VwGH 2011/17/0156

VwGH2011/17/015624.4.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger, die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Köhler sowie die Hofrätinnen Dr. Zehetner und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fries, über die Beschwerde des M L in Wien, vertreten durch Mag. Ulrich Salburg, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Neustiftgasse 3/6, gegen den Bescheid der Datenschutzkommission beim Bundeskanzleramt vom 18. Mai 2011, Zl. DSK-K121.698/0011-DSK/2011, betreffend Verletzung im Recht auf Auskunft gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 iVm §§ 26, 50e und 31 Abs 1 DSG 2000 (mitbeteiligte Partei:

W GmbH & Co KG in Wien, vertreten durch die Fellner Wratzfeld & Partner, Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 12), zu Recht erkannt:

Normen

12010P/TXT Grundrechte Charta;
31995L0046 Datenschutz-RL Art28 Abs1;
31995L0046 Datenschutz-RL Art3 Abs2;
31995L0046 Datenschutz-RL;
62010CJ0614 Kommission / Österreich ;
DSG §1 Abs3 Z1;
DSG §26;
DSG §37 Abs1;
DSG §50e;
DSG §59;
EURallg;
VwGG §13 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
12010P/TXT Grundrechte Charta;
31995L0046 Datenschutz-RL Art28 Abs1;
31995L0046 Datenschutz-RL Art3 Abs2;
31995L0046 Datenschutz-RL;
62010CJ0614 Kommission / Österreich ;
DSG §1 Abs3 Z1;
DSG §26;
DSG §37 Abs1;
DSG §50e;
DSG §59;
EURallg;
VwGG §13 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1.1. Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde die Administrativbeschwerde des Beschwerdeführers wegen Verletzung im Recht auf Auskunft ab. Der Beschwerdeführer behaupte eine Verletzung im Recht auf Auskunft nach § 1 Abs. 3 Z. 1 iVm § 26 iVm § 50e des Bundesgesetzes über den Schutz personenbezogener Daten (Datenschutzgesetz 2000 - DSG 2000), BGBl. I Nr. 165/1999 in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009, dadurch, dass ihm auf sein Auskunftsbegehren vom 7. bzw. 11. Dezember 2010 von der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mitbeteiligten Partei am 14. Jänner 2011 mitgeteilt worden sei, dass keine Auswertung der Daten erfolgt sei (gemeint aus der Videoüberwachung in den Fahrzeugen der mitbeteiligten Partei); er halte dies aber nicht für glaubwürdig, weil es zum Zeitpunkt seiner Beförderung in den Fahrzeugen der mitbeteiligten Partei zu einem (in der Administrativbeschwerde näher beschriebenen) Raufhandel zwischen zwei Personen gekommen sei, im Zuge dessen eine Person verletzt worden sei, und auch die Sicherheitsbehörden verständigt worden seien. Im Übrigen halte er die Ausführungen der mitbeteiligten Partei in der Auskunft zur Auslegung des § 50e DSG 2000, wobei die mitbeteiligte Partei auf die Rechtsprechung der belangten Behörde Bezug genommen habe, mit näherer Begründung für nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer begehre daher, der mitbeteiligten Partei die vollständige und gesetzeskonforme Auskunftserteilung aufzutragen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung zugrunde, der Beschwerdeführer habe am 7. Dezember 2010 zunächst per Mail, nach Urgenz seitens der mitbeteiligten Partei am 11. Dezember 2010 gleichlautend postalisch, unter Hinweis auf § 26 Abs. 7 DSG 2000 im Wesentlichen folgendes Auskunftsbegehren gestellt:

"Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren!

Sie führen personenbezogene Datenverarbeitung(en) und Datenanwendungen.

Ich ersuche Sie unter Hinweis auf § 1 DSG 2000 und alle weiteren anwendbaren Bestimmungen des DSG 2000 um Beantwortung der folgenden Fragen:

1.2. Der Beschwerdeführer bekämpft diesen Bescheid vor dem Verwaltungsgerichtshof wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Er regt weiters an, die Sache allenfalls im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen, und zwar hinsichtlich der Frage, ob § 29 DSG 2000 iVm § 50e DSG 2000, wenn diese Bestimmungen so zu interpretieren seien, dass ein gesetzliches Auskunftsrecht Betroffener ausschließlich hinsichtlich bereits ausgewerteter Daten einer Videoüberwachung zustünde, mit Art. 12 der Richtlinie 95/46/EG vereinbar sei.

1.3. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und ebenso wie die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift mit dem Antrag erstattet, die Beschwerde als unbegründet kostenpflichtig abzuweisen.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Der Gerichtshof der Europäischen Union (in der Folge: EuGH) sprach mit Urteil vom 16. Oktober 2012 in der Rechtssache C- 614/10 betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 22. Dezember 2010, aus, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 28 Abs. 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr verstoßen habe, dass sie nicht alle Vorschriften erlassen habe, die erforderlich seien, damit die in Österreich bestehende Rechtslage in Bezug auf die Datenschutzkommission dem Kriterium der Unabhängigkeit genüge, und zwar im Einzelnen dadurch, dass sie eine Regelung eingeführt habe, wonach

2.2. Zur diesbezüglich heranzuziehenden Rechtslage kann zunächst auf deren Darstellung in dem eben erwähnten Urteil des EuGH vom 16. Oktober 2012 verwiesen werden. Zusätzlich ist insbesondere auf die dort angesprochenen, jedoch nicht dem Wortlaut nach zitierten Bestimmungen des Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie die Art. 1 Abs. 1 und 3 Abs. 2 der Richtlinie 95/46/EG hinzuweisen. Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. 2007/C 303/01, konsolidierte Fassung ABl. 2012/C 326, Seite 391 ff, im Folgenden:

GRC), lautet wie folgt:

"Artikel 8

Schutz personenbezogener Daten

(1) Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten.

(2) Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden. Jede Person hat das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken.

(3) Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von einer unabhängigen Stelle überwacht."

Die erwähnten Bestimmungen der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281, Seite 31ff), lauten wie folgt:

"Artikel 1

Gegenstand der Richtlinie

(1) Die Mitgliedstaaten gewährleisten nach den Bestimmungen dieser Richtlinie den Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten und insbesondere den Schutz der Privatsphäre natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten.

Artikel 3

Anwendungsbereich

(1) …

(2) Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten,

2.3. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der in der Verordnung festgelegte Pauschalbetrag (zuzüglich der Eingabegebühr) alle im Falle des Obsiegens des Beschwerdeführers (ohne mündliche Verhandlung) abzudeckenden Kosten (einschließlich der Umsatzsteuer) umfasst.

2.4. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit diesem Erkenntnis nur der Rechtsanschauung des EuGH in dem erwähnten Urteil vom 16. Oktober 2012 und damit seiner Verpflichtung zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts Rechnung getragen, sodass es keiner Befassung eines verstärkten Senates infolge des Abgehens von einer früheren Rechtsprechung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. September 2007, Zl. 2006/06/0322 = VwSlg. 17.287 A/2007) bedurfte.

Wien, am 24. April 2013

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