VwGH 2010/21/0210

VwGH2010/21/021021.12.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde der M, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 27. Mai 2010, Zl. E1/14814/09, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §31 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 idF 2009/I/029;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
EMRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §45;
NAGDV 2005 §11 Abs1 AbschnC;
VwGG §42 Abs2 Z3;
FrPolG 2005 §31 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 idF 2009/I/029;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
EMRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §45;
NAGDV 2005 §11 Abs1 AbschnC;
VwGG §42 Abs2 Z3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Nigerias, gemäß den §§ 31, 53 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend führte sie aus, die Beschwerdeführerin sei im März 2001 illegal in Österreich eingereist und habe am 4. April 2001 einen Asylantrag gestellt. Das Verfahren sei mit erstinstanzlichem, ihr am 18. April 2003 zugestellten Bescheid samt feststellendem Ausspruch nach § 8 Asylgesetz 1997 "negativ entschieden" worden. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 18. Mai 2009 liege eine zweitinstanzliche und damit rechtskräftige negative Entscheidung vor. Seit 27. Mai 2009 halte sich die Beschwerdeführerin insofern rechtswidrig im Bundesgebiet auf, als ihr weder ein Einreisetitel nach dem FPG noch ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt worden sei. Ein Aufenthaltsrecht auf Grund einer anderen gesetzlichen Bestimmung sei weder behauptet worden, noch aus der Aktenlage ersichtlich.

Die Beschwerdeführerin halte sich seit März 2001, "also mehr als acht Jahre und zehn Monate", im Bundesgebiet auf. Sie habe im Jahr 2001 Herrn G., einen nigerianischen Staatsangehörigen, kennen gelernt, der über eine "Niederlassungsbewilligung" verfüge, und lebe seither mit ihm zusammen. Am 16. September 2006 habe sie den Genannten geheiratet. Die Beschwerdeführerin beherrsche die deutsche Sprache gut, sei unbescholten, habe zwei Unterstützungserklärungen vorgelegt und "laut eigenen Angaben ihren Lebensmittelpunkt in Österreich aufgebaut". Ihr sei daher eine diesen Umständen entsprechende Integration zuzugestehen, sodass durch die Ausweisung in erheblicher Weise in ihr Privat- und Familienleben eingegriffen werde.

Jedoch werde das Gewicht dieser Integration maßgebend dadurch gemindert, dass ihr Aufenthalt nur auf Grund eines Asylantrages, der sich letztlich als unberechtigt erwiesen habe, temporär berechtigt gewesen sei. Der Beschwerdeführerin sei bewusst gewesen, ihr Privat- und Familienleben während eines Zeitraums geschaffen zu haben, in dem sie einen unsicheren Aufenthaltsstatus gehabt habe. Nach der erstinstanzlichen Entscheidung im Asylverfahren am 18. April 2003 habe sie nämlich nicht von vornherein damit rechnen können, nach einem allfälligen negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen. Dies habe zur Folge, dass eine Ausweisung nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bewirke.

Dem Einwand, dass die Ausweisung ihr Familienleben zerstöre und zu einer Trennung von ihrem Ehemann führe, müsse entgegengehalten werden, dass es G. möglich und zumutbar sei, die Beschwerdeführerin nach Nigeria zu begleiten. G. sei nämlich in Nigeria geboren worden, besitze die nigerianische Staatsbürgerschaft, beherrsche die dortige Sprache und sei mit den Lebensumständen in diesem Land vertraut, habe er doch seine prägenden Jahre in Nigeria verbracht. Zudem sei es der Beschwerdeführerin unbenommen, Kontakte mittels Telefon, E-Mail oder durch Besuche im Heimat- oder Aufenthaltsstaat aufrecht zu erhalten. Weitere familiäre Bindungen "zur Republik Österreich" seien weder behauptet worden noch aktenkundig.

Die 1983 geborene Beschwerdeführerin sei im Alter von 18 Jahren in das Bundesgebiet eingereist, habe also den überwiegenden Teil ihres bisherigen Lebens in Nigeria verbracht. Sie habe dort vier Jahre lang die Schule besucht und danach acht Jahre als Landarbeiterin in der Landwirtschaft ihrer Großmutter, die nach wie vor in Nigeria lebe, gearbeitet. Es liege daher eine Bindung zum Heimatstaat vor. Die mit einem wirtschaftlichen Neubeginn in Nigeria zu besorgenden Schwierigkeiten seien im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen. Darüber hinaus könnten auch sonstige zwischenzeitig unterbrochene Kontakte zu weiteren Verwandten wieder hergestellt werden.

In Österreich gehe die Beschwerdeführerin, für deren Unterhalt ihr Ehemann aufkomme, keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, sodass eine berufliche Verfestigung zu verneinen sei. Auch ihre Unbescholtenheit könne die persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich nicht maßgeblich verstärken.

Nach Abwägung der dargestellten Umstände gelangte die belangte Behörde zum Ergebnis, dass die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG zur Wahrung der öffentlichen Ordnung dringend geboten sei. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde die öffentliche Ordnung nämlich in hohem Maße. Die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften stelle einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar. Die öffentliche Ordnung werde schwer wiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, unerlaubt nach Österreich begäben und versuchten, damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Dasselbe gelte, wenn Fremde nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verließen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor diesem Hintergrund seien auch keine tauglichen Gesichtspunkte erkennbar, um das der Behörde durch § 53 Abs. 1 FPG eingeräumte Ermessen zu Gunsten der Beschwerdeführerin zu üben.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Die Beschwerdeführerin stellt nicht in Abrede, dass ihr eingangs dargestelltes Asylverfahren rechtskräftig beendet ist. Auch ist der Beschwerde nicht zu entnehmen, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG - insbesondere die Erteilung eines Aufenthaltstitels - bei der Beschwerdeführerin vorläge. Es bestehen somit keine Bedenken gegen die behördliche Annahme, der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei im vorliegenden Fall verwirklicht.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG in der hier anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

"1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

  1. 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
  2. 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
  3. 4. der Grad der Integration;
  4. 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;
  5. 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
  6. 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

    8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren."

    § 66 Abs. 3 FPG enthält folgende weitere Anordnung:

"(3) Über die Zulässigkeit der Ausweisung ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ausweisung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre."

Zunächst ist - im Blick auf die letztgenannte Bestimmung - festzuhalten, dass die belangte Behörde lediglich feststellte, der Ehemann der Beschwerdeführerin verfüge über eine "Niederlassungsbewilligung", während er nach der Aktenlage einen am 3. August 2004 ausgestellten Niederlassungsnachweis, zufolge § 11 Abs. 1 Abschnitt C der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - Durchführungsverordnung somit nunmehr seit Inkrafttreten des NAG mit 1. Jänner 2006 einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG", inne hat. Diese Konstellation (§ 45 NAG iVm § 66 Abs. 3 FPG) hat die belangte Behörde nicht berücksichtigt. Sie hat darüber hinaus die tatsächliche Dauer des Aufenthalts der Beschwerdeführerin von ihrer Einreise nach Österreich (im März 2001) bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides (am 8. Juni 2010) von rund 9 Jahren und 3 Monaten unrichtig angesetzt und ging verfehlt davon aus, die Beschwerdeführerin sei bereits 18-jährig nach Österreich eingereist. Die belangte Behörde hat aber auch außer Acht gelassen, dass der die Unsicherheit des weiteren Aufenthalts der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet dokumentierende und von der belangten Behörde in diesem Zusammenhang ausdrücklich ins Treffen geführte Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem der Asylantrag der Beschwerdeführerin erstinstanzlich abgewiesen worden war, erst am 18. April 2003 und damit nach Begründung ihres Familienlebens mit ihrem (späteren) Ehemann erlassen wurde. Insgesamt beruht die gebotene Abwägung nach § 66 FPG daher auf unrichtigen Prämissen, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 21. Dezember 2010

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