VwGH 2010/18/0472

VwGH2010/18/047222.2.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des ME in W, geboren am 10. Oktober 1967, vertreten durch Dr. Gerfried Höfferer, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Franzensbrückenstraße 20/1/6b, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 22. November 2010, Zl. E1/399.261/2010, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §44 Abs3;
NAG 2005 §44b Abs3;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §44 Abs3;
NAG 2005 §44b Abs3;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 22. November 2010 wurde der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ausgewiesen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 28. März 2002 illegal nach Österreich gelangt sei und am 23. Juli 2002 einen Asylantrag gestellt habe, der im Instanzenzug vom Asylgerichtshof am 18. September 2009 rechtskräftig abgewiesen worden sei. Noch anhängig sei das Verfahren über einen vom Beschwerdeführer am 26. Jänner 2010 eingebrachten (Erst-)Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung - beschränkt (§ 44 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG).

Der Beschwerdeführer habe zwar während seines Asylverfahrens über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz verfügt, sei aber nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens in Österreich verblieben, weshalb er sich seither unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 FPG lägen somit vor.

Der Beschwerdeführer verfüge im Bundesgebiet über familiäre Bindungen zu einem Bruder, der bereits österreichischer Staatsbürger sei, einem Neffen, mehreren Onkeln und Tanten sowie Cousins und Cousinen. Trotz des daher mit der vorliegenden Maßnahme verbundenen Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers sei die gegen ihn gesetzte fremdenpolizeiliche Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - dringend geboten.

Im Rahmen der Beurteilung der persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers sei auf seinen mehr als achteinhalbjährigen inländischen Aufenthalt Bedacht zu nehmen. Sein Asylantrag habe sich aber nachträglich als unberechtigt herausgestellt, wobei der Beschwerdeführer spätestens nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrages am 17. April 2003 nicht mehr von einem gesicherten Aufenthalt in Österreich habe ausgehen dürfen. Darüber hinaus seien auch seine familiären Bindungen insofern zu relativieren, als er lediglich mit seinem Neffen im gemeinsamen Haushalt wohne.

Die Auswirkungen der vorliegenden Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen keinesfalls schwerer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme. Bei dieser Entscheidung sei berücksichtigt worden, dass der Beschwerdeführer unbescholten sei und über "gute Deutschkenntnisse" verfüge, die er sich nach eigener Aussage selbst beigebracht habe. Er habe allerdings keinen Nachweis seiner Sprachkenntnisse vorgelegt und auch sonst nicht dargelegt, inwiefern er sich in Österreich integriert haben solle. Andererseits verfüge er in seiner Heimat über (massive) familiäre Bindungen zu seinen Eltern und drei Geschwistern, auch wenn er behaupte, zu diesen Personen keinen Kontakt mehr zu haben. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr in sein Heimatland - schon auf Grund seines langjährigen Aufenthaltes und der perfekten Beherrschung seiner Muttersprache - in der Lage sein werde, sich dort "zu reintegrieren" bzw. bestehende soziale Kontakte aufzufrischen oder neue zu knüpfen.

Angesichts der Tatsache, dass er sich seit der rechtskräftigen Abweisung seines Asylantrages unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, habe der Beschwerdeführer die Bestimmungen des NAG in gravierender Weise missachtet. Dabei könne auch der Versuch, seinen Aufenthalt durch einen (Inlands-)Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu legalisieren, nicht positiv gewertet werden, weil Aufenthaltstitel gemäß § 21 Abs. 1 NAG grundsätzlich nur mehr vom Ausland aus erwirkt werden könnten. Dieses Hinwegsetzen über eine maßgebliche fremdenrechtliche Norm bewirke eine Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens.

Im Hinblick auf das Fehlen besonderer zugunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände könne ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens in Kauf genommen werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Auf dem Boden der im angefochtenen Bescheid getroffenen und in der Beschwerde nicht bekämpften Ausführungen, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers im September 2009 rechtskräftig abgewiesen worden sei und sich der Beschwerdeführer seither unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.

2.1. Die Beschwerde wendet sich gegen das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 66 FPG vorgenommenen Interessenabwägung und bringt dazu vor, dass der inzwischen achteinhalbjährige Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich sechseinhalb Jahre lang auf Grund einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz rechtmäßig gewesen sei. In Österreich lebten ein Bruder und ein Neffe, die beide österreichische Staatsbürger seien, sowie Cousins und Cousinen. Der Beschwerdeführer lebe mit seinem Neffen zusammen und werde von seinem Bruder und dessen Familie unterstützt. Er habe Österreich seit achteinhalb Jahren nicht mehr verlassen und seine in der Türkei lebende Familie, zu der er keinen engen Kontakt mehr habe, seither nicht mehr gesehen.

Zum Beweis seiner sozialen Integration und seiner familiären Bindungen habe er die Vernehmung seines Bruders A. "unter ausdrücklicher Nennung dieses Beweisthemas" beantragt, die Vernehmung sei jedoch nicht durchgeführt worden. Bei der ebenso beantragten Vernehmung des Beschwerdeführers selbst hätte sich die belangte Behörde insbesondere auch ein Bild von dessen Deutschkenntnissen machen können. Auch diesen Beweisantrag habe die belangte Behörde "nicht durchgeführt".

Der Beschwerdeführer sei sowohl gerichtlich als auch verwaltungsstrafrechtlich unbescholten.

Er habe bereits eine "Niederlassungsbewilligung gemäß § 44b NAG" beantragt, weil er bereits vor dem 1. Mai 2004 nach Österreich gekommen und (hier) von 2003 bis Ende 2009 rechtmäßig aufhältig gewesen sei. Da ihm somit ein "Aufenthaltsrecht erteilt" werden könne, sei der Eingriff in seine Rechte zur Erreichung der Ziele des Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht dringend geboten. Die belangte Behörde sei an ihre eigene "Entscheidung" im Verfahren nach § 44b NAG nicht gebunden gewesen und hätte den Sachverhalt auch im Hinblick auf das ihr nach dem FPG eingeräumte Ermessen unvoreingenommen prüfen müssen.

2.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Ausweisung gemäß § 66 FPG hat die belangte Behörde den mehr als achteinhalbjährigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers, seine familiären Bindungen zu einem Bruder, einem Neffen, mit dem er im gemeinsamen Haushalt wohnt, mehreren Onkeln und Tanten sowie Cousins und Cousinen ebenso berücksichtigt wie seine Unbescholtenheit und die von ihm vorgebrachten guten Deutschkenntnisse.

Das Gewicht der aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers resultierenden persönlichen Interessen ist jedoch insoweit zu relativieren, als dieser Aufenthalt nur auf Grund eines Asylantrages, der sich in der Folge als unrechtmäßig herausgestellt hat, erlaubt war und seit der rechtskräftigen Abweisung des Asylantrages unrechtmäßig ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 2010, Zl. 2010/18/0209, mwN). Zutreffend hat die belangte Behörde ferner in ihre Überlegungen miteinbezogen, dass die erstinstanzliche Abweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers bereits am 17. April 2003 erfolgte und dieser somit spätestens seit diesem Zeitpunkt von einem unsicheren Aufenthaltsstatus in Österreich auszugehen hatte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 2010, Zl. 2010/18/0196, mwN).

Es ist dem Beschwerdeführer zwar beizupflichten, dass seinem inzwischen achteinhalbjährigen Aufenthalt in Österreich im Rahmen der Interessenabwägung Bedeutung zuzumessen ist; dies ist im angefochtenen Bescheid auch erfolgt. Die Beschwerde vermag jedoch keine konkreten Umstände darzulegen, die dafür sprächen, dass der Beschwerdeführer seinen Aufenthalt im Bundesgebiet zu einer seine persönlichen Interessen an einem weiteren Aufenthalt maßgeblich verstärkenden Integration genützt hätte.

Das vom Beschwerdeführer mit seinen "familiären Bindungen" und seiner "sozialen Integration" lediglich abstrakt beschriebene Beweisthema, zu dem er die Vernehmung seines Bruders beantragt habe, lässt konkrete Aspekte der behaupteten Integration in Österreich vermissen und legt nicht dar, auf Grund welcher konkreten Aussagen des Zeugen die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis ihrer Interessenabwägung kommen hätte können. Der Beschwerdeführer zeigt somit die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht auf.

Auch das Vorbringen betreffend die trotz diesbezüglichen Antrages nicht erfolgte Vernehmung des Beschwerdeführers selbst, bei der sich - so das Beschwerdevorbringen - die belangte Behörde insbesondere ein Bild von seinen Deutschkenntnissen hätte machen können, führt die Beschwerde nicht zum Erfolg. Zum einen hat die belangte Behörde ihrer Interessenabwägung ohnehin gute Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers zugrunde gelegt. Zum anderen besteht im fremdenrechtlichen Administrativverfahren vor der Sicherheitsdirektion kein Recht darauf, von der Behörde mündlich gehört zu werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 2010, Zl. 2010/18/0195, mwN).

Das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe "zum Rest" seiner in der Türkei lebenden Familie "keinen engen Kontakt" mehr, stellt die behördlichen Feststellungen, dass dort die Eltern und drei Geschwister des Beschwerdeführers leben und somit beachtliche familiäre Bindungen bestehen, nicht in Abrede und bestreitet auch nicht die Ausführungen im angefochtenen Bescheid, wonach der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland in der Lage sein werde, soziale Kontakte aufzufrischen oder neue zu knüpfen.

Den - aus den dargestellten Gründen - relativierten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht gegenüber, dass er sich trotz rechtskräftiger Abweisung seines Asylantrages - unrechtmäßig - weiterhin im Bundesgebiet aufhält, was eine erhebliche Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften darstellt, dem aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. erneut das hg. Erkenntnis, Zl. 2010/18/0196, mwN). Bei Abwägung des angeführten großen öffentlichen Interesses und der gegenläufigen relativierten Interessen des Beschwerdeführers begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers gemäß § 66 FPG zulässig sei, keinem Einwand.

An diesem Ergebnis ändert auch der vom Beschwerdeführer - laut angefochtenem Bescheid gemäß § 44 Abs. 3 NAG - gestellte Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" nichts. Gemäß Abs. 3 des - auch in der Beschwerde erwähnten - § 44b NAG begründet ein derartiger Antrag kein Aufenthalts- oder Bleiberecht nach diesem Bundesgesetz. Ebenso steht er der Erlassung und Durchführung fremdenpolizeilicher Maßnahmen nicht entgegen.

3. Schließlich kann der Verwaltungsgerichtshof auch nicht finden, dass der belangten Behörde ein (materieller) Ermessensfehler unterlaufen sei. Es ergeben sich keine besonderen Umstände, die eine Ermessensübung nach § 53 Abs. 1 FPG zugunsten des Beschwerdeführers geboten hätten.

4. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 22. Februar 2011

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