VwGH 2011/01/0131

VwGH2011/01/013121.4.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel sowie Hofrat Dr. Blaschek und Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde des AP in E, geboren 1987, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. März 2008, Zl. 257.217/0/4E-V/15/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
EMRK Art8 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §33a;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
EMRK Art8 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §33a;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seines Spruchpunktes 3. (Ausweisung des Beschwerdeführers) wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am 5. Juli 2004 in das Bundesgebiet ein und stellte am 19. Juli 2004 einen Asylantrag.

Mit Bescheid vom 12. Jänner 2005 wies das Bundesasylamt diesen Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei, und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus.

Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt 1.), stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 50 Abs. 1 und 2 FPG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt 2.), und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria aus (Spruchpunkt 3.).

Begründend führte die belangte Behörde zur Ausweisung des Beschwerdeführers wörtlich Folgendes aus:

"Der (Beschwerdeführer) hat keinerlei verwandtschaftliche Beziehungen in Österreich. Er hat zwar angegeben, in Österreich eine Freundin zu haben und auch sonst gut integriert zu sein, fest steht jedoch, dass er nicht verheiratet ist und auch keine Kinder hat. Dies bedeutet, dass keine aus einer familiären Bindung abzuleitenden persönlichen Interessen des (Beschwerdeführers) an einem Verbleib im österreichischen Bundesgebiet vorliegen. Auch wenn der (Beschwerdeführer) angibt, in Österreich diverse Kurse absolviert, Freunde gefunden zu haben und zur Zeit erfolgreich Fußball zu spielen, so sind dies beides Fakten, welche er ebenso, wenn nicht noch besser, in seiner Heimat verwirklichen kann und stellen diese Umstände unter Berücksichtigung der Unbegründetheit des Asylantrages und der rechtswidrigen Einreise in das Bundesgebiet keine derart schützenswerte Integration dar, dass allein aus diesem Grunde die Ausweisung für unzulässig zu erklären wäre. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die nunmehrige Ausweisung einen Eingriff in Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellt, so gelangt die erkennende Behörde im Hinblick auf diese Umstände doch zum Ergebnis, dass die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, insbesondere das wirtschaftliche Wohl des Landes (Verhinderung ungeordneter Zuwanderung) und die öffentliche Ordnung (geordnetes Fremdenwesen) die Interessen des (Beschwerdeführers) am weiteren Verbleib überwiegen, dies auch deshalb, weil dem (Beschwerdeführer) bewusst sein musste, dass er nur über eine vorübergehende Aufenthaltsberechtigung für Asylwerber verfügt und das Land im Falle einer negativen Verfahrensbeendigung zu verlassen hat. Es ist im übrigen darauf zu verweisen, dass der (Beschwerdeführer) erst seit etwa dreieinhalb Jahren im Bundesgebiet aufhältig ist.

Die Ausweisung ist daher durch die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen gerechtfertigt und verhältnismäßig."

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Zu I.:

Die Beschwerde macht unter anderem geltend, dass Art. 8 EMRK auch ein über die "Kernfamilie" iSd Asylgesetzes hinausreichendes erweitertes Familienleben erfasse. Die Eheschließung oder ein gemeinsames Kind seien keine notwendigen Voraussetzungen für die Annahme eines Familienlebens iSd Art. 8 Abs. 1 EMRK in der Auslegung durch den EGMR. Vielmehr fielen auch uneheliche Beziehungen unter den Begriff des Familienlebens, wenn sie tatsächlich und in bestimmter Intensität gelebt würden. Der Beschwerdeführer habe vorgebracht, mit einer Österreicherin in Lebensgemeinschaft zu leben und nachhaltig integriert zu sein, wozu er in der mündlichen Verhandlung zahlreiche Unterlagen vorgelegt habe, welche die erfolgreich absolvierten Ausbildungen (wie Hauptschulabschluss, Deutschkurse oder die erste Stufe des europäischen Computerführerscheins) und die sportlichen Erfolge des Beschwerdeführers dokumentierten; auch in verschiedenen Medien sei der Beschwerdeführer als "Musterbeispiel erfolgreicher sportlicher Integration" wiederholt vertreten. Hätte die belangte Behörde den Beschwerdeführer näher zu seinem Privat- und Familienleben befragt, hätte der Beschwerdeführer angeben können, dass er mit seiner Lebensgefährtin im gemeinsamen Haushalt lebe, mit ihr seine Freizeit verbringe, sowie in deren Familie und Freundeskreis in besonderem Ausmaß integriert sei. Die belangte Behörde habe sich zudem mit den vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen nicht auseinander gesetzt.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde in Bezug auf Spruchpunkt 3. des angefochtenen Bescheides eine Rechtswidrigkeit auf.

Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR ist das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Beziehungen beschränkt, sondern erfasst auch andere faktische Familienbindungen, bei denen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. September 2010, Zl. 2008/01/0551, mwN).

Die belangte Behörde hat das Bestehen eines Familienlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK hingegen schon allein deshalb verneint, weil der Beschwerdeführer nicht verheiratet ist und keine Kinder hat. Ausgehend von dieser unrichtigen Rechtsansicht hat es die belangte Behörde unterlassen, sich mit dem in der mündlichen Verhandlung erstatteten Vorbringen des Beschwerdeführers zur bereits seit drei Jahren bestehenden Lebensgemeinschaft mit seiner Freundin auseinander zu setzen und die für eine faktische Familienbindung sprechenden Umstände zu prüfen.

Schon aus diesem Grund erweist sich auch die von der belangten Behörde hilfsweise - für den Fall, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers einen Eingriff in Art. 8 Abs. 1 EMRK darstelle - vorgenommene Interessenabwägung als unzureichend. Die belangte Behörde hat keine Feststellungen zu dem nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers bestehenden Familienleben mit seiner Freundin getroffen und es folglich unterlassen, diesen Aspekt bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Darüber hinaus fehlen im angefochtenen Bescheid auch Feststellungen zu den sonstigen fallbezogen bei der Interessenabwägung in Betracht kommenden Kriterien (vgl. zu den bei einer solchen Interessenabwägung zu beachtenden Kriterien das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 29. September 2007, B 328/07). Mit dem lapidaren Hinweis im angefochtenen Bescheid, der Beschwerdeführer habe "diverse Kurse absolviert, Freunde gefunden" und spiele "zur Zeit erfolgreich Fußball", werden die von ihm vorgelegten zahlreichen Unterlagen, die seine Integration in Österreich dokumentieren sollen, im Übrigen nur unzureichend berücksichtigt.

Der angefochtene Bescheid war daher im Umfang seines Spruchpunktes 3. gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Zu II.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft - soweit sie sich gegen die Spruchpunkte 1. und 2. des erstinstanzlichen Bescheides richtet - keine für die Entscheidung dieses Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde - soweit sie sich gegen die Spruchpunkte 1. und 2. des erstinstanzlichen Bescheides richtet - abzulehnen.

Wien, am 21. April 2011

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