Normen
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §77;
FrPolG 2005 §83 Abs1;
FrPolG 2005 §83 Abs2;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §77;
FrPolG 2005 §83 Abs1;
FrPolG 2005 §83 Abs2;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Gambia, reiste am 4. November 2003 in das Bundesgebiet ein und beantragte ohne Erfolg die Gewährung von Asyl. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 3. Juli 2010 wurde der Beschwerdeführer aus Österreich nach Gambia ausgewiesen.
Mit rechtskräftigen Urteilen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15. November 2006 und vom 18. August 2008 waren über den Beschwerdeführer wegen der Begehung von Suchtgiftdelikten Freiheitsstrafen verhängt worden, die er bis zur bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug am 14. August 2009 verbüßte. Mit rechtskräftigem Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 22. November 2006 war über den Beschwerdeführer gemäß § 62 Abs. 1 und 2 iVm § 60 Abs. 2 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf zehn Jahre befristetes Rückkehrverbot erlassen worden.
Nachdem der Beschwerdeführer einem Ladungsbescheid vom 19. Juli 2010 nicht Folge geleistet hatte und er mehrfach von der Fremdenpolizei an seiner Wohnadresse nicht angetroffen worden war, wurde er am 18. Jänner 2011 im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle im einem Wiener Lokal festgenommen.
Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 18. Jänner 2011 ordnete die Bundespolizeidirektion Wien über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung an. Begründend führte sie aus, dass der Beschwerdeführer trotz durchsetzbarer asylrechtlicher Ausweisung und vollstreckbaren "Aufenthaltsverbotes" illegal im Bundesgebiet verblieben sei. Nachdem er einem Ladungsbescheid keine Folge geleistet habe, habe bei der versuchten Vollstreckung des daraufhin ergangenen Festnahmeauftrages in sieben Versuchen festgestellt werden müssen, dass er sich erfolgreich dem behördlichen Zugriff entziehe. Die Verhängung der Schubhaft sei daher angemessen und verhältnismäßig. Die Anordnung eines gelinderen Mittels gemäß § 77 FPG komme nicht in Betracht, weil eine Teilnahme des Beschwerdeführers am Abschiebeverfahren dadurch nicht erreicht werden könne. Es sei vielmehr anzunehmen, dass er dann untertauchen und seinen illegalen Aufenthalt im Verborgenen fortsetzen würde.
Der Beschwerdeführer wurde bis zu seiner - am 19. April 2011 vollzogenen - Abschiebung in Schubhaft angehalten.
Am 10. Februar 2011 erhob der Beschwerdeführer Schubhaftbeschwerde, in der er - unter anderem - ausführte, auf Grund einer Alkohol- und Drogenabhängigkeit psychisch krank zu sein. Auch der erwähnten Ladung sei er nur deshalb nicht nachgekommen, weil er an Entzugserscheinungen gelitten und sich dann in einem Zustand befunden habe, der ihn nicht in die Lage versetzt habe, seine persönlichen Interessen wahrzunehmen und Ladungen nachzukommen. Er sei infolge psychischer Störungen haftunfähig und beantrage die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung unter Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Gebiet der Psychiatrie (Drogen- und Alkoholtherapie), um auch einen unmittelbaren Eindruck von seinem katastrophalen gesundheitlichen Zustand und der damit einhergehenden Unzumutbarkeit der Haft zu ermöglichen.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 15. Februar 2011 wies die belangte Behörde die Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 Abs. 1, 2 und 4 FPG mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Schubhaft als gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG verhängt gelte, und stellte fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgebenden Voraussetzungen weiterhin vorlägen.
Begründend stellte sie - über die eingangs wiedergegebenen unstrittigen Tatsachen hinaus - fest, der Beschwerdeführer sei seit dem 15. März 2010 an einer näher bezeichneten Wiener Adresse aufrecht gemeldet. Die Vertretungsbehörde Gambias habe sich prinzipiell bereit erklärt, für ihn ein auf drei Tage befristetes Heimreisezertifikat auszustellen. Am 20. Jänner 2011 habe der Beschwerdeführer (während der Schubhaft) einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Mit Aktenvermerk sei daraufhin gemäß § 76 Abs. 6 FPG festgestellt worden, dass die Voraussetzungen für die Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG vorlägen und daher die Schubhaft nach dieser Bestimmung verhängt gelte.
In ihrer rechtlichen Beurteilung bejahte die belangte Behörde unter Hinweis auf die rechtskräftige, im Asylverfahren ergangene Ausweisung des Beschwerdeführers, die erwähnten Straftaten nach dem SMG, die darauf gestützte Verhängung eines Rückkehrverbotes, die Mittellosigkeit sowie das Fehlen jeder beruflichen, sozialen oder familiären Verankerung im Inland den aufrechten Sicherungsbedarf. Da der Beschwerdeführer einem Ladungsbescheid keine Folge geleistet habe und ein Festnahmeauftrag trotz sieben Versuchen nicht habe vollzogen werden können, sei klar erkennbar, dass er nicht gewillt sei, das österreichische Bundesgebiet nach Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Die Gefahr des Untertauchens sei somit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben. Die Anwendung eines gelinderen Mittels könne nicht annähernd Gewähr dafür bieten, die Durchsetzung der Abschiebung (Ausreise) zu sichern, weil das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers die Prognose zwingend erscheinen lasse, dass er untertauchen und sich dem fremdenrechtlichen Verfahren entziehen werde. Dies gelte insbesondere auch deshalb, weil der Beschwerdeführer - wie er in der Administrativbeschwerde jedenfalls behaupte - alkohol- und drogenkrank sei. Dieser Umstand falle allerdings "in seinen Ingerenzbereich". Die Verhängung und Aufrechterhaltung der Schubhaft erwiesen sich somit als rechtmäßig. Eine mündliche Verhandlung habe gemäß § 83 Abs. 2 Z. 1 FPG unterbleiben können, weil der maßgebliche Sachverhalt "bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde ersichtlich war".
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer hat in der Administrativbeschwerde vom 10. Februar 2011 massive gesundheitliche Probleme psychischer Natur beschrieben und daraus seine Haftunfähigkeit abgeleitet. Den vorgelegten Verwaltungsakten ist keine Grundlage (etwa das Ergebnis einer im gegebenen Zusammenhang zu erwartenden ärztlichen Untersuchung nach Anordnung oder während des Vollzuges der Schubhaft) zu entnehmen, die geeignet wäre, dieses Vorbringen zu widerlegen. Die bestrittene Haftfähigkeit wäre daher von der belangten Behörde zu prüfen gewesen.
Der Unterlassung dieser Prüfung kann Relevanz für den Ausgang des Verfahrens zukommen. Einerseits wäre die Vollstreckung der Schubhaft trotz Haftunfähigkeit gesetzwidrig. Andererseits könnte eine erhebliche Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, selbst wenn daraus keine Haftunfähigkeit resultiert hätte, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis führen (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zl. 2011/21/0066, mwN).
Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Eine Kostenentscheidung hatte gemäß § 59 Abs. 1 VwGG mangels Antragstellung durch den obsiegenden Beschwerdeführer zu unterbleiben.
Wien, am 19. April 2012
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