VwGH 2011/04/0175

VwGH2011/04/01752.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Grünstäudl und Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Dr. Greisberger, über die Beschwerde der X GmbH in Y, vertreten durch die Huainigg Dellacher & Partner Rechtsanwälte OG in 9020 Klagenfurt, Dr. Franz Palla Gasse 21, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten vom 19. August 2011, Zl. KUVS-1367/2/2011, betreffend gewerberechtliche Betriebsanlagengenehmigung (mitbeteiligte Partei: A in B; weitere Partei: Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
AVG §8;
GewO 1859 §74;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
AVG §8;
GewO 1859 §74;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Kärnten hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft S. (Behörde erster Instanz) vom 10. Dezember 2004 wurde der beschwerdeführenden Partei die gewerberechtliche Genehmigung zu einer näher bestimmten Änderung einer Betriebsanlage (eines Sägewerks) auf dem Grundstück 136/2 KG H. erteilt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Mitbeteiligte am 16. Juni 2011 Berufung.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 19. August 2011 wurde der Berufung der Mitbeteiligten Folge gegeben, der erstinstanzliche Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Erstbehörde zurückverwiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, aufgrund von Parallelverfahren sei ihr bekannt, dass sich die in Rede stehende gewerbliche Betriebsanlage seit dem Jahr 2004 sehr stark verändert habe; somit sei die "im Akt erliegende Sachverhaltsfeststellung" als "mangelhaft im Sinn des § 66 Abs. 2 AVG zu qualifizieren". In diesem Zusammenhang sei auf die unzulänglichen Erhebungen hinsichtlich der von der Betriebsanlage ausgehenden Lärm-, Staub- und Geruchsbelästigungen sowie allfälliger gesundheitlicher Beeinträchtigung zu verweisen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Auch die Mitbeteiligte erstattete eine Gegenschrift, in der sie ebenfalls die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Die Beschwerde rügt u.a. die Begründung des angefochtenen Bescheides als mangelhaft und bringt dazu im Wesentlichen vor, es sei unklar, wie die belangte Behörde - ohne in irgendeiner Art und Weise ein Ermittlungsverfahren durchzuführen - die wiedergegebenen Feststellungen treffen könne.

Der beschwerdeführenden Partei sei ein Parallelverfahren bekannt. In diesem Verfahren seien die im angefochtenen Bescheid behaupteten Umstände keinesfalls rechtskräftig festgestellt worden. Der erkennende Senat im Parallelverfahren führe dazu ein umfangreiches Ermittlungsverfahren durch, gehe also nachvollziehbarerweise von der Durchführung und Notwendigkeit eines solchen Verfahrens in Entsprechung der gesetzlichen Vorgaben aus.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen, wenn der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt dargelegt hat, darf die Berufungsbehörde eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 2011, Zl. 2010/02/0258, mwN).

Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder eine Vernehmung erforderlich ist. Für die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung nach § 66 Abs. 2 AVG genügt es nicht, wenn die von der Behörde "in rechtlicher Gebundenheit" vorgenommene Beurteilung, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung bzw. Vernehmung unvermeidlich ist, zutrifft; es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Ermessensentscheidung, die als notwendig erachteten Verfahrensschritte nicht selbst oder durch ersuchte Behörden durchzuführen, sondern die Sache zu diesem Zweck an die Erstbehörde zurückzuverweisen, - insbesondere unter Bedachtnahme auf § 66 Abs. 3 AVG - nicht im Sinne des Art. 130 Abs. 2 B-VG rechtswidrig ist. Einem zurückverweisenden Bescheid im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG muss entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2011, Zl. 2008/07/0054, mwN).

Diesen Anforderungen wird die oben wiedergegebene Begründung der belangten Behörde nicht gerecht.

Darüber hinaus ist, was die Unvermeidbarkeit einer Verhandlung iSd § 66 Abs. 2 AVG betrifft, darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof zur Problematik einer übergangenen Partei wiederholt ausgesprochen hat, dass die übergangene Partei keinen Rechtsanspruch auf Durchführung einer neuerlichen Verhandlung hat (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 18. Juni 1991, Zl. 91/05/0022, und vom 16. März 1993, Zl. 93/05/0043, jeweils mwN). Das Auftreten eines übergangenen Nachbarn bedeutet nicht, dass das durchgeführte Verfahren schon deshalb rechtswidrig ist, vielmehr ist die Berufung abzuweisen, wenn die vom Nachbarn in der Berufung bzw. im Berufungsverfahren vorgebrachten Einwendungen nicht berechtigt sind (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 16. März 1993, mwN).

Der angefochtene Bescheid setzt sich allerdings mit dem konkreten Berufungsvorbringen der Mitbeteiligten, die im erstinstanzlichen Verfahren als Partei übergangen wurde, überhaupt nicht auseinander, weshalb er auch insoweit einen Begründungsmangel aufweist.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 2. Februar 2012

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