMRK Art8;
NAG 2005 §44 Abs3;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;
VwGG §41;
EMRK Art8;
NAG 2005 §44 Abs3;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;
VwGG §41;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe jeweils von EUR 1.106,40, insgesamt von EUR 3.319,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den angefochtenen Bescheiden bestätigte die belangte Behörde gemäß § 44 Abs. 3 und § 44b Abs. 1 Z. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG die erstinstanzlich mit Bescheiden vom 12. Jänner 2011 erfolgte Zurückweisung von Anträgen der beschwerdeführenden Parteien, albanischer Staatsangehöriger, auf Erteilung von "Niederlassungsbewilligungen - beschränkt".

Begründend führte die belangte Behörde in allen drei Bescheiden im Wesentlichen gleichlautend aus, der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seien am 29. August 2006 illegal in das Bundesgebiet eingereist und hätten am selben Tag "Asylanträge" gestellt. Diese Anträge seien am 5. Oktober 2006 abgewiesen worden. Für ihren am 13. Oktober 2006 in Österreich geborenen Sohn, den Drittbeschwerdeführer, sei am 24. Oktober 2006 die Gewährung von Asyl beantragt worden. Darüber sei ebenfalls negativ entschieden worden. Die dagegen erhobenen Berufungen seien mit Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenats vom 29. Oktober 2007 abgewiesen und gleichzeitig sei die Ausweisung der beschwerdeführenden Parteien ausgesprochen worden. "Erst am 24.6.2010" sei die weitere Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof abgelehnt worden und sei die Ausweisung "mit 09.07.2010 rechtskräftig".

Am 16. November 2010 hätten die beschwerdeführenden Parteien die gegenständlichen Anträge auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gestellt und eine Bestätigung über die Selbstversicherung des Erstbeschwerdeführers, einen bis 30. November 2011 befristeten Mietvertrag, handschriftliche Einstellungszusagen zugunsten des Erstbeschwerdeführers in einer Pizzeria von dessen Bruder und zugunsten der Zweitbeschwerdeführerin als Haushaltshilfe sowie eine Teilnahmebestätigung der Zweitbeschwerdeführerin an einem Deutschkurs für Anfänger beigelegt. Weiters gehe aus der Antragsbegründung hervor, dass die Familie bereits gut integriert wäre und der Drittbeschwerdeführer den Kindergarten besuchte.

Über diese Gründe, nämlich die wirtschaftliche und persönliche Integration, sei bereits im Asylverfahren abgesprochen worden und sie hätten schließlich zu einer rechtskräftigen Ausweisung aus dem Bundesgebiet geführt (gemeint: die Ausweisung nicht unzulässig gemacht).

Erhebungen im Berufungsverfahren hätten ergeben, dass die beschwerdeführenden Parteien seit 17. Dezember 2008 an einer genannten Adresse in B lebten. In derselben Stadt wohne ein Bruder des Erstbeschwerdeführers. Im Herkunftsland hielten sich ein weiterer Bruder des Erstbeschwerdeführers sowie die Eltern und sechs Geschwister der Zweitbeschwerdeführerin auf, was eine nicht unerhebliche Bindung zur Heimat untermauere. Die Angaben, in Österreich keiner Arbeit nachgehen zu können, aber durch die Verwandten sozial integriert zu sein und auch finanziell unterstützt zu werden, sowie der Kindergartenbesuch des Drittbeschwerdeführers und Freundschaften mit Familien von anderen Kindern reichten nicht aus, um einen maßgeblich geänderten Sachverhalt gemäß § 11 Abs. 3 NAG zu konkretisieren. Eine wirtschaftliche oder berufliche Integration hätten die beschwerdeführenden Parteien nicht nachzuweisen vermocht, was auch durch Versicherungsdatenauszüge bestätigt werde, wonach sie keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgingen. Die Zweitbeschwerdeführerin habe zwar den Besuch, jedoch keinen positiven Abschluss eines Deutschkurses nachweisen können. Die bloße Aufenthaltsdauer allein vermöge "kein individuelles Bleiberecht" zu vermitteln, vielmehr wäre es unerlässlich gewesen, auch sonstige Integrationsschritte zu erbringen. Ein maßgeblich geänderter Sachverhalt seit dem Ausweisungsbescheid vom 29. Oktober 2007 bis zur Entscheidung der erstinstanzlichen Behörde habe im Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien nicht festgestellt werden können, weshalb die Berufung abzuweisen und die Zurückweisung des Antrages durch die erste Instanz zu bestätigen gewesen sei. Eine materielle Entscheidung über den (jeweiligen) Antrag der beschwerdeführenden Parteien sei der belangten Behörde sohin nicht möglich gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

In den vorliegenden Beschwerdefällen kommt das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 111/2010 und Nr. 16/2011 zur Anwendung.

Gemäß § 44b Abs. 1 Z. 1 NAG sind, wenn kein Fall des § 44a NAG vorliegt, unter anderem Anträge nach § 44 Abs. 3 NAG als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 NAG ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

Angesichts der mehrfach in den angefochtenen Bescheiden enthaltenen Hinweise, dass die Ausweisung in dem Zeitpunkt, in dem das das Asylverfahren betreffende Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof abgeschlossen wurde, rechtskräftig geworden sei, ist richtig zu stellen, dass dafür der Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens, mit dem die Ausweisung erlassen wurde, maßgeblich ist (vgl. dazu des Näheren das hg. Erkenntnis vom 13. September 2011, Zl. 2011/22/0166, auf dessen Entscheidungsgründe insoweit gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird).

Mit einer Antragszurückweisung gemäß § 44b Abs. 1 Z. 1 NAG darf nach Erlassung einer Ausweisung nur dann vorgegangen werden, wenn im Hinblick auf das Antragsvorbringen eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK nicht erforderlich ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Oktober 2011, Zl. 2011/22/0210, mwN), wenn also in dieser Hinsicht kein maßgeblich geänderter Sachverhalt vorliegt.

Die belangte Behörde gelangte zu dem Ergebnis, dass die bloße Aufenthaltsdauer allein nicht ausreiche und ein maßgeblich geänderter Sachverhalt seit dem Ausweisungsbescheid vom 29. Oktober 2007 im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 NAG i.V.m. Art. 8 EMRK nicht vorliege. Mit einer Antragszurückweisung gemäß § 44b Abs. 1 Z. 1 NAG darf aber nach Erlassung einer Ausweisung nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung nur dann vorgegangen werden, wenn im Hinblick auf das Antragsvorbringen eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK nicht erforderlich ist. Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein, weil der Ausweisungsentscheidung ein Inlandsaufenthalt von nur einem Jahr zu Grunde lag, seither weitere drei Jahre vergangen sind und ein Fortschreiten der Integration mit konkreten Argumenten vorgebracht wurde.

Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage davon ausging, eine Konstellation wie die vorliegende rechtfertige die Antragszurückweisung, waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 23. Februar 2012

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