VwGH 2009/22/0271

VwGH2009/22/027126.1.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des P, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 28. Mai 2009, Zl. E1/373/5/2009 (früher Fr- 373/5/08), betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß §§ 86 Abs. 1, 87 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer weise "insgesamt zwei rechtskräftige strafrechtliche Verurteilungen wegen der §§ 83 Abs. 1 sowie 88 Abs. 1 StGB zu verschiedenen Geldstrafen, die allerdings die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen (ihn) alleine nicht rechtfertigen", auf. Jedoch sei der Beschwerdeführer darüber hinaus seit dem Jahr 2004 insgesamt 37-mal rechtskräftig wegen verschiedener Verwaltungsübertretungen bestraft worden, wobei die belangte Behörde zu acht als von ihr als "massivst" bezeichnete Bestrafungen die jeweiligen Daten der Rechtskraft, die jeweils übertretenen Vorschriften sowie die jeweils verhängte Geldstrafe anführte. Feststellungen zu dem diesen Bestrafungen jeweils zu Grunde liegenden konkreten Verhalten tätigte die belangte Behörde jedoch - ebenso wie die erstinstanzliche Behörde - nicht.

Die Verwaltungsübertretungen - so die belangte Behörde weiter - seien jedenfalls als schwerwiegend einzustufen, weil bei deren Begehung stets eine große Gefahr für die Allgemeinheit bestanden habe und eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit damit verbunden sei. Es handle sich bei den acht im angefochtenen Bescheid angeführten Bestrafungen wegen Verwaltungsübertretungen um schwerwiegende sowie um solche, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 60 Abs. 2 Z 2 FPG rechtfertigten. Das Gefährdungspotential bei der Verübung der "Verwaltungsübertretungen bzw. Verkehrsdelikten" liege in einer generellen Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer sowie Fußgänger; diesbezügliche Präventionsmaßnahmen zum Schutze der Volksgesundheit in Österreich seien von höchster Bedeutung. Die Vielzahl und die Schwere der Verwaltungsübertretungen rechtfertige die Annahme, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährde. Für die hier noch anzustellende Beantwortung der Frage, ob die in § 86 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, sei zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lasse, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde. Der Beschwerdeführer habe durch sein rechtswidriges und rücksichtsloses Verhalten bewiesen, dass er nicht gewillt sei, sich an die österreichischen Gesetze zu halten. Durch die vom Beschwerdeführer begangenen, teilweise schwerwiegenden Verwaltungsübertretungen bestehe permanent höchste Verletzungs- und Tötungsgefahr "für andere Straßenverkehrsteilnehmer und Menschen".

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Zutreffend ging die belangte Behörde davon aus, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer, der mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet ist, auf Grund des § 87 FPG nur unter den Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG zulässig ist.

§ 86 Abs. 1 (erster bis vierter Satz) FPG sieht vor, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes - gegen einen Fremden des hier in Rede stehenden Personenkreises - (nur dann) zulässig ist, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Zutreffend verweist der Beschwerdeführer nun darauf, dass bereits nach dem Wortlaut des § 86 Abs. 1 FPG Bestrafungen für sich genommen ein Aufenthaltsverbot nicht begründen können.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei einer nach dem FPG für die Zulässigkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes anzustellenden Prognosebeurteilung letztlich immer auf das in Betracht zu ziehende Verhalten eines Fremden an. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof aber auch bereits darauf hingewiesen, dass das FPG - bezogen auf unterschiedliche Personenkreise und nach bestimmter Aufenthaltsdauer - ein unterschiedliches Maß für die zu prognostizierende Gefährlichkeit eines Fremden festlegt. So setzt etwa § 60 Abs. 1 FPG ("Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" oder "Zuwiderlaufen anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen") in Relation zu § 56 Abs. 1 FPG ("schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit") ein geringeres Maß der Gefährdungsprognose voraus. Hingegen verlangt § 86 Abs. 1 FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") im Verhältnis zu § 56 Abs. 1 FPG ein höheres Maß der Gefährdungsprognose, die sich zudem nach dem fünften Satz des § 86 Abs. 1 FPG ("nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit") noch weiter steigert (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 3. April 2009, 2008/22/0913, mwN).

Im vorliegenden Fall beschränkte sich die belangte Behörde bei der Prüfung, ob die in § 86 Abs. 1 (erster bis vierter Satz) FPG festgelegte Gefährdungsprognose zu treffen sei, auf die bloße Tatsache des Vorliegens diverser Bestrafungen. Das diesen Bestrafungen zu Grunde liegende Fehlverhalten stellte sie (ebenso wie schon die erstinstanzliche Behörde) in keiner Weise fest, zumal sie rechtsirrig davon ausging, die bloße Erfüllung des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 2 FPG rechtfertige für sich genommen schon die Erfüllung der Gefährdungsprognose. Die bloße Ausführung, dass mehrmals ein Lenken eines Kraftfahrzeuges ohne gültige Lenkberechtigung sowie Verkehrsdelikte vorgelegen seien, stellt keine Feststellungen dar, anhand derer in nachvollziehbarer Weise die nach § 86 Abs. 1 FPG geforderte Prognoseentscheidung getroffen werden könnte.

Infolge des Fehlens von Feststellungen zu dem dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Verhalten, stellen sich sohin die Ausführungen der belangten Behörde, die Schwere der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen rechtfertige die Annahme, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährde, nicht als überprüfbar dar. Umso weniger kann beurteilt werden, ob das Verhalten des Beschwerdeführers eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Da die Behörde in rechtsirriger Weise davon ausging, allein die Erfüllung des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 2 FPG rechtfertige die Erlassung des von ihr auf §§ 86 Abs. 1, 87 FPG gestützten Aufenthaltsverbotes, weshalb nähere Feststellungen zum Fehlverhalten des Beschwerdeführers unterblieben, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 26. Jänner 2010

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