VwGH 2010/12/0117

VwGH2010/12/011727.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Thoma sowie die Hofrätinnen Mag. Nussbaumer-Hinterauer und Mag. Rehak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Köhler, über die Beschwerde der CM in W, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur vom 8. Juni 2010, Zl. BMUKK-4908.210751/0003-III/5/2010, betreffend Reisegebühren,

Normen

RGV 1955 §20 Abs1 idF 2003/I/130;
RGV 1955 §20 Abs2 idF 2003/I/130;
VwGG §42 Abs2 Z1;
RGV 1955 §20 Abs1 idF 2003/I/130;
RGV 1955 §20 Abs2 idF 2003/I/130;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

I. den Beschluss gefasst:

Soweit sich die Beschwerde gegen den Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides (Reisekostenvergütung) richtet, wird sie zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt 1. (Reisezulage) wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin steht als Direktorin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Ihre Dienststelle ist die Höhere Technische Bundeslehranstalt (im Folgenden: HTB) 22. Im Rahmen ihres öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses wurde sie in den Schuljahren 2005/2006, 2006/2007 und 2007/2008 von ihrer Dienstbehörde als Vorsitzende bei abschließenden Prüfungen an - von ihrer Dienststelle verschiedenen - Schulen in Wien (Dienstort der Beschwerdeführerin) bestellt.

Mit einem Antrag vom 8. September 2008 begehrte die Beschwerdeführerin die Nach- bzw. Auszahlung von Reisegebühren in Verbindung mit ihrer Vorsitzführung bei diesen abschließenden Prüfungen.

Mit Devolutionsantrag vom 15. Juni 2009 machte sie den Übergang der Entscheidungspflicht von der erstinstanzlichen Dienstbehörde auf die belangte Behörde geltend.

Mit dem angefochtenen Bescheid der Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur vom 8. Juni 2010 wurde in Stattgebung des Devolutionsantrages der Beschwerdeführerin festgestellt, dass letzterer für näher genannte abschließende Prüfungen in Wien gemäß § 1 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 20 Abs. 2 der Reisegebührenvorschrift 1955, BGBl. Nr. 133 (im Folgenden: RGV), keine Reisezulage gebühre (Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides). Mit Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides wurde der Beschwerdeführerin die Reisekostenvergütung für die Vorsitzführung an den genannten Tagen bemessen.

In der Begründung zu Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides heißt es (auszugsweise):

"Gemäß § 20 Abs. 2 leg. cit. begründet jedoch die Teilnahme an Sitzungen und Beratungen keinen Anspruch auf die Tagesgebühr. Der VwGH hat sich in seinem Erkenntnis vom 20. Februar 1966, Zl. 1922/65, (im Zusammenhang mit der Teilnahme eines Beamten an einer Lehrveranstaltung) mit dem Gesetzesbegriff der 'Sitzung und Beratung' auseinander gesetzt. Im damaligen Fall hätte die Behörde nach Auffassung des VwGH bei Erteilung des Dienstauftrages aussprechen müssen, ob der Beamte zu Ausbildungszwecken oder als Vertreter der Behörde, also um dort die Auffassung der Behörde über das abzuhandelnde Thema zu vertreten, teilnehmen soll. Im zuletzt genannten Fall würde eine Sitzung oder Beratung im Sinne von § 20 Abs. 2 der Reisegebührenvorschrift 1955 vorliegen. Das Bundesministerium für Finanzen hat mit dem Rundschreiben Zl. 404.753-24/1971 zur Thematik der Teilnahme eines Mitglieds einer Disziplinarkommission oder Leistungsfeststellungskommission an einer im Dienstort stattfindenden Sitzung (Verhandlung) festgestellt, dass hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 20 Abs. 2 der Reisegebühren-vorschrift 1955 eine Unterscheidung zwischen 'normalen' Dienstverrichtungen und solchen, die auf Grund der Betrauung mit einer bestimmten Funktion im Rahmen dienstrechtlicher Vorschriften auszuüben sind, weder im Gesetz vorgesehen noch sachlich begründet ist, dass also in beiden Fällen kein Anspruch auf eine Tagesgebühr besteht."

Zusammengefasst gelangte die belangte Behörde zur Auffassung, bei den durchgeführten Abschlussprüfungen handle es sich um "Sitzungen und Beratungen" im Verständnis des § 20 Abs. 2 RGV.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof. Die Beschwerdeführerin erklärt ausdrücklich, ihn seinem gesamten Inhalt nach anzufechten. Sie erachtet sich in ihrem Recht auf Tagesgebühr nach der RGV verletzt. Sie macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt. In der Gegenschrift wird insbesondere hervorgehoben, dass die Vorsitzführung der Beschwerdeführerin bei den genannten Abschlussprüfungen deshalb unter § 20 Abs. 2 RGV falle, weil diese Abschlussprüfungen - wie es für "Sitzungen und Beratungen" charakteristisch sei - an Dienststellen (Schulen) des Bundes stattgefunden hätten, weshalb typischerweise auch keine durch eine Tagesgebühr gemäß § 20 Abs. 1 RGV abzugeltenden Mehraufwendungen entstanden seien.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Unterabschnitt A des Abschnittes II der RGV regelt die Reisekostenvergütung.

Der Unterabschnitt B des Abschnittes II der RGV regelt die Reisezulage. Gemäß § 13 Abs. 1 RGV idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 142/2000, wie er in den hier in Rede stehenden Schuljahren in Kraft stand, besteht die Reisezulage in einer (nach zwei Tarifstufen gestaffelten) Tagesgebühr und in einer Nächtigungsgebühr.

§ 20 RGV in der Fassung dieses Paragrafen nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 130/2003 lautet:

"ABSCHNITT III

Dienstverrichtungen im Dienstort

§ 20. (1) Bei Dienstverrichtungen im Dienstort gebührt dem Beamten

1. nach Maßgabe der Bestimmungen des Abschnittes II, Unterabschnitt A, der Ersatz der Kosten für die notwendige Benützung eines Massenbeförderungsmittels oder das Kilometergeld sowie der Ersatz der Kosten der Beförderung des erforderlichen Dienstgepäcks;

2. die Tagesgebühr nach Tarif II, wenn der ununterbrochene Aufenthalt außerhalb der Dienststelle die Dauer von zwölf Stunden übersteigt; übersteigt die Dauer des ununterbrochenen Aufenthaltes acht Stunden, so gebühren zwei Drittel dieser Tagesgebühr, übersteigt die Dauer des ununterbrochenen Aufenthaltes fünf Stunden, so gebührt ein Drittel dieser Tagesgebühr.

(2) Die Teilnahme an Sitzungen und Beratungen begründet keinen Anspruch auf die Tagesgebühr.

(3) Für Dienstverrichtungen, die im Dienstort außerhalb der Dienststelle vorgenommen werden und als regelmäßige und in der Natur des Dienstes gelegene Dienstverrichtungen anzusehen sind, besteht kein Anspruch auf eine Vergütung nach Abs. 1.

(4) Beamten, auf die Abs. 3 anzuwenden ist, kann im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler eine besondere Vergütung zuerkannt werden."

I. Zur Zurückweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides:

Wie oben ausgeführt, richtet sich die Anfechtungserklärung der Beschwerdeführerin ausdrücklich gegen den gesamten Bescheid. Freilich konnte sie durch den Spruchpunkt 2. dieses Bescheides, welcher ausschließlich die Bemessung von Reisekostenvergütung betrifft, nicht in dem allein als Beschwerdepunkt umschriebenen Recht auf Tagesgebühr verletzt worden sein.

Die Beschwerde war daher insoweit gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

II. Zur Beschwerde gegen den Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides:

Insoweit ist zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ausschließlich strittig, ob der Gebührlichkeit einer Tagesgebühr nach § 20 Abs. 1 RGV vorliegendenfalls die Ausnahmebestimmung des Abs. 2 leg. cit. entgegen steht, weil, wie die belangte Behörde meint, die Vorsitzführung bei den genannten Abschlussprüfungen als Teilnahme an "Sitzungen und Beratungen" zu qualifizieren sei. Im Hinblick auf den Charakter des § 20 Abs. 2 RGV als Ausnahmebestimmung ist dieser restriktiv zu interpretieren.

In diesem Zusammenhang ist der belangten Behörde zunächst zwar einzuräumen, dass die Vorsitzführung bei einer Abschlussprüfung auch die Beratung der Prüfungskommission betreffend die Leistungsbeurteilung der Kandidaten mitumfasst. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt aber die Auffassung, dass für die Frage der Anwendung der Ausnahmebestimmung des § 20 Abs. 2 RGV der Prüfungsvorgang in seiner Gesamtheit zu beurteilen ist, wobei bei typisierender Betrachtung die auf die Beratung der Prüfungskommission entfallende Tätigkeit gegenüber der Abnahme der Prüfung in den Hintergrund tritt, sodass die Beratungstätigkeit der Prüfungskommission nicht dazu führt, dass die Vorsitzführung bei der Abschlussprüfung schon deshalb der Ausnahmebestimmung des § 20 Abs. 2 RGV zu unterstellen wäre.

Es bleibt daher zu prüfen, ob die für die Vorsitzführung an der Abschlussprüfung charakteristische eigentliche Prüfungstätigkeit in Kontakt mit den Prüfungskandidaten als Teilnahme an einer Sitzung zu qualifizieren ist. Nun mag es zutreffen, dass die von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift ins Treffen geführten Motive (keine oder relativ geringe Mehraufwendungen für Dienstverrichtungen an anderen Dienststellen im Dienstort) bei der Schaffung der Ausnahmebestimmung des § 20 Abs. 2 RGV eine Rolle gespielt haben. Freilich stellt diese Ausnahmebestimmung nach ihrem Wortlaut nicht auf ein Tätigwerden des Beamten an einer anderen Dienststelle des Bundes im Dienstort, sondern vielmehr auf eine Teilnahme an Sitzungen und Beratungen ab. Sie könnte demnach nur dann zur Anwendung kommen, wenn die für die Vorsitzführung an einer Abschlussprüfung charakteristische unmittelbare Prüfungstätigkeit als Teilnahme an einer Sitzung zu qualifizieren wäre. Nun ist unter Sitzung eine Zusammenkunft zu verstehen, bei der die Teilnehmer über etwas beraten bzw. Beschlüsse gefasst werden (vgl. hiezu Duden, Bedeutungswörterbuch2, S. 588). Eine Abschlussprüfung ist nun aber dadurch gekennzeichnet, dass sich das Prüfungsgeschehen eben nicht bloß in einer Beratung und Beschlussfassung durch ein internes Gremium erschöpft; vielmehr liegt das charakteristische und zeitliche Schwergewicht eines solchen Vorganges in der Führung des Prüfungsgespräches mit den Kandidaten. Durch deren Einbeziehung in den Prüfungsvorgang verliert dieser aber den - für bloße Sitzungen und Beratungen wesentlichen - Charakter einer bloß internen Zusammenkunft der Mitglieder eines Gremiums zwecks Vorbereitung oder Fällung einer Entscheidung.

Gegenteiliges ist auch nicht dem von der belangten Behörde zitierten hg. Erkenntnis vom 20. Februar 1966, Zl. 1922/65, zu entnehmen. Dieses beschränkt sich nämlich auf die Aussagen, wonach eine "Sitzung und Beratung" nicht auf eine Tätigkeit in Vollziehung der Gesetze beschränkt ist, sowie, dass eine Lehrveranstaltung ihrem Wesen nach nicht den Charakter einer Sitzung oder Beratung haben kann. Was damit für die Wissensvermittlung ausgesagt wurde, gilt nach dem Vorgesagten auch für die Wissensüberprüfung.

Soweit sich aus dem von der belangten Behörde zitierten, den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Rundschreiben des Bundesministers für Finanzen, welches sich im Übrigen mit der Definition der Begriffe Sitzung und Beratung nicht näher auseinandersetzt, eine von der hier vertretenen Rechtsauffassung abweichende Meinung ergeben sollte, wird ihr hier aus den oben aufgezeigten Gründen nicht gefolgt.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid in seinem Spruchpunkt 1. gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 50 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 27. September 2011

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