VwGH 2010/09/0206

VwGH2010/09/020626.6.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des S G in T, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom 25. August 2010, Zl. BMASK- 41550/1709-IV/9/2009, betreffend Beschädigtenrente nach dem Heeresversorgungsgesetz, zu Recht erkannt:

Normen

HVG §1 Abs1 idF 2002/I/150;
HVG §2 Abs1 idF 1993/110;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
HVG §1 Abs1 idF 2002/I/150;
HVG §2 Abs1 idF 1993/110;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der im Jahr 1984 geborene Beschwerdeführer leistete vom 2. September 2002 bis 30. April 2003 den ordentlichen Präsenzdienst beim Bundesheer.

Am 10. August 2009 stellte er einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenrente nach dem HVG und brachte dazu vor, Ende November 2002 im Rahmen des Grundwehrdienstes eine Gesundheitsschädigung erlitten zu haben, indem er in der Fliegerhorstkaserne in A bei einer Sporteinheit im Fitnessraum bei der Durchführung eines Handstandes eingeknickt sei und sich an der rechten großen Zehe verletzt habe.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde - in Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen/ Landesstelle Steiermark vom 5. November 2009 - die Gesundheitsschädigung "Verletzung der rechten Großzehe mit Arthrosen als Folgeschäden" nicht als Dienstbeschädigung anerkannt und der Antrag auf Zuerkennung einer Beschädigtenrente abgelehnt.

Ihre Bescheidbegründung stützte die belangte Behörde nach Darlegung des Verfahrensganges darauf, dass in der Behandlungskarteikarte der Gesundheitskarte des Beschwerdeführers u. a. folgende Eintragungen vermerkt seien (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof):

"12.09.2002:

Schwellung rechter Vorfuß; Diagnose: Schuhdruck, derzeit keine Schwellung.

20.11.2002:

Schmerzen rechte Großzehe; Diagnose: Arthralgie Großzehenendgelenk

25.11.2002:

Röntgen rechter Vorfuß

26.11.2002:

Röntgen = Varusfehlstellung im distalen Interphalangealgelenk 4. Zehe

29.11.2002:

Diagnose. Posttraumatische Arthritis DIP I rechts, beginnender Halux rigidus

05.12.2002:

Therapie weiter, US + Lasertherapie bei Dr. (S)

14.04.2003:

Kontrolle Arthralgie rechte Großzehe"

Die vom Beschwerdeführer vorgelegten Befunde von Dr. H würden

folgende Diagnosen dokumentieren:

"27. November 2002:

'Arthritis DIP-Gelenk I rechts, beginnender Hallux rigidus'

7. Jänner 2003:

'St.p. Arthritis DIP-Gelenk I rechts'"

Laut Schreiben des Referates soziale Betreuung und Berufsförderung in G vom 22. Oktober 2009 habe es nach Rücksprache mit dem Krankenrevier A keine ärztliche Meldung oder Unfallsmeldung sowie kein Endgutachten zum vorliegenden Fall gegeben. In der Mitteilung des Fliegerabwehrbataillons 2, dritte Batterie in A vom 2. März 2010 sei festgehalten worden, dass für den Zeitraum November 2002 bis Dezember 2002 keine Dienstpläne mehr vorliegen würden. Bezüglich der vom Beschwerdeführer angeführten Zeugen habe das Fliegerabwehrbataillon am 29. März 2010 bekannt gegeben, dass vom Rekrut R keine Daten mehr aufliegen würden und sich Stabswachtmeister B an den Vorfall nicht erinnern könne.

In rechtlicher Hinsicht setzte die belangte Behörde im Wesentlichen fort, dass eine Gesundheitsschädigung, die ein Soldat infolge des Präsenz- oder Ausbildungsdienstes, einschließlich einer beruflichen Bildung im freiwillig verlängerten Grundwehrdienst oder im Wehrdienst als Zeitsoldat erlitten habe, nach Maßgabe des HVG als Dienstbeschädigung zu entschädigen sei. Eine Gesundheitsschädigung sei als Dienstbeschädigung im Sinne des § 1 HVG anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen sei.

Der Beschwerdeführer habe sich laut seinen Angaben "im Zeitraum Ende November 2002" im Rahmen seines Präsenzdienstes bei einer Sporteinheit eine Schädigung an der rechten Großzehe zugezogen. Auf Grund der Eintragungen in der Behandlungskarteikarte der Gesundheitskarte des Beschwerdeführers und der vorgelegten Befunde könne davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer in der Zeit seines Grundwehrdienstes wegen einer Gesundheitsschädigung im Bereich des rechten Vorfußes in Behandlung gestanden sei. Es haben jedoch keinerlei Unterlagen ermittelt werden können, die die von ihm geschilderte Sporteinheit während seines Präsenzdienstes belegen bzw. beweisen, dass er sich die geltend gemachte Gesundheitsschädigung im Dienst zugezogen habe. Zeugen seien zwar von ihm namhaft gemacht, Aussagen über den schädigenden Vorfall haben jedoch nicht erhoben werden können. Weder liege eine ärztliche Meldung über den Vorfall seitens der Militärbehörde vor, noch seien anlässlich der Entlassung aus dem Präsenzdienst Angaben über vorliegende Gesundheitsstörungen getätigt worden, zumal die Antragstellung des Beschwerdeführers auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem HVG erst im Jahre 2009, also mehr als sechs Jahre nach dem vermeintlichen Ereignis, erfolgt sei. Der im Rahmen des Parteiengehörs erhobene Einwand sei nicht geeignet gewesen, dass Ergebnis der Beweisaufnahme zu entkräften oder ein weiteres Ermittlungsverfahren herbeizuführen; neue Beweise seien nicht vorgelegt worden. Da in der Behandlungskarteikarte der Gesundheitskarte des Beschwerdeführers Behandlungen mit Ultraschall und Laser durch Dr. S vermerkt seien, werde von der Einholung der diesbezüglichen Behandlungsunterlagen abgesehen. Darin dokumentierte Angaben über die Entstehung des Leidenszustandes seien nicht anzunehmen - auch in dem vorgelegten Befund von Dr. H würden nur Diagnose, klinischer Befund und Therapievorschlag angeführt. Es sei zwar der zeitliche, nicht aber der örtliche und unmittelbar ursächliche Zusammenhang mit dem Präsenzdienst bzw. mit den der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnissen gegeben; eine Dienstbeschädigung im Sinne des § 2 Abs. 1 HVG liege nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Beschwerde nach Aktenvorlage sowie Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Nach § 1 des Heeresversorgungsgesetzes (HVG), BGBl. Nr. 27/1964 idF BGBl. I Nr. 150/2002, ist eine Gesundheitsschädigung, die ein Soldat infolge des Präsenz- oder Ausbildungsdienstes, einschließlich einer beruflichen Bildung freiwillig im verlängerten Grundwehrdienst oder im Wehrdienst als Zeitsoldat, erlitten hat, nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes als Dienstbeschädigung zu entschädigen. Gemäß § 2 Abs. 1 leg. cit. in der Fassung BGBl. Nr. 110/1993, ist eine Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung im Sinne des § 1 anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes macht das HVG die Gewährung von Versorgungsleistungen über die Gesundheitsschädigungen davon abhängig, dass das schädigende Ereignis oder die mit den der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse mit der Gesundheitsschädigung in ursächlichem Zusammenhang (Kausalzusammenhang) stehen. Die Zurechnung eines schädigenden Ereignisses oder der mit den der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnissen hat (auch im Bereich der Heeresversorgung) nach der sogenannten Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung zu erfolgen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. April 2004, Zl. 2001/09/0007). Danach ist es für eine solche Bedingtheit - dann, wenn die festgestellte Gesundheitsschädigung auf mehrere Ursachen, darunter auch die von § 2 Abs. 1 HVG erfassten mit der Dienstleistung verbundenen eigentümlichen Verhältnisse des Präsenzdienstes zurückgeht - erforderlich, dass das in Betracht kommende schädigende Ereignis eine wesentliche Ursache der Schädigung ist. Wesentlich im Sinne des § 2 Abs. 1 HVG ist eine Ursache dann, wenn sie nicht im Hinblick auf andere mitwirkende Ursachen erheblich in den Hintergrund tritt. Nur jene Bedingung, ohne deren Mitwirkung der Erfolg überhaupt nicht oder nur zu einem erheblich anderen Zeitpunkt oder nur in geringerem Umgang eingetreten wäre, ist wesentliche Bedingung. Wo die Grenzen dieser Zurechnung liegen, kann nur im Einzelfall unter verständiger Würdigung aller maßgebenden Umstände gesagt werden.

Eine krankhafte Veranlagung hindert die Annahme einer unfallbedingten Auslösung nicht. Eine solche kann auch vorliegen, wenn eine vorhandene krankhafte Veranlagung zu einer plötzlichen, in absehbarer Zeit nicht zu erwartenden Entwicklung gebracht oder eine bereits bestehende Erkrankung verschlimmert worden ist. Für die Frage, ob die Auswirkungen des Unfalles bzw. der für den Präsenzdienst eigentümlichen Verhältnisse eine rechtlich wesentliche Teilursache des darnach eingetretenen Leidenszustandes sind, ist in erster Linie von Bedeutung, ob dieser Leidenszustand auch ohne Ableistung des Präsenzdienstes etwa zum gleichen Zeitpunkt eingetreten wäre oder durch ein anderes alltäglich vorkommendes Ereignis hätte ausgelöst werden können, ob also die äußere Einwirkung wesentliche Teilursache oder nur Gelegenheitsursache war.

Die rechtliche Beurteilung des ursächlichen Zusammenhanges zwischen einem schädigenden Ereignis oder den der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnissen und einer Gesundheitsschädigung im Sinne des § 2 Abs. 1 erster Satz HVG setzt voraus, dass der Kausalzusammenhang im medizinisch-naturwissenschaftlichen Sinn in dem durch § 86 HVG geregelten Verfahren geklärt wird und allenfalls strittige Tatsachen im Zusammenhang mit der Wehrdienstleistung bzw. dem schädigenden Ereignis und der Krankheitsvorgeschichte von der Behörde ermittelt und festgestellt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2012, Zl. 2010/09/0207, mwN).

Der Erlassung eines Bescheides hat gemäß § 56 des auch im Verfahren nach dem Heeresversorgungsgesetz (§ 82 Abs. 1) geltenden AVG grundsätzlich die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes nach den Vorschriften der §§ 37 und 39 dieses Gesetzes voranzugehen. Zweck des Ermittlungsverfahrens ist es nach § 37 AVG, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Nach der Anordnung des § 58 Abs. 2 AVG sind Bescheide zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen wird. In der Begründung sind gemäß § 60 AVG - der nach § 67 AVG auch für Berufungsbescheide gilt - die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 7. Mai 1996, 95/09/0178, und vom 27. Juni 1995, Zl. 92/07/0184). Die genannte Zusammenfassung wird in Bezug auf die Beweiswürdigung kurz ausfallen können, wenn keine einander widersprechenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vorliegen. Bei Widersprüchen zwischen den Behauptungen und Angaben der Verfahrenspartei und sonstigen Ermittlungsergebnissen bedarf es aber einer klaren und übersichtlichen Zusammenfassung der maßgeblichen, bei der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen, damit der Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung der Behörde auf ihre inhaltliche Rechtmäßigkeit überprüfen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 2005, Zl. 2002/08/0106). Nicht oder unzureichend begründete Bescheide hindern insoweit den Verwaltungsgerichtshof, seiner Rechtskontrollaufgabe, wie sie im § 41 Abs. 1 VwGG zum Ausdruck kommt, zu entsprechen, als derartige Bescheide inhaltlich auch keine Überprüfung "auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes" zulassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2004, Zl. 2001/08/0020).

Diesen Erfordernissen hält der angefochtene Bescheid nicht stand, zumal sich dessen Begründung - zusammengefasst - darin erschöpft, dass keine Unterlagen "ermittelt" hätten werden können, die die behauptete Verletzung im Dienst belegen würden. Die belangte Behörde hat sich weiters in Bezug auf die Adressenermittlung des vom Beschwerdeführer als Zeugen namhaft gemachten Rekruten R auf die Auskunft der (früheren) Dienststelle beschränkt und nicht dargelegt, warum die Ermittlung der (aktuellen) Adresse nicht möglich gewesen sei, womit sie ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht nicht entsprochen hat. Außerdem hat sie sich weder mit dem Berufungsvorbingen, wonach der Beschwerdeführer zwar zum Zeitpunkt des "Abrüstens" subjektiv schmerzfrei gewesen sei, jedoch die Schmerzen kurz danach wieder aufgetaucht seien, auseinandergesetzt, noch die von ihm namhaft gemachten weiteren (vier) Zeugen befragt. Insbesondere wird auch eine nachvollziehbare Begründung dazu unterlassen, warum - selbst bei Fehlen von "objektiven" Unterlagen - der Darstellung des Beschwerdeführers nicht gefolgt haben werde können.

Damit ist - wie in der Beschwerde zutreffend aufgezeigt - der angefochtene Bescheid mit wesentlichen Mängeln im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG behaftet. Da nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei Vermeidung dieser Verfahrensmängel zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren war im Hinblick auf die auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestehende sachliche Gebührenfreiheit gemäß § 68 HVG abzuweisen.

Wien, am 26. Juni 2012

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