VwGH 2010/10/0234

VwGH2010/10/023429.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde des E und der I K in P, vertreten durch Poganitsch & Ragger Rechtsanwälte GmbH in 9400 Wolfsberg, Am Weiher 11/3/4, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 28. September 2010, Zl. -11-FOB-241/9-2010, betreffend Rodungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §52;
ForstG 1975 §1;
ForstG 1975 §17 Abs2;
ForstG 1975 §17 Abs3;
ForstG 1975 §17 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §52;
ForstG 1975 §1;
ForstG 1975 §17 Abs2;
ForstG 1975 §17 Abs3;
ForstG 1975 §17 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 28. September 2010 wurde den beschwerdeführenden Parteien die beantragte Bewilligung zur Rodung einer ca. 3.000 m2 großen Teilfläche der Parzelle Nr. 259/2, KG O. versagt.

Begründend wurde nach Darstellung des Verfahrensganges und der angewendeten Rechtsvorschriften im Wesentlichen ausgeführt, die beschwerdeführenden Parteien hätten um Rodungsbewilligung zum Zweck der Schaffung von Bauland (Errichtung von zwei Wohnobjekten) angesucht.

Dem eingeholten forstfachlichen Gutachten zufolge grenze die Rodefläche im Osten und im Süden an öffentliche Wegparzellen und im Norden an das bebaute Grundstück Nr. 213/2, KG O. an. Östlich der Rodefläche und von dieser durch ein Weggrundstück getrennt befinde sich das Waldgrundstück Nr. 259/1, KG O., das (zum Teil) in den gesetzlichen Deckungsschutzbereich von 40 m falle.

Die örtliche Beurteilung der Rodefläche und der im Deckungsschutzbereich gelegenen Waldflächen bestätige die Bewertung des Waldentwicklungsplanes, demzufolge es sich um eine Funktionsfläche mit der Wertziffer 111 handle: Die Nutzfunktion sei die Leitfunktion, sowohl der Schutz- wie auch der Wohlfahrts- und Erholungsfunktion sei eine geringe Wertigkeit beizumessen. Die Waldausstattung in der KG O. sei überdurchschnittlich hoch (78% laut Kataster, 84% laut OK 50). Ein besonderes öffentliches Interesse an der Walderhaltung auf der zur Rodung beantragten Fläche sei auf Grund der qualitativen und quantitativen örtlichen Beurteilung der Waldfunktionen nicht vorhanden. Auch den im Deckungsschutzbereich befindlichen Waldflächen sei auf Grund der örtlichen Beurteilung kein besonderes öffentliches Interesse an der Walderhaltung beizumessen.

Allerdings sei - so der forstfachliche Sachverständige - zu berücksichtigen, dass mit der beantragten Rodung aus forstfachlicher Sicht eine näher begründete offensichtliche Windwurfgefahr für den Bestand auf dem Grundstück Nr. 259/1, KG O. verbunden sei, wenngleich das öffentliche Interesse an der Walderhaltung des angrenzenden Waldes - wie dargelegt - nicht höher zu bewerten sei als jenes an der Rodefläche selbst.

Ausgehend von diesen Darlegungen sei nach Auffassung der Behörde ein besonderes öffentliches Interesse an der Walderhaltung der zur Rodung beantragten Fläche anzunehmen, und zwar wegen der durch das forstfachliche Gutachten festgestellten Notwendigkeit des Deckungsschutzes für den Nachbarwald. Zumindest die Erhaltung eines Waldstreifens im Ausmaß von 40 m sei zur Abwehr einer der angrenzenden Waldfläche drohenden offenbaren Wind- und Schneebruchgefahr erforderlich.

Die beschwerdeführenden Parteien bzw. der Bürgermeister der betroffenen Gemeinde hätten dem forstfachlichen Gutachten zwar ein von ihnen eingeholtes meteorologische Gutachten entgegengehalten, in dem die angenommene Windwurfgefährdung bestritten werde. Mangels Berücksichtigung der für die erforderliche Beurteilung maßgeblichen Hauptwindrichtungen sei dieses Gutachten aber nicht geeignet, einen Mangel in der forstfachlichen Begutachtung aufzuzeigen.

Betreffend die Annahme eines im "Siedlungswesen" begründeten öffentlichen Interesses an der beantragten Rodung sei die Forstbehörde weder an einen Raumordnungs- noch an einen Flächenwidmungsplan, noch an ein in diesen bestätigtes öffentliches Interesse an einer Baulandwidmung gebunden. Auch könne eine Inanspruchnahme von Waldboden für Bauzwecke grundsätzlich nur nach Ausschöpfung aller sonstigen Möglichkeiten der Baulandbeschaffung erfolgen. Es sei daher zu berücksichtigen, dass die von der Gemeinde bekannt gegebenen Baulandreserven noch für ca. 20 Jahre ausreichend seien. Überdies sei bis dato kein Bauansuchen eingebracht worden und habe der Bürgermeister mitgeteilt, dass der Baugrund (die Rodefläche) verkauft und bebaut werden solle. Ein unmittelbarer Baubedarf der beschwerdeführenden Parteien sei daher zu verneinen. Ein das Walderhaltungsinteresse überwiegendes öffentliches Interesse am Rodungsvorhaben der beschwerdeführenden Parteien bestehe somit nicht; der Rodungsantrag sei daher spruchgemäß abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Forstgesetzes 1975, BGBl. Nr. 440/1975, in der Fassung BGBl. I Nr. 55/2007, (ForstG 1975) lauten auszugsweise wie folgt:

"Rodung

§ 17 (1) Die Verwendung von Waldboden zu anderen Zwecken als für solche der Waldkultur (Rodung) ist verboten.

(2) Unbeschadet der Bestimmungen des Abs. 1 kann die Behörde eine Bewilligung zur Rodung erteilen, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der Erhaltung dieser Fläche als Wald nicht entgegensteht.

(3) Kann eine Bewilligung nach Abs. 2 nicht erteilt werden, kann die Behörde eine Bewilligung zur Rodung dann erteilen, wenn ein öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche das öffentliche Interesse an der Erhaltung dieser Fläche als Wald überwiegt.

(4) Öffentliche Interessen an einer anderen Verwendung im Sinne des Abs. 3 sind insbesondere begründet in der umfassenden Landesverteidigung, im Eisenbahn-, Luft- oder öffentlichen Straßenverkehr, im Post- oder öffentlichen Fernmeldewesen, im Bergbau, im Wasserbau, in der Energiewirtschaft, in der Agrarstrukturverbesserung, im Siedlungswesen oder im Naturschutz.

(5) Bei der Beurteilung des öffentlichen Interesses im Sinne des Abs. 2 oder bei der Abwägung der öffentlichen Interessen im Sinne des Abs. 3 hat die Behörde insbesondere auf eine die erforderlichen Wirkungen des Waldes gewährleistende Waldausstattung Bedacht zu nehmen. Unter dieser Voraussetzung sind die Zielsetzungen der Raumordnung zu berücksichtigen.

…"

Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zugrunde, es bestehe an der Walderhaltung der zur Rodung beantragten Fläche ein besonderes öffentliches Interesse im Sinne des § 17 Abs. 2 ForstG 1975, weil diese den angrenzenden Waldflächen Schutz vor einer offenbaren Wind- und Schneebruchgefährdung gewähre (Deckungsschutz). Trotz der forstfachlich dargelegten geringen Wertigkeit der Waldfunktionen der zur Rodung beantragten Fläche wie auch der im Deckungsschutzbereich liegenden Flächen (Wertziffer 111 laut Waldentwicklungsplan) könnte daher eine Rodungsbewilligung nur nach § 17 Abs. 3 ForstG 1975 erteilt werden. Die hier normierte Voraussetzung eines das Walderhaltungsinteresse überwiegenden (im "Siedlungswesen" begründeten) öffentlichen Interesses sei jedoch nicht erfüllt; der Rodungsantrag sei daher abzuweisen gewesen.

Die beschwerdeführenden Parteien bringen dagegen im Wesentlichen vor, sie hätten mit dem im Verwaltungsverfahren vorgelegten meteorologischen Gutachten dargelegt, dass für den durch die Rodung entstehenden Bestandsrand keine erhöhte Windwurfgefährdung zu erwarten sei. Im Übrigen sei durch die Wertziffer 111 nach dem Waldentwicklungsplan belegt, dass von keinem besonderen öffentlichen Interesse an der Walderhaltung der zur Rodung beantragten Fläche ausgegangen werden könne. Jedenfalls aber hätte die belangte Behörde das im "Siedlungswesen" begründete öffentliche Interesse als ein das Walderhaltungsinteresse überwiegendes öffentliches Interesse bewerten müssen.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg:

§ 17 Abs. 2 ForstG 1975 ermächtigt die Forstbehörde zur Erteilung einer Rodungsbewilligung, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der Erhaltung der zur Rodung beantragten Fläche als Wald nicht entgegensteht.

Ein besonderes, einer Rodungsbewilligung nach § 17 Abs. 2 ForstG 1975 entgegenstehendes öffentliches Interesse an der Walderhaltung ist nach den Gesetzesmaterialien (RV 970 Blg. Nr. 21 GP, 32) dann gegeben, wenn es sich um Waldflächen handelt, denen mittlere oder hohe Schutzwirkung, mittlere oder hohe Wohlfahrtsfunktion oder hohe Erholungswirkung gemäß Waldentwicklungsplan zukommt. Ob dies im konkreten Fall zutrifft, ist von der Forstbehörde anhand des Gutachtens eines forstlichen Sachverständigen zu beurteilen, wobei dem Waldentwicklungsplan eine wesentliche Indizwirkung zukommt (vgl. zB das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 2011, Zl. 2009/10/0173, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Ist ein besonderes öffentliches Interesse an der Erhaltung der zur Rodung beantragten Fläche als Wald anzunehmen, kommt die Erteilung einer Rodungsbewilligung nach § 17 Abs. 2 ForstG 1975 nicht in Betracht; diesfalls ist in die Interessenabwägung nach § 17 Abs. 3 und 4 ForstG 1975 einzutreten, andernfalls jedoch die Rodungsbewilligung gemäß § 17 Abs. 2 ForstG 1975 zu erteilen.

Im vorliegenden Fall wurde vom forstfachlichen Amtssachverständigen dargelegt, dass "ein besonderes öffentliches Interesse an der Walderhaltung" der zur Rodung beantragten Fläche "auf Grund der qualitativen und quantitativen örtlichen Beurteilung der Waldfunktionen" nicht besteht. Gleiches gelte auf Grund der örtlichen Beurteilung auch für die im - angesichts offensichtlicher Windwurfgefahr - 40 m-Deckungsschutzbereich befindlichen Waldflächen.

Die belangte Behörde ist - wie dargelegt - unter Hinweis auf diese Ausführungen zur Auffassung gelangt, das öffentliche Interesse an der Erhaltung der zur Rodung beantragten Fläche als Wald sei wegen der offenbaren Wind- und Schneebruchgefährdung der im Deckungsschutzbereich befindlichen nachbarlichen Waldflächen als ein besonderes öffentliches Interesse an der Walderhaltung anzusehen, das eine Anwendung des § 17 Abs. 2 ForstG 1975 ausschließe. Sie hat dabei jedoch übersehen, dass das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Nachbarwaldes im Hinblick auf den Grundsatz des Walderhaltungsinteresses gemäß § 1 ForstG 1975 im Rahmen eines Rodungsverfahrens nicht anders bewertet werden kann als das öffentliche Interesse an der Erhaltung jener Fläche als Wald, für die die Rodung beantragt wurde (vgl. zB das hg. Erkenntnis vom 16. November 1998, Zl. 97/10/0041, und die dort zitierte Vorjudikatur). Besteht nämlich - zufolge ihrer Schutz-, Wohlfahrts- oder Erholungswirkung - weder an der Walderhaltung der zur Rodung beantragten Fläche noch an der Erhaltung des Nachbarwaldes ein besonderes öffentliches Interesse - dies ist offenbar auch der auf das Gutachten des forstfachlichen Amtssachverständigen gestützte Standpunkt der belangten Behörde -, so kann der Umstand, dass der Waldbestand auf der Rodefläche dem Nachbarwald Deckungsschutz bietet, für sich noch nicht als Grund für die Annahme eines besonderen öffentlichen Interesse an der Walderhaltung qualifiziert werden. Eine solche Annahme wäre vielmehr erst dann berechtigt, wenn dem deckungsgeschützten nachbarlichen Wald mittlere oder hohe Schutzwirkung, mittlere oder hohe Wohlfahrtswirkung oder hohe Erholungswirkung, somit Wirkungen zukämen, die seine Erhaltung als im besonderen öffentlichen Interesse gelegen erscheinen ließen. Andernfalls käme es zu einer unterschiedlichen Bewertung des öffentlichen Interesses an der Walderhaltung der Rodefläche einerseits und an der Erhaltung des Nachbarwaldes andererseits, ohne dass hiefür eine Grundlage im Tatsächlichen gegeben wäre. Der Umstand, dass eine Waldfläche dem nachbarlichen Wald Deckungsschutz bietet, ist daher für sich alleine, das heißt ohne Vorliegen besonderer Wirkungen des deckungsgeschützten Waldes im Sinne der obigen Darlegungen für die Annahme, es bestehe ein besonderes öffentliches Walderhaltungsinteresse nach § 17 Abs. 2 ForstG 1975 nicht ausreichend.

Indem die belangte Behörde das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer Rodungsbewilligung gemäß § 17 Abs. 2 ForstG 1975 daher alleine wegen der Wind- und Schneebruchgefahr für angrenzende Waldflächen verneinte, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das Beschwerdevorbringen weiter eingegangen werden musste.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 29. Februar 2012

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