VwGH 2011/22/0081

VwGH2011/22/008113.11.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der Ö, vertreten durch Mag. Markus Mayer, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Riemerplatz 1, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 5. Oktober 2010, Zl. 156.157/2-III/4/10, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
MRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den am 19. Jänner 2010 eingebrachten Antrag der Beschwerdeführerin, einer türkischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zwecks Familiengemeinschaft mit ihrem türkischen Ehemann gemäß § 21 Abs. 1 und Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung verwies die belangte Behörde im Wesentlichen darauf, dass sich die Beschwerdeführerin seit 10. Oktober 2009 in Österreich aufhalte. Als Inhaberin eines türkischen "Beamtenpasses" sei die Beschwerdeführerin lediglich zu einem dreimonatigen sichtvermerksfreien Aufenthalt in Österreich berechtigt und der sichtvermerksfreie Aufenthalt in Österreich sei zum Zeitpunkt der Stellung des gegenständlichen Antrags am 19. Jänner 2010 bereits abgelaufen gewesen. Am 17. Dezember 2009 habe sie in S einen türkischen Staatsangehörigen geheiratet, der als anerkannter Konventionsflüchtling in Österreich lebe.

Gemäß § 21 Abs. 1 NAG hätte die Beschwerdeführerin den Antrag bei der örtlich für sie zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einbringen und die Entscheidung über den Antrag im Ausland abwarten müssen. Gemäß § 21 Abs. 3 Z 2 NAG könne die Behörde auf begründeten Antrag u.a. dann die Antragstellung im Inland zulassen, wenn die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar sei. Die erstinstanzliche Behörde habe das Schreiben der Beschwerdeführerin vom 20. April 2010 als Antrag gemäß § 21 Abs. 3 NAG gewertet. Die Beschwerdeführerin sei beruflich nicht integriert und zu keinem Zeitpunkt ihres Aufenthaltes in Österreich einer Erwerbstätigkeit nachgegangen. Sie habe den bisherigen Aufenthalt auch nicht genützt, die deutsche Sprache zu erlernen. Strafrechtlich sei sie unbescholten. Die Ausreise aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung sei nach Abwägung der öffentlichen Interessen mit den privaten Interessen der Beschwerdeführerin "jedenfalls zumutbar". Das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Einwanderungsbestimmungen sei höher zu bewerten als das private Interesse der Beschwerdeführerin an der Zulassung zur Inlandsantragstellung.

Weiters dürften gemäß § 11 Abs. 1 Z 5 NAG einem Fremden Aufenthaltstitel nicht erteilt werden, wenn die Dauer des erlaubten sichtvermerksfreien oder sichtvermerkspflichtigen Aufenthaltes überschritten würde. Damit liege ein zwingender Versagungsgrund vor und es sei die Erteilung der von der Beschwerdeführerin beantragten Niederlassungsbewilligung auch aus diesem Grund ausgeschlossen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides im Oktober 2010 sind die Bestimmungen des NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 maßgeblich. Nachstehende Zitierungen beziehen sich auf diese Rechtslage.

Bei der nach § 21 Abs. 3 NAG erforderlichen Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK berücksichtigte die belangte Behörde die fehlende berufliche Integration der Beschwerdeführerin, fehlende Kenntnisse der deutschen Sprache, die strafrechtliche Unbescholtenheit und den Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich seit Oktober 2009. Sie stellte auch fest, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin gleichfalls türkischer Staatsangehöriger ist und in Österreich als anerkannter Konventionsflüchtling lebt.

Insgesamt wertete die belangte Behörde die Ausreise der Beschwerdeführerin aus dem Bundesgebiet als zumutbar.

Dies würde allerdings bedeuten, dass die Beschwerdeführerin das Familienleben mit ihrem Ehemann entweder aufzugeben hätte oder in einem anderen Land fortsetzen müsste.

Damit kommt dem von der belangten Behörde nicht weiter thematisierten Umstand Bedeutung zu, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin anerkannter Flüchtling ist. Sie hat verkannt, dass bei der Beurteilung, ob ein Eingriff nach Art. 8 EMRK zulässig ist, zu beachten ist, ob eine Fortsetzung des Familienlebens außerhalb Österreichs möglich ist und ob eine aus Asylgründen bedingte Trennung der Familie den Eingriff in das Familienleben als unzulässig werten lassen könnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2009, 2008/22/0583). Durch die Flüchtlingsstellung des Ehemannes der Beschwerdeführerin steht im vorliegenden Fall bereits fest, dass eine Fortsetzung des Familienlebens im gemeinsamen Heimatstaat nicht möglich, jedenfalls aber nicht zumutbar ist. In einem solchen Fall ist der damit verbundene Eingriff in das Familienleben zwar nicht jedenfalls unzulässig, es muss dann aber dem öffentlichen Interesse an der Vornahme dieser Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen sein, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden (vgl. auch dazu das angeführte Erkenntnis 2008/22/0583, sowie jenes vom 30. August 2011, 2009/21/0197).

Schon deswegen ist der zitierten Meinung der belangten Behörde entgegen zu treten, die Ausreise der Beschwerdeführerin sei "jedenfalls zumutbar". Vorzuwerfen ist ihr weiters, dass sie - ausgehend von der offenkundigen Rechtsansicht, der Flüchtlingseigenschaft des Ehemannes der Beschwerdeführerin komme keine Bedeutung zu - Feststellungen unterließ, ob ein gemeinsames Familienleben außerhalb Österreichs und außerhalb der Türkei möglich wäre.

Im Übrigen ist auch bei dem von der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides relevierten Erteilungshindernis nach § 11 Abs. 1 Z 5 NAG im Weg der dann erforderlichen Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG die Flüchtlingseigenschaft des Ehemannes der Beschwerdeführerin und dem zufolge die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Führung eines Familienlebens außerhalb Österreichs und außerhalb der Türkei zu berücksichtigen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 13. November 2012

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