Normen
AVG §11;
AVG §9;
VStG §54b Abs3;
VVG §10 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §47 Abs1;
VwGG §48 Abs1;
VwRallg;
ZustG §13 Abs1;
AVG §11;
AVG §9;
VStG §54b Abs3;
VVG §10 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §47 Abs1;
VwGG §48 Abs1;
VwRallg;
ZustG §13 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 737,60 und das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 368,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Im Zuge einer Vernehmung als Beschuldigter wies der Beschwerdeführer am 16. Dezember 2008 u.a. darauf hin, dass er unter paranoider Schizophrenie leide, bei einem näher genannten Arzt in Behandlung sei und mehrere näher genannte Medikamente nehmen müsse.
Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat Innere Stadt, vom 2. Februar 2010 wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, er habe am 5. Oktober 2008 um 05.30 Uhr an einem näher genannten Ort ein dem Kennzeichen nach näher bestimmtes Kfz gelenkt, obwohl er
1. nicht im Besitze einer von der Behörde erteilten gültigen Lenkberechtigung für die Klasse oder Unterklasse, in die das von ihm gelenkte Fahrzeug falle (nämlich Klasse B), gewesen sei,
2. er habe einem Straßenaufsichtsorgan auf Verlangen den Zulassungsschein zur Überprüfung nicht ausgehändigt und
3. er habe sich geweigert, seine Atemluft von einem besonders geschulten und von der Behörde hiezu ermächtigten Organ der Straßenaufsicht auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen, obwohl habe vermutet werden können, dass er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe.
Er habe dadurch eine Übertretung zu 1. des § 1 Abs. 3 FSG, zu 2. des § 102 Abs. 5b KFG 1967 und zu 3. des § 5 Abs. 2 StVO 1960 begangen, weshalb über ihn zu 1. eine Geldstrafe von EUR 363,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 3 Tage), zu 2. eine Geldstrafe von EUR 50,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 50 Stunden) und zu 3. eine Geldstrafe von EUR 1.162,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 2 Wochen) verhängt wurde.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er u.a. darauf hinwies, dass er, wie er bereits bei seiner Vernehmung kurz nach dem Vorfall ausgesagt habe, zu diesem Zeitpunkt unter stark alkoholisiertem und medikamentösem Einfluss gestanden sei. Zudem habe er damals wie auch noch aktuell unter einer psychischen Krankheit gelitten in Zusammenhang mit der Einnahme von diversen ärztlich verordneten Medikamenten. Dies sei von zwei unterschiedlichen unabhängigen gerichtlichen Gutachtern bestätigt worden.
Mit Berufungsvorentscheidung der Bundespolizeidirektion Wien vom 26. Mai 2010 wurde die Berufung vom 10. März 2010 gegen das Straferkenntnis vom 2. Februar 2010 gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 7. Juni 2010, welches die belangte Behörde als Vorlageantrag wertete, teilte der Beschwerdeführer u.a. mit, dass er aufgrund seiner psychischen Verfassung und den damit zusammenhängenden Konzentrationsstörungen nicht früher habe antworten können; erst mit Hilfe seiner Schwester, welche ihm auch diesmal helfe, könne er für die Behörde verständliche Briefe verfassen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 19. Oktober 2010 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurück.
In der Begründung wird u.a. ausgeführt, es habe das Straferkenntnis eine richtige und vollständige Rechtsmittelbelehrung enthalten und sei laut Zustellnachweis RSb nach einem ersten Zustellversuch vom 16. Februar 2010 hinterlegt und ab dem 17. Februar 2010 zur Abholung bereit gehalten worden. Die Rechtsmittelfrist habe daher am 17. Februar 2010 begonnen und am 3. März 2010 geendet. Die vorliegende Berufung sei mit 10 März 2010 eingebracht worden.
Mit dem Vorhalt der Verspätung vom 13. September 2010 habe die belangte Behörde dem Beschwerdeführer nochmals die Verspätung seines Rechtsmittels zur Kenntnis gebracht. Der Beschwerdeführer habe diesen Vorhalt unbeantwortet gelassen. Der Beschwerdeführer habe auch in seinem Vorlageantrag keinen Zustellmangel bzw. keine Ortsabwesenheit geltend gemacht. Die Berufung sei daher ohne Eingehen auf die Berufungsausführungen als verspätet zurückzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter, der gleichzeitig auch sein nunmehr bestellter Sachwalter ist, Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ein. Darin wird u.a. ausgeführt, der Sachverhalt sei in einem wesentlichen Punkt unrichtig bzw. unvollständig festgestellt worden.
Insbesondere hätte die belangte Behörde eine zusätzliche Beweisaufnahme durchführen müssen, indem sie die Geschäfts- und Deliktsfähigkeit des Beschwerdeführers, sowohl zum Zeitpunkt der Begehung der Verwaltungsübertretungen, als auch zum Zeitpunkt der Zustellung des Straferkenntnisses überprüfe. Hiefür wäre dem Beschwerdeführer zumindest die Vorlage der von ihm angesprochenen medizinischen Gutachten und auf der Basis dieser die amtswegige Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und Neurologie aufzutragen gewesen.
Bei vollständiger Ermittlung der entscheidungswesentlichen Tatsachen hätte die belangte Behörde zu dem Ergebnis kommen müssen, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Begehung der Verwaltungsübertretungen deliktsunfähig und zum Zeitpunkt der Zustellung des Straferkenntnisses geschäftsunfähig gewesen sei, somit sein "Einspruch" vom 30. März 2010 fristgerecht erfolgt sei und inhaltlich zu behandeln gewesen wäre.
Ergänzend legte der Beschwerdeführer einen Beschluss des Bezirksgerichtes Meidling vom 12. Jänner 2011 vor, mit dem der einschreitende Rechtsvertreter mit sofortiger Wirkung im gegenständlichen Verfahren betreffend Verwaltungsübertretungen zum einstweiligen Sachwalter gemäß § 120 Außerstreitgesetz bestellt wurde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Für die prozessuale Handlungsfähigkeit (Prozessfähigkeit) ist entscheidend, ob die Partei im Zeitpunkt der betreffenden Verfahrensabschnitte in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich aus ihm ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten. Das Fehlen der Prozessfähigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Für die Frage der Wirksamkeit einer Zustellung kommt es darauf an, ob der Zustellungsempfänger handlungsfähig war, und nicht darauf, ob für ihn bereits ein Sachwalter bestellt worden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2012, Zl. 2011/09/0021, m.w.N.).
Der Beschwerdeführer wies - abgesehen von seiner Aussage als Beschuldigter vor der Behörde erster Instanz am 16. Dezember 2008 -
sowohl in seiner Berufung vom 10. März 2010, als auch in der nachfolgenden Stellungnahme vom 7. Juni 2010 auf seine psychische Erkrankung hin und erklärte auch im Schreiben vom 7. Juni 2010 gegenüber der Behörde, unter damit zusammenhängenden Konzentrationsstörungen zu leiden und der Unterstützung seiner Schwester zum Abfassen von Schriftsätzen zu bedürfen. Er bestritt auch, überhaupt vor Abfassen des Berufungsschriftsatzes in der Lage gewesen zu sein, der Behörde "zu antworten" (arg: "… konnte ich nicht früher antworten, …").
Schon aufgrund dieser konkreten Hinweise hätten der belangten Behörde Zweifel an der Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers zumindest bezogen auf den Zeitpunkt der Zustellung des Straferkenntnisses kommen müssen. Es hätte daher im Sinne der vorzitierten Judikatur die Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers von Amts wegen geprüft werden müssen, um überhaupt beurteilen zu können, ob eine wirksame Zustellung des Straferkenntnisses möglich war. Die belangte Behörde hat jedoch derartige Ermittlungen unterlassen.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Hinsichtlich der Aufteilung der Auferlegung des Aufwandersatzes im Verhältnis je eine Übertretung des FSG und des KFG 1967 und eine Übertretung
der StVO 1960, somit wie zwei zu eins, wird auf das hg. Erkenntnis vom 22. März 1991, Zl. 90/18/0265, m.w.N. verwiesen.
Wien, am 14. Dezember 2012
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)