Normen
FrG 1993 §42 Abs1;
FrG 1997 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §39 Abs3;
FrPolG 2005 §74 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §74 Abs1;
FrPolG 2005 §82 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
FrG 1993 §42 Abs1;
FrG 1997 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §39 Abs3;
FrPolG 2005 §74 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §74 Abs1;
FrPolG 2005 §82 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, gemäß seinen Angaben ein russischer Staatsangehöriger und im Mai 2007 nach Österreich eingereist, stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab und erkannte dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten nicht zu (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig erkannte es ihm auch den Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nicht zu (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Russland aus (Spruchpunkt III.).
Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde vom unabhängigen Bundesasylsenat abgewiesen. Der gegen den Berufungsbescheid erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gab dieser mit Erkenntnis vom 16. April 2009, Zl. 2007/19/1111, insoweit statt, als die Bestätigung der Spruchpunkte II. und III. des erstinstanzlichen Bescheides (Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben wurde. Das in diesem Umfang - im Berufungsstadium - dann wieder offene Asylverfahren wurde in der Folge Anfang März 2010 gemäß § 24 Abs. 2 AsylG 2005 vom Asylgerichtshof eingestellt.
Die hievon in Kenntnis gesetzte Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau erließ hierauf am 8. März 2010 gegen den Beschwerdeführer einen auf § 74 Abs. 1 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG gestützten Festnahmeauftrag. Auf dessen Basis wurde der Beschwerdeführer dann ungeachtet der mit 6. April 2010 erfolgten Fortsetzung des Asylverfahrens aus Anlass einer behördlichen Vorsprache am 22. April 2010 festgenommen und für ca. zwei Stunden angehalten.
Gegen die "Verhängung des Festnahmeauftrages" erhob der Beschwerdeführer Beschwerde. Er beantragte den Ausspruch, 1. dass "die Verhängung des Festnahmeauftrages" und 2. dass "die Unterlassung des Widerrufes des Festnahmeauftrages" rechtswidrig waren.
Mit Bescheid vom 15. Juni 2010 wies der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Salzburg (die belangte Behörde) die Administrativbeschwerde, "soweit mit ihr die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Erlassung des Festnahmeauftrages … beantragt" wurde, gemäß § 67a Z 2 iVm §§ 67c Abs. 3 AVG und 74 Abs. 1 Z 2 FPG als unbegründet ab. "Soweit mit ihr die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterlassung des Widerrufes des Festnahmeauftrages … beantragt" wurde, wies sie die Administrativbeschwerde gemäß § 88 Abs. 2 SPG iVm § 67c Abs. 3 AVG hingegen als unzulässig zurück. Außerdem verpflichtete sie den Beschwerdeführer zum Kostenersatz.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer richtete seine Administrativbeschwerde ihrem Wortlaut nach zwar vordergründig gegen die "Verhängung des Festnahmeauftrages" sowie gegen die "Unterlassung des Widerrufes" desselben. Als "Beschwerdepunkt" hat er aber u.a. insbesondere geltend gemacht, dass er in seinem Recht, nicht festgenommen zu werden, verletzt worden sei. Im Hinblick darauf und angesichts dessen, dass die gesonderte Anfechtung eines Festnahmeauftrages jedenfalls nach vollzogener Festnahme schon zur Vermeidung von Doppelgleisigkeiten nicht in Betracht kommt (vgl. auch § 82 Abs. 1 FPG, der einen selbstständigen Anfechtungsgegenstand "Festnahmeauftrag" nicht kennt), wäre die Administrativbeschwerde jedoch insgesamt betrachtet so zu verstehen gewesen, dass der Beschwerdeführer schlichtweg seine tatsächlich erfolgte Festnahme bekämpfe. Mit der auf den Festnahmeauftrag und die Unterlassung seines Widerrufes Bezug nehmenden doppelten Antragstellung sollte gerade noch erkennbar nur zum Ausdruck gebracht werden, dass die Festnahme rechtswidrig gewesen sei, weil der zugrunde liegende Festnahmeauftrag von vornherein nicht hätte ergehen dürfen oder weil er jedenfalls vor seinem Vollzug zu widerrufen gewesen wäre.
Schon die erste Annahme erweist sich als zutreffend.
Der zur gegenständlichen Festnahme führende Festnahmeauftrag war auf § 74 Abs. 1 Z 2 FPG gestützt. Diese Bestimmung lautete - in der hier maßgeblichen Stammfassung - wie folgt:
"Festnahmeauftrag und Übernahmeauftrag
§ 74. (1) Die Behörde kann die Festnahme eines Fremden auch ohne Erlassung eines Schubhaftbescheides anordnen (Festnahmeauftrag), wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass die Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes vorliegen und
- 1. …
- 2. der Aufenthalt des Fremden nicht festgestellt werden konnte, sein letzter bekannter Aufenthalt jedoch im Sprengel der Behörde liegt."
In den ErläutRV zu § 74 FPG (952 BlgNR 22. GP 103) heißt es:
"Der Festnahmeauftrag unterscheidet sich von dem im Verwaltungsverfahren sonst üblichen Vorführungsbefehl darin, dass er so lange gilt, bis die Behörde die Verfahrenshandlung mit dem vorgeführten Betroffenen vorgenommen hat. Die Dauer der Festnahme darf jedoch keinesfalls 48 Stunden überschreiten (§ 39 Abs. 5). Die Voraussetzungen des Festnahmeauftrages des Abs. 1 lehnen sich freilich an jene des Vorführungsbefehles an. Es muss ein Verfahren eingeleitet sein, das auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendent(d)en Maßnahme abzielt und der Fremde muss entweder einer Ladung nicht Folge geleistet haben, untergetaucht sein oder gegen den Fremden soll ein Auftrag zur Abschiebung erlassen werden. Im fremdenpolizeilichen Verfahren ist es zum Teil unerlässlich, die Festnahme von Fremden anzuordnen, ohne sie vorher zur Behörde zu laden. Ansonsten wäre die Durchführung eines fremdenpolizeilichen Verfahrens - vor allem wenn es um die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder um die Durchsetzung einer Ausweisung geht - vom Willen des Fremden, am Verfahren mitzuwirken und sich diesem nicht zu entziehen, abhängig. Hat der Fremde aber nur einen vorübergehenden oder gar keinen Lebensmittelpunkt in Österreich, ist es für ihn ungleich leichter, sich dem Zugriff der Behörde nach Kenntnis von deren Absicht zu entziehen, ohne Österreich auch zu verlassen.
Die Fremdenpolizeibehörde soll zur Erlassung eines zum Eingriff in die persönliche Freiheit ermächtigenden Auftrages befugt sein, weil auch hier die erforderliche Mitwirkung des Fremden nur durch eine Maßnahme im vorhinein und nicht durch die Erlassung eines Schubhaftbescheides, der zugestellt werden müsste, gesichert werden kann.
…"
§ 74 Abs. 1 FPG soll nach den zitierten Erläuterungen erkennbar die Durchführung fremdenpolizeilicher Verfahren zur Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen gewährleisten. Zu diesem Zweck bietet die genannte Bestimmung die Grundlage für Vorführungen von Fremden vor die Fremdenpolizeibehörde, damit diese die erforderlichen Schritte, etwa eine Einvernahme zu den ins Auge gefassten Maßnahmen, allenfalls auch eine Bescheidzustellung oder die Verhängung von Schubhaft, vornehmen kann. Wenn § 74 Abs. 1 FPG an die Annahme anknüpft, dass "die Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes" vorliegen, so bezieht sich das jedoch nicht auch auf asylrechtliche Ausweisungen. Um solche Maßnahmen geht es in dieser Bestimmung, die im Übrigen weitgehend den Vorgängerregelungen des § 42 Abs. 1 des Fremdengesetzes aus 1992 sowie des § 62 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 entspricht, bei deren Inkrafttreten es noch gar keine asylrechtlichen Ausweisungen gegeben hatte, nicht. Abgesehen davon, dass die asylrechtliche Ausweisung (ebenso wie die spezifisch gegen Asylwerber vorgesehene Maßnahme des Rückkehrverbotes) in § 74 Abs. 1 FPG gar nicht genannt ist, steht die Erlassung solcher Maßnahmen nämlich zum einen nicht in der Ingerenz der Fremdenpolizeibehörden; zum anderen aber existieren in Bezug auf asylrechtliche Ausweisungen, geht es um die mit § 74 Abs. 1 FPG bezweckte Vorführung vor die Fremdenpolizeibehörde, in § 39 Abs. 3 FPG ohnehin gesonderte Festnahmebestimmungen, die nicht an einen Festnahmeauftrag nach § 74 Abs. 1 FPG anknüpfen und daher für eine Anwendung dieser Bestimmung keinen Raum lassen.
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde im Ergebnis damit argumentiert, dass es infolge Einstellung des Asylverfahrens durch den Asylgerichtshof nach § 24 Abs. 2 AsylG 2005 gemäß § 27 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 zur Einleitung eines asylrechtlichen Ausweisungsverfahrens gekommen sei. Da somit die Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung vorgelegen hätten und der damalige Aufenthalt des Beschwerdeführers mangels einer aufrechten Wohnsitzmeldung unbekannt gewesen sei, erweise sich die auf § 74 Abs. 1 Z 2 FPG gestützte Anordnung der Festnahme des Beschwerdeführers durch die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau als rechtmäßig.
Die damit unternommene Rechtfertigung des Vorgehens nach § 74 Abs. 1 Z 2 FPG im Hinblick auf ein aufrechtes asylrechtliches Ausweisungsverfahren ist nach dem oben Gesagten nicht tragfähig. Der bekämpfte Bescheid, der im Übrigen durch die Zweiteilung seines Spruches dem oben dargestellten Verständnis der Administrativbeschwerde nicht gerecht wird, war daher - zur Gänze -
gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 25. Oktober 2012
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