VwGH 2010/06/0197

VwGH2010/06/01973.10.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch sowie die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde der C P in I, vertreten durch Dr. Michael E. Sallinger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Sillgasse 21/III, gegen den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 21. Juli 2010, Zl. I-Präs- 00186e/2009), betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (weitere Partei: Tiroler Landesregierung; mitbeteiligte Partei: T GmbH in I), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13 Abs3;
AVG §13 Abs8;
AVG §52;
AVG §66 Abs4;
AVG §8;
BauO Tir 2001 §20;
BauO Tir 2001 §23;
BauO Tir 2001 §25 Abs3 lita;
BauO Tir 2001 §25 Abs3;
BauRallg;
ROG Tir 2006 §38;
AVG §13 Abs3;
AVG §13 Abs8;
AVG §52;
AVG §66 Abs4;
AVG §8;
BauO Tir 2001 §20;
BauO Tir 2001 §23;
BauO Tir 2001 §25 Abs3 lita;
BauO Tir 2001 §25 Abs3;
BauRallg;
ROG Tir 2006 §38;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat der Landeshauptstadt Innsbruck Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1. Zur Vorgeschichte ist auf das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2009, Zl. 2005/06/0362, zu verweisen.

Daraus ist Folgendes hervorzuheben: Mit Bescheid des Stadtmagistrates Innsbruck vom 25. Februar 2005 wurde der mitbeteiligten Partei (im Folgenden: Bauwerberin) die Baubewilligung für die Errichtung einer Wohnanlage mit Tiefgarage auf einem näher genannten Grundstück unter Vorschreibung von Auflagen erteilt. Die Beschwerdeführerin, die Miteigentümerin eines am nördlichen Ende des zu bebauenden Grundstückes im Westen unmittelbar angrenzenden Grundstückes ist und in ihren umfangreichen Einwendungen in der Bauverhandlung vom 12. Jänner 2005 (u.a.) auch geltend gemacht hatte, dass die Abstandsvorschriften nicht eingehalten würden, erhob Berufung, die die belangte Behörde mit Bescheid vom 20. Oktober 2005 (soweit für das vorliegende Verfahren von Bedeutung) als unbegründet abwies. Der Verwaltungsgerichtshof hob diesen Bescheid mit dem genannten Erkenntnis vom 24. Februar 2009 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf und begründete dies damit, dass nach den maßgeblichen Plänen die "Terrassen" im zweiten Obergeschoß samt der darüber liegenden, auskragenden Geschoßdecke eine Einheit darstellten. Dieses 67 m lange, oben durch die auskragende Geschoßdecke abgedeckte, somit loggienartige "Terrassenband" im zweiten Obergeschoß sei aufgrund seiner Dimension (auch angesichts des optischen Zusammenhanges mit den darunter liegenden Terrassenbändern) nicht mehr als "untergeordneter Bauteil" zu qualifizieren; das gelte für das loggienartige "Terrassenband" samt Überdeckung, wie auch, für sich allein gesehen, für die über die gesamte Länge des Gebäudes oberhalb dieser Terrasse vorkragende Decke des zweiten Obergeschoßes; dieser Bauteil könne auch für sich allein gesehen aufgrund seiner Dimension nicht mehr als untergeordneter Bauteil (Vordach als untergeordneter Bauteil) im Sinne des § 2 Abs. 16 TBO 2001 qualifiziert werden. Diese Bauteile hätten daher die erforderlichen Mindestabstände einzuhalten, was nach den Bauplänen jedenfalls bei der vorkragenden Geschoßdecke nicht der Fall sei. Da die belangte Behörde dies verkannt habe, sei der Bescheid schon aus diesem Grund, ohne auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen, aufzuheben gewesen.

2. Mit dem angefochtenen (Ersatz‑)Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 iVm § 13 Abs. 8 AVG als unbegründet abgewiesen und den erstinstanzlichen Bescheid des Stadtmagistrates Innsbruck vom 25. Februar 2005 mit der Maßgabe bestätigt, dass

"aufgrund der von Arch. DI S erstellten Planunterlagen 'Tekturplan des Balkongeländers im 2. OG sowie des Vordaches der Wohnanlage S-Straße 47, A-6020 Innsbruck auf Gp. 1955/11, KG H' vom 27. Jänner 2010, bei der Behörde eingelangt am 29. Jänner 2010,

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

4.1. Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides ist von folgender maßgeblicher Rechtslage auszugehen:

§ 25 TBO 2001 idF LGBl. Nr. 40/2009 lautet (auszugsweise):

"Parteien

(1) Parteien im Bauverfahren sind der Bauwerber und die Nachbarn.

(2) Nachbarn sind die Eigentümer der Grundstücke, die unmittelbar an den Bauplatz angrenzen oder deren Grenzen zumindest in einem Punkt innerhalb eines Abstandes von 15 m zu einem Punkt der Bauplatzgrenze liegen. Nachbarn sind weiters jene Personen, denen an einem solchen Grundstück ein Baurecht zukommt.

(3) Nachbarn, deren Grundstücke unmittelbar an den Bauplatz angrenzen oder deren Grenzen zumindest in einem Punkt innerhalb eines Abstandes von 5 m zu einem Punkt der Bauplatzgrenze liegen, sind berechtigt, die Nichteinhaltung folgender bau- und raumordnungsrechtlicher Vorschriften geltend zu machen, soweit diese auch ihrem Schutz dienen:

a) der Festlegungen des Flächenwidmungsplanes, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist;

  1. b) der Bestimmungen über den Brandschutz;
  2. c) der Festlegungen des Bebauungsplanes hinsichtlich der Baufluchtlinien, der Baugrenzlinien, der Bauweise und der Bauhöhe;
  3. d) der Abstandsbestimmungen des § 6;
  4. e) im Fall, dass ein allgemeiner Bebauungsplan und ein ergänzender Bebauungsplan oder ein Bebauungsplan mit den Festlegungen des allgemeinen und des ergänzenden Bebauungsplanes nicht bestehen, das Fehlen der Voraussetzungen nach § 55 Abs. 1 oder § 113 Abs. 1 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2001.

(4) Die übrigen Nachbarn sind berechtigt, die Nichteinhaltung der im Abs. 3 lit. a und b genannten Vorschriften geltend zu machen, soweit diese auch ihrem Schutz dienen.

…"

4.2. Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, aus der Stellungnahme der Magistratsabteilung III, Planung, Baurecht und technische Infrastruktur, Verwaltung, Stadtplanung, Stadtentwicklung und Integration vom 11. Mai 2010 ergebe sich, dass im vorliegenden Fall de facto eine Neueinreichung vorliege. Es handle sich um Pläne des Architekten DI S, die offenbar als "Neueinreichung" unter dem Registerdatum 29. Jänner 2010 überreicht worden seien. Eine "Neueinreichung" könne keineswegs Gegenstand eines Berufungsverfahrens sein. Es liege keine "Modifikation" vor, sondern eine gänzliche Änderung des Antragsgegenstandes im Hinblick auf die Nachbarrechte der Beschwerdeführerin. Auf Basis neuer Plansätze könne ein Berufungsverfahren nicht entschieden werden, sondern es sei ein (neuer) verfahrenseinleitender Antrag notwendig. Ein verfahrenseinleitender/verfahrensergänzender/verfahrensändernder Antrag, der nach den baurechtlichen Bestimmungen überhaupt erforderlich wäre, den ursprünglichen Antragsgegenstand zu ändern, liege nicht vor.

Es sei richtig, dass die Berufungsbehörde nach Maßgabe der Bestimmungen des AVG durchaus berechtigt sei, in einem Fall wie dem hier gegenständlichen den Sachverhalt "nach allen Richtungen hin" zu prüfen und entsprechend der Sache nach zu entscheiden. Im Spruch des vorliegenden Bescheides, der sich auf § 13 Abs. 8 AVG stütze, habe die belangte Behörde eine "Konkretisierung" eines möglicherweise fehlenden Parteiantrages vorgenommen, weil die belangte Behörde die Ungültigkeit von Einreichplänen für die gesamte Wohnanlage und den Ersatz von Planunterlagen verfügt habe, Planunterlagen "werte" und "in eine Reihe setze" und zugleich die Baubeschreibung von sich aus vornehme. Es sei nicht Aufgabe der Behörde, ein mixtum compositum von Plänen/Plansätzen "in eine logische Abfolge" zu bringen und auf solche Weise autoritativ einen entsprechenden "Antragsgegenstand" festzulegen.

Es liege eine Verletzung des § 63 VwGG vor. Überdies sei zu überprüfen, ob das gegenständliche Bauvorhaben dem Bebauungsplan entspreche. Die von der Bauwerberin vorgenommene "Modifikation" nehme bloß einen geringfügigen Eingriff vor; der der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechende Bestand werde nicht hergestellt; auch die Bestimmungen des geltenden Bebauungsplanes würden nicht verwirklicht.

Die Beschwerdeführerin habe im fortgesetzten Verfahren darauf hingewiesen, dass gutachterliche Stellungnahmen erforderlich seien, ob das gegenständliche Bauvorhaben den OIB-Richtlinien entspreche, die gemäß § 18 TBO 2001 für verbindlich erklärt worden seien. Nach Art. II Abs. 2 der 4. Bauordnungsnovelle LGBl. 40/2009 genüge es zwar, dass Bauvorhaben, über die das Bewilligungsverfahren am 31. Dezember 2007 anhängig gewesen sei, den seinerzeitigen technischen Bauvorschriften entsprächen, diese gesetzliche Bestimmung komme hier aber nicht zum Tragen, weil eine "Neueinreichung" vorliege.

Die vorliegenden Planunterlagen seien unvollständig und, insoweit sie sich nicht an tragenden Festlegungen des Bebauungsplanes orientierten, auch unrichtig.

Die Behörde habe es trotz entsprechender Einwendungen unterlassen, die in § 38 TROG 2006 angeordnete Immissionsprüfung bei der gegebenen Flächenwidmung durchzuführen.

4.3. Zunächst ist festzuhalten, dass die Baubehörde verpflichtet ist, den Bauwerber auf den Widerspruch zu den gesetzlichen Bestimmungen hinzuweisen und ihm nahezulegen, das Ansuchen entsprechend zu ändern. Selbst die Berufungsbehörde ist verpflichtet, dem Bauwerber diese Möglichkeit einzuräumen. Die Möglichkeit der Änderung von Bauvorhaben im Berufungsverfahren ist nur insoweit durch § 66 Abs. 4 AVG beschränkt, als es sich noch um dieselbe Sache handeln muss. Eine solche Verpflichtung zur Aufforderung der Änderung des Bauvorhabens muss in gleicher Weise angenommen werden, wenn das eingereichte Bauvorhaben mit einem Bebauungsplan im Widerspruch steht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. Juni 2010, Zl. 2009/06/0007).

Die Argumentation der Beschwerdeführerin ist widersprüchlich, vermeint sie doch einerseits in der Vorlage der geänderten Pläne eine "Neueinreichung" zu erblicken, andererseits erachtet sie die vorgenommene Modifikation als bloß geringfügigen Eingriff, der nicht geeignet sei, der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis vom 24. Februar 2009 Rechnung zu tragen.

Die belangte Behörde ist nach Gegenüberstellung der ursprünglichen mit dem im Berufungsverfahren vorgelegten Plänen zu der vom Verwaltungsgerichtshof nicht als unzutreffend zu erkennenden Ansicht gelangt, es liege eine zulässige Antragsänderung dar. Daran vermögen weder die Verwendung des Begriffes "Neueinreichung" durch den Amtssachverständigen der Magistratsabteilung III, Stadtplanung, in seiner gutachterlichen Stellungnahme noch Formulierungen im Spruch des angefochtenen

Bescheides, wonach "Planunterlagen ... nunmehr ungültig sind und

... ersetzt werden ...", etwas zu ändern. Es erübrigt sich daher ein Eingehen auf das unter mehreren Gesichtspunkten (etwa Überprüfung in brandschutztechnischer Hinsicht, Einholung weiterer Gutachten) eine unzulässige "Neueinreichung" des Vorhabens thematisierende Beschwerdevorbringen.

Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, die belangte Behörde habe im Spruch des angefochtenen Bescheides von sich aus eine "Konkretisierung" eines möglicherweise fehlenden Parteiantrages vorgenommen, ist ihr zu entgegnen, dass mit der gewählten Textierung nur hinreichend deutlich klargestellt wurde, welche Pläne nunmehr maßgeblich sind.

Zur behaupteten Verletzung des § 63 VwGG gibt die Beschwerdeführerin zwar zutreffend die die Aufhebung tragenden Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes im Vorerkenntnis vom 24. Februar 2009, Zl. 2005/06/0362, wieder, lässt aber konkrete Darlegungen, inwieweit der nunmehr angefochtene Bescheid der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht genüge vermissen. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass den tragenden Aufhebungsgründen durch die Antragsänderung entsprochen wurde. Dass durch die nunmehrige Situierung der "Terrassen" ihre Nachbarrechte in Bezug auf die Abstandsvorschriften verletzt würden, behauptet die Beschwerdeführerin auch gar nicht.

Auch mit dem allgemeinen Hinweis, es sei zu überprüfen, ob das gegenständliche Bauvorhaben dem Bebauungsplan entspreche, zeigt die Beschwerdeführerin nicht konkret auf, worin eine Verletzung in ihren subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten begründet sei, und es erscheint eine solche auch nicht ersichtlich.

Zur Rüge der Unvollständigkeit bzw. Mangelhaftigkeit der Planunterlagen ist auszuführen, dass der Nachbar Mängel in den Planunterlagen grundsätzlich nur dann als Verletzung von Nachbarrechten geltend machen kann, wenn er sich infolge dieser Mängel nicht ausreichend über Art und den Umfang des Bauvorhabens sowie über die Einflussnahme auf seine Rechte informieren konnte. Es besteht unter diesen Voraussetzungen auch kein Anspruch des Nachbarn auf Vollständigkeit der Planunterlagen, sodass geringfügige Mängel in den Bauplänen keine Beeinträchtigung des Nachbarn bedeuten (vgl. hiezu Schwaighofer, Tiroler Baurecht, Praxiskommentar, Rn 10 zu § 25 TBO 2001 und die dort zitierte hg. Judikatur). Dass sich die Beschwerdeführerin nicht ausreichend über Art und den Umfang des Bauvorhabens sowie über die Einflussnahme auf ihre Rechte informieren konnte, lässt die Beschwerde nicht erkennen.

Wenn die Beschwerdeführerin vorbringt, die belangte Behörde habe es unterlassen, die vom Gesetz in § 38 TROG 2006 angeordnete Immissionsprüfung bei der gegebenen Flächenwidmung durchzuführen, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach Immissionen, die sich im Rahmen des in einer Widmungskategorie üblichen Ausmaßes halten, von den Nachbarn hingenommen werden müssen. Insbesondere wurde dies auch hinsichtlich von für Wohnhausanlagen üblichen Lärmimmissionen ausgesprochen. Es besteht in einem solchen Fall auch kein Erfordernis, ein Sachverständigengutachten zu solchen Immissionen einzuholen, sofern nicht eine besondere (= über das Übliche hinausgehende) Lärmbelästigung behauptet wird und derartiges durch die Projektsunterlagen auch nicht indiziert ist. Auch die sonst mit dem Wohnen üblicherweise verbundenen Immissionen sind von den Nachbarn hinzunehmen (vgl. hiezu Schwaighofer, aaO, Rn 29 zu § 25 TBO 2001 und die dort zitierte hg. Judikatur). Allein mit dem Vorbringen, es handle sich um ein außergewöhnlich massives Bauvorhaben, wird aber noch nicht aufgezeigt, dass Immissionen vorlägen, die sich nicht im Rahmen des in einer Wohnhausanlage üblichen Ausmaßes hielten.

5. Die Beschwerde erweist sich daher als nicht begründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das den pauschalierten Betrag übersteigende Mehrbegehren war abzuweisen. Wien, am 3. Oktober 2013

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