VwGH 2010/11/0059

VwGH2010/11/005922.1.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und den Hofrat Dr. Schick sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Winkler - Heinzle - Nagel Rechtsanwaltspartnerschaft, 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien vom 25. November 2009, Zl. UVS-FSG/12/10387/2009-3, betreffend § 66 Abs. 2 AVG i.A. Erteilung der Lenkberechtigung (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 22. September 2009 hatte die Bundespolizeidirektion Wien den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Lenkberechtigung vom 12. Oktober 2000 gemäß § 3 Abs. 1 Z 3 des Führerscheingesetzes (FSG) abgewiesen. Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer habe der Verfahrensanordnung vom 10. August 2009, mit der er aufgefordert worden war, sich binnen zwei Wochen einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, nicht Folge geleistet. In der dagegen erhobenen Berufung rügte der Beschwerdeführer, der Bescheid sei ausschließlich auf eine rechtswidrige Verfahrensanordnung gestützt worden. Jener Verfahrensanordnung sei zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer wegen des Verdachtes, Cannabis erworben und konsumiert zu haben, angezeigt worden sei. Dieser Sachverhalt rechtfertige jedoch nicht das Verlangen nach einer amtsärztlichen Untersuchung gemäß § 8 Abs. 2 FSG. Seine gesundheitliche Lenkeignung iSd § 8 Abs. 1 FSG habe der Beschwerdeführer durch Vorlage eines ärztlichen Gutachtens im August 2008 unter Beweis gestellt.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab der UVS der Berufung insofern Folge, als der erstbehördliche Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Erstbehörde zurückverwiesen wurde.

Begründend führte der UVS aus, die Erstbehörde habe den Akt nicht vollständig vorgelegt. Zwar sei die polizeiliche Anzeige, nach der der Beschwerdeführer verdächtig sei, im Dezember 2008 620 Gramm Cannabisprodukte erworben und konsumiert zu haben, ebenso vorgelegt worden wie das in der Berufung erwähnte ärztliche Gutachten vom 19. August 2008. Der Antrag vom 12. Oktober 2000 auf Erteilung der Lenkberechtigung "sowie nachvollziehbare behördliche Schritte, was seither geschah bzw. zur Antragserledigung unternommen wurde", würden jedoch fehlen. "Immerhin" seien "bis zur Verfahrensanordnung nahezu 9 (!!) Jahre vergangen". Eine Fortführung des Verfahrens durch den UVS erscheine unmöglich, da der erstinstanzliche Akt trotz Urgenz unvollständig geblieben sei. Durch die Entscheidung nach § 66 Abs. 2 AVG sei das Rechtsschutzinteresse des Berufungswerbers gewahrt, "da das nunmehr durchzuführende verwaltungsrechtliche Beweisverfahren der Überprüfung einer zweiten Instanz" unterliege.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

1.1. Die vorliegend maßgebenden Bestimmungen des FSG lauten (auszugsweise):

Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

  1. 1.
  2. 2.
  3. 3. gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),

    Gesundheitliche Eignung

§ 8. (1) Vor der Erteilung einer Lenkberechtigung hat der Antragsteller der Behörde ein ärztliches Gutachten vorzulegen, daß er zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich geeignet ist. Das ärztliche Gutachten hat auszusprechen, für welche Klassen von Lenkberechtigungen der Antragsteller gesundheitlich geeignet ist, darf im Zeitpunkt der Entscheidung nicht älter als 18 Monate sein und ist von einem in die Ärzteliste eingetragenen sachverständigen Arzt gemäß § 34 zu erstellen.

(2) Sind zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens besondere Befunde oder im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten eine Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle erforderlich, so ist das ärztliche Gutachten von einem Amtsarzt zu erstellen; der Antragsteller hat diese Befunde oder Stellungnahmen zu erbringen. …

…"

1.2. § 66 AVG lautet (auszugsweise):

"§ 66. (1) Notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens hat die Berufungsbehörde durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen.

(2) Ist der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft, daß die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, so kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

(4) Außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern."

2. Die Beschwerde ist begründet.

2.1. Der Beschwerdeführer rügt in der Beschwerde die unrichtige Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch die belangte Behörde. Damit ist er im Recht.

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verweisen, wenn der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde außer dem im Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden.

2.2. Wenn die belangte Behörde - wie im Beschwerdefall - davon ausging, der ihr vorliegende Akteninhalt reiche nicht aus, um zu beurteilen, ob Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers bestünden, so ist dies kein Grund für eine Aufhebung gemäß § 66 Abs. 2 AVG. Der Berufungsbehörde ist eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann gestattet, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich ist, somit nur dann, wenn sich der Mangel nicht anders als mit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung beheben lässt (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 18. September 2012, Zl. 2011/11/0036, mwN). In allen anderen Fällen hat die Berufungsbehörde - und als solche ist der UVS eingerichtet - in der Sache selbst zu entscheiden und die dafür notwendigen Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens unter Heranziehung der Behörde erster Instanz oder selbst vorzunehmen.

Dass die belangte Behörde ausgehend von dieser Rechtslage nicht imstande gewesen wäre, den Sachverhalt zu ergänzen, ist aus dem angefochtenen Bescheid nicht ersichtlich und auch sonst nicht erkennbar.

2.3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 22. Jänner 2013

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