Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 29. Juni 2009 wies die Bundespolizeidirektion Wien (BPD) die Anträge des Beschwerdeführers vom 20. März 2009 und vom 3. April 2009 auf Wiederausfolgung des Führerscheins gemäß §§ 13 Abs. 1 und 14 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG) ab, weil dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 24. März 2003 die Lenkberechtigung entzogen worden sei.
In der dagegen erhobenen Berufung wurde zusammengefasst vorgebracht, der Bescheid vom 24. März 2003 sei dem Beschwerdeführer nicht rechtswirksam zugestellt worden und er kenne dessen Inhalt nicht. Überdies hätte lediglich eine Zustellung an seinen am 26. Juni 2003 bestellten Sachwalter Rechtswirkungen entfalten können.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. Begründend wurde ausgeführt, auf Ersuchen der belangten Behörde um Übermittlung des Bescheides vom 24. März 2003 samt Zustellnachweis habe die BPD mitgeteilt, "dass Entzugsakte nach 5 Jahren skartiert werden und deshalb auch kein Bescheid von 2003 vorhanden" sei. Dem erstinstanzlichen Akt sei zu entnehmen, dass der Bescheid vom 24. März 2003 dem Beschwerdeführer am 28. März 2003 persönlich zugestellt worden sei. Da kein Rechtsmittel dagegen erhoben worden sei, sei die Lenkberechtigung zwischenzeitig erloschen. Im Akt erliege aber noch eine dem Beschwerdeführer am 28. Oktober 2003 durch Hinterlegung zugestellte Verfahrensanordnung der BPD vom 21. Oktober 2003, mit der der Beschwerdeführer aufgefordert worden sei, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, widrigenfalls sein Antrag vom 6. August 2003 auf Erteilung einer Lenkberechtigung abgewiesen werden müsste. Mit - dem Beschwerdeführer persönlich zugestelltem - Bescheid vom 22. Dezember 2003 sei der Antrag rechtskräftig abgewiesen worden. Da der Beschwerdeführer somit nicht im Besitz einer Lenkberechtigung sei, könne ihm auch kein Führerschein ausgestellt werden.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 22. Februar 2010, B 72/10, ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Der Beschwerdeführer ergänzte die Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde, zu der die belangte Behörde die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt hat, in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 gebildeten Senat erwogen:
1. Aktenkundig ist zunächst ein psychiatrisch-neurologisches Gutachten vom 20. Februar 2003, aus dem hervorgeht, dass dem Beschwerdeführer am 29. Dezember 2002 anlässlich mehrerer Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung der Führerschein abgenommen worden war. Bei der Anhaltung war er gemäß § 177 StPO wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und schwerer Körperverletzung vorläufig festgenommen worden und sei psychisch auffällig gewesen. Der Gutachter ging davon aus, der Beschwerdeführer sei zum Tatzeitpunkt "aufgrund der wahnhaften Verarbeitung bei Vorliegen einer schizophrenen bzw. wahnhaften Psychose nicht in der Lage gewesen, das Unrecht seiner Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln". Auch zum Untersuchungszeitpunkt, dem 13. Februar 2003, sei eine Krankheitseinsicht nicht gegeben, eine Besserung der sich aus der psychischen Erkrankung ergebenden Symptomatik durch regelmäßige psychopharmakologische Behandlung bei einem Facharzt für Psychiatrie jedoch zu erwarten gewesen.
Eine Stellungnahme des Sozialmedizinischen Zentrums Baumgartner Höhe vom 24. September 2003 bescheinigt, dass der Beschwerdeführer dort von 5. Juni 2003 bis 28. Juli 2003 stationär und danach halbstationär aufgenommen war und wegen paranoider Schizophrenie in fachärztlicher Behandlung stand.
Weiters ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Akt, dass das Bezirksgericht Liesing für den Beschwerdeführer mit Beschluss vom 26. Juni 2003 einen einstweiligen Sachwalter für die Vertretung vor Behörden und mit Beschluss vom 6. November 2003 einen Sachwalter für alle Angelegenheiten bestellt hatte; die Sachwalterschaft war mit Beschluss vom 31. März 2006 wieder beendet worden.
Aus einer ebenfalls aktenkundigen Stellungnahme des behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 5. Mai 2009 geht hervor, dass beim Beschwerdeführer seit Juni 2004 keine paranoide und maniforme Symptomatik mehr aufgetreten sei, dass er jedoch seit 2003 bis zum Datum der Stellungnahme in regelmäßiger ärztlicher und pharmakologischer Behandlung stand.
Nicht aktenkundig ist der Bescheid vom 24. März 2003 samt Zustellnachweis. Es findet sich lediglich ein am 11. Mai 2009 erstellter Ausdruck aus dem Führerscheinregister mit den Vermerken "entzogen von: 28.03.2003", "Bescheid vom: 24.03.2003", Zustelldatum: 28.03.2003", "Rechtskraftdatum: 11.04.2003".
2. Die Beschwerde ist begründet.
2.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, er sei zur Zeit der - von der Behörde nicht nachgewiesenen - Zustellung des Bescheides vom 24. März 2003 nicht handlungsfähig gewesen, was durch die Sachwalterbestellung vom 26. Juni 2003 indiziert sei. Eine Entziehung der Lenkberechtigung habe ohne Zustellung des Bescheides an den Sachwalter daher nicht rechtswirksam erfolgen können. Dies habe zur Folge, dass der Antrag auf Wiederausfolgung des Führerscheins mangels Erlöschens der Lenkberechtigung zu Unrecht abgewiesen worden sei. Die belangte Behörde habe jede Ermittlungstätigkeit zur mangelnden Handlungsfähigkeit des Beschwerdeführers im fraglichen Zeitraum unterlassen.
2.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Fehlen der Prozessfähigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Für die Frage der Wirksamkeit einer Zustellung kommt es darauf an, ob der Zustellungsempfänger handlungsfähig war, und nicht darauf, ob für ihn bereits ein Sachwalter bestellt worden ist (vgl. die Nachweise im hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2012, Zl. 2011/09/0021).
2.3. Abgesehen davon, dass die belangte Behörde schon mangels Vorliegens eines Zustellnachweises nicht ohne weiteres von der Zustellung des Bescheides vom 24. März 2003 an den Beschwerdeführer ausgehen konnte (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 7. September 2011, Zl. 2008/08/0131, mwN), hat sie dessen Prozessfähigkeit stillschweigend vorausgesetzt. Sie hat es unterlassen, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt zu klären, obwohl dies sowohl aufgrund des Berufungsvorbringens als auch angesichts des ihr vorgelegenen (unter Punkt 1. dargestellten) Akteninhalts angezeigt war.
3. Der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 20. Februar 2013
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