VwGH 2010/18/0271

VwGH2010/18/027115.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des GRV in W, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 18. Juni 2010, Zl. E1/214.576/2010, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §68 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
NAG 2005 §43 Abs2;
NAG 2005 §44 Abs4;
NAG 2005 §44 Abs5;
NAG 2005 §44b Abs3;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §61;
VwRallg;
AVG §68 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
NAG 2005 §43 Abs2;
NAG 2005 §44 Abs4;
NAG 2005 §44 Abs5;
NAG 2005 §44b Abs3;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §61;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 18. Juni 2010 wurde der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer sei am 21. Juli 2002 illegal in das Bundesgebiet gelangt. Sein Asylantrag sei am 15. Mai 2009 zweitinstanzlich rechtskräftig abgewiesen worden. Jedenfalls seither sei der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet unrechtmäßig, weshalb kein Zweifel bestehen könne, dass die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung - vorbehaltlich der Bestimmung des § 66 Abs. 1 FPG - im Grunde des § 53 Abs. 1 FPG gegeben seien.

Aktenkundig sei weiters, dass der Beschwerdeführer am 7. Juni 2010 von Tschechien, wo er aufgegriffen worden sei, nach Österreich rücküberstellt worden sei.

Der Beschwerdeführer sei verheiratet und für zwei Kinder sorgepflichtig. Seine Ehefrau und die Kinder lebten in seiner Heimat.

Der angesichts aller Umstände mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers sei zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens - dringend geboten sei. Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses hohe öffentliche Interesse verstoße jedoch gravierend, wer illegal in das Bundesgebiet gelange, hier einen Asylantrag stelle, der sich als nicht berechtigt erweise, und anschließend Österreich nicht mehr verlasse.

Mit Berufungsbescheid vom 21. April 2010 sei ein Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtskräftig abgewiesen worden.

Seit 1. März 2009 sei der Beschwerdeführer als Zeitschriftenzusteller selbständig erwerbstätig. Familiäre Bindungen im Bundesgebiet bestünden nicht. Im Sommer 2009 habe der Beschwerdeführer einen Sprachkurs für Deutsch an einer Volkshochschule im Niveau A1 (Anfänger ohne Vorkenntnisse) besucht. Eine besondere Integration sei ihm nicht zuzuschreiben. Dass er bislang nicht straffällig geworden sei, verstärke seine privaten Interessen nicht. Das genannte öffentliche Interesse habe nicht hinter jene privaten Interessen zurückzutreten, weshalb sich die Erlassung der Ausweisung auch im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG als zulässig erweise.

Es seien keine Gründe aktenkundig, die einem Verlassen des Bundesgebietes bzw. einer Rückkehr in die Heimat unüberwindlich entgegenstünden. Der Beschwerdeführer sei ein erwachsener, offenbar gesunder Mann im arbeitsfähigen Alter, weshalb nicht einzusehen sei, dass er sich in seiner Heimat - noch dazu in Anbetracht seiner dort vorhandenen ganz erheblichen familiären Bindungen - nicht reintegrieren könnte.

Mangels sonstiger, besonders zugunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe auch keine Veranlassung bestanden, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit "infolge von Verfahrensmängeln" aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Die Beschwerde bestreitet nicht, dass sowohl der vom Beschwerdeführer gestellte Asylantrag als auch sein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtskräftig abgewiesen wurden. Die Auffassung der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, begegnet daher keinen Bedenken.

1.2. Die Beschwerde bringt in diesem Zusammenhang jedoch vor, dem Beschwerdeführer sei bewusst, dass der Verwaltungsgerichtshof in bisher ständiger Rechtsprechung dem öffentlichen Interesse an der Ausreise abgelehnter Asylwerber auch bei ansonsten höhergradiger Integration zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens einen hohen Stellenwert zumesse. Allerdings sei zum Vorwurf, "nach Asylabweisung" Österreich nicht verlassen zu haben, anzumerken, dass der Beschwerdeführer auf Grund des seit 1. April 2009 geltenden "Bleiberechtes" Hoffnung gehabt habe, bleiben zu dürfen, und er diese Hoffnung im Hinblick auf die bewilligte Verfahrenshilfe auch noch habe. Vom Verwaltungsgerichtshof sei zur Erhebung einer Beschwerde gegen den den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nach § 43 Abs. 2 NAG rechtskräftig abweisenden Bescheid Verfahrenshilfe gewährt worden.

Den "Bleiberechtsantrag" habe der Beschwerdeführer zeitnah zur Abweisung seines Asylantrages eingebracht. Nach dem zur "vorjährigen Rechtslage" erlassenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293, und auch nach dem "heuer geltenden" Maßstab des § 44 Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG sei der Beschwerdeführer während der Laufzeit des Niederlassungsantrages "nicht abschiebbar". Im Hinblick auf die nicht aussichtslose, einzubringende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof sei er wohl nach wie vor "nicht abschiebbar". Sei er aber nicht abschiebbar, könne ihm auch nicht "ausweisungsbegründend" vorgeworfen werden, in Österreich nach der Abweisung seines Asylantrages verblieben zu sein.

1.3. Diesem Beschwerdevorbringen ist zu entgegnen, dass nach § 43 Abs. 2 NAG im Inland gestellte Anträge gemäß § 44b Abs. 3 NAG kein Aufenthalts- oder Bleiberecht begründen, einen unrechtmäßigen Aufenthalt nicht legalisieren und an der Zulässigkeit der Ausweisung im Grunde des § 53 Abs. 1 FPG nichts ändern (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. April 2010, Zl. 2010/18/0111, mwN). Nichts anderes kann daher im Falle einer vor Erlassung eines Ausweisungsbescheides sogar bereits erfolgten rechtskräftigen Abweisung eines nach § 43 Abs. 2 NAG gestellten Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gelten. Der bloße Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof in der genannten Rechtsangelegenheit nun Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Bescheidbeschwerde gewährt habe, steht der Erlassung eines Ausweisungsbescheides nicht entgegen.

Im Übrigen bezieht sich § 44 Abs. 5 NAG, auf den sich der Beschwerdeführer in weiterer Folge beruft, auf Anträge gemäß § 44 Abs. 4 NAG und nicht auf einen - laut den in der Beschwerde enthaltenen Sachverhaltsausführungen vom Beschwerdeführer gestellten - Antrag gemäß § 43 Abs. 2 NAG. Dessen ungeachtet begründen auch nach § 44 Abs. 4 NAG gestellte Anträge gemäß § 44 Abs. 5 NAG kein Aufenthalts- oder Bleiberecht nach diesem Bundesgesetz. Die Bestimmung des § 44 Abs. 5 NAG normiert lediglich, dass unter den darin genannten Voraussetzungen mit der Durchführung der eine Ausweisung umsetzenden Abschiebung bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Behörde über einen solchen Antrag zuzuwarten ist. Die Frage der Abschiebung des Beschwerdeführers war jedoch nicht Gegenstand des angefochtenen Bescheides. Auch ein allenfalls gemäß § 44 Abs. 4 NAG gestellter Antrag stünde einer mit Bescheid ausgesprochenen Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG nicht entgegen.

Nichts anderes ergibt sich im Übrigen aus dem in der Beschwerde zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293, für die mit der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 geschaffene Rechtslage.

2.1. Die Beschwerde wendet sich auch gegen das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 66 FPG vorgenommenen Interessenabwägung und bringt im Wesentlichen vor, auf Grund seiner durchaus fortgeschrittenen Integration, insbesondere wegen der selbständigen Erwerbstätigkeit "im Verein mit dem Nichtverschulden der langen Asylverfahrensdauer", sei dem Beschwerdeführer ein Bleiberecht und damit eine Niederlassungsbewilligung zu gewähren. Eine Ausweisung sei wohl nicht dringend geboten, wenn "einem selbsterhaltungsfähigen und integrierten Alt-Asylfall ein Bleiberecht zu gewähren" sei.

2.2. Auch dieses Vorbringen führt die Beschwerde nicht zum Erfolg.

Die belangte Behörde hat bei der Prüfung der Zulässigkeit der Ausweisung nach § 66 FPG den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit dem 21. Juli 2002 (wobei der Beschwerdeführer nicht bestreitet, am 7. Juni 2010 von Tschechien nach Österreich rücküberstellt worden zu sein), seine selbständige Erwerbstätigkeit als Zeitschriftenzusteller seit 1. März 2009, den von ihm an einer Volkshochschule besuchten Sprachkurs für Deutsch und seine strafgerichtliche Unbescholtenheit berücksichtigt. Sie hat zutreffend einen mit der Ausweisung des Beschwerdeführers verbundenen Eingriff in dessen Privatleben angenommen.

Ebenso hat die belangte Behörde im Rahmen der Interessenabwägung beachtet, dass der Beschwerdeführer verheiratet und für zwei Kinder sorgepflichtig ist, seine Gattin und die Kinder - von der Beschwerde nicht in Abrede gestellt - jedoch in seiner Heimat leben, im Bundesgebiet hingegen keine familiären Bindungen des Beschwerdeführers bestehen.

Die Erwägungen der belangten Behörde, dass dem Beschwerdeführer unter Berücksichtigung aller Umstände keine besondere Integration in Österreich zuzuschreiben sei, sind somit nicht zu beanstanden.

Darüber hinaus sind die aus der Dauer seines inländischen Aufenthaltes resultierenden persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an Gewicht insoweit gemindert, als sein Aufenthalt nur auf Grund eines Asylantrages, der sich als unberechtigt herausgestellt hat, erlaubt war.

Den - somit relativierten - persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht gegenüber, dass sein weiterer, nach der rechtskräftigen Abweisung seines Asylantrages unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet eine erhebliche Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften darstellt, dem aus der Sicht des Schutzes und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2010, Zl. 2010/18/0148, mwN).

Unter Verweis auf die unter 1.3. erfolgten Ausführungen vermag auch ein - im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits rechtskräftig abgewiesener - Antrag gemäß § 43 Abs. 2 NAG (gegebenenfalls ein Antrag gemäß § 44 Abs. 4 NAG) die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers nicht zu verstärken.

Die Beurteilung der belangten Behörde, dass § 66 FPG der Erlassung der vorliegenden Ausweisung des Beschwerdeführers nicht entgegenstehe, begegnet daher keinem Einwand.

3. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 15. September 2010

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