VwGH 2010/22/0100

VwGH2010/22/01009.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 11. Juni 2010, Zl. E1/83/3/2010, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 1954 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §44 Abs4 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44 Abs4;
NAG 2005 §44 Abs5;
VwRallg;
FrPolG 1954 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §44 Abs4 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44 Abs4;
NAG 2005 §44 Abs5;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 11. Juni 2010 wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen indischen Staatsangehörigen, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus Österreich aus.

Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an, dass der Beschwerdeführer am 6. April 2002 illegal eingereist sei und am 8. April 2002 einen Asylantrag gestellt habe. Dieser sei mit Bescheid vom 26. Juli 2002 gemäß "§§ 7 und 8 Asylgesetz 1997" in erster Instanz abgewiesen worden. Die dagegen eingebrachte Berufung habe der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 29. Oktober 2009 als unbegründet abgewiesen. Seither sei der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich nicht mehr rechtmäßig.

Der Beschwerdeführer habe am 26. November 2009 einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 44 Abs. 4 NAG gestellt. Der Beschwerdeführer hätte sich seit der asylbehördlichen Entscheidung der ersten Instanz seines unsicheren Aufenthaltes im Bundesgebiet bewusst sein müssen. Der inländische Aufenthalt sei in seinem Gewicht dadurch entscheidend gemindert, dass der Aufenthalt nur auf Grund eines sich als unberechtigt erwiesenen Asylantrages vorläufig legalisiert gewesen sei.

Der Beschwerdeführer sei ledig und kinderlos und verdiene als Zeitungskolporteur derzeit monatlich ca. EUR 300,--. In seinem Heimatland lebten noch Eltern und Geschwister. Der Beschwerdeführer habe die ersten 26 Lebensjahre in seinem Heimatstaat verbracht.

Auf Grund des mittlerweile acht Jahre dauernden durchgehenden Aufenthalts im Bundesgebiet könne von einem Eingriff in sein Privatleben ausgegangen werden. Andererseits sei dieser Eingriff gerechtfertigt und es seien die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an Gewicht insoweit zu relativieren, als sein Aufenthalt nur auf Grund des Asylantrages erlaubt gewesen sei. Bindungen zu seinem Heimatstaat würden als gegeben angesehen. Ein in Österreich lebender indischer Staatsangehöriger habe eine Patenschaftserklärung für den Beschwerdeführer abgegeben. Trotz des mittlerweile achtjährigen Aufenthaltes in Österreich sowie der Ausübung einer Beschäftigung als Zeitungskolporteur überwögen die öffentlichen Interessen an der Ausweisung die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass sein Asylantrag rechtskräftig abgewiesen wurde. Da keine Anhaltspunkte für eine Rechtmäßigkeit des Aufenthalts ersichtlich sind, hegt der Gerichtshof keine Bedenken gegen die Heranziehung des Ausweisungstatbestandes des § 53 Abs. 1 FPG durch die belangte Behörde.

Der Beschwerdeführer meint im Blick auf seinen nach § 44 Abs. 4 NAG gestellten Antrag, es sei widersinnig, eine Ausweisung mit dem illegalen Aufenthalt des Beschwerdeführers zu begründen, wenn dieser illegale Aufenthalt vom Gesetzgeber geradezu verlangt werde, damit der Fremde seine gesetzlich eingeräumten Rechte wahrnehmen könne.

§ 44 NAG lautet auszugsweise:

"...

(4) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine quotenfreie 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt' erteilt werden, wenn

1. der Drittstaatsangehörige nachweislich seit dem 1. Mai 2004 durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist und

2. mindestens die Hälfte des Zeitraumes des festgestellten durchgängigen Aufenthalts im Bundesgebiet rechtmäßig gewesen ist.

Die Behörde hat dabei den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der Deutschen Sprache, zu berücksichtigen. Der Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 2 bis 4 kann auch durch Vorlage einer Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 18) erbracht werden. Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 und 5 einschließlich fremdenpolizeilicher Maßnahmen hat die Behörde unverzüglich eine begründete Stellungnahme der der zuständigen Fremdenpolizeibehörde übergeordneten Sicherheitsdirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß § 74 und § 73 AVG gehemmt. Ein einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag (Folgeantrag) ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

(5) Anträge gemäß Abs. 4 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht nach diesem Bundesgesetz. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Behörde über einen solchen Antrag hat die zuständige Fremdenpolizeibehörde jedoch mit der Durchführung der eine Ausweisung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

1. ein Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung erst nach einer Antragstellung gemäß Abs. 4 eingeleitet wurde und

2. die Erteilung einer 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt' gemäß Abs. 4 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des Abs. 4 Z 1 und 2 jedenfalls vorzuliegen haben.

Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen der Z 2 hat die zuständige Fremdenpolizeibehörde vor Durchführung der Abschiebung eine begründete Stellungnahme der Behörde einzuholen. Verfahren gemäß Abs. 4 gelten als eingestellt, wenn der Fremde das Bundesgebiet verlassen hat."

Aus der Bestimmung des § 44 Abs. 5 NAG ergibt sich, dass ein Antrag nach § 44 Abs. 4 NAG der Erlassung einer Ausweisung nicht entgegensteht, wohl aber unter bestimmten Umständen mit der Durchsetzung der Ausweisung zuzuwarten ist.

Weiters wendet sich der Beschwerdeführer gegen das Ergebnis

der behördlichen Interessenabwägung nach § 66 FPG.

§ 66 FPG lautet auszugsweise:

"§ 66. (1) Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

  1. 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
  2. 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
  3. 4. der Grad der Integration;
  4. 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;
  5. 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
  6. 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

    8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

    (3)…"

    Mit dem Hinweis, dass der Gesetzgeber die materiellrechtliche Prüfung eines zulässigen Antrags (nach § 44 Abs. 4 NAG) an den illegalen Aufenthalt des Antragstellers knüpfe und somit die Wichtigkeit eines geordneten Fremdenrechts nicht in die Interessenabwägung einfließen dürfe, vergleicht der Beschwerdeführer die vorliegend gebotene Prüfung nach § 66 FPG mit den Voraussetzungen des § 44 Abs. 4 NAG zur Erteilung einer quotenfreien "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen.

    Diesem Vergleich ist jedoch insofern der Boden entzogen, als die letztgenannte Bestimmung eben dann greifen soll, wenn ein Recht aus Art. 8 EMRK nicht abgeleitet werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2010, 2010/18/0178). In diesem Sinn halten die ErläutRV (88 BlgNR 24. GP, 11) zur Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 fest:

    "Es soll eben gerade auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Abs. 4 an 'Altfälle' ermöglicht werden, denen gemäß den Kriterien des § 11 Abs. 3 ein Aufenthaltstitel nicht zu erteilen wäre."

    Ein illegaler Aufenthalt ist Voraussetzung für eine Ausweisung nach § 53 Abs. 1 FPG und begründet ein öffentliches Interesse an der Erlassung der Ausweisung insofern, als der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt. Demgegenüber kann nach § 44 Abs. 4 NAG ein Aufenthaltstitel unter bestimmten Voraussetzungen auch dann erteilt werden, wenn sowohl die Verweigerung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf § 11 Abs. 3 NAG als auch die Ausweisung des Fremden unter der nach § 66 FPG geforderten Berücksichtigung des Eingriffs in das Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK zulässig sind.

    Die belangte Behörde hat die Interessenabwägung fehlerfrei vorgenommen. Es kann zwar der Beschwerdeführer auf einen längeren inländischen Aufenthalt verweisen, dessen Rechtmäßigkeit jedoch lediglich auf einem Asylantrag beruhte, der sich als unberechtigt erwiesen hat. Soweit der Beschwerdeführer der belangten Behörde vorwirft, sie hätte sich "mit dem Asylverfahren auseinandersetzen müssen", ist ihm - worauf die belangte Behörde schon zutreffend hingewiesen hat - zu entgegnen, dass der Beschwerdeführer spätestens nach der erstinstanzlichen Asylentscheidung von der Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus in Österreich ausgehen musste. Wie bereits angesprochen kommt der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zu, woraus ein öffentliches Interesse daran abzuleiten ist, dass abgelehnte Asylwerber den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise herstellen. Die aus dem langjährigen inländischen Aufenthalt abzuleitende Integration des Beschwerdeführers, der jedoch nicht über familiäre Bindungen im Inland verfügt und auch keine maßgebliche berufliche Integration aufweisen kann, erreicht nicht jenes Gewicht, das erforderlich wäre, um das genannte öffentliche Interesse in den Hintergrund zu drängen. Auch wenn - wie der Beschwerdeführer vorbringt - die Bindung zu seinem Heimatland wegen des langjährigen Auslandsaufenthaltes "entsprechend gemindert ist", sind doch keine Umstände zu erkennen, die eine Wiedereingliederung unmöglich oder unzumutbar machen würden.

    Die Hinweise des Beschwerdeführers auf Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind schon deswegen relativiert, weil er selbst die Sachlage im gegenständlichen Fall als "gänzlich anders" bezeichnet.

    Letztlich sind keine Umstände zu erkennen, die die belangte Behörde hätten veranlassen müssen, von dem ihr eingeräumten Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers Gebrauch zu machen.

    Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen. Wien, am 9. September 2010

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