VwGH 2010/11/0136

VwGH2010/11/013620.10.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des N S in I, vertreten durch Dr. Harald Vill, Dr. Helfried Penz und Mag. Christoph Rupp, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Anichstraße 5a, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten vom 21. Mai 2010, Zl. 41.550/751-9/09, betreffend Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten, zu Recht erkannt:

Normen

BEinstG §14 Abs2;
BEinstG §14 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten gemäß §§ 2 Abs. 1, 3, 14 Abs. 1 und 2 sowie 27 Abs. 1 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970 (BEinstG), ab. Der Grad der Behinderung betrage nur 40 %.

In der Begründung führte die belangte Behörde - nach einer zusammenfassenden Wiedergabe des Inhalts der Berufung - im Wesentlichen Folgendes aus: Der im Berufungsverfahren bestellte Sachverständige Dr. J, Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, sei zu folgender Richtsatzeinschätzung gekommen:

"Lfd.Nr.

Art der Gesundheitsschädigung

Position in denRichtsätzen

GdB

1.

Zustand nach Bandscheibenoperation im Lendenwirbelsäulen-Segment L4/L5Oberer Rahmensatzwert auf Grund von Beschwerden beilängeren Zwangshaltungen - bei uneingeschränktemBewegungsumfang - verbunden mit Gefühlsstörungen im rechten Fuß.

190

30 vH

2.

Geringgradige Funktionseinschränkung des rechtenKnie- und SprunggelenkesUnterer Rahmensatzwert auf Grund eines geringenKniescheiben-Anpressschmerzes rechts beiuneingeschränktem Bewegungsumfang und einer geringvermehrten seitlichen Aufklappbarkeit im rechtenSprunggelenk samt Druckschmerzhaftigkeit in der seitlichenBandgrube.

418

20 vH

 

Gesamt-GdB 40 vH"

  

Der Sachverständige habe dazu ausgeführt, führend sei das Leiden 1, das durch das Leiden 2 auf Grund von wechselseitiger negativer Beeinflussung um eine Stufe erhöht werde. Richtig sei, dass der Schleimbeutel im rechten Kniegelenk drainagiert worden sei. In der klinischen Untersuchung sei die Bewegung des rechten Kniegelenks vollkommen frei, es liege kein endlagiger Beuge- oder Streckungsschmerz vor, vielmehr sei lediglich ein mäßiger Kniescheiben-Anpressschmerz feststellbar. Im rechten Sprunggelenk sei lediglich eine gering vermehrte seitliche Aufklappbarkeit nach der stattgehabten Bandverletzung festzustellen, bei uneingeschränktem Bewegungsumfang. Die Funktionsbehinderung bei Zustand nach Bandscheibenoperation sei beschwerdekonform eingestuft. In die Richtsatzposition 190 sei wegen den nach der Bandscheibenoperation vorliegenden Wirbelsäulenbeschwerden mit Belastungsschmerzen bei uneingeschränktem Bewegungsumfang sowie wegen bestehender Gefühlsstörung im rechten Fuß eingestuft worden.

Dagegen habe der Beschwerdeführer geltend gemacht, dass er in letzter Zeit Probleme mit dem rechten Arm und der rechten Schulter bekommen habe. Er verspüre im rechten Schultergelenk starke Schmerzen und sei in der Bewegung eingeschränkt. Das rechte Schulterblatt sowie der rechte Ellbogen seien auf Grund der permanenten Instabilität des rechten Beines in Mitleidenschaft gezogen, die ganze rechte Seite sei nicht mehr voll funktionsfähig.

Der von der belangten Behörde bestellte ärztliche Sachverständige Dr. L, Arzt für Allgemeinmedizin, dem die diesbezüglich vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen übermittelt wurden, habe ausgeführt, dass unter Berücksichtigung dieser Befunde Leiden 2 neu bezeichnet werde, sodass es wie folgt laute:

"Lfd.Nr.

Art der Gesundheitsschädigung

Position in den Richtsätzen

GdB

2.

Zustand nach Arthroskopie rechte Schulter und laterale Klavicularesektion, Beschwerden im rechten Knie- und SprunggelenkUnterer Rahmensatzwert, da geringgradige Funktionseinschränkungen am rechten Arm und Bein objektivierbar sind.

g.Z. 418

20 vH"

Am Gesamtgrad der Behinderung von 40 % ändere sich dadurch

aber nichts.

Dagegen habe der Beschwerdeführer eingewendet, dass aus dieser Stellungnahme nicht ersichtlich sei, ob das Schulter- und Ellbogenproblem extra bewertet worden sei; es sei schwer vorstellbar, dass das hinzugetretene Beschwerdebild zu keiner veränderten Einschätzung geführt habe.

Dazu habe Dr. L in seiner Stellungnahme vom 5. Mai 2010 festgehalten, dass das Schulter- und Ellbogenproblem unter Punkt 2 miterfasst worden sei, eine separate Einschätzung sei nicht nötig, weil im Gutachten von Dr. J beschrieben sei, dass alle Gelenke der oberen Extremitäten frei beweglich seien.

Da diese Stellungnahme die bis dato abgegebenen ärztlichen Beurteilungen bestätigt habe und keine neuen Sachverhaltsdarstellungen vorgebracht worden seien, sei von der Durchführung eines weiteren Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG abgesehen worden.

Nach einer Darlegung der maßgebenden Bestimmungen des BEinstG und der Grundsätze für die Beurteilung einer Mehrzahl von Gesundheitsschädigungen führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, das von ihr eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten vom 27. August 2009 sowie die weiteren medizinischen Stellungnahmen vom 3. März 2010 und 5. Mai 2010 seien schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei. In ihnen sei auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen worden. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen der persönlichen Untersuchung eingehend erhobenen klinischen Befund und unter Berücksichtigung der vorgelegten Beweismittel, entsprächen den festgestellten Funktionseinschränkungen.

Die vom Beschwerdeführer unter Hinweis auf den vorgelegten Befund der Schulterambulanz Innsbruck erhobenen Einwände seien nicht geeignet gewesen, das Ergebnis der Beweisaufnahme zu entkräften. In diesem Befund vom Oktober 2009 seien Diagnosen und Therapien angeführt, "einschätzungswürdige Funktionseinschränkungen" aber nicht dokumentiert. Laut dem Karteiblatt der Universitätsklinik für Unfallchirurgie sei der Beschwerdeführer nach dem operativen Eingriff an der rechten oberen Extremität bei der Kontrolle am 22. Februar 2010 von Seiten des Impingement und der AC-Gelenkssymptomatik "beschwerdearm". Bezüglich der darin angeführten anhaltenden Schmerzen, scapholothoracal im Sinne einer Bursitis, und der Beschwerden im Sinne einer Epicondylitis sei eine Therapie verordnet worden, Defizite in funktioneller Hinsicht würden nicht beschrieben. Schmerzzustände allein führten aber zu keiner gesonderten Einschätzung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

1.1. Die maßgebenden Bestimmungen des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970 idF. BGBl. I Nr. 67/2008 (BEinstG), lauten (auszugsweise):

"Begünstigte Behinderte

§ 2. (1) Begünstigte Behinderte im Sinne dieses Bundesgesetzes sind österreichische Staatsbürger mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 vH . . ...

Behinderung

§ 3. Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Feststellung der Begünstigung

§ 14. (1) Als Nachweis für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten gilt der letzte rechtskräftige Bescheid über die Einschätzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit mindestens 50 vH

a) eines Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (der Schiedskommission) bzw. des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen oder der Bundesberufungskommission im Sinne des Bundesberufungskommissionsgesetzes, BGBl. 1 Nr. 150/2002;

Die Feststellung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Nachweis gilt zugleich als Feststellung des

Grades der Behinderung . ... .

(2) Liegt ein Nachweis im Sinne des Abs. 1 nicht vor, hat auf Antrag des Behinderten das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen den Grad der Behinderung einzuschätzen und bei Zutreffen der im § 2 Abs. 1 angeführten sonstigen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zum Kreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten (§ 2) sowie den Grad der Behinderung (Abs. 3) festzustellen. Hinsichtlich der ärztlichen Sachverständigen ist § 90 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, anzuwenden. Die Begünstigungen nach diesem Bundesgesetz werden mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens mit dem Tag des Einlangens des Antrages beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wirksam. Sie werden jedoch mit dem Ersten des Monates wirksam, in dem der Antrag eingelangt ist, wenn dieser unverzüglich nach dem Eintritt der Behinderung (Abs. 3) gestellt wird. Die Begünstigungen erlöschen mit Ablauf des Monates, der auf die Zustellung des Bescheides folgt, mit dem der Wegfall der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten rechtskräftig ausgesprochen wird.

(3) Der Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales ist ermächtigt, nach Anhörung des Bundesbehindertenbeirates gemäß § 8 BBG durch Verordnung nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung festzulegen. Diese Bestimmungen haben die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf das allgemeine Erwerbsleben zu berücksichtigen und auf den Stand der medizinischen Wissenschaft Bedacht zu nehmen.

Übergangsbestimmungen

§ 27. (1) Bis zum Inkrafttreten der Verordnung gemäß § 14 Abs. 3 sind für die Einschätzung des Grades der Behinderung die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, daß Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH außer Betracht zu lassen sind, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

…"

1.2. Da eine Verordnung gemäß § 14 Abs. 3 BEinstG im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht erlassen war, hat die belangte Behörde zu Recht die auf Grund des § 7 Abs. 2 des Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 ergangene Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965, BGBl. Nr. 150, über die Richtsätze für die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Vorschriften des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 (i.F.: Verordnung) und die in der Anlage zu dieser Verordnung genannten Richtsätze herangezogen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. März 2011, Zl. 2009/11/0034, mwN).

1.3. Im Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen dieser Verordnung von Interesse:

"§ 1. (1) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 ist nach den Richtsätzen einzuschätzen, die nach Art und Schwere des Leidenszustandes in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage festgesetzt sind. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Leiden, für die Richtsätze nicht festgesetzt sind, ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit unter Bedachtnahme auf die Richtsätze für solche Leiden einzuschätzen, die in ihrer Art und Intensität eine zumindest annähernd gleiche körperliche Beeinträchtigung in Hinsicht auf das allgemeine Erwerbsleben bewirken.

§ 2. (1) Bei der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit dürfen weder die festen Sätze noch die Rahmensätze unterschritten oder überschritten werden. Soweit in der Anlage nicht anderes bestimmt ist, hat sich die Festsetzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit innerhalb eines Rahmensatzes nach der Schwere des Leidenszustandes zu richten, für den der Rahmensatz aufgestellt ist. Das Ergebnis einer Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist im Bescheid über den Anspruch auf Beschädigtenrente jedenfalls auch in medizinischer Hinsicht zu begründen.

(2) Sofern für ein Leiden mehrere nach dessen Schwere abgestufte Richtsätze festgesetzt sind, kann die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit auch in einem Hundertsatze festgesetzt werden, der zwischen diesen Stufen liegt. Diesfalls ist das Ergebnis der Einschätzung im Bescheid über den Anspruch auf Beschädigtenrente jedenfalls auch in medizinischer Hinsicht zu begründen.

§ 3. Treffen mehrere Leiden zusammen, dann ist bei der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zunächst von der Gesundheitsschädigung auszugehen, die die höchste Minderung der Erwerbsfähigkeit verursacht. Sodann ist zu prüfen, ob und inwieweit der durch die Gesamteinschätzung zu erfassende Gesamtleidenszustand infolge des Zusammenwirkens aller gemäß § 4 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen eine höhere Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit rechtfertigt. Fällt die Einschätzung der durch ein Leiden bewirkten Minderung der Erwerbsfähigkeit in mehrere Fachgebiete der ärztlichen Wissenschaft, ist sinngemäß in gleicher Weise zu verfahren.

Anlage:

f) Wirbelsäule:

190.

Veränderungen der Wirbelsäule (posttraumatisch, entzündlich, degenerativ) mit röntgenologisch nachweisbaren geringgradigen Veränderungen und geringgradiger Funktionseinschränkung

20-30

191.

Versteifungen oder höhergradige Veränderungen der Wirbelsäule (posttraumatisch, entzündlich, degenerativ) je nach röntgenologisch nachweisbarem Ausmaß, Funktionseinschränkung und Reizzustand

40-100

 

j) Gelenke:

Chronische Arthritis und Arthrose:

 

418.

Schmerzhaftigkeit und mäßige Einschränkung der Bewegungsfähigkeit in mindestens einem großen oder mehreren Gelenken, mit oder ohne röntgenologisch nachweisbare Veränderungen

20-50

419.

Schmerzhaftigkeit, mäßige Bewegungseinschränkung und Schwellung in mindestens einem großen oder mehreren Gelenken mit deutlicher Herabsetzung der Kraft, Atrophie der Muskulatur, allfälligen Gelenksergüssen und mit röntgenologisch nachweisbaren Veränderungen

40-70

…"

1.4. Wie die belangte Behörde zutreffend ausführt, hat die Gesamteinschätzung mehrerer Leidenszustände nicht im Wege der Addition der aus den Richtsatzpositionen sich ergebenden Hundertsätze zu erfolgen, vielmehr ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Gesundheitsschädigung auszugehen, die die höchste Minderung der Erwerbsfähigkeit verursacht, und dann zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen eine höhere Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit gerechtfertigt ist (vgl. etwa das zitierte Erkenntnis Zl. 2009/11/0034), wobei die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung auf die Erwerbsfähigkeit im Vordergrund zu stehen haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. März 2001, Zl. 2000/11/0321).

Bei dieser Beurteilung hat sich die Behörde eines oder mehrerer Sachverständigen zu bedienen (§ 14 Abs. 2 BEinstG), wobei es dem Antragsteller frei steht, zu versuchen, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2000, Zl. 2000/11/0093).

2.1. Die Beschwerde macht zunächst geltend, der Zustand nach Bandscheibenoperation im Lendenwirbelbereich, Segment L4/L5, hätte nicht nach der Position 190 (Veränderungen der Wirbelsäule), sondern nach der Position 191 (höhergradige Veränderung der Wirbelsäule) eingeschätzt werden müssen. Der Beschwerdeführer leide nämlich an den Folgen einer Operation an der Bandscheibe im Lendenwirbelsäulensegment L4/L5. Damit gebe es nicht nur eine Veränderung der Wirbelsäule, sondern "wohl eine höhergradige Veränderung", die nachgewiesen sei und zudem Beschwerden bei längeren Zwangshaltungen, verbunden mit Gefühlsstörungen im rechten Fuß, ergäbe.

2.2. Unrichtig sei auch die Einordnung der unter der Position 2 zusammengefassten Beschwerden unter die Richtsatzposition 418. In diesem Zusammenhang sei zunächst klarzustellen, dass die Einschätzung der belangten Behörde, trotz weiterer, im Gutachten des Sachverständigen Dr. J noch nicht befundeter Gesundheitsschädigungen, nämlich der Arthroskopie in der rechten Schulter und der lateralen Klavicularesektion, ändere sich weder etwas an der Einordnung der festgestellten Gesundheitsschädigungen (unter die Richtsatzposition 418) noch an deren Bewertung (20 %), falsch sei und nur dadurch erklärt werden könne, dass bei Beurteilung der Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht sämtliche bestehenden berücksichtigt worden seien. So seien die nach wie vor vorhandene Bursitis (Schleimbeutelentzündung) und Epicondylitis (Sehnenansatzentzündung) unberücksichtigt geblieben. Das Argument der belangten Behörde, Defizite in funktioneller Hinsicht seien nicht beschrieben, sei nicht tragfähig, weil der Beschwerdeführer diesbezüglich nicht befundet worden sei. Es wäre daher, zumal die Bursitis offensichtlich übersehen worden sei und somit eine Schwellung kombiniert mit einer damit naturgemäß einhergehenden Herabsetzung der Kraft in einem Gelenk anzunehmen sei, richtigerweise die Position 419 heranzuziehen gewesen.

2.3. Zudem erscheine fraglich, ob die Subsumtion der genannten Positionen unter die Richtsatzpositionen 418 oder 419 zutreffend sei, zumal diese Positionen die Gelenke beträfen und lediglich bei chronischer Arthritis und Arthrose zu wählen seien. Demgegenüber seien chirurgische oder orthopädische Krankheiten nach dem Abschnitt I der zitierten Verordnung zu beurteilen. Dementsprechend sei "beispielsweise eine Luxation operiert bei funktionstüchtigem Arm" nach Richtsatzposition 31 mit dem Rahmensatz 20 vH zu berücksichtigen, "beim Ellenbogen beispielsweise Richtsatzposition 45", die "Beeinträchtigung des Fußgelenks auf Grund eines Bandschadens nach Richtsatzposition 136".

Obwohl die einzelnen Positionen unter Umständen Richtsatzwerte von unter 20 % ergeben könnten, seien sie dennoch zu berücksichtigen und erhöhten den Grad der Behinderung um mindestens 10 %, weil sie zusammen betrachtet eine wesentliche Gesundheitsbeeinträchtigung ergäben, zumal sich die jeweiligen Beeinträchtigungen wechselseitig verstärkten.

2.4. Die Fehleinschätzung der belangten Behörde zeige sich auch darin, dass sie die Stellungnahme des Dr. L vom 5. Mai 2010 nicht mehr einem Parteiengehör unterzogen habe, wobei aus der Stellungnahme des Sachverständigen offensichtlich werde, dass dieser davon ausgegangen sei, bei der Befundaufnahme durch Dr. J sei das Beschwerdebild im Bereich der Schulter und des Ellbogens bereits vorgelegen. Dieser Irrtum hätte durch Übermittlung der genannten Stellungnahme an den Beschwerdeführer aufgeklärt werden können. Der Irrtum habe unter Umständen auch die Fehleinschätzung begründet.

Das Argument der belangten Behörde, Defizite in funktioneller Hinsicht seien im Karteiblatt der Universitätsklinik nicht beschrieben, lasse unberücksichtigt, dass im Berufungsverfahren selbst die genannten Beschwerden nicht begutachtet worden seien. Im genannten Karteiblatt sei aber "naturgemäß nicht zwingend festgehalten, inwiefern sich dieser Beschwerdekreis auch auf die Bewegungseinschränkung auswirkt".

3. Mit diesem Vorbringen wird eine zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führende Rechtswidrigkeit nicht aufgezeigt.

3.1. In einem Verfahren zur Feststellung des Grades der Behinderung nach § 14 BEinstG hat die Behörde unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen den Grad der Behinderung einzuschätzen.

Das von der belangten Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde gelegte zusammenfassende Gutachten des Sachverständigen Dr. J ist auf die beim Beschwerdeführer aufgetretenen, von ihm anlässlich der Untersuchung am 6. Juli 2009 angegebenen Leidenszustände einzeln eingegangen, hat sie bewertet und zusammenfassend festgestellt, dass es sich bei der Gesundheitsschädigung im Bereich der Wirbelsäule (Zustand nach Bandscheiben-Operation im Lendenwirbelsäulen-Segment L4/L5) um das führende Leiden handle, das auf Grund seiner Ausprägung (uneingeschränkter Bewegungsumfang; Beschwerden bei längeren Zwangshaltungen, Gefühlsstörungen im rechten Fuß) im Rahmen der Richtsatzposition 190 einem Grad der Behinderung von 30 % entspreche. Die Gesundheitsschädigungen im Bereich des rechten Knies und des Sprunggelenks begründeten eine geringgradige Funktionseinschränkung und - im Rahmen der Richtsatzposition 418 - einen Grad der Behinderung von 20 %. Das führende Leiden 1 werde durch das Leiden 2 auf Grund von wechselseitiger negativer Beeinflussung um eine Stufe erhöht.

Der Beschwerdeführer hat dagegen im Verwaltungsverfahren eingewendet, sein Gesundheitszustand habe sich weiter verschlechtert und er habe, weil er das rechte Bein nicht mehr voll belasten könne, Probleme mit dem rechten Arm und der rechten Schulter bekommen, die er abklären lassen werde.

In der Folge, nachdem ihm die beantragte Fristverlängerung für die Vorlage von Befunden bewilligt wurde, hat er mit Schreiben vom 24. Februar 2010 vorgebracht, er sei am 5. Februar 2010 im Bereich des rechten Schultergelenks und Schlüsselbeins operiert worden; es seien aber auch das rechte Schulterblatt sowie der rechte Ellbogen auf Grund der permanenten Instabilität des rechten Beines ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen, könnten derzeit aber nicht erfolgreich operiert werden. Er legte dazu ein Karteiblatt der Universitätsklinik für Unfallchirurgie Innsbruck vor, in dem es über den stationären Aufenthalt des Beschwerdeführers vom 5. Februar bis 8. Februar 2010 wie folgt heißt:

"Diagnose: Impingementsyndrom omi dext. AC-Arthrose rechts

Therapie:

Arthroskopie, ASD, OLCR am 5.2.10 fecit OA Dr. W.

Stationärer Verlauf:

Der Patient leidet seit längerem an Schmerzen der rechten Schulter, bei Nichtbesserung auf konservative Therapie, mit Infiltration und Physiotherapie, wird die Indikation zur operativen Versorgung gestellt. Diese erfolgt am 5.2. in Allgemeinnarkose. Bei den Verbandswechseln zeigen sich blande Wundverhältnisse und eine freie Peripherie, Redonzug am 2. postoperativen Tag. Ab Redonzug Beginn mit passiven Bewegungsübungen durch die Physiotherapie, hier kann eine

Abduktion von 90 Grad und Flexion von 100 Grad erreicht werden.

Der Patient kann am 8.2.10 mit liegendem Schultergurt nach Hause entlassen werden. Entlassungsmedikation: Diclobene 100 retard bis zu 2 x tägl. unter Magenschutz

Procedere:

Wir bitten um Nahtentfernung beim Hausarzt am 12. 14.

postoperativen Tag,

aktiv-assistive Bewegungsübungen nach Schmerzmaßgabe, keine grobe Kraftanwendung für 8 Wochen. Weiterhin Tragen des Schultergurtes. Kontrolle in der Schulterambulanz in ca. 4 Wochen bei OA …

22.02.2010 …

Kontrolle:

Kommt zur Kontrolle. Von Seiten des Impingement und der AC Gelenksymptomatik beschwerdearm, allerdings auch anhaltende Schmerzen, scapholothoracal im Sinne einer Bursitis, diesbezüglich kons. Therapie, operativ ist diese Dysfunktion oder diese Bursitis schwer oder gar nicht angehbar, von Seiten des Ellbogens Beschwerden im Sinne einer Epicondylitis. Erstoperativ bei kons. Therapieversagen bzw. Ausheilung der Schulter."

Der von der belangten Behörde bestellte ärztliche Sachverständige Dr. L hat diese Befunde seiner Einschätzung zu Grunde gelegt und ausgeführt, dass - unter Position 2 - ein Zustand nach Arthroskopie der rechten Schulter und lateraler Klavicularesektion bestehe, sowie Beschwerden im rechten Knie- und Sprunggelenk. An der bisherigen Beurteilung (Grad der Behinderung zu Position 2 von 20 %, Gesamtgrad der Behinderung von 40 %) ändere sich nichts.

Im Rahmen des Parteiengehörs zur Stellungnahme aufgefordert, brachte der Beschwerdeführer dazu vor, diese Einschätzung könne nicht richtig sein, zumal aus der Stellungnahme Dris. L nicht nachvollziehbar sei, ob das seit der Begutachtung durch Dr. J neu hinzugekommene Schulter- und Ellbogenproblem "extra bewertet" worden sei. Es sei "schwer vorstellbar", dass das zur ursprünglichen Begutachtung hinzugetretene Restbeschwerdebild zu keiner veränderten Einschätzung geführt habe. Es werde daher beantragt, ein neuerliches fachärztliches Gutachten einzuholen.

Mit Stellungnahme vom 5. Mai 2010 begründete Dr. Lechner die in seiner Stellungnahme vom 3. März 2010 getroffene Einschätzung damit, dass die neu hinzugetretenen Gesundheitsschädigungen (Arthroskopie der rechten Schulter, Klavicularesektion) unter Punkt 2 miterfasst seien. Eine separate Einschätzung sei nicht notwendig, weil im Gutachten Dr. J beschrieben sei, dass alle Gelenke der oberen Extremitäten frei beweglich seien.

3.2. Mit Blick auf das wiedergegebene Verwaltungsgeschehen kann - entgegen der Auffassung der Beschwerde - ausgeschlossen werden, dass der Sachverständige Dr. L bei seiner Stellungnahme vom 5. Mai 2010 davon ausgegangen sei, bei der Befundung durch Dr. J (am 6. Juli 2009) sei "das zusätzliche Beschwerdebild im Bereich der Schulter und des Ellenbogens" bereits vorgelegen. Dem Sachverständigen Dr. L standen nicht nur die genannten Befunde zur Verfügung, aus denen sich ergibt, dass die Operation im Bereich der rechten Schulter im Februar 2010 und damit nach der Befundaufnahme durch Dr. J erfolgte, er hat auch - ausdrücklich - klargestellt, dass diese zusätzlich geltend gemachten Gesundheitsschädigungen unter (dem neu bezeichneten) Punkt 2 miterfasst seien.

Die Beschwerde meint zwar, aus dem Karteiblatt der Universitätsklinik Innsbruck könne nicht zwingend geschlossen werden, dass weitere Defizite in funktioneller Hinsicht nicht bestünden, zumal in diesem Karteiblatt naturgemäß nicht zwingend festgehalten sei, inwiefern sich der genannte Beschwerdekreis auch auf die Bewegungseinschränkung auswirke. Sie unterlässt aber ein konkretes Vorbringen, dass ungeachtet des Inhalts der vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden darüber hinaus funktionelle Defizite, etwa Bewegungseinschränkungen, bestünden.

Hinsichtlich der geltend gemachten Bursitis und Epicondylitis, die jeweils vom Sachverständigen Dr. L im Rahmen seiner Beurteilung miterfasst wurden, hat der Beschwerdeführer überdies im Verwaltungsverfahren kein konkretes Vorbringen erstattet und auch keinen zusätzlichen Befund vorgelegt, aus dem sich ergeben hätte, dass es sich dabei um mehr als nur vorübergehende Beeinträchtigungen im Sinne des § 3 BEinstG handelte.

Die Beschwerde zeigt auch nicht auf, dass die Wahl der Richtsatzposition 190 bei Einschätzung der im Bereich der Wirbelsäule bestehenden Gesundheitsschädigung unzutreffend wäre:

Voraussetzung für die Einstufung in die Richtsatzposition 191 wären entweder Versteifungen der Wirbelsäule (dass solche vorlägen, wird von der Beschwerde nicht geltend gemacht) oder "höhergradige Veränderungen". Die Beschwerde behauptet zwar pauschal, es gäbe "wohl eine höhergradige Veränderung" der Wirbelsäule, der Beschwerdeführer ist aber der diesbezüglichen Beurteilung des Sachverständigen Dr. J im Verwaltungsverfahren nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen getreten. Mit Blick auf die vom Sachverständigen Dr. J bei Beurteilung der Auswirkungen dieser Gesundheitsschädigung dargelegten Parameter (uneingeschränkter Bewegungsumfang, aber Beschwerden bei längeren Zwangshaltungen verbunden mit Gefühlsstörungen im rechten Fuß) kann auch nicht gesagt werden, dass der angenommene Grad der Behinderung mit 30 % (ohnehin im obersten Bereich der Richtsatzposition 190) unzutreffend wäre.

Mit dem pauschalen Hinweis der Beschwerde, "chirurgische und orthopädische Krankheiten" seien nach Abschnitt I der Verordnung einzustufen, wird eine Unschlüssigkeit der entgegenstehenden Beurteilung der belangten Behörde, die dem von ihr eingeholten Gutachten gefolgt ist, nicht aufgezeigt, zumal die Beschwerde auch nicht behauptet, die "beispielsweise" genannten Erkrankungen lägen beim Beschwerdeführer vor.

Ob schließlich der Umstand, dass die belangte Behörde die von ihr eingeholte Stellungnahme des Sachverständigen Dr. L vom 5. Mai 2010 dem Beschwerdeführer vor Erlassung des angefochtenen Bescheids nicht im Rahmen des Parteiengehörs übermittelt hat, einen Verfahrensmangel begründete, muss im Beschwerdefall nicht abschließend beurteilt werden: Das Beschwerdevorbringen ist nämlich nicht geeignet, die Relevanz eines allfälligen Verfahrensmangels zu belegen, zumal nicht davon ausgegangen werden kann, dass der von der Beschwerde vermutete "Irrtum" des Sachverständigen Dr. L (über das zeitliche Auftreten des Beschwerdebilds im Schulter- und Ellbogenbereich) vorlag.

4. Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 20. Oktober 2011

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