Normen
AVG §19 Abs3;
AVG §19;
FrPolG 2005 §39 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §74 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Ruanda, reiste 2004 nach Österreich ein und stellte hier einen Asylantrag.
Das Bundesasylamt wies diesen Antrag ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ruanda für zulässig und wies ihn aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ruanda aus. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 16. Juni 2010 vollinhaltlich abgewiesen. Datiert mit 14. Juli 2010 erhob der Beschwerdeführer gegen dieses Erkenntnis Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Hievon setzte er (u.a.) in der Folge die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn (BH) in Kenntnis und ersuchte, die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über die beantragte Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung abzuwarten und keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu setzen. Außerdem beantragte er die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" nach § 43 Abs. 2 NAG und sprach dann in diesem Zusammenhang am 21. Juli 2010 gemeinsam mit seinem Rechtsvertreter bei der BH vor.
Am nächsten Tag, dem 22. Juli 2010, erließ die BH gestützt auf § 19 AVG einen Ladungsbescheid. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, in der Angelegenheit "Ihr Aufenthalt in Österreich" persönlich binnen einer Woche bei der BH zu erscheinen; bei Nichtbefolgung müsse er damit rechnen, dass seine zwangsweise Vorführung veranlasst werde.
Der Beschwerdeführer kam dieser Aufforderung nicht fristgerecht nach. Im Hinblick darauf erging dann am 4. August 2010 seitens der BH ein Festnahmeauftrag nach § 74 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG; der Beschwerdeführer sei während der Amtsstunden der BH vorzuführen.
In Befolgung dieses Festnahmeauftrages wurde der Beschwerdeführer am 5. August 2010 von Polizeibeamten in seiner Wohnung festgenommen und der BH vorgeführt. Dazu heißt es in einem von der BH am 5. August 2010 aufgenommenen Aktenvermerk (sprachliche Fehler im Original) wie folgt:
"Obgenannter Fremde wurde heute gegen 08.00 Uhr der Behörde nach Erlassung eines Festnahmeauftrages gemäß § 74 Abs. 1 Z. 1 FPG vorgeführt.
(Beschwerdeführer) ist einem Ladungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn nicht nachgekommen, weshalb die Polizeiinspektion Dornbirn mit der Festnahme beauftragt worden ist.
Dem Fremden wurde mitgeteilt, dass die rechtskräftige Ausweisung durch den Asylgerichtshof ein zwingender Zurückweisungsgrund für eine Niederlassungsbewilligung darstellt und die bereits erfolgte Entscheidung die Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels gesetzlich nicht zulässt.
… Im Zuge der Vorführung wurde (Beschwerdeführer) erneut darauf hingewiesen, dass eine freiwillige Rückkehr mit Unterstützung der Caritas verbunden mit einer Geldleistung möglich wäre. Der Fremde lehnte dies jedoch ab und gab sinngemäß an, dass er den Verfassungsgerichtshof befassen werde.
Die erforderlichen Angaben zu seiner Person bzw. seiner Herkunft für die Erlangung eines Heimreisezertifikates wurden vom Fremden wiederum nicht gemacht.
Dem Fremden wurde mitgeteilt, dass bei Erlangung eines Heimreisezertifikates die Außerlandesschaffung unverzüglich durchgeführt werden würde, soweit vom Verfassungsgerichtshof bis zu diesem Zeitpunkt keine aufschiebende Wirkung zuerkannt wird. …
Dem Fremden wurde nochmals erklärt, dass nach derzeitiger Aktenlage keine Möglichkeit auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung bestünde.
Erst etwa gegen 8:45 Uhr verließ der Fremde schließlich die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn, obwohl das Gespräch bezüglich der fremdenpolizeilicher Belange eigentlich schon um 8:30 Uhr beendet war. Es schien dem Fremden ein Anliegen zu sein, die Unterhaltung weiterzuführen."
Im Hinblick auf seine Vorführung vom 5. August 2010 erhob der Beschwerdeführer dann Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg wegen "rechtswidriger Freiheitsentziehung/-beschränkung und diskriminierender Behandlung".
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 19. Jänner 2011 wies der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg (die belangte Behörde) diese Beschwerde gemäß §§ 82 Abs. 1 und 74 Abs. 1 FPG als unbegründet ab. Gegenständlich hätten die Voraussetzungen für eine Ausweisung des Beschwerdeführers vorgelegen und er sei auch ohne ausreichende Entschuldigung der Ladung vom 22. Juli 2010 nicht nachgekommen. Die Erlassung des Festnahmeauftrages nach § 74 Abs. 1 Z 1 FPG begegne daher keinen Bedenken. Dass es die BH für zweckmäßig erachtet habe, u.a. den aufenthaltsrechtlichen Status des Beschwerdeführers mit diesem persönlich zu erörtern, ihn auf die mögliche Gewährung einer Rückkehrhilfe hinzuweisen und ihn neuerlich aufzufordern, im Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates mitzuwirken, sei nicht als rechtswidrige Freiheitsentziehung zu beurteilen. Die "betreffende Ladung" und die erfolgte Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers könnten überdies auch nicht als eine unangemessen lange und diskriminierende Amtshandlung bewertet werden. Im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte habe daher keine Rechtswidrigkeit vorgelegen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 2. Mai 2011, B 315/11-3, ablehnte und sie in der Folge dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Dieser hat über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Die dem bekämpften Bescheid zugrunde liegende Administrativbeschwerde war wegen "rechtswidriger Freiheitsentziehung/-beschränkung und diskriminierender Behandlung" erhoben worden. Die diskriminierende Behandlung erblickte der Beschwerdeführer aber lediglich darin, dass er nur wegen seiner Hautfarbe festgenommen und der Behörde vorgeführt worden sei. Demnach erschöpft sich die behauptete Diskriminierung jedoch in der ohnehin auch angefochtenen Festnahme, in der sie insoweit aufgeht, ohne dass sie einen eigenständigen Anfechtungs- bzw. Entscheidungsgegenstand bilden könnte.
Grundlage der gegenständlichen Festnahme war der Festnahmeauftrag der BH vom 4. August 2010, den diese auf § 74 Abs. 1 Z 1 FPG gegründet hatte. Die genannte Bestimmung lautete in der hier maßgeblichen Stammfassung vor dem FrÄG 2011 wie folgt:
"Festnahmeauftrag und Übernahmeauftrag
§ 74. (1) Die Behörde kann die Festnahme eines Fremden auch ohne Erlassung eines Schubhaftbescheides anordnen (Festnahmeauftrag), wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass die Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes vorliegen und
1. der Fremde ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zu eigenen Handen zugestellten Ladung, in der dieses Zwangsmittel angedroht war, nicht Folge geleistet hat …"
In den ErläutRV (952 BlgNR 22. GP 103) heißt es dazu:
"Der Festnahmeauftrag unterscheidet sich von dem im Verwaltungsverfahren sonst üblichen Vorführungsbefehl darin, dass er solange gilt, bis die Behörde die Verfahrenshandlung mit dem vorgeführten Betroffenen vorgenommen hat. Die Dauer der Festnahme darf jedoch keinesfalls 48 Stunden überschreiten (§ 39 Abs. 5). Die Voraussetzungen des Festnahmeauftrages des Abs. 1 lehnen sich freilich an jene des Vorführungsbefehles an. Es muss ein Verfahren eingeleitet sein, das auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme abzielt und der Fremde muss entweder einer Ladung nicht Folge geleistet haben, untergetaucht sein oder gegen den Fremden soll ein Auftrag zur Abschiebung erlassen werden. …"
Für den gegenständlichen Festnahmeauftrag fehlt es schon an dem Eingangserfordernis, "dass die Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes vorliegen", was die ErläutRV dahingehend präzisieren, dass ein entsprechendes aufenthaltsbeendendes Verfahren eingeleitet sein muss. In Bezug auf den Beschwerdeführer war ein derartiges Verfahren nämlich nicht anhängig, was sich daraus erklärt, dass gegen ihn ohnehin erst rezent eine asylrechtliche Ausweisung (mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 16. Juni 2010) erlassen worden war.
Schon deshalb erweist sich der Festnahmeauftrag nach § 74 Abs. 1 Z 1 FPG als rechtswidrig, wozu aber noch kommt, dass er in der vom Beschwerdeführer nicht befolgten Ladung auch nicht angedroht worden war. Von einem Festnahmeauftrag war in der besagten Ladung nämlich keine Rede gewesen, dem Beschwerdeführer war darin "nur" mitgeteilt worden, dass er bei Nichtfolgeleistung mit seiner zwangsweisen Vorführung rechnen müsse, wobei § 19 AVG als Rechtsgrundlage genannt worden war. Auf dieser Basis wäre rechtens nur die zwangsweise Vorführung des Beschwerdeführers nach § 19 AVG in Betracht gekommen, was aber im Übrigen zunächst die Erlassung einer Vollstreckungsverfügung (Vorführungsbescheid; vgl. dazu Formular 9 der Verwaltungsformularverordnung) erfordert hätte (in diesem Sinn auch Thienel/Zeleny, Verwaltungsverfahrensgesetze 18 (2012) § 19 Anm. 4).
Der der Festnahme des Beschwerdeführers (im Sinn des § 39 Abs. 2 Z 1 FPG) zugrunde liegende Festnahmeauftrag erweist sich nach dem Gesagten somit nicht als ordnungsgemäß, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG abgesehen werden.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 28. Februar 2013
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