VwGH 2010/22/0046

VwGH2010/22/004615.6.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des Q, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 14, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 15. Februar 2010, Zl. 155.273/2- III/4/10, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

FremdenrechtsNov 2009;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art8;
NAG 2005 §25 Abs2;
NAG 2005 §43 Abs2;
NAG 2005 §44 Abs3;
NAG 2005 §44a;
NAG 2005 §44b;
VwRallg;
FremdenrechtsNov 2009;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art8;
NAG 2005 §25 Abs2;
NAG 2005 §43 Abs2;
NAG 2005 §44 Abs3;
NAG 2005 §44a;
NAG 2005 §44b;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte am 4. Mai 2009 einen auf § 44 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) gestützten Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung - beschränkt".

Diesen Antrag wies die erstinstanzliche Behörde gemäß § 44 Abs. 3 iVm § 44b Abs. 1 Z 3 NAG zurück.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer am 8. Dezember 2001 eingereist sei und am 10. Dezember 2001 einen Asylantrag gestellt habe. Dieser sei letztlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 24. April 2009 abgewiesen worden.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass die Behörde, liege kein Fall des § 44b Abs. 1 Z 1 oder Z 2 NAG vor, die der zuständigen Fremdenpolizeibehörde übergeordnete Sicherheitsdirektion von einem Antrag gemäß § 43 Abs. 2 oder § 44 Abs. 3 NAG zu verständigen und eine begründete Stellungnahme zu fremdenpolizeilichen Maßnahmen, insbesondere ob eine Ausweisung auf Dauer oder bloß vorübergehend unzulässig sei, einzuholen habe.

Die erstinstanzliche Behörde habe mit Schreiben vom 10. September 2009 die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien um Stellungnahme ersucht.

Mit begründeter Stellungnahme gemäß § 44b Abs. 2 NAG vom 17. September 2009 sei "die Zulässigkeit von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bzw. die vorübergehende Unzulässigkeit festgestellt" worden. An diese Entscheidung seien die "NAG-Behörden" gebunden. Die vom Beschwerdeführer in der Berufung angeführten Gründe würden zur Zulässigkeit einer Ausweisung auch unter Bedachtnahme auf die in § 66 Abs. 2 FPG normierten Kriterien führen. Aus den Ausführungen des Beschwerdeführers sei nicht erkennbar, dass in der Zeit ab 17. September 2009 (Stellungnahme der Sicherheitsdirektion) bis heute hinsichtlich der Zulässigkeit der Ausweisung ein maßgeblich geänderter Sachverhalt eingetreten wäre.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des NAG lauten auszugsweise:

"§ 25. ....

(2) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist das Verfahren über den Verlängerungsantrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels formlos einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung auf Antrag des Fremden fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird."

"§ 44. ...

(3) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine quotenfreie "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" zu erteilen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und dies gemäß § 11 Abs. 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

..."

"§ 44a. Die Behörde hat einen Aufenthaltstitel gemäß §§ 43 Abs. 2 oder 44 Abs. 3 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Ausweisung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 10 AsylG 2005 oder gemäß § 66 FPG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. § 73 AVG gilt. Die Frist gemäß § 73 Abs. 1 AVG beginnt mit der Zustellung der gemäß § 22 Abs. 9 AsylG 2005 oder § 105 Abs. 7 FPG zu übermittelnden Entscheidung an die Behörde."

"§ 44b. (1) Liegt kein Fall des § 44a vor, sind Anträge gemäß §§ 43 Abs. 2 und 44 Abs. 3 als unzulässig zurückzuweisen, wenn

1. gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde, oder

2. rechtskräftig festgestellt wurde, dass eine Ausweisung bloß vorübergehend (§ 10 AsylG 2005, § 66 FPG) unzulässig ist, oder

3. die Sicherheitsdirektion nach einer Befassung gemäß Abs. 2 in der Stellungnahme festgestellt hat, dass eine Ausweisung bloß vorübergehend unzulässig ist

und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

(2) Liegt kein Fall des Abs. 1 Z 1 oder 2 vor, hat die Behörde unverzüglich die der zuständigen Fremdenpolizeibehörde übergeordnete Sicherheitsdirektion von einem Antrag gemäß §§ 43 Abs. 2 oder 44 Abs. 3 zu verständigen und eine begründete Stellungnahme zu fremdenpolizeilichen Maßnahmen, insbesondere ob eine Ausweisung auf Dauer oder bloß vorübergehend unzulässig ist, einzuholen. Bis zum Einlangen der begründeten Stellungnahme der Sicherheitsdirektion ist der Ablauf der Frist gemäß § 73 Abs. 1 AVG gehemmt. § 25 Abs. 2 gilt sinngemäß.

..."

Der Beschwerdeführer begehrt eine "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" unter ausdrücklichem Hinweis auf § 44 Abs. 3 NAG. Eine solche ist - wie zitiert - Drittstaatsangehörigen zu erteilen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG vorliegt und dies gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten ist.

Von Amts wegen hat die Behörde gemäß § 44a NAG einen solchen Aufenthaltstitel dann zu erteilen, wenn eine Ausweisung rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde.

Wie die belangte Behörde bei Anträgen (u.a.) nach § 44 Abs. 3 NAG vorzugehen hat, regelt § 44b NAG.

Die belangte Behörde zog zur Zurückweisung des gegenständlichen Antrages § 44b Abs. 1 Z 3 NAG heran. Diese Bestimmung setzt - wie zitiert - voraus, dass "eine Ausweisung bloß vorübergehend unzulässig ist". Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (88 BlgNR 24. GP 12f) zur Novelle BGBl. I Nr. 29/2009, halten dazu fest, § 44b Abs. 1 NAG normiere den Grundsatz, dass die Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde eine bereits getroffene Ausweisung zu beachten und den Antrag daher mittels formaler Entscheidung zurückzuweisen habe. Das gleiche gelte für Entscheidungen, mit welchen die Ausweisung lediglich als vorübergehend unzulässig festgestellt worden sei. Auch hier solle es, der Gesamtsystematik des Entwurfs folgend, zu keiner Erteilung eines Aufenthaltstitels kommen. Die ebenfalls zur Zurückweisung führende Stellungnahme der Sicherheitsdirektion im Sinn der Z 3 werde in Fällen zum Tragen kommen, in denen die Zulässigkeit einer Ausweisung bereits im Asylverfahren zu prüfen gewesen sei, jedoch noch kein Ausspruch über den Aspekt der Dauerhaftigkeit zu erfolgen gehabt habe. Die Fremdenpolizeibehörden sollten in diesen Fällen nicht formal abzusprechen haben, sondern lediglich die "Dauerhaftigkeit" beurteilen.

§ 44b Abs. 2 NAG - so die weiteren Erläuterungen - stelle sicher, dass die Fremdenpolizeibehörden von Anträgen gemäß § 44b NAG Kenntnis erlangen und in ihrem Zuständigkeitsbereich tätig werden könnten. Gemäß § 66 Abs. 3 FPG werde die Fremdenpolizeibehörde formal über die Ausweisung abzusprechen haben. Lägen die Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisungsentscheidung vor, so sei diese daher "selbstverständlich zu erlassen". Andernfalls sei die Zulässigkeit der Ausweisung mit Bescheid zu verneinen und im Fall der dauerhaften Unzulässigkeit nach § 44a NAG vorzugehen. Sei eine Ausweisungsentscheidung in einem vorangegangenen asylrechtlichen Verfahren unterblieben, so habe die Fremdenpolizeibehörde darüber im allgemeinen nicht formal abzusprechen, sondern die Aufenthaltsbehörde zu informieren, ob die Unzulässigkeit der Ausweisung als auf Dauer bestehend oder bloß vorübergehend beurteilt werde, was wiederum ein Vorgehen der Aufenthaltsbehörde nach § 44a oder § 44b Abs. 1 Z 3 NAG nach sich ziehe.

Diese Erläuterungen zeigen klar die Intentionen des Gesetzgebers auf, die mit der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 in das NAG eingeflossen sind.

Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die Aufenthaltsbehörde einen auf § 43 Abs. 2 oder § 44 Abs. 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens gestützten Niederlassungsantrag - gleichgebliebene Umstände vorausgesetzt - zurückzuweisen hat, wenn bereits eine Ausweisung - bei der ja eine Prüfung nach Art. 8 EMRK vorzunehmen war - erlassen worden ist. Liegt eine Ausweisungsentscheidung nicht vor, hat die Aufenthaltsbehörde die Fremdenpolizeibehörde um Stellungnahme zu ersuchen. Diese hat nach Prüfung des Sachverhalts die Ausweisung zu erlassen oder gemäß § 66 Abs. 3 FPG über deren "Zulässigkeit" abzusprechen, was dann nur die Feststellung ihrer Unzulässigkeit enthalten kann. Ist die Ausweisung auf Dauer unzulässig, hat die Aufenthaltsbehörde gemäß § 44a NAG den Aufenthaltstitel zu erteilen. Ist sie jedoch bloß vorübergehend unzulässig, hat die Aufenthaltsbehörde den Antrag als unzulässig zurückzuweisen. In einem solchen Fall einer bloß vorübergehenden Unzulässigkeit der Ausweisung ist ein Aufenthaltstitel nicht zu erteilen.

Diesen Regelungszweck hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid verkannt.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien hat in dem für die Stellungnahme verwendeten (missverständlichen) Formular das Feld "Zulässigkeit von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bzw. vorübergehende Unzulässigkeit", nicht aber das Feld "dauerhafte Unzulässigkeit der Ausweisung" oder das Feld "vorübergehende Unzulässigkeit der Ausweisung" angekreuzt. In der Begründung hat sie ausgeführt, dass sich die Ausweisung auch unter Bedachtnahme auf die in § 66 Abs. 2 FPG normierten Kriterien als zulässig erweise. Damit hat sie klar zum Ausdruck gebracht, dass die Ausweisung zulässig sei. Gemäß dem oben dargelegten Gesetzeszweck hätte sie in der Folge die erstinstanzliche Fremdenpolizeibehörde zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens anweisen müssen.

Der Rechtsirrtum der belangten Behörde lag darin, dass sie die Fälle der Zulässigkeit der Ausweisung der vorübergehenden Unzulässigkeit der Ausweisung gleichsetzte, wie sie dies mit dem Argument "bzw." getan hat. Nur bei Feststellung der bloß vorübergehenden Unzulässigkeit der Ausweisung durch die Fremdenpolizeibehörde hätte sie in Anwendung des § 44b Abs. 1 Z 3 NAG den Niederlassungsantrag zurückweisen dürfen.

Die korrekte Vorgangsweise hätte darin bestanden, nach Rechtskraft der durch die Fremdenpolizeibehörde ausgesprochenen Aufenthaltsbeendigung das Verfahren auf Erteilung des Aufenthaltstitels formlos einzustellen, was sich durch den Hinweis auf § 25 Abs. 2 NAG in § 44b Abs. 2 leg. cit. ergibt. Bis zum Einlangen einer begründeten Stellungnahme der Sicherheitsdirektion, deren Vorgehen nach dem Gesagten aber nicht allein darin bestehen kann, die Zulässigkeit der Ausweisung festzustellen, ist der Ablauf der Frist des § 73 Abs. 1 AVG gehemmt und die Aufenthaltsbehörde somit nicht säumig. Zur Klarstellung sei nochmals betont, dass die Sicherheitsdirektion, so sie die Ausweisung als zulässig ansieht, die Einleitung des Ausweisungsverfahrens zu veranlassen hat.

Da im vorliegenden Fall der Tatbestand des § 44a Abs. 1 Z 3 NAG nicht erfüllt ist und die belangte Behörde dennoch den Antrag unter Hinweis auf diese Bestimmung zurückgewiesen hat, war der angefochtene Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 15. Juni 2010

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