VwGH 2010/21/0221

VwGH2010/21/022119.4.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde der E, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 11. Juni 2010, Zl. III- 1268249/FrB/10, betreffend Ladung in einer Angelegenheit nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §19;
FrPolG 2005 §74 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §77 Abs4;
AVG §19;
FrPolG 2005 §74 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §77 Abs4;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsangehörige, stellte am 2. Oktober 2008 einen Antrag auf internationalen Schutz, der am 16. November 2009 mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes rechtskräftig abgewiesen wurde; zugleich wurde die Beschwerdeführerin nach Nigeria ausgewiesen. Die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurde (laut Beschwerde mit Beschluss vom 28. Jänner 2010) abgelehnt.

Am 13. Jänner 2010 erschien die Beschwerdeführerin auf Grund einer Ladung beim Fremdenpolizeilichen Büro der Bundespolizeidirektion Wien. Gegenstand der Amtshandlung war laut Ladung die "Sicherung der Ausreise". Die Beschwerdeführerin erklärte bei diesem Termin, nicht im Besitz eines Reisepasses zu sein. Sie ließ sich erkennungsdienstlich behandeln und füllte einen Fragenkatalog (zwecks Erlangung eines Heimreisezertifikates) aus.

Mit dem nunmehr angefochtenen Ladungsbescheid vom 11. Juni 2010 wurde sie aufgefordert, am 2. Juli 2010 um 11.45 Uhr zum Fremdenpolizeilichen Büro der Bundespolizeidirektion Wien (der belangten Behörde) zu kommen und in der Angelegenheit "Identitätsfeststellung" als Partei mitzuwirken, wobei neben dem Ladungsbescheid und einem amtlichen Lichtbildausweis ihr Reisepass mitzubringen sei. Für den Fall der Nichtbefolgung der Ladung ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes wurde die Erlassung eines Festnahmeauftrages gemäß § 74 Abs. 2 Z 4 FPG angedroht. Als weitere Rechtsgrundlagen für den Ladungsbescheid wurden § 19 AVG sowie § 77 Abs. 4 FPG angeführt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 19 Abs. 1 erster Satz AVG ist die Behörde berechtigt, Personen, die in ihrem Amtsbereich ihren Aufenthalt (Sitz) haben und deren Erscheinen nötig ist, vorzuladen. Abs. 2 dieser Gesetzesstelle bestimmt, dass in der Ladung außer Ort und Zeit der Amtshandlung auch anzugeben ist, was den Gegenstand der Amtshandlung bildet, in welcher Eigenschaft der Geladene vor der Behörde erscheinen soll (als Beteiligter, Zeuge usw.) und welche Behelfe und Beweismittel mitzubringen sind. In der Ladung ist ferner bekanntzugeben, ob der Geladene persönlich zu erscheinen hat oder ob die Entsendung eines Vertreters genügt und welche Folgen an ein Ausbleiben geknüpft sind. Abs. 3 handelt von der Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten, sowie von den zur Durchsetzung dieser Verpflichtung anzuwendenden Zwangsmitteln. Gemäß Abs. 4 ist gegen die Ladung oder die Vorführung kein Rechtsmittel zulässig.

Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass sie bereits am 13. Jänner 2010 einen Fragenkatalog zum Zweck der Erlangung eines Heimreisezertifikates ausgefüllt habe. Eine neuerliche Ladung zur Identitätsfeststellung entbehre daher einer rechtlichen Grundlage. Es sei aber notorisch, dass sich an Freitagen stets eine Delegation der nigerianischen Botschaft in einem Amtsraum der belangten Behörde einfinde. Die Begleitung der Geladenen durch Rechtsvertreter oder Vertrauenspersonen zu den Interviews durch die Botschaftsvertreter werde seitens der belangten Behörde stets verwehrt. Die belangte Behörde sei der irrigen Meinung, die "Regelungen" der nigerianischen Delegation wären zu akzeptieren und die Interviews insgesamt deren Sache.

Die belangte Behörde weist in ihrer Gegenschrift darauf hin, dass die Beschwerdeführerin weder im Asylverfahren noch im "Verfahren vor dem Fremdenpolizeilichen Büro" Identitätsdokumente habe vorlegen können und die vorliegenden Informationen zu ihrer Person ausschließlich auf ihren Angaben beruhten. Da es zur Durchsetzung der bestehenden Ausreiseverpflichtung erforderlich sei, ein Reisedokument zu beschaffen, sei hiezu mit der nigerianischen Botschaft ein Termin zur Identitätsprüfung vereinbart worden. Die nigerianische Botschaft sei grundsätzlich nur nach einem persönlichen Gespräch mit ihren Staatsangehörigen - im vorliegenden Fall mit der Beschwerdeführerin - zur Ausstellung eines "Reisepasses" bereit. Ein allfälliger, im Rahmen der Ladung vor die Fremdenpolizeibehörde am 13. Jänner 2010 ausgefüllter Fragenkatalog ersetze dieses "Procedere vor der Vertretungsbehörde" nicht. Die Ladung der Beschwerdeführerin und ihr persönliches Erscheinen zur Identitätsfeststellung vor einer Delegation der nigerianischen Botschaft zur Ausstellung eines nigerianischen Reisedokuments sei daher zu Recht als nötig im Sinn des § 19 Abs. 1 AVG erachtet worden. Ebenso sei "der Aktenlage der Vorwurf ‚pro futuro' der Verletzung des § 10 Abs. 5 AVG (bzw. des Ausschlusses dieser Bestimmung) nicht zu entnehmen". Der Verwaltungsgerichtshof habe zu Ladungen von Fremdenpolizeibehörden bereits festgehalten, dass der Fremdenpolizeibehörde nicht von vornherein unterstellt werden könne, sie werde aus Anlass des persönlichen Erscheinens des betreffenden Fremden gegen diesen (Zwangs-)Maßnahmen ergreifen, ohne dass die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorlägen. Derartiges lasse sich auch hier - wie bereits dargestellt - aus dem Verwaltungsakt nicht ableiten. Der Vorwurf, dass in diesem Zusammenhang Rechtsbrüche der Fremdenpolizeibehörden notorisch wären, werde in Abrede gestellt.

In einer Stellungnahme vom 1. Juli 2010 zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hatte die belangte Behörde außerdem erklärt, dass die Begleitung durch Rechtsvertreter und Vertrauenspersonen beim "Vorführtermin" am 2. Juli 2010 gestattet sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass Ladungen von Fremden zum Zweck der Klärung ihrer Identität im Zusammenhang mit einer Ausreiseverpflichtung grundsätzlich zulässig sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Juli 2008, Zl. 2008/21/0386). Auch Ladungen eines Fremden zum Zweck einer Befragung durch Vertreter des Herkunftsstaates sind zulässig, wenn die weiteren Voraussetzungen des dafür als Rechtsgrundlage allein in Frage kommenden § 19 AVG erfüllt sind. Stets muss es sich demnach um eine Ladung zu einer behördlichen Amtshandlung handeln, in deren Rahmen die beabsichtigte Befragung stattfinden soll. Um sie als "behördlich" verstehen zu können, ist die Leitung durch ein Organ der Behörde unverzichtbar (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 5. Juli 2011, Zl. 2010/21/0316).

Anders als in dem Fall, der dem zuletzt genannten Erkenntnis zugrunde lag, ist im Beschwerdefall eindeutig eine Ladung vor die Bundespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizeiliches Büro, erfolgt. Auch kann der belangten Behörde für den Fall der Befolgung der Ladung nicht von vornherein rechtswidriges Handeln - insbesondere die Vorführung zu einer Befragung, die nicht unter behördlicher Leitung steht oder bei der entgegen § 10 Abs. 5 AVG keine Begleitung durch einen Rechtsbeistand gestattet ist - unterstellt werden.

Schließlich kann auch an der Notwendigkeit des persönlichen Erscheinens der Beschwerdeführerin zur Befragung durch Angehörige der nigerianischen Botschaft zwecks Ausstellung eines Heimreisezertifikats kein Zweifel bestehen. Dieser Gegenstand der Amtshandlung hätte zwar im angefochtenen Ladungsbescheid - der bloß das Schlagwort "Identitätsfeststellung" enthielt - konkreter angegeben werden können (vgl. zum sich aus § 19 Abs. 2 AVG ergebenden Erfordernis einer genauen Bezeichnung des Gegenstandes der Amtshandlung etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. Februar 1991, Zl. 90/04/0309, und vom 26. Februar 2002, Zl. 2001/11/0336, jeweils mwN); der Beschwerdeführerin war aber, wie sich aus dem Beschwerdevorbringen ergibt, zweifelsfrei bewusst, dass eine solche - jedenfalls auch der Identitätsfeststellung dienende - Befragung durch Botschaftsangehörige stattfinden sollte.

Die Beschwerde erweist sich daher insgesamt als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 19. April 2012

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