VwGH 2011/04/0212

VwGH2011/04/021217.4.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerden des X in Y, vertreten durch Greiter Pegger Kofler & Partner, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 24, gegen die Bescheide des Landeshauptmannes von Tirol jeweils vom 5. Oktober 2011,

1. Zl. IIa-57004-11/1 (hg. Zl. 2011/04/0212) und 2. Zl. IIa-57005- 11/1 (hg. Zl. 2011/04/0213), betreffend Nachsicht gemäß § 26 Abs. 2 GewO 1994, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
GewO 1994 §26 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §37;
GewO 1994 §26 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 2.652,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wurden Anträge des Beschwerdeführers vom 28. Juli 2011 auf Erteilung der Nachsicht vom Ausschluss von der Ausübung der Gewerbe "Sicherheitsgewerbe (Berufsdetektive, Bewachungsgewerbe), gemäß § 94 Z. 62 Gewerbeordnung 1994" an zwei verschiedenen Standorten, an einem dieser Standorte "eingeschränkt auf Berufsdetektive", gemäß § 26 Abs. 2 GewO 1994 abgewiesen.

Die belangte Behörde legte ihren Entscheidungen u.a. die Feststellungen zugrunde, mit Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft K (der Behörde erster Instanz) vom 7. Juli 2011 seien dem Beschwerdeführer die Gewerbeberechtigungen für die angeführten Gewerbe aufgrund der rechtskräftigen "Abweisung des Insolvenzverfahrens mangels eines zur Deckung der Insolvenzkosten" voraussichtlich hinreichenden Vermögens durch Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 23. Dezember 2010 entzogen worden.

Zugleich mit den dagegen erhobenen Berufungen habe der Beschwerdeführer Anträge nach § 26 Abs. 2 GewO 1994 gestellt. (Die Beschwerden gegen die diese Berufungen abweisenden Bescheide wurden mit hg. Erkenntnis vom 2. Februar 2012, Zlen. 2011/04/0210, 0211, abgewiesen.)

Auf einem am 9. August 2011 übermittelten Auszug aus dem Exekutionsregister schienen "zahlreiche Exekutionen innerhalb der letzten 20 Jahre" gegen den Beschwerdeführer auf.

Die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft habe mit am 10. August 2011 eingelangtem Schreiben mitgeteilt, betreffend den Beschwerdeführer stehe ein Betrag in Höhe von EUR 6.914,65 aus, wovon sich "bereits ein Teil von EUR 4.693,30 in Exekution" befinde; Zahlungspläne seien keine vereinbart worden. Die Tiroler Gebietskrankenkasse habe mit Schreiben vom 23. August 2011 mitgeteilt, es stünden derzeit die Beiträge der Monate Juni 2011 und Juli 2011 samt Nebengebühren in der Höhe von EUR 3.968,31 unberichtigt aus, für die keine Ratenvereinbarung getroffen worden sei.

Der Beschwerdeführer habe an Beweismitteln u.a. eine "Planrechnung von Juli 2011 bis Dezember 2011", eine Aufstellung von Forderungen und Verbindlichkeiten vom 25. Juli 2011, eine Aufstellung der Mitarbeiter sowie eine "Dienstnehmerliste 07/11", ein Schreiben der Firma D.S. über eine in Aussicht gestellte Tätigkeit des Beschwerdeführers als Subunternehmer und Schreiben des Beschwerdeführers an die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft und an die Tiroler Gebietskrankenkasse vorgelegt.

Schließlich sei als Zeuge der Steuerberater Mag. G.H. angeboten worden.

In rechtlicher Hinsicht erachtete die belangte Behörde die Voraussetzungen des § 26 Abs. 2 GewO 1994 nicht als gegeben, weil "bei umfassender Gesamtbetrachtung" zu schließen sei, dass gerade nicht die - nach der hg. Rechtsprechung notwendigen - liquiden Mittel vorhanden seien, um die bisherigen Außenstände und die laufenden Verbindlichkeiten des Beschwerdeführers bei Fälligkeit abdecken zu können. Es ergäben sich keine konkreten (aussagekräftigen) Anhaltspunkte dafür, dass sich die wirtschaftliche Lage des Beschwerdeführers in der Zwischenzeit faktisch derart gebessert hätte, dass trotz rechtskräftiger "Abweisung der Eröffnung" des Insolvenzverfahrens erwartet werden könne, dieser werde den mit der Gewerbeausübung verbundenen Zahlungsverpflichtungen fristgerecht nachkommen.

Die Vernehmung des beantragten Zeugen Mag. G.H. sei im gegenständlichen Fall "insofern nicht zielführend" gewesen, als "dieser zwar zweifelsohne die aktuelle wirtschaftliche Situation des Unternehmens anhand der Bilanz erklären hätte können, was aber im Ergebnis nichts ändern würde, zumal die relevanten zukünftigen Gegebenheiten nach wie vor nicht geklärt wären".

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und Gegenschriften erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerden beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach § 26 Abs. 2 GewO 1994 hat die Behörde im Falle des Ausschlusses von der Gewerbeausübung u.a. gemäß § 13 Abs. 3 GewO 1994 die Nachsicht von diesem Ausschluss zu erteilen, wenn aufgrund der nunmehrigen wirtschaftlichen Lage des Rechtsträgers erwartet werden kann, dass er den mit der Gewerbeausübung verbundenen Zahlungspflichten nachkommen wird.

Nach der ständigen hg. Rechtsprechung ergibt sich aus dem Wortlaut "wenn … erwartet werden kann", dass keine Bedenken vorliegen dürfen, die eine derartige Erwartung ausschließen. Diese im Gesetz definierte Erwartung setzt voraus, dass ein Nachsichtswerber über die erforderlichen liquiden Mittel verfügt, um die mit der beabsichtigten Gewerbeausübung im Zusammenhang stehenden Verbindlichkeiten - und zwar bei Fälligkeit - abdecken zu können (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 5. September 2001, Zl. 2001/04/0145, mwN). Im Zusammenhang mit der nach § 26 Abs. 2 GewO 1994 zu treffenden Beurteilung hat der Gerichtshof auch eine Verpflichtung der Partei zur Mitwirkung bei Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes insofern angenommen, als die Feststellung der "nunmehrigen wirtschaftlichen Lage" im Sinn dieser Bestimmung notwendigerweise ein entsprechendes Vorbringen und Bescheinigungsanbieten der Partei voraussetzen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 1999, Zl. 99/04/0191).

2. Die Beschwerden rügen u.a. als Verfahrensmangel, dass die belangte Behörde den beantragten Zeugen zu Unrecht nicht vernommen habe, weil sie insofern eine vorgreifende Beweiswürdigung vorgenommen habe; dazu bringt der Beschwerdeführer u.a. vor, dieser Zeuge hätte einerseits die positive Entwicklung des Unternehmens des Beschwerdeführers darlegen, aber auch zur künftigen Entwicklung des Unternehmens aussagen können, weil er seit Jahren betreuender Steuerberater des Beschwerdeführers sei. Gerade die Auskunft über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung sei wesentlicher Bestandteil und könne bei der Beurteilung des Sachverhaltes nicht außer Betracht bleiben. Wäre die Vernehmung des Zeugen erfolgt, so wäre die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis gekommen.

3. Dieses Vorbringen führt die Beschwerden zum Erfolg:

Der Beschwerdeführer hat schon bei Einbringung der gegenständlichen Anträge am 28. Juli 2011 den Antrag auf Vernehmung des Zeugen Mag. G.H. gestellt und diesen Beweisantrag in seinen Berufungen gegen die Bescheide erster Instanz wiederholt. Mit diesen Beweisanträgen hat der Beschwerdeführer das wesentliche Tatsachenvorbringen verbunden, das Unternehmen würde nunmehr derart wirtschaftlich geführt, dass nicht nur die laufenden Verbindlichkeiten getilgt, sondern auch die "Altlasten" abgedeckt würden und gesichert sei, dass der Beschwerdeführer weiterhin seinen Verbindlichkeiten fristgerecht nachkommen werde. Nicht nur die dem Konkursantrag zugrundeliegende Verbindlichkeit sei getilgt worden, sondern auch die übrigen unternehmensbezogenen Verbindlichkeiten. Es seien genügend liquide Mittel vorhanden, um die mit der Ausübung des Gewerbes verbundenen Verbindlichkeiten rechtzeitig zu begleichen.

Nach ständiger hg. Rechtsprechung dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. September 2008, Zl. 2008/13/0076, mwN). Die "freie Beweiswürdigung" gemäß § 45 Abs. 2 AVG darf erst nach einer vollständigen Beweiserhebung durch die Behörde einsetzen; eine vorgreifende (antizipierende) Beweiswürdigung, die darin besteht, dass der Wert eines Beweises abstrakt (im Vorhinein) beurteilt wird, ist unzulässig (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 6. März 2008, Zl. 2006/09/0043, mwN).

Den Beschwerden ist darin zuzustimmen, dass die belangte Behörde mit der wiedergegebenen Begründung dafür, weshalb sie den beantragten Zeugen nicht vernommen habe, gerade eine vorgreifende Beweiswürdigung in diesem Sinn vorgenommen hat, hat sie doch ohne Anhörung des Zeugen konstatiert, was dieser "erklären hätte können". Dass dem im Verwaltungsverfahren im Zusammenhang mit dem Zeugenantrag erstatteten Vorbringen - das die belangte Behörde ihren Entscheidungen gerade nicht zugrunde gelegt hat - mit Blick auf § 26 Abs. 2 GewO 1994 Relevanz zukommt, steht außer Frage.

Indem die belangte Behörde den beantragten Zeugenbeweis nicht aufgenommen hat, hat sie somit die angefochtenen Bescheide mit einem Verfahrensmangel belastet, sodass diese wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben waren.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 17. April 2012

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