VwGH 2011/21/0055

VwGH2011/21/005529.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des P, vertreten durch Mag. Nikolaus Rast, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 10, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 17. Dezember 2010, Zl. III- 1233615/FrB-ZJ/10, betreffend Versagung der Ausstellung einer "Karte für Geduldete" gemäß § 46a FPG, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §46a Abs1 idF 2009/I/122;
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z1 idF 2009/I/122;
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z2 idF 2009/I/122;
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z3 idF 2009/I/122;
FrPolG 2005 §46a Abs2 idF 2009/I/122;
FrPolG 2005 §46a Abs3 idF 2009/I/122;
FrPolGDV 2005 AnlA;
VwRallg;
FrPolG 2005 §46a Abs1 idF 2009/I/122;
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z1 idF 2009/I/122;
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z2 idF 2009/I/122;
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z3 idF 2009/I/122;
FrPolG 2005 §46a Abs2 idF 2009/I/122;
FrPolG 2005 §46a Abs3 idF 2009/I/122;
FrPolGDV 2005 AnlA;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 17. Dezember 2010 wies die Bundespolizeidirektion Wien (die belangte Behörde) den mit Schriftsatz vom 4. Mai 2010 gestellten Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung einer "Karte für Geduldete" gemäß § 46a Abs. 1 FPG ab.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Der durch das am 1. Jänner 2010 in Kraft getretene Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009 (FrÄG 2009) in das Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) eingefügte, mit "Duldung" überschriebene § 46a lautete (in der hier maßgeblichen Fassung vor dem am 1. Juli 2011 in Kraft getretenen FrÄG 2011) wie folgt:

"§ 46a. (1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist geduldet, solange deren Abschiebung gemäß

  1. 1. §§ 50 und 51 oder
  2. 2. §§ 8 Abs. 3a und 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig ist oder
  3. 3. aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen unmöglich scheint,

    es sei denn, dass nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt.

(2) Die Behörde kann Fremden, deren Aufenthalt im Bundesgebiet geduldet ist, eine Karte für Geduldete ausstellen. Die Karte dient dem Nachweis der Identität des Fremden und hat insbesondere die Bezeichnungen 'Republik Österreich' und 'Karte für Geduldete', weiters Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Lichtbild und Unterschrift des Geduldeten sowie die Bezeichnung der Behörde, Datum der Ausstellung und Namen des Genehmigenden zu enthalten. Die nähere Gestaltung der Karte legt der Bundesminister für Inneres durch Verordnung fest.

(3) Die Karte für Geduldete gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 über Antrag des Fremden für jeweils ein weiteres Jahr verlängert. Die Karte ist zu entziehen, wenn

  1. 1. deren Gültigkeitsdauer abgelaufen ist;
  2. 2. eine Duldung im Sinne des Abs. 1 nicht oder nicht mehr vorliegt;

    3. das Lichtbild auf der Karte den Inhaber nicht mehr zweifelsfrei erkennen lässt oder

    4. andere amtliche Eintragungen auf der Karte unlesbar geworden sind.

    Der Fremde hat die Karte unverzüglich der Behörde vorzulegen, wenn die Karte entzogen wurde oder Umstände vorliegen, die eine Entziehung rechtfertigen würden. Wurde die Karte entzogen oder ist diese vorzulegen, sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und die Behörde ermächtigt, die Karte abzunehmen. Abgenommene Karten sind unverzüglich der Behörde vorzulegen, in deren örtlichen Wirkungsbereich das Organ eingeschritten ist. Diese hat die Karte an die zuständige Behörde weiterzuleiten."

    Nach dem wiedergegebenen Gesetzestext des § 46a Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Ausstellung einer "Karte für Geduldete", dass der Aufenthalt des Fremden im Sinne des § 46a Abs. 1 FPG geduldet ist, was das alternative Vorliegen der in den Z 1 bis 3 genannten Tatbestände voraussetzt. Auch bei der Verlängerung der Gültigkeitsdauer dieser Karte knüpft das Gesetz im ersten Satz des § 46a Abs. 3 FPG nur an das (weitere) Vorliegen der im Abs. 1 genannten Voraussetzungen für die Aufenthaltsduldung an. Sind diese erfüllt, ist die genannte Karte, aus der sich auch die Duldung des Aufenthalts der dort angeführten Person ergibt, auszustellen bzw. zu verlängern (siehe dazu grundlegend das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2010/21/0231).

    Die belangte Behörde lehnte die Ausstellung einer "Karte für Geduldete" für den Beschwerdeführer mit der Begründung ab, dass die "Nichtausstellung eines Reisedokumentes" (durch die Behörden seines Heimatstaates) zum "größten Teil" dem Verschulden des Beschwerdeführers "zuzurechnen" sei, weil der Beschwerdeführer behaupte Staatsangehöriger von Sierra Leone zu sein, während eine Sprachanalyse ergeben habe, dass er vermutlich aus Nigeria stamme. Schon die bei der Einreise Mitte 1999 vorgelegten, angeblich in Freetown ausgestellten Dokumente (Personalausweis und Geburtsurkunde) wären "Totalfälschungen" gewesen. Nach rechtskräftiger Erledigung des Asylverfahrens habe auch der Generalkonsul der Republik Sierra Leone am 15. Mai 2003 mitgeteilt, dass die Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers nicht hinreichend bewiesen sei. Schließlich sei der Beschwerdeführer am 25. März 2010 (richtig: 2006) einer Sprachanalyse unterzogen worden. Diese habe ergeben, dass der Beschwerdeführer trotz mehrmaliger Aufforderung nur wenige Worte in seiner angeblichen Muttersprache gesprochen habe. Der Beschwerdeführer habe in dieser Sprache nicht zählen können, was er mit fehlender Schulbildung gerechtfertigt habe. Demgegenüber sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer ein "korrektes nigerianisches Englisch" spreche, das zumindest auf eine "Gymnasialbildung" schließen lasse. Es habe sich gezeigt, dass der Beschwerdeführer entgegen seinen Behauptungen auch die Sprache "Krio" nicht spreche, obwohl es sich dabei um die vorherrschende, von der gesamten Bevölkerung gesprochene Sprache in der angeblichen Heimatstadt Freetown handle. So habe der Beschwerdeführer beispielsweise ein in dieser Sprache unbekanntes Wort verwendet, das jedoch für die (in Nigeria verbreitete) Yoruba-Sprache typisch sei. Weiters habe der Analytiker angemerkt, dass der Beschwerdeführer kein einziges Dorf in Sierra Leone oder eine andere Stadt als Freetown habe namentlich nennen können. Anhand der verwendeten Grammatik und der Satzkonstruktionen sei - so begründete die belangte Behörde noch näher - hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer offensichtlich nicht die in Sierra Leone verbreitete Variante des Englischen spreche, sondern eine solche, die sehr wahrscheinlich Nigeria zuzuordnen sei.

    Daran anknüpfend fasste die belangte Behörde zusammen, der Beschwerdeführer habe bis dato nur gefälschte Urkunden vorgelegt und keinerlei Beweise für seine Herkunft aus Sierra Leone erbracht. Schon bei der Stellung des Asylantrags sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer sehr viele Telefonnummern aus Nigeria bei sich gehabt habe und mit Sicherheit aus Nigeria stamme. Das sei durch das Ergebnis der Sprachanalyse nunmehr hinreichend belegt.

    Die Begründung im angefochtenen Bescheid läuft der Sache nach darauf hinaus, dass die belangte Behörde die Voraussetzungen für eine Duldung nach der Z 3 des § 46a Abs. 1 - die beiden anderen Ziffern kommen fallbezogen von vornherein nicht in Betracht - für nicht gegeben erachtete, weil die Abschiebung des Beschwerdeführers aus von ihm zu vertretenden Gründen (tatsächlich) unmöglich scheine. In diesem Sinn führen auch die Gesetzesmaterialien (330 BlgNR 24. GP 29 f) aus, "die tatsächliche Unmöglichkeit (der Abschiebung) soll naturgemäß nur dann zu einer Duldung führen, wenn die Hinderungsgründe nicht im Einflussbereich des Fremden liegen", sodass § 46a Abs. 1 Z 3 FPG "beispielsweise auf Fremde, die ihren Herkunftsstaat verheimlichen, um die Abschiebung zu verhindern, nicht anwendbar sein" wird.

    Der diesbezüglichen Beweiswürdigung der belangten Behörde macht die Beschwerde zum Vorwurf, sie sei "vorgreifend". Freie Beweiswürdigung dürfe erst "nach der vollständigen Beweiserhebung einsetzen". Eine vorgreifende Beweiswürdigung, die darin bestehe, dass der Wert eines Beweises bzw. eines Beweisanbotes abstrakt im Vorhinein beurteilt werde, sei unzulässig und führe zu einer Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Aufgrund der "beharrlichen Ausführung" der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer vermutlich aus Nigeria stamme, die nigerianische Vertretungsbehörde aber kein Heimreisezertifikat ausstelle, grenze das behördliche Verhalten "nahezu an Befangenheit", worauf die in der Begründung des angefochtenen Bescheides vorgenommenen Verallgemeinerungen jedenfalls schließen ließen.

    Dem ist zu entgegnen, dass sich die Begründung des angefochtenen Bescheides - wie sich schon aus deren Wiedergabe ersehen lässt - keineswegs in "Verallgemeinerungen" erschöpft, sondern eine fallbezogene beweiswürdigende Argumentation unter Einbeziehung der gegen die behauptete Herkunft des Beschwerdeführers aus Sierra Leone sprechenden Umstände (Vorlage gefälschter Dokumente und Auffinden von Telefonnummern aus Nigeria schon bei der Asylantragstellung, Mitteilung des Generalkonsuls über nicht hinreichend bewiesene Staatsangehörigkeit von Sierra Leone, Ergebnis der Sprachanalyse und mangelnde geografische Kenntnisse des Beschwerdeführers über Sierra Leone) enthält. Die Schlüssigkeit der darauf gegründeten Überlegungen kann allein mit dem Hinweis, dass auch die nigerianische Vertretungsbehörde kein Heimreisezertifikat für den Beschwerdeführer ausgestellt habe, nicht erschüttert werden. Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Meinung ist die Beweiswürdigung aber auch nicht mangelhaft, weil nicht zu erkennen ist, welche Beweis(anbot)e von der belangten Behörde "vorgreifend" gewürdigt worden sein sollen. Den diesbezüglichen Beschwerdeausführungen kann somit überhaupt keine Fallbezogenheit entnommen werden. Aber auch den weiteren Beschwerdebehauptungen, der Beschwerdeführer habe "immer alles in seiner Macht stehende unternommen, um an der Feststellung seiner Identität mitzuwirken", fehlt es an einer ausreichenden Konkretisierung. Zu allgemein für eine wirksame Bekämpfung der fachlichen Beurteilung der Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers ist schließlich auch das Vorbringen, es entbehre jeglicher Grundlage, dass der Beschwerdeführer (bei der Sprachanalyse) Sätze gebildet habe, wie jemand, der Englisch auf hohem Niveau beherrsche, und "korrektes nigerianisches Englisch" existiere nicht.

    Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die Beschwerde in Bezug auf die Annahme der belangten Behörde, die tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers sei (infolge mangelnder Offenlegung seiner wahren Staatsangehörigkeit) von ihm zu vertreten, keinen relevanten Begründungsmangel aufzeigen konnte. Davon ausgehend erfolgte die Versagung der Ausstellung einer "Karte für Geduldete" für den Beschwerdeführer zu Recht. Die unbegründete Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

    Von der in der Beschwerde beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

    Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

    Wien, am 29. September 2011

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